#102 Geh nicht zu den Mädchen, Brodor!
Die Kunde von der Erschütterung der Macht erreichte am späten Vormittag auch Nordens Reike.
Und fiel in der Heimat des Storeledars auch über zwanzig Jahre nach dessen Ableben noch auf fruchtbaren Boden.
Dandor Sakenmann und seine Anhänger, darunter natürlich auch Brodor Fotänker, sahen nun die Stunde gekommen im Reiche zu den alten Sitten zurückzukehren und vor allem die Kinäden endgültig zu stürzen.
Viele, zu viele trauerten noch immer der 'guten, alten Zeit' des Storeledar nach.
So war es den Kräften der Most Bestuurleike Partit ein leichtes den Reichssender Keizerstad einzunehmen.
Und um 11:12 Uhr Mittelerebunischer Zeit spielte der nun auf allen Kanälen 'Des Nordens Stern':
"Des Nordens Stern soll weithin hell erglänzen,
Des Nordens Adler schweben wolkenan,
Des Nordens Fahne frischer Lorbeer kränzen,
Des Nordens Schwert zum Siege brechen Bahn.
Und hoch auf Nordens Throne
Im Glanz von Karlors Krone
Beherrsche uns ein Kaiser stark und mild,
Und jedes Nordmanns Brust sei ihm ein Schild!
Beherrsche uns ein Kaiser stark und mild,
Und jedes Nordmanns Brust sei ihm ein Schild!"
Das war das Signal auch an unzufriedene Teile des nordenschen Militärs.
Insbesondere die im Osten von Keizerstad, aber auch in den östlichen Landesteilen stationierten Truppen gehörten dazu und so setzte vor allem Gregor vaf Paulsteen, der Sohn des legendären Error vaf Paulsteen die ihm unterstellten Soldaten nach Keizerstad in Marsch, feldmarschmäßig, wie im Feindesland.
Auch Fedor vaf Valkenlund erwies sich als nachtragend und so rollten die ihm unterstellten Truppen wenig später auf dem Motorsnellveg von Helveborg in Richtung Keizerstad.
Die Reichsregierung unter Reikeskansler Fredor Galtsterk war sich der Lage nur allzu bewusst und da man sich nicht sicher war ob die in Keizerstad befindlichen Truppen und Polizeieinheiten wirklich loyal zur Regierung standen und auch gegen die eigenen Kameraden kämpfen würden, beschloss man, Keizerstad zu verlassen.
Um 12:15 Uhr Mittelerebunischer Zeit begab sich die Reichsregierung in bereitgestellte Autos und verließ Keizerstad.
Zehn Minuten später erreichten die Truppen unter Gregor vaf Paulsteen unter Gesang marschierend das Regierungsviertel in Keizerstad.
Während die Reichsregierung nun nach Börsstad floh, erkannte auch Gaston den Ernst der Lage.
Mehr noch als um sich selbst machte er sich Sorgen um Eleonor der wie kaum etwas anderes in Nordenland ein Symbol für alles war, was aus der Sicht der revisionistischen Kräfte falsch lief.
Nach mehr als zwei Jahren in Keizerstad waren seine Kenntnisse der nordischen Sprache aber gut genug um nun seinerseits einen Coup der spektakulären Art zu wagen.
Mit seinem schicken Armolinnen und in eine prächtige angevinische Uniform bekleidet begab er sich in die südlich von Keizerstad gelegene Stadt Ekdam
Die dort stationierte sechste Panzerbrigade war in Angevinien ausgebildet worden und von daher erhoffte sich Gaston, dass diese auch in der jetzigen Lage loyal zu Kaiser Trevor stehen würden.
Ungeniert bretterte Gaston daher durch die Schranke der Kaserneneinfahrt, baute sich vor den herbeieilenden Soldaten auf und bellte in einer hervorragenden Imitation der schnarrenden Stimmen nordenscher Offiziere: "Ich bin der Arkshertog vaf Ostorien! Auf Befehl seiner kaiserlichen Hoheit dem Kaiser Trevor, begleiten sie mich nach Keizerstad zur Sicherung der Reichskursantenschule!"
Tatsächlich verfing sein Auftritt und keine halbe Stunde später rollte Gaston, dieses Mal mit einem Soldaten als Fahrer, in seinem Armolinnen über die Ekdamer Heerstraße wieder nach Keizerstad hinein, begleitet und geschützt von einer Kolonne von sechzehn Stridsvagen¹ Tiger V und zwölf Transportpanzern Fuchs.
Seine Sorge war nicht unbegründet denn der Aufruhr hatte längst die Reichskursantenschule erreicht wo ein von Brodor Fotänker angeführter Mob aus ihm gleichgesinnten Schülern durch die Räume tobte und nach Eleonor suchte.
Auch im Jahre 1182 gehörte der Fechten und Reiten zu den Dingen die in der Reichskursantenschule unterrichtet wurden. Und so traf Brodor ausgerechnet in der Fechthalle auf Eleonor.
Wenn Brodor schlau gewesen wäre, hätte er sich nun mit seinen Spießgesellen sofort Eleonors bedächtigt.
Zum Glück war Brodor nicht schlau und das, was ihm an Schläue fehlte versuchte er darüberhinaus auch noch mit einem übersteigerten Geltungsbedürfnis wett zu machen.
"Ah schau, wen haben wir denn da" ätzte er mit einer öligen Stimme, "wenn das nicht unsere Erzadelshure ist..."
Die anderen Jungen, sofern sie nicht Parteigänger Brodors waren, suchten nun augenblicklich das Weite.
Eleonor zog mit einer ausdruckslosen Miene seinen Degen.
Während sich nun Brodor ebenfalls einen Degen reichen ließ, versuchte er ihn weiter zu provozieren: "Tag der Abrechnung mein süßer Eleonor, kein Kinäde steht bereit dir deinen süßen Arsch zu retten!"
"Wenn das Denken bei dir nur ansatzweise so gut funktionieren würde wie das Quatschen" erwiderte Eleonor stoisch, "dann würde ich jetzt tatsächlich Angst bekommen..."
Gerade als Brodor ihn nun angreifen wollte, öffnete sich die Tür zur Fechthalle erneut und herein stürmten Eranda, Maralda und Isadora in vollem Fechtornat, ihre Degen in den Händen.
"Was macht ihr denn hier?" rief Brodor unwillig während sich die drei schützend vor Eleonor aufbauten.
"Das ist nicht für Weibsvolk, geht mir aus dem Weg!" maulte Brodor weiter.
"Nun, wenn das nichts für Weibsvolk ist, dann lass dich durch uns nicht stören Brodor!" erwiderte Isadora ihm.
Unschlüssig stand Brodor herum und beäugte die drei jungen Frauen.
Er konnte doch nicht Frauen angreifen. Andererseits, wenn er es nicht tat, kam Eleonor vielleicht davon und er würde zum Gespött weil ihn Weiber davon abgehalten hatten Eleonor fertig zu machen.
Noch bevor er seine Gedanken zu Ende gedacht hatte, begann Eleonor ihn nun seinerseits zu provozieren in dem er laut ein bekanntes Volkslied, leicht abgewandelt zu singen begann.
"Geh nicht zu den Mädchen, Brodor
sprach die Mutter weise
Sie verhexen deine Seele
schicken dich im Kreise
Machen schöne Augen
und liegen dir in Herz und Taschen
Geh nicht zu den Mädchen, Brodor
die dich arm nur machen"
Eleonors Stimme war die gesungene Verhöhnung.
"Geh nicht zu den Mädchen, Brodor
die im Tanz sich drehen
Honig wirst du trinken dennoch
bitter wirst du gehen
Lange wird noch Schmerzen
Enttäuschung schwer in deinem Herzen
Geh nicht zu den Mädchen, Brodor
die im Tanz sich drehen
Doch was nützt die Weisheit, Brodor
verzaubert sind die Mädchen
schlagen selbst den Stärksten fest
mit einem dünnen Hiebchen
Lange wird noch Schmerzen
Schwer ihr Sieg in deinem Herzen
Geh nicht zu den Mädchen, Brodor
die den Degen schwingen
Darum gehe nur zu den Mädchen
weise wirst niemals..."
Noch während Eleonor ihn singend verspottete, stürzte sich Brodor wutentbrannt auf die drei jungen Frauen.
Was selbst wenn er ein begnadeter Fechter gewesen wäre, angesichts der Tatsache, dass die Schutzkleidung trugen und er nicht, eine ziemliche dumme Idee war.
Es kam so wie es kommen musste. Eranda, Maralda und Isador versetzten ihm jeweils einen Stich und als Brodor nun vor Eleonor zum Stehen kam, war er bereits erheblich verletzt. Aus tiefen Schnittwunden an Hals und Kopf lief ihm bereits das Blut.
"Ist es süß ungefickt fürs Vaterland zu sterben?" erkundigte der sich mit meisterlich geschauspielerter Anteilnahme.
Brodor hätte besser daran getan nun den Rückzug anzutreten. Doch die Worte von Eleonor ließen ihn vor Wut Blind werden. Blindlings griff er an, doch Eleonor parierte seine Attacke mit großer Eleganz und brachte ihm eine tiefe Stichwunde knapp unterhalb seiner Schulter bei.
"Hör auf Brodor" zischte ihm Eleonor nun leise zu, "ich habe kein Verlangen danach dich zu töten, aber wenn du nicht aufhörst, dann habe ich auch kein Problem damit es zu tun."
Dumm glotzte Brodor ihn an während er sich vor Schmerzen leise keuchend sein Blut aus dem Gesicht wischte.
"Für den Sakenmann wird das hier sein letzter Sargnagel sein" versuchte es Eleonor noch einmal, "aber du musst ihm nicht folgen wenn er und die ganzen Ewiggestrigen in ihr eigenes Verderben rennen!"
Nicht hilfreich für Brodors Entscheidungsfindung war die Tatsache, dass seine Anhänger nun zu skandieren begannen: "Tritt hervor oh großer Brodor, der Sieg ist unser bald, mach die Schwuchtel endlich kalt!"
Indessen ratterte Gastons Panzerkolonne bereits am Botanischen Garten vorbei.
Kurz überlegte der nun über den Motorsnellveg 103 zu fahren, entschied sich dann aber doch auf der Ekdamer Heerstraße zu bleiben und westlich am neuen Regierungsviertel vorbei über Diertuinen, die Freifläche des alten Regierungsviertel und der Straße Undar de Lindar zur Reichskursantenschule vorzustoßen.
Eine weise Entscheidung, denn so kreuzten sie zwar den Weg der auf dem Motorsnellveg 100 zum neuen Regierungsviertel vorstossenden Vorhut der Truppen von Fedor vaf Valkenlund.
Da die aber oben auf der Autobahn waren und er unten durch verrückte, erkannten die Soldaten vaf Falkenlunds nicht, dass die Panzer unten eine andere Absicht verfolgten als sie.
Erneut begab sich Brodor nun in Angiffposition, bereit sich auf Eleonor zu stürzen. In seiner Selstüberschätzung hatte er die drei Freundinnen von diesem in seinem Rücken schon längst wieder ausgeblendet.
Was ihm nun zum Verhängnis wurde, denn Maralda wirbelte nun kühn herum und durchtrennte mit einem Hieb ihrer Waffe in Brodors rechte Kniekehle für dessen Stehvermögen wichtige Sehnen und Muskeln, so dass er mit einem lauten Schmerzensschrei zu Boden ging.
Sofort sprang nun Eleonor nach vorne und richtet die Spitze seines Degens direkt auf Brodors Herz.
"Gib auf oder bei allen Göttern, ich zerbrech dir dein Herz!" grollte er.
Brodor aber wurde nun vom Schmerz der ihm zugefügten Verletzungen übermannt und ließ tatsächlich seine Waffe fallen bevor er kläglich zu wimmern begann.
Worauf sich Eleonor an die Anhängerschaft von diesem wandte: "Verpisst euch. Wenn ich ihn zehn Sekunden noch eine eurer hässlichen Fressen hier sehe, dann perforiere ich eurem tollen Brodor hier sein Herz schneller als gucken könnt!"
Unschlüssig guckten die Dummköpfe sich an, dann meinte einer: "Lass uns rausgehen und Dandor anrufen. Der Sakenmann wird Brodor schon nicht hängen lassen..."
Das hielten auch seine Spießgesellen für eine gute Idee und rasch verließen sie die Fechthalle.
Derweil hatten die meuternden Truppen das Regierungsviertel besetzt und proklamierten nun Dandor Sakenmann zum Reichskanzler und Gregor vaf Paulsteen zum Reichsverweser.
Es war also ein denkbar ungünstiger Zeitpunkt für den Sakenmann um nun zu erfahren, dass sein ehemaliger Lieblingsschüler kläglich an drei Mädchen gescheitert war bei dem Versuch sich des Guldenhals-Jungen zu bemächtigen.
Dennoch bat er nun den Keizerstader Polizeipräsidenten Achator vaf Uckerland, welcher sich auf die Seite der Putschisten gestellt hatte, Polizeieinheiten zur Reichskursantenschule zu schicken und Brodor zu helfen.
Einer Bitte welcher Achator vaf Uckerland nur allzu bereitwillig nachkam.
Auf dem Boden der Fechthalle verteilte sich da schon Brodors Blut.
Den hatte längst aller Mut verlassen und von Schmerzen überwältigt als auch von der Angst zu sterben gepeinigt begann er nun zu weinen.
"Ist es doch nicht so süß und ehrenvoll fürs Vaterland zu sterben?" spottete nun auch noch Eranda.
Da war es einfach zuviel für Brodor und er fing an zu betteln: "Bitte... ihr wollt mich doch jetzt nicht einfach hier verbluten lassen?"
"Ist es nicht das, was du mit Eleonor vorhattest?" erkundigte sich Isadora nun kalt.
"Nein. Ich sollte ihn gefangen nehmen und zu Sakenmann bringen" verteidigte sich Brodor jämmerlich.
"Ach – und das soll uns jetzt dazu bewegen dir zu helfen?" konterte Maralda auf diese Aussage hin nun.
"Wir haben gute Gründe dich hier einfach verrecken zu lassen" erklärte Eleonor und sah voller Ablehnung auf ihn herab, "es gibt allerdings auch gute Gründe das nicht zu tun. Und deswegen werden wir dir helfen..."
Sie halfen ihm so gut es ging. Allerdings, sie konnten nicht alle Wunden wirklich so versorgen wie es nötig war.
Brodor musste dringend in ein Krankenhaus.
Also wählte nun Eleonor nun den Notruf und forderte einen Rettungswagen an.
Tatsächlich kam auch einer und traf wenige Minuten vor den Polizeieinheiten von vaf Uckerland – und den Panzern von Gaston ein.
Gerade als Brodor in den Rettungswagen verladen wurde, stürmten die Polizeieinheiten den Schulhof der Reichskursantenschule.
Nur um ihn ebenso schnell wieder zu verlassen, als der erste Stridsvagen Tiger V durch den Rest der alten Keizerstader Stadtmauer brach die an dieser Stelle den Schulhof begrenzte.
Als dann vor der Schule ein weiterer Tiger V über die Polizeifahrzeuge walzte, rannten sie wie die Hasen.
Gaston ließ den Rettungswagen mit Brodor fahren, dann rannte Eleonor schon in seine Arme.
"Noch nie war ich so froh dich zu sehen" rief er.
"Das geht mir genau so" versicherte ihm Gaston.
Noch von den Zeiten des Storeledars her bildete die Straße Undar de Lindar mit dem sich vor der Reichskursantenschule befindlichen Zuivelmarknen die große Ost-West-Achse von Keizerstad.
Diese war sehr breit angelegt und besass wegen der Militärparaden keine in ihr Lichtraumprofil ragende Straßenbeleuchtung oder -beschilderung.
"Räumt mir einen Kilometer der Straße frei" befahl nun Gaston seinen Männern.
Denen war das mit ihren Fahrzeugen ein leichtes.
"Was hast du vor?" erkundigte sich nun Eleonor.
"Dich hier heraus zu bringen" erwiderte Gaston.
Als die Straße geräumt war, rief Gaston die Besatzung der Aerion AS3 an, welche Isador ihm und Eleonor vor mehr als zwei Jahren quasi geschenkt hatte.
Die hatte umsichtigerweise unter dem Eindruck der Ereignisse das Flugzeug schon betankt und abflugbereit gemacht.
Zu seiner Überraschung stimmte sie sofort Gastons Bitte zu auf dem Zuivelmarknen zu landen um Eleonor abzuholen.
So kam es, dass fünfzehn Minuten später eine Aerion AS3 in der Stadtmitte von Keizerstad landete.
"Kommst du nicht mit?" fragte Eleonor besorgt als er feststellte, dass Gaston keine Anstalten machte an Bord zu gehen.
"Nein, ich habe hier noch zu tun" erwiderte der.
"Aber ich..." wollte Eleonor nun widersprechen.
Doch Gaston unterbrach ihn: "Du fliegst jetzt nach Sore Urbs und bittest Issan um Hilfe!"
"Wieso Issan?" wunderte sich Eleonor.
"Wirst du sehen wenn du da bist" erwiderte Gaston und gab den drei jungen Frauen ein Zeichen Eleonor nun in die Maschine zu bringen.
Der sträubte sich zwar, aber gegen die vereinten Kräfte von Eranda, Maralda und Isadora hatte er keine Chance.
Dann hob die Aerion ab, erhob sich in die Lüfte nur um kurz darauf ganz Keizerstad erzittern zu lassen als sie durch die Schallmauer brach und ihre Nase gen Sore Urbs wendete.
Welches sie in einer halben Stunde erreichen würde.
"So Männer" sprach da schon Gaston zu seiner Truppe, "auf zum Flughafen!"
¹Kampfpanzer
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