Kapitel 50 *neu*
Yelir trieb sein Pferd zu Höchstleistungen an, während Degoni Mühe hatte, ihm zu folgen. Er verstand Yelirs Sorge, doch es gab keinen Grund so schnell zu reiten. Lacrew würde ihnen schon nicht wegrennen.
Es war zwar unüblich, dass sein Vater sich so lange auf sein Landanwesen zurückzog, doch eigentlich auch nicht verwunderlich. Yelir würde bald heiraten und der alte König würde dann vollständig dem Neuen Platz machen. Der Landsitz war auch gleichzeitig sein Alterssitz. Vermutlich war er gerade dabei, dort alles vorzubereiten. Das dauerte seine Zeit. Degoni machte sich daher keine all zu großen Sorgen. Auch, weil seine Mutter bei ihm war. Sie wären sicherlich im Winter zurück.
Degoni ahnte nicht einmal, dass Yelirs Sorge nichts mit seinem Vater zu tun hatte. Zumindest war das nicht der Grund, warum er so schnell unterwegs war.
Yelir wollte nach seinem Vater sehen und dann möglichst schnell zu Zunae zurückkehren. Er fühlte sich nicht wohl, sie allein in der Burg zurückzulassen.
Dainte war zwar da, um auf sie aufzupassen, doch Arcas hatte es abgelehnt, sie zu begleiten. Dabei waren sein Vater und seine Mutter auf dem Anwesen. Yelir fand das seltsam, weshalb er auch Dainte gebeten hatte, ein Auge auf Arcas zu werfen. Mit Zunae hatte er nicht gesprochen. Sie kämpfte noch immer mit schlaflosen Nächten, wenn sie allein war, daher wollte er sie auch nicht länger als nötig warten lassen.
Yelir spürte Erleichterung in sich aufsteigen, als endlich das Landanwesen von Lacrew in Sicht kam.
Es lag zwischen Kavalare und dem Haupthafen Vereven. So weit von der Burg entfernt, dass es fast eine Tagesreise brauchte, weshalb sich der Tag auch schon langsam den Ende neigte. Sie waren für Yelirs Geschmack schon viel zu lange geritten. Allerdings war er auch nicht dumm genug, um mitten in der Nacht zurückzureiten.
Er hatte zwar darüber nachgedacht, kurz nach dem Rechten zu schauen und Degoni dort zu lassen, um dann schnellstmöglichst wieder zurückzukehren, doch dafür hatte er keine passende Ausrede gefunden. Die Aufgabe, die er hatte, waren zwar wichtig, doch nicht so akut, dass es über der Familie stand. Wäre Charlet nicht anwesend und Zunae wäre deshalb zurückgeblieben, sähe das alles vielleicht anders aus.
Allerdings hatte sich Charlet mit Lacrew zurückgezogen, obwohl sie lieber in der Burg im Harem lebte. Yelir wusste sehr genau, dass es an Zunae lag. Charlet fühlte sich in ihrer Gegenwart nicht wohl, weil sie ihre Autorität untergrub. Zumindest glaubte Charlet das.
Yelir konnte ihr da auch nur bedingt widersprechen. Zunae war eine sehr einnehmende Persönlichkeit, was Yelir in den Nordlanden noch nie gesehen hatte. Nicht bei Frauen. Nicht einmal Charlet, die schon lange als Königin lebte, war derart präsent, wenn sie einen Raum betrat.
Anfangs hatte Yelir geglaubt, es läge daran, dass Zunae eine Südländerin war und die anderen deshalb so reagierten. Mittlerweile wusste er, dass es eher an ihrem Charakter lag. Sie hatte ihre ganz eigene Sicht auf die Welt und eine Meinung, die sie auch aussprach.
Das gefiel vielleicht nicht jedem, doch Yelir fand das sehr anziehend an ihr. Vor allem, weil es ihr immer wieder gelang, ihn damit zu überraschen.
Auf eine gute Art und Weise. Jeder Tag mit ihr war voller kleiner Wunder, die Yelir so nicht kannte. Vielleicht auch, weil Charlet ihm nie wirklich mütterliche Liebe gegeben hatte. Diese kannte er nur von Missina, die eine Zeit lang seine Kinderfrau gewesen war.
In ihrer Nähe hatte er sich ähnlich entspannt gefühlt, wie in Zunaes. In letzter Zeit konnte er sich nur an den Abenden entspannen, wenn er bei ihr blieb, bis sie schlief. Er hatte es sich auf dem Sofa gemütlich gemacht und ihre schüchterne Aufforderung, doch zu ihr ins Bett zu kommen, abgelehnt. Es war zwar groß genug und sie hatte nichts Körperliches gewollt, doch solange sie nicht verheiratet waren, fühlte es sich falsch an. Yelir war bewusst, dass er sich nicht zu abhängig von ihr machen durfte. Es bestand immer noch die Möglichkeit, dass sie ihn nicht wollte.
Schließlich wurde Yelir langsamer, sodass auch Degoni aufatmen konnte. Sein Bruder hatte sich das Pferd genommen, dass im Stall als schnellstes galt, weshalb es wirklich schwer gewesen war, ihm zu folgen. Er konnte von Glück reden, ihn nicht auf dem Weg verloren zu haben.
»Was drängst du denn so zur Eile?«, fragte Degoni, als er schließlich neben Yelir zum Stehen kam und von seinem Pferd abstieg.
Sie befanden sich vor einer großen Steinmauer, deren eisernes Tor von zwei Soldaten bewacht war.
»Ich habe noch einiges zu tun«, erwiderte Yelir lediglich, ohne genauer auf die Dinge einzugehen.
Degoni fuhr sich durch das braune Haar und richtete sich seinen Zopf. »Ich weiß, die Banditen machen dir Kopfschmerzen, aber du musst auch mal abschalten«, bemerkte er, bevor er den Wachen zunickte.
Diese öffnete das Tor und ließen die Brüder ein.
Der klein Vorgarten des Anwesens war Charlets Wunsch. Er bestand aus feinen Kieswegen und vielen verschiedenen Pflanzen, die nun unter einer feinen Schicht aus Schnee begraben lagen. Alles wirkte überraschend friedlich für ein Zuhause eines Nordländers.
Obwohl Yelir ein gewisses Maß an Ruhe spüren sollte, machte sich eher Anspannung in ihm breit.
Der Alterswohnsitz seines Vaters. Sobald er eine Frau an seiner Seite hatte, würde Lacrew die Burg nur noch selten besuchen und hier verweilen.
Mochte er die Gärten, die Charlet angelegt hatte oder ließ er es ihr zu liebe zu? Yelir kannte seinen Vater nicht sonderlich gut, obwohl ihr Verhältnis nicht wirklich distanziert war. Es gab nur andere Dinge, über die sie sich unterhalten hatte.
Kriegsstrategien, ihre Lehrmeister oder die Inhalte ihres Unterrichts.
Es war nie wirklich um Gefühle gegangen. Diese Dinge waren für die Mutter vorbehalten, die Yelir allerdings nie gehabt hatte. Charlet hatte sich immer liebevoll um ihre Jungen gekümmert, weshalb Yelir manchmal sogar Eifersucht verspürt hatte. Ihm gegenüber war sie immer recht kühl gewesen, auch wenn sie es in der Öffentlichkeit nie gezeigt hatte.
Als sie den Garten durchquert hatten, kamen sie zu einer Treppe, die sie zum Haupttor führte.
Yelir bemerkte ein paar Männer, die sich um den Garten kümmerten und die Wege von Schnee befreiten. Sicherlich war im Sommer mehr zu tun und die Dienerschaft zahlreicher. Yelir wollte gar nicht daran denken, wie viel das alles kostete, denn es war seine Aufgabe seinen Eltern ein gute Leben zu ermöglichen und ihren Alterswohnsitz zu zahlen. Zumindest die laufenden Kosten. Das Gebäude selbst hatte Lacrew in seiner Amtszeit errichtet. Etwas, mit dem Yelir auch bald beginnen sollte, denn es würde lange dauern einen derartigen Wohnort für sich und seine Frau einzurichten. Dass er dabei an Zunae dachte, war ihm nicht einmal direkt bewusst.
Als sie die Tür öffneten, empfing sie angenehme Wärme.
Sofort streiften die beiden Brüder ihre Mäntel ab und hängten sie an einen Ständer, der in einem kleinen Eingangsbereich stand.
Dieses Gebäude war zwar groß, doch nichts, um anzugeben. Eher gemütlich und wohnlich. Daher fragte sich Yelir auch, warum es so viele Räume gab. War das wirklich nötig?
Für seinen Vater vermutlich nicht, doch für Charlet. Sie hatte viele Dinge, die sie gern tat. Musizieren, malen und sie liebte das Gärtnern. Außerdem entspannte sie sich gern in einer Sauna. Besonders im kalten Winter.
Das waren alles Dinge, denen sich Frauen gern hingaben, während sich Männer eher um die Dinge kümmerten, die lebenswichtig waren. Daher konnte Yelir nicht nur kochen, sondern im Notfall auch seine eigenen Kleider schneidern oder flicken. Für andere Dinge hatte er daher kaum Zeit.
Als sie die Flure entlangschritten, kamen ihnen Dienstleute entgegen, die alle recht hektisch wirkten. Sie hatten dreckige Wäsche oder Essen dabei, grüßten die beiden Männer jedoch immer höflich und durch ihre Worte wusste Yelir auch, dass sich sein Vater in seinem Zimmer befand. Zusammen mit Charlet.
Das ließ Yelir dann doch hellhörig werden und so rannte er seinem Bruder hinterher. Es war für Lacrew ungewöhnlich, sich in sein Zimmer zurückzuziehen. Selbst um diese späte Uhrzeit wäre es wahrscheinlicher gewesen, ihn im Garten beim Üben zu sehen.
»Vater«, rief Degoni, der die Tür zu seinem Zimmer aufriss.
Ein Geräusch, das ihn zur Ruhe ermahnte, kam ihm als Antwort entgegen. Charlet blickte ihn von ihrem Stuhl neben Lacrews Bett tadelnd an.
»Dein Vater schläft«, sagte sie leise tadelnd. »Mach ihn nicht wach.«
Degoni schluckte und trat langsam ein. Yelir folgte ihm. »Was ist los?«, fragte er besorgt, denn sein Vater hatte schon immer einen leichten Schlaf gehabt. Warum also wachte er nicht auf?
Als die beiden Brüder näherkamen, bemerkte sie den schweren Atem ihres Vaters und den Schweiß, den Charlet ihn immer wieder von der Stirn wischte.
»Er ist krank«, bemerkte Charlet besorgt. »Einen Heiler will er aber nicht sehen.«
Degoni verzog das Gesicht und spürte Ärger in sich aufsteigen. So war er nun einmal. Keinen Heiler zu sehen, passte zu ihm, auch wenn er dadurch litt.
Allerdings ärgerte es ihn auch, dass er erst jetzt davon hörte. »Warum hast du nichts gesagt?«, fragte er seine Mutter besorgt.
Diese lächelte sanft und entschuldigend. »Er wollte euch nicht beunruhigen«, sagte sie leise und sah Lacrew liebevoll an.
Yelir ballte die Faust, während er seinen Vater musterte. Das, was Charlet sagte, passte zwar zu Lacrew, doch trotzdem hätte etwas durchsickern müssen. Von den Dienstleuten zumindest.
»Wie lange ist er schon krank?«, wollte Yelir wissen, denn er hatte schon lange nichts mehr von ihm gehört. Er hätte stutzig werden müssen, als er den ersten angekündigten Besuch hatte ausfallen lassen. Aber in dem Moment war er gerade damit beschäftigt gewesen, die Banditen aufzuspüren. Daher hatte er die Zeit genutzt, statt zu hinterfragen.
»Es ging ihm schon seit Wochen nicht so gut, aber erst vor zwei Tagen wurde es derart schlimm«, erwiderte Charlet leise, die noch immer sanft das Gesicht ihres Mannes abtupfte.
»Können wir etwas tun?«, fragte Degoni, der zu seinem Vater ging und sich an dessen Bett setzte. Yelir blieb stehen und musterte Charlet. Er sah sie selten so hingebungsvoll, doch trotzdem hatte er nicht das Gefühl, sein Vater wäre hier gut aufgehoben. Allerdings lag das vermutlich daran, dass Charlet nie für ihn da gewesen war, wenn er krank geworden war.
»Ich würde gern einen Heiler holen, aber er will es nicht«, sagte sie besorgt und klang dabei hin- und hergerissen.
»Ich respektiere seinen Wunsch, aber sollte er nicht in zwei Tagen wieder ansprechbar sein, werde ich Dainte schicken«, erklärte Yelir, der keinen Widerspruch duldete. Er würde nicht zulassen, dass sein Vater starb, weil er nicht behandelt werden wollte.
Charlet lächelte dankbar. »Das ist eine gute Idee. So kann er sich nicht weigern«, stimmte sie zu, als wäre sie gar nicht in der Lage, ihrem Mann zu widersprechen.
Degoni erhob sich und legte Yelir eine Hand auf den Arm. Eine beruhigende Geste, die seine Worte jedoch gleich wieder wegfegten. »Mutter wird sich schon um Vater kümmern. Mach dir keine Sorgen.«
Manchmal fühlte sich Yelir schlecht, weil er Charlet nicht mochte, da sie nicht seine richtige Mutter war, doch er vertraute ihr einfach nicht. Besonders nicht, wenn es um das Leben seines Vaters ging. Allerdings konnte er sich auch nicht vorstellen, dass sie etwas davon hatte, wenn sie ihn auf diese Weise tötete. Wenn sie denn überhaupt in der Lage war, etwas Derartiges zu tun.
»Ich würde mir weniger Sorgen machen, wenn du ein paar Tage hier bleibst und mich darüber informierst, wie es Vater gehst«, sagte Yelir angespannt. Degoni hier zu platzieren war sicherlich keine schlechte Idee.
»Ich freue mich immer, meinen Sohn ein paar Tage bei mir zu haben, aber hattet ihr nicht Probleme, die wichtig waren?«, fragte Charlet, die klang, als wüsste sie nicht, mit was sie sich gerade herumschlugen. Dabei waren die Informationen über die Banditen sogar bis zu ihr durchgedrungen. Nur konnte sie die Lage schlecht einschätzen.
»Ja, das haben wir, aber ich kann mich allein darum kümmern. Vaters Gesundheit geht vor«, verkündete Yelir, was Degoni den Mund verziehen ließ.
»Ich bin kein Heiler. Meine Gegenwart wird ihm nicht helfen«, behauptete er, weil er sich unzureichend fühlte. Sie hätten Dainte doch mitnehmen sollen, doch er kümmerte sich noch immer um Zunae. In Degonis Augen eindeutig eine Verschwendungen.
»Du bist sein Sohn«, meinte Yelir nüchtern. »Ich bin sicher, er freut sich, dich zu sehen.«
Degoni blickte Yelir ernst an, als wolle er sagen: Das wäre auch bei dir der Fall, warum also bleibst du nicht? Dabei kannte er die Antwort. Charlet und Yelir in einem Raum war immer schwierig
»Dann werde ich ihm Gesellschaft leisten«, seufzte Degoni schließlich. »Aber nur, wenn du wenigstens die Nacht hier bleibst und dich etwas ausruhest.«
Yelir, der nicht vor gehabt hatte, in der Nacht zu reisen, zuckte leicht die Schultern. »Ich werde bis morgen warten«, stimmte er zu, um Degoni zu beruhigen. Außerdem hoffte er, dass Lacrew bis dahin wieder erwachte. Er wollte mit ihm sprechen, doch im Moment brauchte dieser Schlaf dringender. Yelir würde also geduldig sein.
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