#137 Die Erben des Irren

"Hörst du die Musik?" erkundigte sich Taeran bei Taephorn.
Natürlich hörte Taephorn sie. Irgendwer hatte im Palast den Claviliform¹ geentert und spielte ihn  gerade mit großem Können und Hingabe.
"Lass' uns gucken wer das ist" schlug Taephorn vor.
"Bestimmt der kleine Kellner" vermutete Taeran, machte sich aber dennoch auf den Weg.
"Nenn ihn nicht immer so" meckerte Taephorn daraufhin, "er hat einen Namen, er heißt Jungkook..."
"Weiß ich doch" erwiderte Taeran grinsend und lauschte der Musik weiter.
"Das wird er aber nicht allein sein" meinte er dann.
"Wieso?" fragte Taephorn sofort.
"Die spielen Festinar E, dafür braucht man mindestens vier Hände..." erklärte Taeran.

Schwungvoll öffnete er die Tür zu dem Raum in dem das Claviliform¹ stand.
Augenblick verstummte die Musik und die erschrockenen Gesichter von drei Jungen schauten ihn an.
Es war nicht Jungkook der an dem Tasteninstrument sass, er stand daneben und fasste sich auch als Erster.
"Eure kaiserlichen Hoheiten" begann er sich sofort zu entschuldigen, "hat euch die Musik gestört? Es wird nicht wieder vorkommen, meine Freunde werden sofort gehen..."
"Nicht so hastig junger Freund" erwiderte ihm nun Taephorn und trat hinter Taeran hervor, "stelle er uns doch erst einmal seine beiden Freunde vor.

Dass er diesen nicht vorgestellt werden musste erkannte er Sekunden später daran, dass beide förmlich vom Hocker zu Boden stürzten.
"Preahchawakthireach robsa preahangk preahangk mcheasa Taephorn!"² rief Patchubun dabei.
"Er ist also Khamarinier" amüsierte sich Taephorn.
"Das sind Patchubun und Colamun" erklärte Jungkook nun hastig, "ich kenne sie von der Hochschule..."

"Ihr habt gerade Festinar E gespielt?" wandte sich Taeran nun neugierig an die Beiden.
"Ja Hoheit" erwiderte Patchubun dem seine schwarzen Haare wirr ins Gesicht fielen während er nun zum Maripgan aufsah.
"Könnt ihr es nochmal wiederholen?" bat der nun.

So schnell wie sie auf den Boden gekommen waren, sassen Patchubun und Colamun nun wieder auf dem Hocker des Claviliform.

Patchubun begann als erster mit der eingängigen und bekannten Melodie des Stückes das als eines der schwerst spielbaren wenn nicht sogar unspielbarsten von ganz Bumia galt.
Komponiert von einem Computerprogramm für die Computersimulation eines Claviliforms brauchte man mindestens vier, wenn nicht sogar sechs Hände um das an einem realen Claviliform zu spielen.
Alleine die Existenz dieses Stückes war natürlich eine Kampfansage an alle ehrgeizigen und aufstrebenden Claviliformores.
Taeran war das bekannt und das erklärte auch die Verwunderung dieses Stück auf dem Claviliform seiner Residenz in Hanyang gespielt zu hören.

Inzwischen setzte auch Colamun mit seiner Partie ein. Taephorn bewunderte sie alleine schon dafür, dass sie bei dem atemberaubenden Tempo nicht mir ihren Fingern kollidierten.
Als dann Jungkook neben Colamun trat und auf dem rasanten Höhepunkt der Partie dem ganzen eine weitere Hand lieh, wurde Taeran aber klar, dass sie eben doch fünf Hände hatten um Festinar E zu spielen.

In die nach dem fulminanten Endakkord entstandene Stille hinein, verlieh Taeran seiner Begeisterung Ausdruck: "Das war grandios Jungs, Wir sind begeistert!"
"Danke Hoheit" wisperten die Drei.
"Darf ich fragen wie alt ihr seid?" fuhr Taeran fort.
"Patchubun ist fünfzehn Jahre alt, Colamun ist achtzehn" erklärte Jungkook nun.
"Fünfzehn?" staunte Taephorn nun, "und da geht er schon fernab der Heimat hier auf eine Hochschule?"
"Vormittags gehe ich noch ganz normal zur Oberschule kaiserliche Hoheit" wisperte Patchubun leise. Die Präsenz des Kronprinzes seiner Heimat und des Königs seines Studienortes schüchterte ihn immernoch sichtlich ein.
"Könntest du denn nicht auf die Hochschule in Ankrong Kampoul gehen?" erkundigte sich Taephorn nun.
"Nein Hoheit, die wollten mich nicht" erklärte Patchubun.
"Aber die in Hanyang?" fragte Taephorn weiter.
"Ich war mit meiner Mutter hier zum Vorspielen und die haben mich genommen" erzählte Patchubun nun.
"Und dann seid ihr hierher gezogen?" war Taephorn weiter neugierig.
"Genau, Hoheit..." bestätige Patchubun.
Nun sah Taephorn zu Colamun. Der war weniger eingeschüchtert und meinte nur: "Ich bin von hier. Meine Mutter ist aus Hanyang, mein Vater aus Xianggang..."
"Und Wir sind beeindruckt" erklärte Taeran, "natürlich seid ihr beide jederzeit willkommen hier wenn ihr Jungkook besuchen wollt."
Erneut machten beide Anstalten zu Boden zu gehen. Doch Taephorn erkannte das und intervenierte sofort: "Lasst das. Wir sind hier nicht am Hof meiner Mutter oder im Tschinkyu des 45. Jahrhunderts..."
"Genau" pflichtete ihm Taeran bei, "das ist unserer Zeit nicht mehr angemessen, eine leichte Verbeugung reicht völlig. Und das wenn wir uns offiziell begegnen..."
"Dann lassen wir euch mal wieder alleine" verkündete Taephorn.

Gerade als sie die Tür zu dem Raum wieder hinter sich geschlossen hatten, trat ein Palastmitarbeiter heran und sprach Taeran hastig an: "Mein Maripgan! Dringende Nachrichten. Das Großfürstentum Silistrien hat seine Grenzen und den Luftraum geschlossen!"
"Diese irren Idioten" fluchte Taeran, dann befahl er entschlossen: "Bringt mir Alexa und Marlej. Und ein Fernsehteam!"
"Sehr wohl mein Maripgan!" erwiderte der Mitarbeiter und entschwand.

Kaum war er weg, wandte Taeran sich an Taephorn: "Zieh dir bitte was  offizielles an. Wir werden leider Politik machen müssen..."
"Denkst du Marla und Alexej werden abtrünnig?" verstand der sofort was los war.
'Oh ja" knurrte Taeran, "Alexej hat aus den Fehlern seines Vaters offenbar nichts gelernt..."

Für Simur und Trevor liefen die Dinge besser. Zumindest in New Lugunia.
Trotz Issans spektakulärem Verschwinden war der Wille zum Widerstand in den Confederated States, den abtrünnigen Shires des Süden, gebrochen.
Nach den Erfahrungen welche die Eliten der Abtrünnigen mit Issan gemacht hatten, wollte auch niemand von denen Sore anheim fallen.
Und so kapitulierten alle Staaten und ehemaligen Shires des Süden innerhalb von nur einem Tag nach Issans Verschwinden gegenüber Angevinien.
Natürlich verschwand damit nicht die dahinter stehenden Haltungen und Vorurteile komplett. Aber die Niederlage war gravierend genug um diesen in nächster Zeit kaum noch Gehör zu verschaffen.

Dennoch standen Simur und Trevor nun vor einem Problem.
Sollten sie einfach die abtrünnigen Gebiete wieder in die vormaligen Shires rückwandeln, diese wieder in New Lugunia integrieren und dann so, fast so als ob nichts gewesen wäre, zur Tagesordnung übergehen – oder sollte man diese erst gründlich reorganisieren bevor man sie zurück ins Reich reintegrierte?

Grundsätzlich waren sich Trevor und Simur einig, dass man die Voraussetzungen, dass eine Partei wie die Anti-Administration-Party je wieder Erfolg haben könnte, beseitigen müssen.
Bei der Frage des Wie gingen ihre Meinungen aber auseinander.
Simur sah ganz klar, dass deren Anschauungen und deren Erfolg ganz klar mit einem rassistischen Überlegenheitswahn von Menschen norderebunischer Abstammung verknüpft war.
Folglich plädierte er dafür, in den fraglichen Gebieten Veränderungen vorzunehmen, die es zukünftig verhindern mögen, dass Norderebunier, von Simur etwas despektierlich 'Blassweiße' genannt nochmals eine so dominante Stellung in einem der Gebiete erreichen könnten.
In der Konsequenz plädierte Simur dafür, die Stellung der Nicht-Blassweißen zu stärken und dabei vor allem auch sein Augenmerk auf die Tetsudaner zu richten.
Er schlug vor, deren Repräsentanten ein Vetorecht bei der Wahl von Earldormen³ einzuräumen und deren Einfluss im House of Lords von New Lugunia und im House of Lords von Angevinien zu stärken.
In dem man eben mehr Tetsudaner zu Erbpeers oder Lifepeers in der Peerage of New Lugunia und der Peerage of Angevinia beförderte.

Bis zu diesem Punkt war Trevor grundsätzlich noch bereit mitzugehen.
Aber Simurs Plan beinhaltete auch, das House of Archlords of Angevinia zu stärken.
Bisher waren die Einzigen Archpeers in der Archpeerage of Angevinia Simur, Trevor und Leton. Und da Trevor und Leton zugleich der Krone angehörten, war Simur der einzige der wirklich als Mitglied des Houses of Archlords fungierte.
Simur forderte nun rundheraus, dem House of Archlords mehr Mitglieder zu verschaffen.
Mit anderen Worten: Simur schlug vor, geeignete Tetsudaner in die Archpeerage von Angevinien zu erheben. Also zu Archpeers, sprich Divinobles zu machen.
Seine Argumentation war, dass man diese und damit die Tetsudaner stärker als die Krone binden würde.

Trevor hatte grundsätzliche Bedenken, was eine 'Vermehrung von Divinobles' anging.
Davon einmal abgesehen glaubte er auch nicht, dass so eine neu erschaffene Elite an neuen Divinobles noch – und das vor allem auf Dauer und langfristig – über eine enge Verbindung oder einen großen Rückhalt in ihren Herkunftsgesellschaften verfügen würden.
Auf der Annahme, dass das so wäre, basierte aber gerade Simurs Plan.

Sie waren gerade einmal mehr dabei engagiert darüber zu diskutieren, als die Nachricht hereinplatzte, dass das Großfürstentum Silistrien seine Grenzen und seinen Luftraum geschlossen habe.

Beide wussten sie, was das zu bedeuten hatte.
Und Trevor bekam einen gewaltigen Wutanfall.
"Marla, du hinterfotziges Biest" brüllte er und dann: "Dieses Mal bringe ich sie um, ich bring' sie um!"
"Aber Trevor..." versuchte Simur ihn zu beruhigen jedoch vergeblich.
"Nichts 'Aber Trevor'!" regte der sich weiter auf, "die rafft es einfach  nicht. Und dann Alexej! Hat man den Rurikawitschi eigentlich erblich ins Gehirn geschissen? Jede Generation von denen macht so einen Scheiß. Nikolej mit seinem "Ich gegen alles"-Krieg und jetzt meint Alexej er käme damit durch? Aber was wundere ich mich? Die stammen alle von diesem Fedej ab und wie irre der war, wissen wir ja alle!
Aber wie kann der denken oder auch nur glauben er komme damit durch? Ich nuke den einfach weg, ich..."
"Wir haben deren Kinder" unterbrach ihn Simur.
"Was?" meinte Trevor verwirrt.
"Wir haben ihre Kinder" wiederholte Simur.
"Wessen Kinder?" Trevor verstand es  noch nicht.
"Alexa und Marlej Rurikawitschi" erklärte Simur.
"Achso.... Die haben wir?" erkundigte sich Trevor.
"Ja" bestätigte Simur.
"Und wo haben wir sie?" wollte Trevor nun natürlich wissen.
"Also wir nicht direkt" erwiderte Simur, "aber Taeran hat sie in Hanyang. Sicher verwahrt."
"Oh, das ist gut" erklärte Trevor, "aber den Rurikawitschi traue ich alles zu. Die opfern auch ihre Kinder in ihrem Größenwahn..."
"Vielleicht sollten wir Leton kontaktieren" schlug Simur vor, "der hat ja jetzt gute Beziehungen in Sore..."
"Ist denn Issan wieder aufgetaucht?" fragte Trevor.
"Nicht, dass ich mitbekommen hätte" erwiderte Simur.
"Dann hat Leton wohl genug eigene Probleme" erkannte Trevor, "Silistrien erledigen wir mit Taejo und Taeran alleine. Zunächst sollten wir Marla und Alexej eine klare Warnung zukommen lassen. Auch in Bezug auf deren Kinder..."
"Zunächst sollten wir uns mit Taeran in Verbindung setzen" entgegnete Simur.
"Das sollten wir" pflichtete Trevor ihm bei.

Tristan

¹Flügel, Pianoforte
²Eure kaiserliche Hoheit, Kronprinz Taephorn
³Sowas wie ein Governor

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