Kapitel 9
Als die Kutschen auf den steinernen Vorhof der Burg rollten, spürte Zunae Nervosität in sich aufsteigen. Sie wusste, dass sie bald auf das ehemalige Königspaar treffen würde, doch dass diese auf sie warteten, um ihre Söhne zu empfangen, ahnte sie nicht.
Als die Kutsche hielt, stieg sie langsam aus. Den Pelz, den sie während der Fahrt getragen hatte, ließ sie erst einmal in der Kutsche zurück, da es nicht so kalt war, wie sie erwartet hatte. Ihre Magie floss wärmend durch ihren Körper und machte es ihr angenehmer.
Trotzdem fuhr der Wind unter ihr goldgelbes Kleid und wirbelte es leicht auf.
Zunae ahnte nicht, dass sie damit die Aufmerksamkeit der wenigen Diener auf sich zog, die in der Nähe verteilt waren.
So gelbe Stoffe gab es in den Nordlanden nur selten. Sie waren wertvoll, weil sie importiert werden mussten.
Auch die Aufmerksamkeit von Charet zog Zunae auf sich, bevor sie selbst die ehemalige Königin erblickte.
Zunae war zu fasziniert von dem riesigen Gebäude, das nun ihr Zuhause sein würde.
Es war groß und klobig, wie sie es erwartet hatte. Es passte zur Kutsche, die ebenfalls eher rudimentär und funktional aussah. Anders als die Kutsche, die sie bei sich hatte. Es war eine Prachtkutsche, die ihren Status zeigen sollte. Funktional war sie dennoch. Zumindest, wenn sie nicht mit Geschenken vollgestopft war.
Zunae blickte zu Jane, welche die Kutsche fuhr und gerade abstieg. Dann zu den beiden Eltern des Königs.
Obwohl sie älter waren als Zunaes eigene Mutter, hatten sie doch ein sehr erhabenes Aussehen. Vor allem Lacrew, dessen Augen noch immer etwas Raubtierhaftes hatten.
Charlet neben ihm wirkte eher unscheinbar und vorsichtig. Ihre Kleider waren so gewählt, dass sie unauffällig waren und sie leicht in der Masse untergehen würde.
Zunae verstand diese Wahl nicht. War sie nicht stolz darauf, die Königin der Nordlande zu sein, oder war das hier einfach so?
»Vater, wir sind zurück«, grüßte Yelir, der als erstes vortrat, und eine Verbeugung vollführte.
Zunae beobachtete ihn dabei genau. Er grüßte nur seinen Vater. Das überraschte sie.
»Vater, Mutter«, grüßte Degoni, der ebenfalls einige Schritte auf seine Eltern zu machte.
Charlet lächelte. »Meine Jungs«, sagte sie erleichtert und musste sich Mühe geben, nicht vorzustürmen und Degoni zu umarmen. Sie hatte Angst gehabt, dass auch er auf den Weg zurückblieb. Misha zu verlieren, setzte ihr sehr zu. Sie wollte nicht noch einen weiteren Sohn einbüßen.
»Yelir. Degoni«, grüßte Lacrew, der einen Schritt nach vorn machte, sodass Charlet nun ganz in den Hintergrund geriet. Das kam ihr jedoch recht, denn so würde sie sich alles in Ruhe ansehen können. »Wen habt Ihr mitgebracht?«, wollte Lacrew wissen, denn ähnlich seiner Söhne, erkannte er Zunae nicht sofort.
Diese trat vor, noch bevor einer der beiden Männer das Wort ergreifen konnte und knickste elegant. »Mein Name ist Zunae Naytas, Eure Hoheit«, stellte sie sich vor. So respektvoll, wie sie es aus ihrer Heimat gewohnt war. Dort wurden die Familienangehörigen der Königsfamilie mit Hoheit angesprochen und nur das Königspaar mit Mylady und Mylord. Zunae wusste nicht, dass es hier andersherum war und die Mitglieder des Königs als Lord und Lady und der König selbst als Hoheit betitelt wurden. Das würde sie erst noch lernen müssen, weshalb sie im Moment nur auf das Wissen aus ihrer Heimat zugreifen konnte.
Sie erkannte jedoch an Charlet, die leicht ihren Mund verzog, das etwas nicht stimmte, während Lacrew lediglich leise lachte.
Er verneigte sich höflich. »Ich bin Lacrew Raenac. Die richtige Bezeichnung lautet Lord. Hoheit ist mittlerweile meinem Sohn vorbehalten«, erklärte er ihr zuvorkommend und nicht böse darüber. Sie war eine fremde Frau in ihrem Reich. Von ihr sollte er nicht erwarten, dass sie die Sitten kannte. Darum würde sich Charlet später kümmern müssen.
»Bitte verzeiht«, erwiderte Zunae mit ruhiger Stimme. Es störte sie nicht, zurechtgewiesen zu werden, und so strahlte sie noch immer diese ruhige Selbstsicherheit aus, die sie immer umgang. »Bei uns verhält es sich genau andersherum«, informierte sie, damit man ihr keine absichtliche Kränkung unterstellte.
»Sie ist die ehemalige Königin der Naytas«, merkte Yelir an, als er den musternden Blick seines Vaters verstand. Selbst ihr Name sagte ihm nichts.
Kurz huschte über Lacrews Gesicht ein überraschter Ausdruck, der jedoch schnell wieder verschwand. »Die ehemalige Königin. Was für eine Ehre.« Seine Worte waren höflich, doch auch lauernd. Warum hatte sie abgedankt, um in die Nordlande einzuheiraten?
Lacrews Blick fiel auf die Kutsche und die beiden jungen Frauen. »Wen habt Ihr uns mitgebracht?«, fragte er leise und eindringlich, denn er hatte nicht damit gerechnet, dass die Frau, die seinen Sohn heirateten würde, jemanden mitbrachte. Allerdings konnte er die beiden Frauen eher akzeptieren als Männer.
»Das sind Belle und Jane. Meine beiden Kammerzofen«, stellte Zunae nach dieser Aufforderung vor, bevor sie sich an Belle wandte. »Bitte bring die Geschenke«, bat sie. Zunae hielt viel von Belle und hatte daher ihr überlassen, die Geschenke in der Kutsche zu arrangieren. Sie würde wissen, welche Geschenke sie meinte, weshalb mehr Worte nicht nötig waren.
Sofort machten sich Belle und Jane an die Arbeit und brachten zwei Kisten nach vorn.
Lacrew und auch Charlet beobachteten sie neugierig, während sich Yelir fragte, wie die beiden jungen Frauen, die in seinen Augen noch Kinder waren, solche Kisten tragen konnten. Sie waren stärker, als er angenommen hatte, und das erste Mal kam ihm der Gedanke, dass sie vielleicht gefährlich sein könnten. Waren sie vielleicht schon in ihrem jungen Alter Kriegerinnen?
»Diese beiden Truhen sind für Euch«, sagte Zunae höflich, die Lacrew seine Verwirrung deutlich ansehen konnte. »Bei uns ist es Tradition, dass die Frau den Eltern des Mannes und dem Mann selbst Hochzeitsgeschenke mitbringt«, erklärte sie mit sanfter Stimme und einem Lächeln, das eine angenehme Ruhe ausstrahlte.
Währenddessen öffneten Belle und Jane die beiden Truhen.
Eine davon war voller Gold, Schmuck und Kristalle. Die andere war mit Stoffen und anderen Dingen gefüllt, welche in den Südlanden beliebt bei den Frauen waren. Parfüme, Weine und kleinere Kunstwerke.
Yelir weitete seine Augen, als er den Reichtum erblickte, während Dainte wütend wurde. Was dachte sich diese Frau? Sie waren wirklich nicht käuflich!
Lacrew, der etwas überfordert mit der Situation war, räusperte sich. Bei ihnen war es andersherum Brauch, doch Misha hatte nichts Dergleichen mitgenommen, weil sie einfach das Geld dafür nicht hatte. Darum fühlte er sich schlecht, würde diese Gaben aber mit Sicherheit nicht ausschlagen. Schon allein, weil das unhöflich wäre. »Sind diese Geschenke an eine Bedingung geknüpft?«, fragte er, denn er konnte sich sehr gut vorstellen, dass die Südländer Angst hatten, ihre Königin wäre hier nicht gut versorgt. Daher glaubte er, dass diese Wertgegenstände eher dafür da waren, damit Zunae ihnen nicht auf der Tasche lag. Auch wenn dieser Gedanke ihn ärgerte. Leider waren sie nicht in der Lage ihr das zu bieten, was sie vermutlich zuhause hatte.
»Nein. Es sind die Geschenke an die Familie. Was Ihr damit tut, ist Eure Entscheidung. Die Geschenke für meinen zukünftigen Ehemann werde ich verwahren, bis die Hochzeit vollzogen ist«, sagte Zunae, die noch immer Selbstsicherheit ausstrahlte und sich von den Reaktionen der Umstehenden nicht verunsichern ließ.
Charlet trat einen Schritt weiter nach vorn und betrachtete die Truhen und dann die Kusche. Kurz darauf beugte sie sich zu Lacrew und flüsterte ihm etwas zu, bevor sie wieder zurücktrat.
Dieser runzelte leicht die Stirn und sah dann ebenfalls zur Kutsche. »Würde es Euch etwas ausmachen, wenn ich einen Blick darauf werfe?«, fragte er vorsichtig. Charlet hatte recht. Die Truhen waren eine gute Möglichkeit, gefährliche Dinge zu verstecken. Niemand konnte ihm garantieren, dass sie seinen Sohn nicht gleich nach der Hochzeit aus dem Weg räumte.
Zunae zögerte einen Moment. »Die silbernen Truhen sind die Geschenke. Die braunen mein Privatbesitz«, stimmte sie schließlich zu, auch wenn es ihr nicht unbedingt gefiel, dass er sie kontrollieren wollte. Trotzdem konnte sie die Sorge in seinen Worten hören und zu einem gewissen Grad auch nachvollziehen.
Also wartete sie geduldig, während er zur Kutsche ging und sich ansah, was es darin alles gab.
Yelir und Degoni folgten, doch ansonsten konnte Zunae niemanden sehen, der helfen kam. Dabei war sie sich einiger weniger Menschen in diesem Bereich bewusst.
Sie hatte einen Jungen gesehen, der jedoch fast fluchtartig gegangen war, als sie ausgestiegen war.
Während Zunae die Männer beobachtete, bemerkte sie nicht, dass sich eine weitere Person näherte.
Diese blieb an Charlets Seite stehen und wartete, während seine hellbraunen Augen auf Zunae gerichtet waren. Die Narbe, die eines davon überzogen, war kaum zu erkennen, da das braune Haar ihm wirr ins Gesicht fiel und diese verdeckte. »Ist sie das?«, fragte Arcas seine Mutter leise. Ihm war anzusehen, dass er angespannt, gleichzeitig aber auch fasziniert war.
Charlet nickte. »Wir gehen vor, wie geplant. Ihr Zimmer ist vorbereitet«, erwiderte sie und kam somit ihrer Pflicht nach. Dabei sagte es ihr nicht zu, dass sie ein so elegantes Zimmer erhielt. Dass sie dafür von den Haremsdamen Möbel hatte abgeben müssen, machte es nur noch schlimmer.
Arcas nickte und machte einige Schritte auf die Prinzessin zu. »Lady«, grüßte er und verneigte sich leicht. Er wusste nicht genau, wie er mit ihr umgehen sollte, da sie eine Frau aus einem anderen Reich war, doch höflich zu sein, war nie verkehrt. »Mein Name ist Arcas Raenac«, stellte er sich leise vor. »Ihr müsst müde von der Reise sein. Bitte erlaubt mir, Euch in Eure Gemächer zu bringen.«
Überrascht wandte sich Zunae ihm zu, bevor sie zu ihrer Kutsche sah. Es behagte ihr nicht, die Männer mit den Sachen allein zu lassen. Allerdings musste sie darauf vertrauen, dass sie nichts fanden und die Dinge ließen, wie sie waren. Dass sie etwas stahlen, glaubte sie nicht, doch sie wusste auch nicht, wie hier mit so etwas umgegangen wurde.
Yelir, der gerade aus der Kusche stieg, entdeckte Arcas und winkte ihn zu sich, noch bevor Zunae antworten konnte.
Arcas ließ sie stehen, da sein Bruder als König Vorrang hatte.
»Bring sie nicht in das Zimmer, das Mutter vorbereitet hat«, wies er ihn leise an. »Ich will sie näher bei mir wissen, um sie zu kontrollieren. Der Raum neben meinem sollte reichen.«
Yelir ging das Bild der Flammen nicht mehr aus dem Kopf, daher wollte er sicherstellen, dass sie bei ihm war. Noch konnte er das Bild nicht einordnen, doch er wollte es auch nicht ignorieren. Es wäre schlecht, wenn ihr vor der Hochzeit etwas geschah.
»Wie Ihr wünscht«, entgegnete Arcas, der Yelirs Befehl nicht einmal hinterfragte.
Für ihn war es nur logisch, einem Südländer, ob Frau oder nicht, zu misstrauen. Er verstand also, dass Yelir sie nah bei sich wissen wollte. Dass er dabei eine Kammer wählte, in der einst sein Kammerdiener gelebt hatte, war der Wohnsituation geschuldet. Auch, wenn er die Gemächer, die für die Königin geplant waren, durchaus hätte nutzen können. Wären sie nicht komplett leer, seitdem Charlet in den Harem gezogen war.
Dieser Ort war der einzige, an dem man den Mangel an Geld nicht spüren konnte.
Arcas kehrte zu Zunae zurück, die ihn eher nebenbei beobachtet hatte. Dass er nicht auf ihre Antwort gewartet hatte, überraschte sie nicht. Er war eben ein Mann der Nordländer, die offenbar nicht viel von Frauen hielten.
»Bitte folgt mir«, sagte er, wobei er weiterhin versuchte, höflich zu bleiben. Allerdings war er als Wache im Harem tätig und hatte daher ein besonders feines Gespür für die Sicherheit von Frauen. Eigentlich versuchte er, sie nicht als solche zu sehen, doch als er sie ins Schloss begleitete, fühlte er sich zunehmend unwohler.
Arcas versuchte sich einzureden, dass eine solche Unterkunft gerechtfertigt war, sorgte sich aber gleichzeitig darum, dass sie nicht bequem schlief. Wäre sie eine Nordländerin, hätte er dagegen protestiert, dass sie so behandelt wurde. Gleichzeitig sträubte sich in ihm jedoch auch alles dagegen, sie in das vorbereitete Zimmer ziehen zu lassen. Die Gegenstände darin hatte seine Mutter extra geopfert, damit sie es komfortabel hatte. Sie würde diese hoffentlich zurücknehmen und selbst nutzen. Für neue war leider kein Geld da, da der Krieg es alles verschluckt hatte und das Volk den Rest davon dringender brauchte.
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