4 - Sinn

Ich versuche, meine Beine wieder unter meine Kontrolle zu bringen und mich mit ganzer Kraft gegen sie zu stemmen, doch es will nicht funktionieren.
Meine Muskeln bewegen sich wie von selbst, ohne, dass ich daran etwas ändern kann.
Ich drohe schon in Panik zu verfallen, da erinnere ich mich wieder an die Anleitung zur Abwehr von Feen.
Ich schließe meine Augen und stelle mir zuerst meinen Talisman vor.
Dann, wie ich zurück zur Pforte laufe.

Ich spüre, wie die Fee versucht, mein Bewusstsein beiseite zu drängen, in die hinterletzte Ecke meines Kopfes, von wo aus ich nur zusehen kann.
Doch ich stemme mich konzentriert dagegen und merke, wie sie mit der Zeit schwächer wird.
Schließlich versuche ich wieder, stehen zu bleiben, und diesesmal funktioniert es.
Die Fee fliegt noch einmal um meinen Kopf, als würde überlegen, es nochmals zu versuchen, doch ich wedle sie weg wie eine lästige Fliege und endlich verzieht sie sich.

Ich schaue mich etwas um.
Obwohl ich einiges bereits von der anderen Seite der Pforte aus gesehen habe, ist es doch noch eine ganz andere Erfahrung, selbst im Wald von Ahir zu stehen.

Feiner Dunst fließt um meine Knöchel, ein leise Brise streicht durch meine Haare und trägt die leisen Waldgeräusche an meine Ohren.
Trällern, wie von Singvögeln, nur werden es wahrscheinlich mir unbekannte Wesen sein. Leises Geraschel, wenn etwas durch das Laub umherstreift. Und in der Ferne das Geplätscher des dünnen Wasserlaufes am Weltenübergang.
Auch wenn ich nach Hause muss und es hier gefährlich ist - in einem Punkt hatte die Fee Recht, es ist eine wunderschöne zauberhaufte Welt. Und es scheint alles so friedlich. Und natürlich.

Ich folge den leisen Wassergeräuschen, die mir eine Orientierungshilfe bieten.
Ich muss mich nicht zwangsläufig beeilen, denn hier vergeht die Zeit schneller. Was bedeutet, dass die Pforte für Ahir länger offen ist und in einer Stunde, die ich hier verbringe, auf der Erde nur wenige Minuten verstreichen, wenn ich überhaupt so lange brauche.
Ich schlendere weiter und genieße die Stille.
Ein kleines Tierchen kitzelt in meinem Nacken und gedankenverloren wische ich es mir weg, doch es weicht aus.

Dann plötzlich wird alles dunkel und ich sehe absolut nichts mehr.
Ich fasse instinktiv an meinen Nacken, doch die dünne Metallkette ist verschwunden.

Sofort schlägt mein Herz mir bis zum Hals.
Ohne die Kette, die vor mir in einem ungemeinen Tempo durch das Nichts zu schweben scheint, kann ich die magische Welt nicht sehen. Ich brauche sie.

Die Panik droht mich zu übernehmen, aber ich habe noch genug Selbstkontrolle, um der Kette hinterherzustolpern.
Im wahrsten Sinne des Wortes, den ich falle sofort über eine hervorstehende Wurzel und lande unsanft auf den Händen.
Obwohl meine Arme vom Aufprall schmerzen, robbe ich dem kleinen Amulett hinterher. Ich reiße mir meinen Hände und Knie am rauen Waldboden und den spitzen, aus dem Boden ragenden Steinen auf und streife stachelige Ranken, doch es ist mir egal.

Nach wenigen Metern verschwindet die Kette auf einmal.
Ich bleibe regungslos liegen.
Nein, das kann nicht wahr sein.
Es darf einfach nicht sein.
Die Kette kann doch nicht einfach vom Erdboden verschluckt worden sein und mich hier blind zurücklassen.

Um mich herum nehme ich die Waldgeräusche deutlicher wahr, jetzt, wo ich selbst still bin und nichts mehr sehe.
Und nach einiger Zeit bemerke ich auch noch etwas anderes.

Ich kann noch immer nichts sehen, aber ich kann spüren. Ich spüre die Magie, die mich umgibt, wie ein schwaches Kribbeln, schon die ganze Zeit, die ich in Ahir bin.
Doch da ist mehr.

Ich spüre stärkere Schwingungen, die von bestimmten Richtungen ausgehen.
Ist das die Aufspürergabe, von der ich gelesen habe? Existiert sie wirklich und, noch wichtiger, kann ich sie einsetzen?

Ich versuche, mich auf all die Sinneseindrücke zu konzentrieren, die von allen Seiten auf mich einprasseln, doch es will mir nicht gelingen.
In dem Wirrwar aus akustischen, taktilen und magischen Reizen kann ich die von meinem Amulett ausgehende Magie nicht von den anderen abgrenzen, geschweige denn genau lokalisieren.

Der Verzweiflung nah richte ich mich halb auf und lehne mich an einen krummen Baumstamm, der anscheinend hinter mir gen Himmel ragt.

Ich weiß nicht, was ich tun soll oder kann, außer einfach hier sitzen.
Vielleicht habe ich innerlich längst aufgegeben, jemals wieder sehen zu können oder dieser Welt zu entkommen.
Jedenfalls bleibe ich regungslos sitzen und mit der Zeit beruhigt sich mein Atem, es wird mir gleichgültiger.

Je länger so da sitze, desto mehr verstehe ich von der Welt, die mich umgibt. Alle Klänge und Empfindungen setzen sich in meinem Kopf langsam zu einem Bild zusammen.
Aus dem Chaos kristallisiert sich die Welt um mich herum immer klarer heraus, inzwischen spüre ich sogar die unterschiedlichen Magieflüsse.

Ich versuche mich an das Gefühl zu erinnern, als ich meine Kette das erste Mal getragen habe. Ich hatte von Anfang an das Gefühl, dass sie etwas magisches ausstrahlt.
Und das hat sich anders angefühlt, als die allgemein vorhandene Magie oder die der Pforte oder des Baches.

Ich konzentriere mich auf das Gefühl aus meinen Erinnerungen und finde im Hier und Jetzt tatsächlich etwas, was sich genauso anfühlt.
Seinen Ursprung hat es schräg links von mir, wenn ich mich nicht vertue.

Vorsichtig nähere ich mich der Quelle und taste mit meinen Händen die Umgebung ab.
Ich stoße auf etwas, was sich wie ein hohler, waagerecht liegender Baumstamm anfühlt.
Ich fahre von innen das morsche Holz entlang und bin mir sicher, dass ich ganz nah am Amulett bin.
Ich ertaste einen Kristall und halte ihn einen Augenblick lang für meinen, doch er ist zu groß.

Mich piekst plötzlich etwas in den Finger und fast ziehe ich ihn zurück, doch im selben Moment streife ich einen kleinen glatten Stein.
Mit Metallfassung.

Ich greife zu und hebe ihn hoch, wobei die Metallglieder die Kette leise klimpern.
Sobald ich meine aus dem Stamm ziehe, sehe ich die Kette.
Erleichterung erfüllt mich und ich lege sie mir wieder um den Hals, wodurch die Schwärze um mich herum wieder die Gestalt des Waldes annimmt.
Ich traue meinen Augen kaum, als ich den Baumstamm sehe.
Er ist hohl und von Moos und Spinnenweben bedeckt wie alle anderen, doch was ich darin sehe - es ist atemberaubend.

Überall liegen Kristalle und Steine mit Pyritwürfeln oder Metalladern. Neben einfachen Bergkristallen glitzert es in allen Farben und ich meine, zwischen all den Geoden vereinzelte Berylle zu erkennen.
Und als wäre das nicht schon unglaublich genug, stehen am hinteren Ende winzige Gebilde aus Stöckern, die aussehen wie kleine Häuschen.
Es ist kein Lebewesen zu sehen, aber ich mir sicher, auf ein Kobolddorf gestoßen zu sein.

Nach der Beschreibung im Buch habe ich es mir schon schön vorgestellt, aber das hier übertrifft meine Erwartungen noch bei weitem.

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