#04

Zwei Monate waren seit meiner Kündigung vergangen und ich hatte das Gefühl, dass die Zeit seitdem schneller vergangen war wie vorher. Heute trug ich mein erdbeerrotes Lieblingsshirt mit den den rosa und weißen Orchideenblüten darauf, dass mir Gundula aus ihrem Dschungelurlaub vor zwei Jahren mitgebringselt hatte. Vorsichtig balancierte ich einen Bücherstapel der Neuveröffentlichungen in den Verkaufsraum des Ladens, den ich Dank Tante Annelies nun mein eigen nannte.

Es war toll von Zahlungen an irgendeinen Vermieter oder Weisungen einer Chefin unabhängig zu sein. Für die Renovierungsarbeiten hatte sie einen hypothekengesicherten Ratenkredit aufnehmen müssen. Dieser war aber so niedrig in der monatlichen Belastung, dass sie ihn einerseits immer erwirtschaften konnte, andererseits aber auch noch Jahrzehnte abzubezahlen hatte. Jede monatliche Überweisung brachte sie der gewünschten Unabhängigkeit ein Stück näher.

Das Mehrfamilienhaus hatte einen Keller mit Kellerräumen, so dunkel wie es sich für Keller gehört. Darüber befand sich ihr „LäseLädchen" mit einer mittigen Glastür nebst Glöckchen, links der Buchladen und rechts das Café. Entweder lasen die Besucher in ihren eben erstanden Exemplaren oder in ihren mitgebrachten Büchern oder in den gebrauchten, die auf, neben und unter den Tischen und in Regalen jedem zu Verfügung standen und ebenfalls erworben werden durften. Ebook-Reader stellte ich zum Verleih ebenfalls zur Verfügung.

Ab und an verirrten sich Poeten zu mir.

Über zwei Wendeltreppen recht und links, gelangten die Besucher auf die Balustrade, wo die Bibliothek mit dickgemütlichgepolsterten Ohrensesseln, runden Holztischchen und antiquen Leselampen aus Messing und buntem Glas durchbrochen war und zum Verweilen einluden.

Die erste Etage des Hauses teilte sich Mrs. Sparklingnice, die gern aus dem Nähkästchen plauderte, mit Mr. Simon John Lookinggood, einem Studenten der Geotechnik und des Bergbaus, und seinem Kater Kolibri. Wegen der rostroten, schneeweißen und schiefergrauen Farbtupfer auf seinem Fell.

Darüber bewohnte Familie Screamingloud das gesamte Stockwerk: mit Mr. und Mrs., sowie den Kindern Anthony (7 Jahre), Henry (10 Jahre) und Rosie (12 Jahre).

Unterm Dach war mein Reich.

Im Garten dahinter lebten meine zwei Kaninchen Harry und Potter im Stall und viele Katzen streunten hier herum, was Kolibri sehr genoß. Hier war er der Herr im Revier.

Jetzt am Vormittag kam wenig Kundschaft vorbei, da die meisten arbeiteten oder zur Schule gingen und die Rentnerinnen und Hausfrauen waren beim Einkauf oder Reinemachen und kamen erst in eins bis zwei Stunden auf ein Schwätzchen mit Freundinnen vorbei.

Ein Herr in den 60igern mit Hut und Trenchcoat trat ein, schlenderte durch die Regale und griff sich nach zehn Minuten ein Buch.

Ging damit schnurstracks zur Kasse.

Bezahlte ohne ein Wort.

Stets mit Bargeld.

Ich steckte den Krimi in eine Tüte und reichte sie ihm mit einem Lächeln: „Viel Spaß damit."

Keine Sekunde später drehte er sich um und verschwand grußlos durch die Tür. Ich nannte ihn Mr. Mundlos.

Jede Woche dasselbe Spiel. Nie kam ich mit diesem Herrn ins Gespräch. Vielleicht war er gehörlos?

Die beste Gelegenheit für mich, die Gebärdensprache anfangen zu lernen.

Warum nicht?

Andere sammelten Porzellanfingerhüte, dass fand ich wiederum grotesk.

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