#140 Der strahlende Zar

So wenig Lillian hören wollte, was Issan über sie beide und insbesondere ihn zu sagen hatte, schaffte er es dennoch sich zu beherrschen.
Das Dilemma zu wissen, dass Issan recht hatte dieses aber nicht zugeben zu können, löste er mit einer erstaunlichen äußerlichen Ruhe auf eine interessante Weise. Er ignorierte dessen Aussagen einfach, verkniff sich jeden Kommentar dazu und wechselte das Thema.

"Ich denke, es ist langsam an der Zeit, dass ich euch nach Bumia zurück bringe" erklärte er ruhig.
Erstaunt sahen Evan, Issan, Leton und Isador sich an.
Dann war es Leton der das Wort ergriff. "Sollten wir zuvor nicht noch ein paar Dinge klären?" erkundigte er sich vorsichtig.
"Die da wären?" erwiderte Lillian knapp.
"Wirst du auch in Zukunft intervenieren wenn einer von uns etwas macht, dass dir nicht passt" begann Leton aufzuzählen, "haben wir irgendeine Möglichkeit in Kontakt mit dieser Welt hier zu bleiben, brauchen wir dich dafür, wenn ja, erlaubt du das und hilfst uns und ihnen?"
"Oder müssen wir selber herausfinden wo Merua liegt, wie wir sie kontaktieren können und wie wir irgendwann zu ihnen gelangen können?" schlug Isador nun in dieselbe Kerbe.
"Also ich denke nicht, dass ich lange brauche bis ich das auch kann" mischte sich nun Issan ein wurde aber von seinem Mator ziemlich rüde zurecht gewiesen.
"Es geht jetzt hier gerade wirklich nicht um dich mein Sohn" erklärte Isador kurz angebunden.

Lillian kam nicht umhin einzugestehen, dass Leton und Isador hier wichtige Punkte hatten.
Weder in Bumia noch auf Merua würde man die Existenz der jeweils anderen Welt wirklich vergessen.
Auf der anderen Seite würde ein Kontakt zwischen beiden Welten in Merua, also in Lille, zu rasanten Entwicklungssprüngen führen, die er, Lillian, kaum mehr würde kontrollieren können.
Andererseits, im Vergleich zur Länge seines Daseins würde Sore nicht mehr allzu lange benötigen um wenigstens Raumfahrt mit angenäherter Lichtgeschwindigkeit zu beherrschen.
Anders als die anderen wusste er, dass es nur etwa vier sorenische Lichtjahre von Bumia nach Merua waren.
Sobald also Bumia rausbekommen würde, wo Merua lag und man dort in der Lage war, zumindest Funksprüche zu empfangen konnte man binnen acht Jahren Nachrichten hin und her schicken.
Und vier Jahre Flugzeit war etwas, das selbst Menschen nicht abschrecken würde, Divinobles schon einmal garnicht.

Wenn er sich jetzt verweigerte, lief er in Gefahr, dass in hundert Jahren schon ein sorenisches Raumfahrzeug auf Merua landete und diesem dann Trevastan oder noch schlimmer Terastan entstiege und den Lilleanern erst einmal erklären würde, dass er kein Gott sondern nur ein größenwahnsinniger Divinoble sei.
Der noch schlimmere Gedanke, dass es auch ein angevinisches Raumfahrzeug sein könnte, kam ihm zum Glück nicht.

Es blieb ihm also nur, beim Kontakt zwischen den Welten zu helfen um dadurch ein wenig die Kontrolle, insbesondere über seine Rolle und Position in dieser Sache, behalten zu können.

"Ihr habt recht" räumte er also unvermittelt ein und überraschte die Anderen damit ziemlich, "da sind ein paar Dinge die wir nun klären müssen."

"Du hast recht" sah sich im sehr fernen Keizerstad auch Gaston gezwungen gegenüber Eleonor einzuräumen.
"Und das bedeutet?" fragte ihn der ziemlich unbeeindruckt.
"Ich beehre die Medien mit meiner höchst charmanten Präsenz" erwiderte Gaston ihm.
"Und mit Medien meinst du...?" erkundigte sich Eleonor lakonisch.
"Den Reichssender Keizerstad" lautete die ebenso lakonisch vorgetragene Antwort von Gaston.
"Also eine Spezialsendung" kam es nun von Eleonor, "muss ich mit?"
"Willst du mit?" konterte Gaston mit einer Gegenfrage.
"Also ich bin ja gerne mit dir im Fernsehen" entgegnete Eleonor, "allerdings mehr wenn wir zusammen singen und du mich küsst, weniger wenn du den Untergang Silistriens und einen drohenden Krieg besingst..."
"Dann ist das ein Nein?" wollte Gaston wissen.
Nun war es an Eleonor mit einer Gegenfrage zu antworten: "Würdest du mich denn gerne dabei haben?
Kurz nur musste Gaston überlegen, dann antwortete er: "Ja, würde ich!"

So verkündete wenig später die Sprecherin der Abendnachrichten im Reichssender Keizerstad, dass "aufgrund der Entwicklungen in Silistrien im Anschluss an die Nachrichten sich der Reichsverweser von Nordens Reike persönlich mit einer Botschaft an das Volk wenden werde."

Gaston machte das aber weitaus unprätenziöser als Taeran. Er war ja auch kein regierender Fürst. Also keine Hymne, keine wehenden Fahnen.
Einfach nur er, in Uniform und mit Schärpe in den Farben von Nordens Reike der an einem Pult mit dem Reichswappem stand, Eleonor einen Schritt rechts neben und hinter sich.

"Werte Bürger von Nordens Reike" begann er seine Rede, "Sie alle haben in den Nachrichten vernommen, dass Silistrien seine Grenzen und seinen Luftraum geschlossen hat. Sie alle haben die Vermutung gehört, dass dieses geschehe, weil Silistrien unser gemeinsames Haus der Vereinigten Reiche des Nordens verlassen will.
In dieser Stunde der Zweifel und der Bange vor einem neuen Krieg wende ich mich nun an Sie.
Jedes Haus, das in sich uneins ist, wird nicht bestehen. Ich glaube, dass dieses Silistrien auf Dauer nicht überleben kann, indem es halb für für unser gemeinsames Haus und halb für einen Auszug ist. Ich erwarte nicht, dass die Union aufgelöst wird; Ich erwarte nicht, dass das Haus einstürzt, aber ich erwarte auch nicht, dass die anderen in dieser Union, in diesem Haus tatenlos zusehen, wie Silistrien einmal mehr an dessen Dachbalken sägt und an dessen Fundamenten gräbt.
Nordens Reike wird unter meiner Führung allen Bestrebungen die Union aufzulösen und damit die Grundlagen von bald dreißig Jahren Frieden in Erebun zu beseitigen energisch entgegentreten.
Vor diesem Hintergrund sehe ich mich dazu gezwungen Kraft meines Amtes und mit der Zustimmung des Keizers von Nordens Reike mit sofortiger Wirkung den Spannungsfall zu erklären und festzustellen.
Diese Feststellung erfolgt in Kenntnis und mit dem Wissen und Wollen aller damit verbundenen Konsequenzen.
Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit!"

Mit dem vorletzten Satz umschiffte er es dabei im Fernsehen offen die Erhöhung der militärischen Alarmstufe und den Beginn der Einberufung der Wehrdienstpflichtigen zu verkünden.
Die Feststellung des Spannungsfall beinhaltete selbiges allerdings ohnehin und mit dem Verweis seiner Kenntnis der mit dieser Feststellung verbundenen Folgen hatte er klar gemacht, dass er um selbige wusste und sie auch wollte.

In der Erwartung, dass in dieser Nacht in den Wohnzimmern Silistriens sehr viel die Sender der anderen Länder der Vereinigten Reiche des Nordens gesehen werden würden – und sei es auch heimlich – hatte Gaston noch etwas mit Eleonor vorbereitet.

Den nun wurde es dunkel im Studio und nur Eleonor der ganz in weiß gekleidet war wurde von einem Lichtstrahl erfasst.
Und sang nun.
"Khotyat li silistriye voyny?
Sprosite vy u tishiny,
Nad shir'yu pashen i poley,
I u berez, i topoley,
Sprosite vy u tekh soldat,
Chto pod berezami lezhat,
I vam otvetyat ikh syny Khotyat li silistriye, khotyat li silistriye, Khotyat li silistriye voyny?..."¹

In den weiten Silistriens verstanden die Menschen vor den Empfangsgeräten das genau so wie Gaston es erwartet hatte.
Als Ankündigung, dass wenn Silistrien das gemeinsame Haus der Vereinigten Reiche des Nordens verlassen würde, Krieg herrschen würde.
Dabei waren die Schrecken des Krieges und der vorangegangenen Kriege noch sehr lebendig in der Erinnerung des silistrischen Volkes.
Der Gesang von Eleonor verfehlte daher seine Wirkung mitnichten.

Auch der Großfürst Alexej, seine Frau Marla und die Regierung Silistriens hatten die Reaktionen der anderen Länder der Vereinigten Reiche des Nordens auf ihre Maßnahmen und vor allem natürlich auch die beiden Sendungen aus Hanyang und Keizerstad sehr aufmerksam verfolgt.
"Wir müssen dem etwas entgegensetzen" sprach Alexej im großen Thronsaal des Krepkim, "so sieht es ja aus als wenn wir mutwillig einen Krieg vom Zaun brechen!"
"Wir könnten auf eure Kinder in Ketten hinweisen" schlug ein Minister vor, "diese Bilder kamen bei den einfachen Menschen nicht gut an. Ihr seid ein Vater der für die Freiheit seiner Kinder kämpft. Und als Vater des Volkes für dessen Freiheit!"
"Das klingt sehr gut" stimmte Alexej ihm zu.
Marla hatte da nun aber doch Bedenken. "Sie werden doch nicht unsere Kinder töten?" barmte sie.
"Die Widernatürlichen?" spottete Alexej daraufhin, "die doch nicht. Die sind doch alle so weich und kultiviert geworden. Der Letzte von denen der noch Eier hatte hat diese im Arsch meines Brüderchen verloren und dieser Issan ist ja von einem seiner göttlichen Vorfahren entführt worden. Da ist keiner mehr da, der sich mit dem Blut unserer Kinder die Finger schmutzig machen würde..."
"Bist du dir bei Taejo und Trevon so sicher?" war Marla immer noch nicht ganz überzeugt.
"Die werden doch nicht einmal mit einem banalen Aufstand im Süden von New Lugunia fertig, was willen die uns entgegen setzen?" gab sich Alexej unbeeindruckt.
"Fissionswaffen vielleicht" entgegnete Marla da.
"Ah, ein gutes Stichwort" merkte Alexej an, dann wandte er sich an seinen Kriegsminister, "Sergej, wie weit sind wir in Semeitowsk?"
Sergej Kuschoigu beeilte sich zu antworten: "Alles bereit, wir warten nur auf euren Befehl zur Zündung!"
"Befehl erteilt!" sprach Alexej daraufhin.

Noch während der Boden in Semeitowsk glühte und strahlte, strahlte der silistrische Staatssender PT die dabei entstandenen Bilder aus.
Und so sahen die verunsicherten Silistrier die Bilder des ersten silistrischen Tests einer Fissionswaffe untermalt vom Gesang des populären silistrischen Sängers Vitalej Grataschow der begleitet vom Chor der Armee sang:
"Vstaváy straná ogrómnaya,
Vstaváy na smértnyy boy
S d'yavol'skoy síloy tyomnoyu,
S proklyátoyu ordóy.
Pustʹ yárostʹ blagoródnaya
Vskipáyet, kak volná!
Idyót voyná naródnaya,
Svyashchénnaya voyná!
Dadím otpór dushítelyam
Vsekh plámennykh idey,
Nasílʹnikam, grabítelyam,
Muchítelyam lyudéy!
Pustʹ yárostʹ blagoródnaya
Vskipáyet, kak volná!
Idyót voyná naródnaya,
Svyashchénnaya voyná!
Ne sméyut krýlʹya chórnye
Nad Ródinoy letátʹ,
Polyá yeyó prostórnye
Ne sméyet vrag toptátʹ!
Pustʹ yárostʹ blagoródnaya
Vskipáyet, kak volná!
Idyót voyná naródnaya,
Svyashchénnaya voyná!"²

Wie das nun den Eindruck, er und Silistrien würden mutwillig einen Krieg vom Zaun brechen entgegentreten sollte, blieb wohl Alexejs Geheimnis.
Immerhin, er hatte es geschafft sein Großfürstentum von Angevinien, Kitaien und Sore unbemerkt zu einer Nuklearmacht zu machen.

Dann zeigte PT die Großfürstin Marla, die mit hohem schauspielerischen Talent die untröstliche Mutter gab.
"Mein geliebtes Volk" klagte sie, "ihr habt sie gesehen, meine Kinder. In Ketten vorgeführt und gedemütigt, von den Widernatürlichen, von den Schlitzaugen des Ostens.
Seht selbst was ihr versprechen auf Freiheit bedeutet! Wenn nicht mal meine Kinder ihnen heilig sind, wie werden sie da mit euren Kindern verfahren?
Glaubt nicht, sie wären an eurer Seite. Sie werden wieder zu uns drängen und sich auch eure Kinder holen, sie in Ketten legen und ihren perversen Gelüsten unterwerfen.
Sie werden eure Töchter entehren und eure Söhne schänden.
Sie kümmern sich nicht um Anstand, Ehre und alte Rechte.
Wäre es anders, wären Wir dann nicht Königin von Angevinien statt einer von ihnen?"

Ihr Auftritt verfing durchaus bei den  silistrischen Zuschauern.
Und nach ihr, hatte Vitalej Grataschow einen erneuten Auftritt und sang:
"Ne unyvaj, ne padaj dukhom
Czernobog razsejet tsarstvo t'my
I vnov' prilezhnym, chutkim slukhom
Nash silistrij gimn uslyshim my
I snova nash otets derzhavnyj
Na praroditel'skij svojtron
Vzojdyot, kak vstar, samoderzhavnyj
Synov szyva na poklon
Iv zhalkom rubische, nagaja
K stopam velikago tsarya
Padyot v slezakh strana rodnaja
Strydom raskajan'ja gorya!
..."³







¹Wollen die Silistrier Krieg?
Du fragst die Stille,
Über die Fläche von Ackerland und Feldern,
Und zwischen Birken und Pappeln,
Sie fragen diese Soldaten
Was liegt unter den Birken,
Und ihre Söhne werden dir antworten
Wollen die Silistrier, wollen die Silistrier,
Wollen die Silistrier Krieg?...

²Erhebe dich, gewaltiges Land,
erhebe dich für den tödlichen Kampf
gegen die teuflische dunkle Macht,
gegen die verfluchte Bande!
Möge edler Zorn
wie eine Welle aufbrausen,
das ist der Krieg des Volkes,
der heilige Krieg!
Wir werden Widerstand leisten gegen die Unterdrücker
aller flammenden Ideen,
die Gewalttäter, die Räuber,
die Peiniger der Menschen!
Möge edler Zorn
wie eine Welle aufbrausen,
das ist der Krieg des Volkes,
der heilige Krieg!
Die schwarzen Schwingen werden es nicht wagen,
über die Heimat zu fliegen,
ihre weiten Felder
wird der Feind nicht zu zertreten wagen!
Möge edler Zorn
wie eine Welle aufbrausen,
das ist der Krieg des Volkes,
der heilige Krieg!

³Kopf hoch, verliere dein Herz nicht
Czernobog wird das Reich der Finsternis vertreiben
Und wir wiederum, sensibel und aufmerksam lauschend
Werden unsere silistrische Hymne hören
Und unser souveräner Vater
Wird wieder den Thron seiner Vorfahren besteigen
Autokratisch wie in alten Zeiten
Alle seine Söhne zur Verbeugung auffordernd
Und in einem erbärmlichen Lumpen nackt
Zu den Füßen des großen Zaren
Das Vaterland wird fallen
Brennend mit der Schande der Reue



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