#141 Krieg und Frieden

Auch in Evans Elternhaus hatte man die Sendungen aus Hanyang, aus Keizerstad und natürlich aus Silistrien aufmerksam verfolgt.

"Das Vaterland in Lumpen zu seinen Füßen in Reue?" tobte Ivenej, "das ist keine Metapher mehr, das ist Wahnsinn! Der glaubt wirklich er sei ein großer Zar und der Retter Silistriens? Der ist irre!"
"Beruhige dich mein Liebster, auch ich war einst so irre wie er" versuchte Terastan besänftigend auf ihn einzuwirken.
Was nur einen mäßigen Erfolg hatte.
"Na toll, ich stamme von Irren ab, habe einen irren Bruder und habe einen irren Divinoble geheiratet" stellte Ivenej sarkastisch fest, "ich bin offensichtlich auch irre!"
"Ich bin trotzdem froh, dass ich dich und nicht deinen Bruder bekommen habe" sprach Terastan freimütig, "stelle dir vor ich wäre jetzt da an der Stelle von Marla..."
"Oh das möchte sich wohl keiner vorstellen" erwiderte Ivenej, "ich denke allerdings auch nicht, dass Isador das dann zugelassen hätte..."
"Das denke ich auch nicht..." stimmte Terastan ihm zu.
"Dennoch, du hättest meinen Bruder damals besser umgebracht statt dich in ihn zu vergucken" erklärte Ivenej.
"Dann hätte Trevor mich hinrichten lassen" merkte Trevastan an "und es hätte nie ein Wir gegeben für uns..."
"Nun, wenn ich deinen Schwanz nie gekostet hätte, hätte ich ihn auch nie vermisst" konterte Ivenej mit einem süffisanten Grinsen.
"Du hättest auch nicht so viele Jahre gehabt etwas zu vermissen" wies ihn Terastan auf noch einen Vorteil ihrer Verbindung hin.
"Dafür habe ich jetzt sehr viele Jahre um mein Vaterland zu trauern, dass mein wahnsinniger Bruder wohl in Bälde einer strahlenden Zukunft opfert!" Sarkasmus konnte Ivenej, keine Frage.
"Denkst du er ist wirklich so irre?" erkundigte sich Terastan nun.
"Er macht weiter obwohl er davon ausgehen muss, dass es seinen einzigen Kindern das Leben kosten wird, ich denke das beantwortet deine Frage" erwiderte Ivenej maliziös.
"Wenn er davon ausgeht, für wessen Thron stürzt er dann Silistrien in einen Krieg" entgegnete Terastan, "wenn Marlej und Alexa ausfallen, wer ist denn der Nächste in der Thronfolge nach ihm?"
Kurz war es still zwischen ihnen, dann stellte Ivenej leise und schmallippig fest: "Das wäre dann ich..."
"Und nach dir dann unser Sohn?" stellte Terastan das Offensichtliche als Frage fest.
"Richtig" bestätigte Ivenej knapp.
"Also sofern er mit Leton und Issan zusammenbleibt wäre das doch ziemlich gut" merkte Terastan an, "das würde Sore und die Vereinigten Reiche des Nordens endgültig miteinander verbinden..."
"Dafür müssten sie aber auch zusammenbleiben" entgegnete Ivenej, "und dieser Lillian müsste sie wohlbehalten zurück bringen. Das ist im Moment eine Rechnung mit sehr vielen Unbekannten. Mein Bruder und seine Kinder leben ja nun auch noch..."
"Noch...." meinte Terastan gedehnt, "aber bei dem Weg den dein Bruder eingeschlagen hat bin ich nicht sehr optimistisch, dass das für ihn noch von langer Dauer ist..."
"Mein Neffe und meine Nichte sind gerade erst einmal Zwanzig. Wenn überhaupt..." kam es von Ivenej dem partout nicht einfiel in welchem Jahr genau jetzt beide geboren worden waren, "...auf jeden Fall zu jung um für den Rurikawitschi-Familien-Irrsinn mit dem Leben zu bezahlen!"
"Ich denke nicht, dass Taeran sie tötet" erklärte Terastan nun.
"Mein Bruder denkt das wohl auch nicht" entgegnete Ivenej ihm, "also sofern er überhaupt noch denkt...."

Terastan erinnerte sich aber gerade daran wie er für Trevor Lugunia eingenommen hatte. Und dabei vor allem an die Sache mit dem Rundfunk. Dabei kam ihm die Idee, das zu wiederholen.
"Wie wäre es, wenn du auf Sendung gehst?" schlug er vor.
"Auf Sendung? Wo?" konnte Ivenej ihm nicht folgen.
"In Silistrien" erklärte Terastan.
"In Silistrien, wo?" verstand es Ivenej immer noch nicht.
"Auf PT" lautete die Antwort seines Virions.
"Ja klar, mein irrer Bruder wird mir jetzt ganz sicher Sendezeit auf PT einräumen" spottete Ivenej.
"Dein irrer Bruder nicht" erwiderte Terastan schmunzelnd, "aber die erfahrenen Scidiors¹ von Sore auf Befehl von Meran mit Sicherheit..."
An diese Möglichkeit hatte Ivenej nicht gedacht.
".....und was soll ich da dann machen?" erkundigte sich Ivenej noch nicht ganz überzeugt.
"Den Silistriern die Augen öffen, ihnen was vorsingen, was weiß ich, da fällt uns was ein" erwiderte Terastan der so weit auch noch nicht gedacht hatte.

"Ich bin jetzt ehrlich überrascht" war Evan auf Merua der Erste der seine Sprache wiederfand, "ich muss zugeben, ich hatte wenig Hoffnung, dass du das einsiehst..."
"Ich bin halt immer für eine Überraschung gut" erklärte Lillian mit einem Hauch von Ironie, dann murmelte er leise: "Manchmal überrasche ich mich sogar selbst..."
"Dann fang mal an" forderte Leton ihn nun auf, "wir sind ganz Ohr..."

"Also..." begann Lillian etwas zögerlich, "ich habe jetzt nicht vor den interstellaren Kurier zu spielen. Aber auf der anderen Seite wäre es wohl dumm, wenn ich euch und Lille jetzt mit der Kenntnis der Existenz des jeweils anderen alleine ließe bis ihr es irgendwann einmal alleine schafft miteinander in Kontakt zu geraten.
Deswegen erkläre ich mich bereit Lille und Sore zu unterstützen miteinander kommunizieren zu können und vielleicht auch Botschafter auszutauschen. Das bedeutet aber nicht, dass ich ständig parat stehe. Aber dass ich regelmäßig zum Beispiel Briefe hin und her transportiere..."
"Das klingt doch nach einem brauchbaren Vorschlag" zeigte sich Isador nun positiv überrascht, "ich denke im Gegenzug kann ich dir im Namen von uns allen zusagen, dass wir deinen Status bei den Lilleanern nicht in Frage stellen und uns diesbezüglich auch auf Bumia bedeckt halten."
Das war das worauf Lillian gehofft hatte. Was Isador geahnt hatte.
"Dann bleibt er hier Gott und auf Bumia irgendwie auch und wir unterstützen ihn noch dabei?" empörte sich Issan jedoch sogleich.
"Ja und ich finde, dass das ein fairer Deal ist" entgegnete Leton ihm daraufhin sehr bestimmt.
Issan wollte ihm gerade etwas antworten, als Evan sehr bestimmt erklärte: "Ich stimme Leton und Isador absolut zu..."
Das Issan das nicht hören wollte, war mehr als offensichtlich.

Doch dann wandte sich Lillian an ihn: "In der Verbindung mit deinen Gefährten bist du sehr stark, wenn du zustimmst wäre ich bereit dich zu lehren wie man den Raum und die Zeit beugt."
Überrascht sah Issan ihn an.
Lillian will mir zeigen wie man seine Macht nutzt um sich durch die weiten des Raumes zu bewegen?
"Unter einer Bedingung allerdings" fuhr Lillian fort, "du verzichtet darauf Divinimperator zu sein und generell auf jedes politische Amt in Sore und überhaupt auf Bumia.
Wenn ich dich meine Fähigkeiten lehre, dann stehst du über den Dingen und über den anderen Divinobles. Ob du dich dann so wie ich auf Merua als Gott ansehen lässt oder das einfach offen lässt, ist deine Entscheidung. Aber das verlange ich dann."

Issan schwieg und dachte nach.
So Unrecht hatte Lillian nicht. Jemand mit dessen Fähigkeiten stand außer Konkurrenz und konnte nicht im täglichen politischen Geschäft mitmischen.
"Was ist mit meinen Gefährten?" erkundigte er sich dann. Er wollte sich weder von diesen trennen noch wollte er ihnen ein Leben wie An-Tinur zumuten.
"Die sind davon nicht betroffen" erwiderte Lillian, "Evan kann selbstverständlich Divinimperator werden, Leton auch."
"Das ist gut" erwiderte Issan freimütig, "denn ein Leben wie An-Tinur kann, will und werde ich von ihnen nicht verlangen."
"Das heißt du stimmst zu?" hakte Lillian nach.
"Ja, du darfst mich im Kreise der Götter willkommen heißen!" witzelte Issan, "sobald ich zurück in Sore bin werde ich Divinimperator Trinitan auflösen und mich aus dem Amt zurückziehen. Und ich verspreche ich werde keinen Einfluss darauf nehmen ob dann Trevastan, Evan oder Evan und Leton nachfolgen. Nur bei Terastan würde ich nicht zustimmen..."
"Da würde ich auch intervenieren" erklärte Lillian.
"Dann sind wir uns ja wenigstens da einig" merkte Issan an.

"Trotzdem wäre ich froh wenn ihr Lille nicht sofort ins Fissions- und Informationszeitalter katapultieren würdet" hatte Lillian nun noch eine Bitte, "gebt ihnen Anregungen, aber lasst sie sich alleine entwickeln..."
"Bei wöchentlichem Briefverkehr wird das kaum möglich sein" beruhigte Evan ihn, "und ich denke nicht, dass wir denen als erstes Waffen andrehen, wo die doch auf ihrem eigenen Planeten keine Feinde zu haben scheinen."
"Ich wollte es nur gesagt haben" erklärte Lillian.

Doch Isador war noch etwas eingefallen.
"Wenn Issan dir dann ebenbürtig ist irgendwann, ihr bekommt das hin, dass ihr euch absprecht und nicht du wild auf Bumia intervenierst und er dann auf Merua?"
Die Frage ging natürlich genauso an seinen Sohn, aber dennoch stellte er sie Lillian.
"Ich denke wir tun uns beide keinen Gefallen wenn wir dann noch gegeneinander arbeiten" kam es nüchtern von Lillian.
"Das ist klar" erwiderte Isador darauf, "dennoch möchte ich mir keine zwei Welten vorstellen in der ihr beide danach strebt euch gegenseitig auszulöschen – falls das dann überhaupt noch möglich ist..."
"Möglich ist das immer" erklärte Lillian schon, "aber verheerend wäre es zweifelsohne..."
"Wir sind ja nicht verrückt!" sprang Issan ihm nun bei, "wir wollen beide unsere Welten bewahren. Da werden wir die doch nicht wegen persönlicher Animositäten in die Gefahr einer Vernichtung bringen!"
"Euer Wort in der Götter Ohr" mischte sich nun Evan ein, "aber eine Garantie dass ihr nicht irgendwann irre werdet ist das nicht."
"Die kann dir auch keiner geben" konterte Lillian nun, "auch wenn ich alleine Irre würde, wäre das verheerend. Insofern ist das Risiko schon da. Und Issans Kraft wird auch wachsen wenn ich ihn nicht unterrichte. Da müsstet ihr euch schon von ihm abwenden oder ich ihn jetzt töten oder anderweitig beseitigen. Und ich denke nicht, dass ihr das wollt."
"Also ich will das nicht" warf Issan nun ein und alle fingen an zu lachen.

Den Scidiors¹ von Sore gelange es mühelos, das silistrische Fernsehen zu hacken.
Und so erschien mitten in die Propagandasendung von Alexej und Marla hinein plötzlich Ivenej auf den Bildschirmen der silistrischen Zuschauer.
Viele wussten überhaupt nicht wen sie da sahen, andere wiederum wussten es schon oder hatten zumindest eine Ahnung und waren dementsprechend überrascht.

Doch Terastan hatte vorgesorgt.
In Adulis war ein noch atemloser  Marlur quasi aus dem Applaus von der Bühne geholt worden und sang nun Isadors berühmten Song 'Ivenej' auf Silistrisch in ein Mikrofon während sein Gesang über Orbitelles nach Sore Urbs übertragen und dort dann als Hintergrundmusik zu dem im Gewande eines Großfürsten vor der Kamera sitzenden Ivenej eingespielt wurde.

"Rastsvetali yabloni i grushi
Poplyli tumany nad rekoy" erklang folglich nun Marlurs Stimme in unzähligen silistrischen Haushalten,
"Vykhodil na bereg Ivenej
Na vysokiy bereg na krutoy
Vykhodil na bereg Ivenej
Na vysokiy bereg na krutoy
Vykhodil, pesnyu zavodil
Pro stepnogo sizogo orla
Pro togo, kotorogo on lyubil
Pro togo, ch'i pis on beregl..."²

Der gesungene Wink mit dem Zaunpfahl machte dann auch dem letzten Silistrier klar, wen man hier vor sich hatte.

Kaum, dass das Lied verklungen war, begann Ivenej denn auch zu sprechen:
"Einem Wahnsinnigen schuldet man keine Folgschaft. Fällt der Kapitän eines Schiffes auf hoher See dem Wahnsinn anheim ist es keine Meuterei wenn die Mannschaft ihm nicht mehr gehorcht und die Offiziere einen der ihren zum neuen Kapitän bestimmt.
An einen Anführer im Wahnsinn binden einen keine Eide.
Nicht zuletzt lehrt uns das die Geschichte unseres Vaterlandes Silistrien.
Oder hat es irgendwem geholfen, dass er Fedej dem Wahnsinnigen gefolgt ist? Hat es irgendwem genutzt, dass er dem Eid zu diesem Wahnsinnigen treu war?
Erinnern wir uns an Alexej Basdunow. Manche Geschichtsgelehrte sagen er sei der einzige Mensch gewesen den Fedej je geliebt hat.
Noch während seiner grausamen Hinrichtung sterbend hat Alexej dem wahnsinnigen Zaren seine Liebe und seine Treue versichert.
Hat es ihm geholfen?
Wir alle wissen: Nein, es hat ihm nichts geholfen.
Der Hang zum Wahnsinn liegt meiner Familie im Blute.
So wie bei Fedej ganz besonders zeigt er sich nun auch einmal mehr bei meinem geliebten Bruder Alexej.
Der Hang meiner geliebten Heimat den wahnsinnigen Rurikawitschi die Treue zu halten zieht hingegen eine blutige Spur durch ihre Geschichte.
Doch den Konflikt den mein Bruder hier nun über euch bringt, der wird nicht nur euer Blut fordern.
Der wird Feuer und Verderben über Silistrien bringen so wie seine Liebe zu Fedej Tod und Verderben über den schönen Alexej Basdunow gebracht hat.
Denkt ihr wirklich die Divinobles mit einer Fissionswaffe herauszufordern wird Silistrien befreien?
Die Divinobles beherrschen diese Welt – und nicht nur diese Welt – nicht weil sie zimperlich sind.
So eine Provokation wird eine harte Antwort erzeugen. Die Silistrien allenfalls von seiner Existenz befreien wird.
Ihr habt also die Wahl: In guter Tradition Silistriens könnt ihr einmal mehr treu wie die Schafe einem Wahnsinnigen in den Tod folgen.
Oder ihr denkt an euer Leben, an das Leben eurer Kinder und daran, dass es auch Morgen noch Silistrier und Silistrien geben soll. Dann handelt mit Vernunft und verweigert euch dem Wahnsinn.
Er wird euch nicht alle töten können wenn ihr euch einig seid.
Die Heere von Sore und Angevinien aber werden euch alle töten können – und wenn ihr zulasst, dass mein wahnsinniger Bruder eine solche Waffe gegen sie richet, dann werden sie das auch tun!"

¹scidior = Hacker
²Ringsum blühen Birn- und Apfelbäume,
Über'm Flusse noch der Nebel hängt. Da eilt Ivenej hurtig an das Ufer,
Wo das Land sich steil zum Fluß hin senkt.
Da eilt Ivenej hurtig an das Ufer,
Wo das Land sich steil zum Fluß hin senkt.
Von dem blauen Steppenadler singt er,
Singt im Gehn sein Liedchen hell und zart
Von dem Liebsten, der in weiter Ferne,
Dessen Briefe er als Schatz bewahrt

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