#104 Turbulente Zeiten
Kaum, dass seine Maschine gelandet war, wandte sich Eleonor an die Sicherheitskräfte des Flughafens und verlangte recht energisch zu Issan ab Apollam gebracht zu werden.
Zu seiner Überraschung traf er mit seinem Verlangen sofort auf offene Ohren. Womöglich lag es allerdings auch daran, dass er, Eranda, Maralda und Isadora noch immer in den weißen Fechtanzügen bekleidet und mit Brodors Blut besprenkelt waren.
Im selben Aufzug stand er dann keine dreißig Minuten später vor Issan, Leton und Evan.
"Hey Eleonor!" begrüßte Leton ihn launig, "wem hat denn deine Anreise alles das Leben gekostet..."
"Also ich abflog war der Eigner dieses Blutes noch am Leben, Sire!" erwiderte Eleonor daraufhin.
Da versuchte Issan in seine Erinnerungen zu schauen, was Eleonor aber zu spüren schien, denn er fuhr herum, wischte sich drollig mit der Hand über seine Schläfen, so als wolle er eine Fliege verscheuchen, und fuhr Issan an: "Hey, lasst das, fragt mich einfach!"
Worauf Issan ziemlich verblüfft dreinschaute, während Evan und Leton zu lachen begannen.
"Also, was führt dich her?" erkundigte sich Leton nun.
"Die Anhänger Eures Großvaters haben die Regierung Eures Vaters aus Keizerstad verjagt und greifen nach der Macht. Leider wohl auch mit der Hilfe von Teilen des Militärs.
Gaston schickt mich um Eure Hilfe zu erbitten" schilderte Eleonor knapp was ihn herführte.
Leton, Evan und Issan wechselten einen bedeutsamen Blick, dann verließ Leton ohne ein weiteres Wort zu verlieren den Raum.
Während Issan etwas an seinem Callidcom machte, bot Evan Eleonor etwas zu trinken an.
Dann kehrte Leton zurück.
"Rikeskansler Fredor Galtsterk und sein Kabinett sind auf dem Weg nach Börsstad" erklärte er, "man hat sich an den Rat der Vereinigten Reiche des Nordens gewandt, aber dort hat man bisher nichts unternommen, da man auf eine Antwort vom Hochkönig und dem First Minister wartet. Die sind aber in Angeviniana und haben bisher keine Rückantwort gegeben..."
"Dann sollten wir uns wohl nach Keizerstad begeben" schlug Evan vor.
"Auf jeden Fall!" stimmte Leton zu.
Issan sah von seinem Callidcom hoch. "Die Truppen im Westen von Nordens Reike haben sich an dem Aufruf bisher nicht beteiligt, die Luftwaffe auch noch nicht" erklärte er, "ich schlage vor, du Leton befiehlst sie nach Keizerstad und die Luftwaffe soll uns in Börsstad erwarten..."
"Dann fliegen wir nach Börsstad?" erkundigte sich Evan
"Das ist ein guter Plan" meinte Leton.
"Ich erteile die notwendigen Befehle" sprach Evan und verließ nun seinerseits den Raum.
"Wann fliegt ihr denn?" fragte nun Eleonor neugierig.
"In einer Stunde" erwiderte Issan ihm, "geh, zieh dich um, du und deine Damen, ihr kommt mit uns..."
Zum Leidwesen von Sakenmann und vaf Paulsteen war Nordens Reike technisch dem Sorenischen Reiche immernoch weit unterlegen.
Den versierten Fachkräften von Sore gelang es ziemlich rasch, sich Zugriff auf die Rechnersysteme und damit auch auf den Sendebetrieb nicht nur des Reichssender Keizerstad sondern aller Sender in Nordens Reike zu verschaffen.
So war es Manor Scheepenbouwer der vom fernen Sore Urbs aus seinen ultimativen Auftritt in der Geschichte hatte in dem er nun in Sore auf Sendung ging.
"Mitbürger und Mitbürgerinnen unserer geliebten Heimat Nordenland" begrüßte er etwaige Zuhörer und Zuschauer, "Sie hören den Sender Freies Nordenland.
Revanchistische, rückwärtsgewandte Kräfte, Feinde der Freiheit und des Friedens, haben sich in den Morgenstunden mit Gewalt gegen die verfassungsgemäße Ordnung aufgelehnt, sind mit Gewalt in die Reichshauptstadt eingedrungen und haben die gewählte Regierung vertrieben und zu stürzen versucht."
Geschickt wurden nun Bilder von den marschierenden Soldaten vaf Paulsteens, von den Panzern vaf Valkenlunds auf der Autobahn und in Keizerstad eingespielt.
"Widerstand ist nun die erste Bürgerpflicht. Wenn Sie in Keizerstad sind, bringen Sie sich in Sicherheit, verlassen Sie wenn möglich Ihre Arbeitsstätte und leisten Sie den Putschisten keine Hilfe. Wenn Sie mit dem Wagen unterwegs sind, machen Sie die Straßen frei. Bringen Sie sich und Ihre Lieben nicht in Gefahr.
Wir bringen Ihnen nun die Berichte einiger Augenzeugen..."
Nun wurden Interviews mit Eranda, Maralda und Isadora, noch in ihrer blutbefleckten Fechtanzügen, gebracht, in denen diese die Ereignisse, den Angriff auf die Reichskursantenschule und unschuldigen Schüler, darunter sogar Mädchen, in dramatischen Worten schilderten.
Mehr noch als die Befehle von Leton hatte diese Sendung Wirkung.
Der Oberbefehlshaber über die Truppen im Westen von Nordens Reike, General Gundor Kiezelhard, selbst mit einem Mann verheiratet, reagierte sofort.
Naturgemäß hatte er kein Interesse daran, dass in seinem Vaterland wieder der Storledarismus um sich und gar nach der Macht griff.
Schon bald also zogen seine Männer von Koninstad und Börsstad nun gegen Keizerstad.
Im östlichen Teil von Nordens Reike hatte der Storledarismus hingegen noch sehr viele Anhänger und so gelang es vaf Paulsteen rasch, weitere Truppen von Keizershaven und Godehaven Richtung Keizerstad auf den Weg zu bringen.
In Pedorborg wiederum war der befehlshabende Offizier der Luftwaffe niemand geringeres als Isadors Vetter Jessenor vaf Turnet.
Der natürlich keinerlei Interesse daran hatte einen Sakenmann an der Macht zu wissen.
Anstatt seine Flugzeuge nach Börsstad zu schicken, was von Pedorborg auch fast einmal quer durch Nordens Reike gewesen wäre, befahl er ihnen jede auf Keizerstad von Osten oder Nordosten zugehenden Truppen anzugreifen.
Tatsächlich erreichten seine Flugzeuge die Brücke des Motorsnellveg 2 über die Woder östlich von Keizerstad nahezu zeitgleich mit den von vaf Paulsteen aus Godehaven angeforderten Verstärkungstruppen.
Doch niemand hatte die Autobahn gesperrt und die Kolonne der Militärfahrzeuge sorgte zusätzlich für dichten Verkehr.
Ihrem Befehl getreu griffen nun die Flieger von Jessenor vaf Turnet diese Kolonne an, bombardierten die Brücke – und landeten mehrere Volltreffer.
Die Pfeiler des Bauwerkes knicken ein und die Fahrbahnen stürzten hinab in den Fluss und das Flusstal, unzählige Fahrzeuge des Militärs aber auch zivile Lastwagen und Personenwagen mit sich reißend.
Noch mehrere Sekunden lang rasten weitere Fahrzeuge in den Abgrund da sie nicht rechtzeitig zum Stehen kamen.
Die Flugzeuge drehten ab nur um die wenige Kilometer weiter stromaufwärts liegende Eisenbahnbrücke der Ostlig Sporveg¹ zu zerstören.
Dazu warfen sie zwei Gleitbomben ab.
Die ihr Ziel auch trafen. Und zerstörten.
Just in dem Moment als der Schnellzug 'Duna-Koerir' von Dunaborg nach Keizerstad in die Brücke einfuhr.
Diese versank in den Fluten der Woder und wie der berühmte nordensche Dichter Theodor Fontein zu einem anderen Anlass mehr als hundert Jahre zuvor gedichtet hatte: 'Der Zug der in diesem Augenblick in die Brücke tritt? Ei der muss mit!'
Mit mussten auch die Fahrgäste der sechs Wagen des nur die erste Wagenklasse führenden Zuges und dessen Besatzung.
Auf einen Schlag hatte der Bürgerkrieg nun sein hässliches Gesicht gezeigt und hunderten unschuldigen Menschen das Leben gekostet.
Genau dreizehn Minuten später landeten Issan, Leton und Evan in Börsstad.
Noch am Flughafen trafen sie auf Reikeskansler Fredor Galtsterk und sein Kabinett.
"Mein Prinz, was ist es für eine Freude Euch zu sehen" begrüßte Galtsterk Leton beinahe überschwänglich.
Der erwiderte darauf nur kühl: "Mein sehr geehrter Reichskanzler, Wir bitten Sie zur Kenntnis zu nehmen, dass Wir uns als Hoge Keizer² vaf Nordens Reike betrachten!"
Verwirrt schaute Galtsterk ihn nun an: "Als Hochkaiser? Aber Euer Vater..."
"Unser Vater ist sicherlich sehr erfreut zu hören" unterbrach ihn Leton sofort, "dass Wir uns mit den Erzherzögen vaf Apolla vermählt haben und Wir bereits vom sorenischen Großrat als Hochkaiser von Sore bestätigt worden. Die Kunde von der Ermordung des Hochkaisers Jeror vaf Joven haben Sie doch hoffentlich erhalten?"
"Ja, ja natürlich..." stotterte Galtsterk.
"Nun, dann sollten wir den Abenteuerern in Keizerstad rasch ein Ende bereiten, so dass Wir sie als unsere hochkaiserliche Regierung bestätigen können" erklärte Leton.
"Selbstverständlich Eure hochkaiserlichen Hoheiten" stimmte Galtsterk ihm zu.
"Dann auf nach Keizerstad" befahl Leton nun.
Dort war es Gaston mit seinen Panzern tatsächlich gelungen den im Süden der Stadt liegenden Flughafen einzunehmen.
Eine Tatsache die er stolz nach Börsstad und Koninstad weitermeldete.
Alsbald trafen dort die ersten Transportmaschinen aus den beiden westlich liegenden Städten ein, gefolgt von Passagiermaschinen voller Soldaten.
Und dann endlich landete die Aerion AS3 des Divinimperators von Sore.
Als dann tatsächlich Issan, Leton, Evan, die Reichsregierung und sein geliebter Eleonor aus dieser Maschine stiegen, traute Gaston kaum seinen Augen.
"Ihre Majestäten die Hochkaiser von Nordenland und Sore!" brüllte Gaston laut und sofort namen die anwesenden Soldaten Haltung an und salutierten.
Dann trat Gaston vor Issan, Leton und Evan, die nebeneinander Aufstellung bezogen hatten.
"Eres godomlikheten³" begrüßte er sie, "ich melde den Flughafen der Reichshauptstadt bereit zur Übergabe an Eure hochkaiserlichen Hoheiten!"
"Arkshertog vaf Ostorien" sprach nun Leton, "Wir danken Euch für Eure treuen Dienste und Euren Einsatz für Uns in dieser schweren Stunde des Konfliktes."
Gaston verbeugte sich nun, dann meinte Evan zu ihm: "Wo können wir hier die Lage erörtern?"
"In der Class A Lounge" erklärte ihm Gaston.
"Dann begleiten Sie uns dahin" bat Evan nun, bevor er etwas lauter rief: "Alle befehlshabende Offiziere und Mitglieder des Kabinetts: Lagesbesprechung in der A-Klasse-Lounge in Null/Fuffzehn!"
Auf dem Weg dahin wandte sich Leton dann grinsend an Gaston: "Seit wann bist du eigentlich Offizier im Heer von Nordenland?"
"Seit... Moment..." erwiderte Gaston und sah auf seine Uhr, "seit genau sechs Stunden und vierundzwanzig Minuten..."
"Und in was für einen Rang hast du dich befördert?"griente Leton nun.
"In garkeinen, ich habe mich als Erzherzog vorgestellt und dann 'Auf Befehl des Kaisers, mitkommen!' gebrüllt."
"Hat ja gut funktioniert" stellte Leton fest.
"Oh ja, ich habe erst die Reichskursantenschule und dann den Flughafen eingenommen!" lachte Gaston.
"Nun, dann sollten wir jetzt die Reichskanzlei und den Reichstag einnehmen" erwiderte Leton.
"Zu Befehl!" antwortete Gaston.
Im fernen Angeviniana waren die Nachrichten aus Keizerstad über Kingstown-of-the-North zwischenzeitlich auch angelangt.
Und erzürnten einen ohnehin ziemlich erbosten Trevor zusätzlich.
Der allerdings nicht umhin kam, festzustellen, dass er da im Moment nichts tun konnte.
Seine Möglichkeiten waren mit der Abriegelung der abtrünnigen Shires und dem Durchgreifen gegen die Anti-Administration-Party und deren Anhängerschaft vollends ausgeschöpft.
Dazu kam dann noch, dass sein Sohn sich ohne Genehmigung des Parliaments mit gleich zwei Männern verbunden hatte. Dieser Alleingang – auch wenn er natürlich nicht unerwartet kam – war etwas, das Trevor in seiner Sicht der Dinge nicht gebrauchen konnte.
Als wenn das alles nicht genug wäre, erhielt er dann noch irritierende Nachrichten aus Tsarigrad.
Offensichtlich schien man in Silistrien die Ereignisse so zu interpretieren, dass sie eine Gelegenheit wären, die Oberherrschaft Trevors und Taejos abzuschütteln und aus den Vereinigten Reichen des Nordens auszuscheiden.
Was nicht ganz verwunderlich war, Großfürstin Marla hatte in ihrem Verständnis fraglos immernoch eine Rechnung mit Trevor offen und auch Alexej hatte noch nicht ganz mit der Vorstellung abgeschlossen statt Großfürst auch wieder Zar sein zu können.
Wenn dem so war, hatten sie ihre Rechnung nun aber ohne Taejo gemacht.
Während Trevor vor Wut das halbe White Castle zusammenbrüllte, beruhigte Taejo ihn: "Keine Sorge, darum kümmere ich mich..."
Das tat er dann auch.
Er rief Taeran an.
Und hatte das Glück, dass er diesen noch erreichte bevor er Sore Urbs verlassen hatte.
"Taejo" war Taeran etwas verwundert, "was verschafft mir die Ehre?"
"Eigentlich habe ich nur eine kurze Frage" kam der sofort zum Punkt, "hast du eine Ahnung wo Alexa und Marlej Rurikawitschi sind?"
"Bei mir daheim, Leton hat die wegen meiner Geburtstagsparty bei seinen Gasteltern, also meinen Eltern untergebracht" erwiderte Taeran, "es fliegt ja im Moment nichts nach New Lugunia..."
"Oh, das trifft sich gut" freute sich Taejo, "wir haben nämlich das Problem, dass Alexej und Marla eventuell wackeln, wenn du verstehst was ich meine...
Meinst du, du könntest Issan dazu bewegen die beiden festzunehmen?"
Taeran verstand sofort: "Du möchtest die als Geiseln nehmen?"
"Das klingt jetzt etwas unschön...." erwiderte Taejo.
"Oh, da habe ich eine bessere Idee" entgegnete Taeran, "ich fliege gleich mit Taephorn nach Hanyang. Auf Wunsch von Issan und Leton. Ich nehme Alexa und Marlej mit. Wenn wir dann in Hanyang sind..."
"Man merkt immernoch das Blut der Liangs in dir" merkte Taejo anerkennend an.
"Ich melde mich wenn wir in Hanyang sind" versprach Taeran ihm, "viel Erfolg und falls es euch interessiert, euer Sohn ist mit Issan und Evan nach Nordenland geflogen anscheinend..."
"Das interessiert uns sehr" bestätigte Taejo ihm, "danke für die Info..."
Dann riss die Verbindung ab.
Taeran hingegen begab sich augenblicklich in den Salon seines Elternhauses wo Taephorn mit Alexa, Marlej und Margon vor dem Fernseher saßen.
"Alexa und Marlej, packt bitte eure Sachen, ihr fliegt mit uns!" Und in weiser Voraussicht bat er sie dann: "Gebt mir bitte eure Callidcoms. Ihr bekommt sie nach dem Flug zurück..."
Das einer der beiden vielleicht doch aus Tsarigrad kontaktiert würde konnte er nun ganz sicher nicht gebrauchen.
Zu seiner stillen Überraschung folgten beide sofort seinem Wunsch und gaben auch ihre Telefone bei ihm ab.
Nur Margon Slater machte noch Probleme.
Der Boyfriend von Alexa forderte nämlich sofort: "Ich fliege mit Alexa!"
"Dann auch dein Phone bitte" befahl ihm Taeran.
"Was, warum das?" protestierte der allerdings.
"Weil ich euch dann entgegen Issans Wünschen mitnehme" log Taeran nun, "und ich das Risiko, dass er das über eure Callidcoms mitbekommt sicherlich nicht eingehe!"
Dagegen hatte auch Margon kein Argument und so gab er Taeran sein Callidcom und ging, seine Sachen zu packen.
Vierzig Minuten später waren sie in einer Aerion in der Luft und auf dem Weg über das östlichen Sore nach Kitaien.
¹Ostbahn
²Hochkaiser
³Eure Göttlichkeiten
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