#122 Urteilet nicht...
Isador hatte sich nicht direkt geweigert Evans Frage zu beantworten.
Er hatte erwidert, dass das eine lange Geschichte sei und jetzt nicht der richtige Zeitpunkt um diese zu erzählen.
Evan hatte das natürlich akzeptiert, galt es doch nun Isador nicht gegen sich aufzubringen.
Knappe anderthalb Stunden nach Issan befanden sich nun auch Evan, Leton, Isador und Trevastan auf dem überschall-schnellen Luftweg nach Coabana.
Um Issan in seinen Vorhaben aufzuhalten oder auch nur zu behindern waren sie allerdings eben genau das, gute neunzig Minuten hinterher.
Nicht die Tatsache, dass Issan auf dem Weg nach Coabana war – denn davon wusste man dort nichts – sehr wohl aber das erfolgreiche Vorgehen von An-Timur ab Meridamtuniam hatte das House of Deputies of the Confederated States, so nannte sich das Provisional House of Deputies of the Southern States inzwischen, in Mabila zu einer Sondersitzung zusammentreten lassen.
Letztendlich waren es vor allem die ehemaligen AAP-Abgeordneten aus dem Unterhaus des Parlamentes von New Lugunia welche nun das neue Parlament der CSSA bildeten, nur wenige aus dem Süden stammende und im Süden verbliebene Abgeordnete anderer Parteien hatten sich gemeldet und einen Platz in diesem Parlament der abtrünnigen Südstaaten beansprucht.
So war es also eine Ansammlung vieler älterer weißer Herren und weniger weißer Frauen erebunisch-angevinischer Abstammung die dieses Parlament ausmachten.
Immerhin sorgte es bei den Spinnern dann doch für eine gewisse Irritation, dass der Anführer der Sorener ein blondlockiger angevinischer Lord war, der jedem, der im Unterricht der angevinischen Sprache ein wenig aufgepasst hatte durchaus ein Begriff war.
Wobei sich diese Irritationen dann auch darauf erstreckte, wieso ein solcher Held der angevinischen Geschichte der sogar einer der Gründungsväter von New Lugunia war, dann doch auf eines dieser widernatürlichen Monster eingelassen hatte, denn dass seine erstaunliche Langlebigkeit nicht anders zu erklären war, verstand sogar Tayla Greenmar.
Dass dieses widernatürliche Monster aber niemand anderes als Willion Spearshaker, der König der angevinischen Literatur und Dichtkunst, selber war, ahnte in Mabila niemand, denn der Abend an welchem Lord Simon dieses Thema gemeinsam mit Lord Lison in der Fernsehshow von Gaila Orfrey zu erörtern gedachten war noch nicht hereingebrochen.
Inzwischen war Issan in Sinon da Paesinterfluviam auf Caboana gelandet.
Vorbei an salutierenden Soldaten eilte er zu dem Standortkommandanten.
"Mein V-37?" fragte er sofort.
"Hier entlang" erwiderte der, schaute dann aber skeptisch auf Issan, der in einer divinimperialen Tabea in Gold und Purpur gekleidet war.
"Vosta Numeen Sublimeen" wagte er dann anzumerken, "wollt Ihr in dieser Kleidung einen Volvenator fliegen? Ich befürchte das wird nicht so einfach..."
"Für Sie sicherlich" erwiderte Issan ihm sehr von oben herab, "aber für Uns gelten andere Maßstäbe..."
Die Bedenken des Militärs waren ja nicht unberechtigt, ein normaler Mensch wäre so niemals in der Lage gewesen einen V-37 zu fliegen ohne in Ohnmacht zu fallen oder sich bei der Bedienung in seiner Kleidung zu verheddern.
Aber Issan war alles andere als ein normaler Mensch.
Überraschend behände enterte Issan das Cockpit, noch einmal traf ihn ein skeptischer Blick eines Soldaten, der sich ebenfalls fragte, wie Issan in dem Gewand die Maschine steuern wollte.
Auch der ahnte ja nichts von Issans Fähigkeiten.
Noch bevor das Cockpit über ihm geschlossen war, hatte sich Issans Geist die Maschine untertan gemacht.
Einem aufmerksamen Beobachter wäre vielleicht das Leuchten in Issans Augen aufgefallen, aber wer hätte schon gewagt ihn so unverblümt anzustarren.
Hinterherstarren aber, als sich der Volvenator nun senkrecht erhob und dann Richtung Norden entschwand, taten dann alle Anwesenden.
Issan ließ sich Zeit und so brauchte er etwas mehr als eine Stunde bis er über seinem Ziel ankam.
Da der V-37P die senkrechtstartende Variante der Überschalljäger aus der V-37 Familie war, senkte sich Issans Volvenator just in diesem Moment auf den von ihm auserkorenen Landeplatz hinab, als die Reifen der Aerion AS3 mit der seine Gefährten und seine Eltern unterwegs waren die Landdbahn in Sinon da Paesinterfluviam berührten.
Dort war man etwas überrascht über deren Ankunft.
"Wie lange ist er weg und wohin?" waren Isadors Worte kaum, dass er vom Flugzeug auf die Rolltreppe getreten war.
"Wer?" erkundigte sich der Standortkommandant etwas verwundert.
"Unser Sohn, wer sonst!" fuhr Isador ihn an.
"Issan ab Apollam?" fragte der gute Mann noch einmal etwas überfordert nach, was nun Isadors Augen zum Glühen brachte.
Zum Glück erkannte Trevastan das und schob sich nun dazwischen mit den Worten: "Ja, genau der!"
"Also der ist seit etwa fünfundachtzig Minuten hier weg, Vosta Numeen..." stotterte der Kommandant nun.
"Und wissen wir auch wohin?" hakte Trevastan geduldig nach.
"Richtung Norden, Vosta Numeen, er ist nach Limama geflogen..." erklärte der Militär.
"Nach Mabila" sprach Leton leise aus was er und Meran schon vermutet hatten.
"Dann müssen wir hinterher" erklärte Evan, doch Trevastan schüttelte leise sein Haupt: "Wie denn? Nur Leton ist vielleicht in der Lage ein V-37P zu fliegen..."
"Wir haben hier ein nordisches Transportflugzeug, senkrechtstartend, eine Krukbakker Kr 31. Die könnte sie alle in etwa achtzig Minuten nach Mabila fliegen..." mischte sich nun der Standortkommandant ein.
"Machen Sie die Krukbakker fertig" befahl Evan nun sofort, "Geleitschutz mit fünf V-37P, Wir erwarten einen Start in fünfzehn Minuten!"
"Zu Befehl Vosta Numeen Sublimeen!" erwiderte der Standortkommandant, dann hastete er Befehle bellend eilig davon.
"Euch ist schon klar, was immer Issan vorhat" merkte Leton nun an, "wir werden im besten Fall zwei Stunden zu spät kommen..."
"Nun, dafür wird die Geschichtsschreibung sicherlich nicht die Schuld bei mir und meinem Virion suchen" erwiderte Isador ihm spitz, "aber besser zwei Stunden später als garnicht..."
Darauf wussten weder Leton noch Evan eine passende Antwort und so schauten sie betroffen zu Boden.
Auf dem großen Vorplatz des ironischerweise im sorenischen Stil gebauten Limama Shire Palace in Mabila welcher sich nun Limama State House nannte und in welchem das House of Deputies of the Confederated States tagte, ließ Issan sein V-37P landen.
Auch ohne seine Kräfte zu nutzen war der Platz menschenleer, denn ein mit lautem Getöse vom Himmel herabsinkendes Kampfflugzeug war Anlass genug für alle unten stehenden Menschen das Weite zu suchen.
Auch im State House war ein landender V-37P nur schwerlich zu überhören und so unterbrach der Speaker of the House¹, Owon Carthonson, nun die Sitzung und forderte die Confederated State House Police, welche aus den Kingly Guards hervorgegangen war, auf, nachzuschauen, was es mit dem Lärm auf sich habe.
Derweil war Issan schon aus seinem Volvenator gestiegen und ging gemessenen Schrittes auf die Treppe des State House zu.
Er hatte bereits den Fuß der Treppe erreicht als oben die Polizeieinheiten herausstürzten und ihre Waffen auf ihn richteten.
"Stop! Stop or we'll shoot!"² brüllte deren Befehlshaber ihm entgegen.
Issan blieb tatsächlich stehen, erwiderte dann aber mit einem fiesen Grinsen: "Ach wirklich? Werdet ihr das?"
"Stehenbleiben oder wir schießen!" wiederholte der Polizeioffizier erneut.
"Und was wenn Wir jetzt schießen?" konterte Issan spöttisch.
"Womit denn?" erkundigte sich der befehlshabende Polizist perplex.
"Wir meinen hinter Uns steht da so ein 'fighter plane'" erklärte Issan süffisant, "wie wäre es mit dessen Bordkanone?"
"Wie denn wenn Sie nicht drinnen sind?" höhnte der Polizist nun.
"Oh, ach das" schmunzelte Issan, "vielleicht so?" Und eh die Polizisten sich versahen machte er eine kleine Bewegung mit der Hand, seine Mimik wurde kalt und abweisend.
"Rarararara..." ertönte da schon das Geräusch einer Fascicursun-Kanone³ und die von Issan aus betrachtet rechts auf dem oberen Treppenabsatz stehenden zehn Polizisten verwandelten sich in eine Art Menschenhack vermischt mit Marmorsplittern von dem Mauerwerk und den Säulen hinter ihnen während ihr Blut die weißen Steine und Stufen des State House großflächig rot färbte.
"Feuert" brüllte der befehlshabende Polizist, doch es passierte nichts.
Die übrigen noch lebenden Polizisten standen wie erstarrt da und schauten Issan aus panikgeweiteten Augen an.
"Na, na, na, wer wird denn hier weiter auf Gewalt setzen" merkte dieser nun höhnisch an, "und das wo er doch gerade gemerkt haben sollte, dass die Gewalt nicht in seinen Händen liegt..."
Dann stieg er gemütlich die Stufen hoch.
Der Polizeioffizier wollte seine Waffe auf ihn richten, wollte auf ihn schließen. Doch eine unheimliche Kraft nahm nun Besitz von ihm und von seinen Untergebenen.
Hinderte ihn und zwang seine Kollegen zu Boden.
Sie knieten, teils im Blut ihrer wenige Augenblicke zuvor gestorbenen Kameraden, beugten ihr Haupt vor Issan und stöhnten mehr als sie sprachen: "Have mercy, O Lord God, we submit and bow to your power!"⁴
Sie konnten aber auch nicht anders.
Nur der befehlshabende Polizist stand erstarrt aufrecht da.
Dann stand Issan vor ihm.
"Wollten Sie nicht schießen?" erkundigte er sich in einem sadistischen Ton bei diesem.
Der Mann wollte es verneinen, wollte um Gnade bitten, sich flehend zu Boden werfen.
Doch er konnte nicht.
Seine Hand griff nach der Waffe in seinem Holster, holte sie heraus und richtete sie gegen seine Stirn.
"Feuert" befahl Issan eiskalt, sah ihm dabei direkt in die Augen.
Und er feuerte und setzte seinem Leben damit ein Ende.
Achtlos ging Issan an seinem leblosen Körper vorbei, die Türen zum Plenarsaal öffneten sich vor ihm wie von Geisterhand.
Dann betrat er den Saal in dem das House of Deputies of the Confederated States zu seiner Sitzung zusammengetreten war.
Die durch die Geräusche von draußen, insbesondere das Feuern der Bordkanone der V-37P, beunruhigten Mitglieder des Hauses verstummten bei seinem Anblick sofort.
Nur Tayla Greenmar sprang von ihrem Sitz auf, deutete mit dem Finger auf ihn und schrie hysterisch: "Da! Satan persönlich schickt seine Monster gegen uns, Godan steh' uns bei!"
"Die Götter werden euch nicht beistehen Mrs. Greenmar" erwiderte Issan ihr mit einer Stimme, die nicht nur dieser einen kalten Schauer über den Rücken laufen ließ, "denn die Götter bekämpfen einander nicht um die Angelegenheiten der Menschen!"
"Ihr seid kein Gott!" kreischte die Greenmar schrill.
"Was macht Sie da so sicher?" erwiderte Issan ihr während er weiter in die Mitte des von einer Kuppel gekrönten Saal schritt.
"Ihr seid nicht der Schöpfer!" hielt die Greenmar ihm vor.
Issan lächelte nur. "Seht wie einfältig ihr seid Tayla Greenmar. Ihr verehrt Godan als obersten wenn nicht sogar einzigen Gott. Und dennoch war er nicht der Schöpfer.
Elohan, so sagt uns die Juwasa, war der Schöpfer von Raum und Zeit und allen Dingen welche sich in beiden erstrecken. Gäbe es kein Gott außer dem Schöpfer, dann kann Godan kein Gott sein."
"Aber Godan ist Elohan" widersprach die Greenmar, "und er verleiht uns das ewige Leben wenn wir seinen Geboten folgen!"
"Erscheinen euch eure jämmerlichen siebzig bis hundert Jahre die ihr auf Bumia verweilt als das ewige Leben?" spottete Issan nun, "ihr wollt ewiges Leben. So wie es den Divinobles gegeben ist? Oder mehr?
Das können Wir euch geben – und Wir können es euch auch wieder nehmen!"
"Wir wollen ewiges Leben im Elycate⁵!" widersprach Tayla Greenmar ihm jedoch.
"Ins Elycate also wollt ihr?" Höhnisch erklang die Stimme von Issan nun. "Und da denkt ihr, mit eurem Hass und eurer Intoleranz seid ihr auf dem richtigen Weg?"
Darauf wussten auch die Greenmar keine Antwort und so fuhr Issan sarkastisch fort: "Wo steht denn geschrieben, dass der Weg ins Elycate über den Hass führt? Wo steht geschrieben, dass er über die Ablehnung von Menschen mit anderer Hautfarbe, anderer Orientierung oder anderer Meinung als der jeweils eurigen führt? Ihr denkt die Diskriminierung von Andersartigen, Andersdenkenden oder Frauen führt euch ins Elycate? Ihr denkt, wenn ihr die Kinder der Götter und deren Gefährten als Monster verfehmt und auszugrenzen trachtet, dann belohnen euch dieselben Götter mit dem ewigen Leben im Elycate?"
"Wir folgen nur den Worten Godans, so wie sie uns überliefert sind!" plärrte die Greenmar erneut.
"Nun, wenn das der Fall wäre, warum haben die Götter euch dann Uns geschickt um über euch zu richten?" entgegnete Issan daraufhin.
"Nur Godan kann über mich richten" beharrte die Greenmar, "denn Godan duldet keine Götter neben sich!"
"Und doch habt ihr Tayla Greenmar es selbst gewagt in eurem Leben soviel über andere zu richten" hielt ihr Issan nun vor, "habt es euch selbst angemaßt festzulegen was richtig sei und was falsch. Galt da nicht, dass nur Godan richten kann?"
Und ohne die Greenmar noch einmal zu Wort kommen zu lassen begannen Issans Augen erneut zu leuchten, es war als löse er einen Impuls an Energie aus, dann erloschen die Lichter im ganzen Gebäude, Computer und Callidcoms gaben ihren Geist auf und alle Anzeigen und Bildschirme färbten sich schwarz.
Unheilvoll aber ertönte nun Issans Stimme: "Urteilt nicht, denn so wie ihr andere verurteilet, so wird über euch das Urteil gefällt werden! Bedenket welches Recht ihr auf andere anwendet, denn nach diesem Recht werdet ihr gerichtet werden!
Habt ihr vergessen die Worte von Delan wie sie geschrieben stehen im Buch des Matitian?
Nun Tayla Greenmar, schauen Wir in Ihr Gedächtnis nach welchem Maß Sie andere verurteilt haben. Auf dass Wir Sie nach diesem Maße verurteilen können!"
¹Sprecher, Parlamentspräsidnz
²Halt, Stehenbleiben oder wir schießen!
³Sowas wie eine Gatling-Kanone
⁴Habt Erbarmen oh göttlicher Herr, wir unterwerfen und beugen uns Eurer Gewalt!
⁵Elycate = Paradies, Himmelreich
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