#142 Eine sich zuspitzende Lage
"Was erlaubt er sich?" brüllte Alexej wutentbrannt.
Keine zehn Sekunden nachdem Ivenej auf den Bildschirmen der Silistrier erschien war der Großfürst informiert worden, dass "etwas mit dem Programm von PT nicht stimme".
Worauf er natürlich sofort den Fernseher im Krepkim hatte einschalten lassen und so in den ganzen Genuss der Rede seines jüngeren Bruder gekommen war.
Was ihn, nachvollziehbar, nun erboste. Außerordentlich erboste.
"Schlimm genug, dass er sich von den Widernatürlichen den Arsch aufbohren lässt, aber sich jetzt noch an deren Seite gegen mich, seinen Bruder und sein Vaterland stellen!" fuhr Alexej wutentbrannt fort, dann wandte er sich an seine Untergebenen: "Stellt das ab, stellt das sofort ab, besser PT zeigt nichts als das da!"
Das abzustellen erwies sich allerdings als garnicht einmal so einfach und so konnte Ivenej dem silistrischen Publikum noch in aller Ruhe den Film der Auslöschung von Beksach, genau der mit dem Terastan einst Trevor so erschüttert hatte, zeigen bis dann die Silistrier in ihrer Verzweiflung einfach die Sendeanlagen von PT komplett ausschalteten.
Die Rede Ivenej, die Bilder des in Flammen versunkenen Beksach und dann die schwarzen Bildschirme hatte zusammen allerdings durchaus eine Wirkung auf die Zuschauer.
Zumindest aus der Sicht von Alexej keine gute, eher eine die man als demoralisierend zutreffend bezeichnen könnte.
Auch auf der malerischen Insel Caprae konnte man den silistrischen Sender PT empfangen.
Dort verließ ein hochbetagter Mann nun seine Villa und bestieg ein Taxi um sich zum Hafen fahren zu lassen.
Er hatte es eilig, denn er wollte unbedingt das letzte Alalveon¹ nach Echia erreichen.
"Vehirt rapidissam!"² forderte er den Fahrer mit einem immernoch unüberhörbaren silistrischen Akzent auf.
Wenn er erst einmal in Echia wäre würde er einen Zug nach Sore Urbs nehmen. Die fuhren auch die ganze Nacht.
Aber das letzte Alalveon¹ des Abends musste er unbedingt noch bekommen.
Auf Merua hatte Lillian beschlossen, dass er An-Tinur mitnehme, wenn er nun Issan, Isador, Leton und Evan zurück auf Bumia brächte.
Und so eilte er davon ihn zu suchen und ihm die freudige Nachricht zu überbringen – auch in der Hoffnung sein Uxvir möge das als ein Zeichen erkennen, dass er, Lillian, zukünftig mehr auf seine Bedürfnisse einzugehen gedachte.
"Die haben echt gerade ihr gesamtes Fernsehen abgeschaltet?" lachte Terastan etwas fassungslos.
"Haben sie" bestätigte ihm Meran, "aber ich denke in spätestens fünfzehn Minuten sind wir wieder auf Sendung..."
"Dann sollten wir uns mal Gedanken machen was wir denen in fünfzehn Minuten präsentieren" merkte Ivenej an.
"Der Test einer Fissionswaffe auf dem Gebiet des Großfürstentums Silistrien wird von unserer Orbiterüberwachung bestätigt Sire!" teilte ein Verbindungsoffizier derweil in Angeviniania Trevor, Taejo und Simur mit.
Dann wurde es hektisch im White Castle.
Trevor erhob sich und wandte sich an den Chef des Generalstabes von Angevinien, General Shelton Myers und befahl in ernstem Ton: "Befehlen Sie augenblicklich WARESTA 1 für das gesamte Gebiet von Angevinien und Nordens Reike!"
Überrascht zog Simur heftig die Luft ein.
Noch nie in der gesamten Geschichte Angeviniens war für den Alarmzustand der Streitkräfte die WARESTA-Stufe Eins ausgerufen worden.
Und Simur war nicht der Einzige.
"War Readiness State One..."³ hörte er den First Lord of War fassungslos neben sich flüstern.
In Kitaien sah es nicht besser auf. Auf einem besonders geschützten Kommunikationskanal kontaktierte Taejo das Verteidigungsministerium in Tschinkyu und sein Befehl den er übermittelte bestand nur aus zwei Worten: "Hóngsè jǐngbào!"⁴
"Und jetzt?" erkundigte sich Simur beinahe verzagt.
"Jetzt werden ich und Taejo uns an unsere Völker wenden müssen" erklärte Trevor, "da werden schon viele die Nachrichten aus Silistrien und Hanyang mitbekommen haben. Wenn wir jetzt nicht Stellung nehmen verlieren wir the Battle of Rumors⁵
Also verkündete auch die ABC wenig später, dass der Hochkönig sich zur Lage in Silistrien an sein Volk wenden werde.
Bald darauf erklang die Hymne und wenig später erschien Trevor im vollen Ornat auf den Bildschirmen seiner Untertanen.
"Unsere Regierung hat, wie angekündigt, die Behauptung Silistriens mit Erfolg eine Fissionswaffe gezündet zu haben
genauestens überprüft" kam Trevon ohne Umschweife auf das Thema zu sprechen.
"Leider haben eindeutige Beweise die Tatsache erhärtet, dass
gegenwärtig davon ausgegangen werden muss, dass die erhobenen Behauptungen Silistriens zutreffend sind. Der Zweck dieser Testung kann nur sein, eine nukleare Angriffskapazität gegen uns, unsere Verbündeten wie auch Sore zu schaffen.
Nachdem Wir vor Kurzem die ersten konkreten Informationen dieser Art
erhielten, ordneten Wir die Intensivierung unserer Ueberwachung an. Da jetzt die Bestätigung vorliegt und die
Auswertung der Beweise und unsere Entscheidung über einen Kurs des Handelns zum Abschluß gekommen
sind, fühlen Wir und Unsere Regierung sich verpflichtet, Ihnen über diese neue Krise in allen Einzelheiten zu berichten.
Da Silistrien als Teil der Vereinigten Reiche des Nordens über dieselben modernen Trägersysteme verfügt wie wir, ist grundsätzlich davon auszugehen, dass sämtliche Städte Angeviniens und Kitaiens prinzipiell in der Reichweite silistrischer Fissionswaffen liegen
Diese rasche Umwandlung Silistriens in einen bedrohlichen Feind – durch das Vorhandensein
dieser großen, weitreichenden und eindeutig offensiven Waffen der plötzlichen Massenvernichtung – stellt eine
ausdrückliche Bedrohung des Friedens und der Sicherheit aller Staaten der Vereinigten Reiche des Nordens, ja aller Staaten auf Bumia da.
Der Umfang dieses Unternehmens zeigt, daß es bereits Jahre geplant war.
Noch im vergangenen Monat
hat die silistrische Regierung öffentlich erklärt, dass 'die nach Silistrien gelieferten Waffen und
militärischen Ausrüstungen ausschließlich für defensive Zwecke bestimmt sind', dass 'für das Großfürstentum Silistrien
keine Notwendigkeit besteht, eigene Offensivwaffen für einen Erst- oder einen Vergeltungsschlag gegen irgendein anderes Land, zu erforschen, zu entwickeln oder gar zu beschaffen.' Diese Erklärung war unwahr.
Weder die Vereinigte Königreiche von Angevinien noch die Gemeinschaft der Nationen von Bumia können eine bewußte
Täuschung und offensive Drohungen von seiten irgendeiner Nation – sei sie nun groß oder klein – dulden. Wir leben nicht mehr auf einem Bumia, in dem nur das tatsächliche Abfeuern von Waffen eine solche Bedrohung für die
Sicherheit einer Nation darstellt, daß ein Höchstmaß an Gefahr gegeben ist. Nukleare Waffen haben eine
derartige Zerstörungskraft und ballistische Raketen sind derart schnell, dass alleine ihr Vorhandensein gepaart mit der Drohung ihres Einsatzes sehr wohl
als eine definitive Bedrohung des Friedens angesehen werden kann.
Vor diesem Hintergrund haben Wir vor einer halben Stunde für alle Unsere Reiche den Alarmzustand WARESTA 1 verhängt.
Wir appellieren dringend an den Großfürsten Alexej Rurikawitschi und die Regierung Silistriens diese bisher heimliche, unbesonnenen und gefährliche Bedrohung des Friedens sofort zu beenden.
Wir versichern ihm und Ihnen jedoch auch, dass Wir angesichts dieser von Silistrien heraufbeschworenen Krise auf jeden kleinsten Hauch einer akuten Bedrohung mit aller Härte und allem was Uns zur Verfügung steht reagieren werden. Das schließt von Unserer Seite ausdrücklich auch die Anwendung von Fissionswaffen mit ein.
Zum Schluß möchten Wir einige Worte an das unterdrückte silistrische Volk richten, zu dem diese Rede durch
besondere Sendeanlagen direkt übertragen wird. Wir sprechen zu Ihnen als Freund, als jemand, der Ihre starken
Bindungen an Ihr Vaterland kennt, als ein Mensch, der Ihr Streben nach Freiheit und Gerechtigkeit für alle
teilt. Und ich habe mit tiefer Sorge verfolgt, wie Ihre stolze Nation im Laufe der Geschichte immer wieder verraten wurde – und wie Ihr
Vaterland immer wieder unter die Herrschaft von Wahnsinnigen geriet. Ihre Führer handelten und handeln selten im Interesse Ihres Landes und sie tun es auch heute nicht.
Diese neuen Waffen dienen nicht Ihrem Interesse. Sie tragen in keiner Weise zu Ihrem Frieden und
Wohlergehen bei. Sie können ihn nur untergraben. Die Vereinigten Königreiche von Angevinien und das Kaisertum Kitauen möchten Ihnen kein Leid zufügen oder Ihnen irgendein System aufzwingen. Wir wissen, daß Ihr Leben und Land von denen als Faustpfand
benutzt wird, die Ihnen die Freiheit verwehren.
Das silistrische Volk hat sich in der Vergangenheit oftmals erhoben, um Tyrannen zu vertreiben, die seine
Freiheit zerstörten. Und ich zweifle nicht daran, daß die meisten Silistrier auch heute auf die Zeit warten, da sie wirklich frei sein werden – frei von ausländischer Herrschaft; frei, sich ihre eigenen Führer zu wählen; frei,
sich ein eigenes System auszusuchen; frei, ihr eigenes Land besitzen zu dürfen; frei, ohne Furcht vor Erniedrigung reden, schreiben und ihre Religion ausüben zu können. Und dann wird auch Silistrien wieder in der
Gemeinschaft der Vereinigten Reiche des Nordens willkommen sein.
Meine Mitbürger, es soll niemand daran zweifeln, dass es ein schwieriges und gefährliches Bemühen ist, das wir begonnen haben. Niemand kann genau voraussehen, welchen Verlauf es nehmen oder welche Kosten und
Verluste es mit sich bringen wird. Viele Monate an Opfern und Selbstdisziplin liegen vor uns – Monate, in denen sowohl unser Wille als auch unsere Geduld auf die Probe gestellt werden, Monate, in denen zahlreiche Drohungen und Anklagen uns unsere Gefahr vor Augen halten werden. Aber die größte aller Gefahren wäre,
nichts zu tun.
Der Kurs, den wir jetzt gewählt haben, ist voller Risiken wie alle Wege – aber es ist der Kurs, der unserem Charakter und unserem Mut als Nation sowie unseren Verpflichtungen überall in Bumia am meisten entspricht. Der Preis der Freiheit ist stets hoch – aber wir Angevinier haben ihn immer entrichtet, und ein Weg, den wir niemals wählen werden, ist der Weg der Kapitulation oder der Unterwerfung.
Unser Ziel ist nicht der Sieg der Macht, sondern die Aufrechterhaltung des Rechts – nicht Frieden auf Kosten der Freiheit, sondern beides: Frieden und Freiheit hier in Unseren Landen und – wie Wir hoffen – überall in Bumia. So es die Götter wollen werden wir dieses Ziel erreichen."
Trevors Rede schlug ein wie eine Bombe.
Die Menschen reagierten unmittelbar auf sie. Wenn auch sehr unterschiedlich.
Ein Teil der Angevinier verließ umgehend Wohnung oder Arbeitsplatz und strebte den örtlichen Supermärkten zu wo sie in ihrer aufkommenden Panik vor einem nuklearen Krieg alles kauften was ihnen nützlich erschien und was sie in ihre Automobile geladen bekamen.
Andere versammelten sich auf den Straßen und Plätzen des Landes wo sie mit rasch improvisierten Plakaten für den Frieden demonstrierten.
Wieder andere strömten in großer Zahl in die Nemetons des Landes wo sie zu den Götter um Frieden und Verschonung beteten.
Viele verließen die großen Städte und begaben sich hinaus aufs Land wo sie sich sicherer wähnten so das alsbald Aufrufe im Telenet und im Fernsehen veröffentlicht werden mussten, welche den Menschen befahlen die Straßen freizuhalten.
Auch in Sore wurde die Öffentlichkeit langsam unruhig.
Im silistrischen Fernsehen drohte der Großfürst mit Fissionswaffen. Im angevinischen Fernsehen tat der Hochkönig dasselbe und ebenso der Kaiser von Kitaien im Fernsehen dieser Nation.
Nur die sorenische Führung schwieg eisern.
Diese Problematik erkannten auch Terastan, Meran und Trevastan und so begab sich nach einer Rücksprache Letzterer zu Ministerpräsident Meloni.
Immerhin hatte Sore ja eine demokratisch gewählte Regierung und deren Regierungschef war der Ministerpräsident in Gestalt von Gregiur Meloni.
Im Namen des Divinimperators Trinitan forderte Trevastan ihn nun auf, eine Erklärung zur aktuellen Lage abzugeben.
"Eine Erklärung zur aktuellen Lage, ich wäre ja schon froh, wenn ich wüsste, wie die aktuelle Lage ist" erwiderte Meloni ihm daraufhin etwas skeptisch.
Das musste auch Trevastan einsehen und so skizzierte er dem Ministerpräsidenten kurz die aktuelle Lage:
"Der Divinimperator und mein Uxvir sind auf Staatsbesuch in Lille auf Merua. Auf Einladung und Wunsch von Lillian. Das unterliegt allerdings noch absoluter Geheimhaltung.
Das Großfürstentum Silistrien hat im Geheimen eine eigene Fissionswaffe entwickelt, sie heute erstmals gezündet und diesen erfolgreichen Ersttest mit der handfesten Drohung eines nuklearen Krieges direkt an Angevinien und Kitaien aber auch indirekt an Sore verbunden.
Nordens Reike hat den Spannungsfall erklärt, Kitaien und Angevinien haben Silistrien mit der nuklearen Vernichtung beim leisesten Hauch einer Bedrohung gedroht was zu großer Unruhe in der dortigen Bevölkerung geführt hat. Das ist die Lage in Kurzfassung" erklärte Trevastan selbige.
"Issan, Leton, Evan und Isador sind auf einem anderen Planeten?" fiel Meloni aus allen Wolken.
"Das ist richtig" erklärte Trevastan, "weswegen uns deren besondere Fähigkeiten zur Befriedung der Lage im Moment nicht zur Verfügung stehen..."
"Ihr kommt hier Abends einfach so her und erzählt mir, dass wir jetzt interstellare Beziehungen führen und als wenn das nicht schon allerhand wäre verlangt Ihr nun, dass ich eine Erklärung zur Lage angebe ohne dabei etwas zur wirklichen Lage zu sagen" staunte Meloni und ihm war anzumerken, dass ihn das nicht gerade erfreute, "was soll ich denn da erklären?"
"Nun, am Wichtigsten ist, dass wir Zeit gewinnen bis die Vier auf interstellarem Staatsbesuch wieder zurück sind" erklärte Trevastan nun, "es geht also darum zu beruhigen."
"Also soll ich sowas sagen wie, dass Sore sich derzeit nicht bedroht fühlt und die Auffassung vertritt, dass der erfolgreiche Fissionswaffentest der Silistrier keinen aggressiven Akt darstellt. Dann mahne ich die anderen Nationen zur Besonnenheit und fordere sie auf, ihre Anliegen doch zunächst einmal zu erläutern?"
erkundigte sich Meloni nun.
"Ich sehe, Sie haben nicht umsonst den Ruf eines versierten und erfahrenen Politikers" schmeichelte Trevastan ihn, "vielleicht könnte ihr noch eine Einladung zu einer Gesprächsrunde nach Allobroga aussprechen, etwas dem sich die anderen Hitzköpfe nicht verweigern können...."
"Keine schlechte Idee" lobte nun Meloni seinerseits Trevastan, "vielleicht bestelle ich noch die Botschafter von Kitaien, Angevinien und Silistrien ein – alle zu gleich – und lasse ihnen durch die Außenministerin mitteilen, dass Sore davon ausgeht, dass es sich bei den Annahmen ihre Nationen hätten sich gegenseitig mit Fissionswaffen bedroht um ein Missverständnis handelt."
"Das ist auf jeden Fall gut" stimmte Trevastan zu, "wenn Sie wünschen kann ich Ihnen bei der Formulierung der Erklärung behilflich sein..."
"Oh mein wertester Dividuxam" erwiderte der Ministerpräsident ihm daraufhin, "das wünsche ich nicht nur, das erwarte ich jetzt..."
Der betagte Herr von Caprae hatte tatsächlich das letzte Alalveon erreicht.
Und während die Fernsehsender Sores nun eine Erklärung des Ministerpräsident zur aktuellen Lage ankündigten bestieg er in Echia einen Hochgeschwindigkeitszug nach Sore Urbs.
¹Alalveon = Tragflügelboot von ala = Flügel und alveon = Schiffsrumpf
²Fahrt schneller!
³War Readiness State = Kriegsbereitschaftszustand
⁴Hóngsè jǐngbào = Roter Alarm
⁵Schlacht der Gerüchte.
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