Kapitel 5 *neu*

»Du bist die Königin der Südlande. Warum solltest ausgerechnet du bei uns einheiraten?«, knurrte Degoni, der wie sein Bruder eine Falle vermutete. Er war dagegen, dass ausgerechnet sie zu ihnen kam. Über Zunae war nichts bekannt. Sie würden sich also auf nichts einstellen können. Degoni wäre es lieber, wenn sie Aidina erhielten. Die junge Frau war als Heilerin viel leichter zu händeln.

»Wie sprichst du mit unserer Königin!«, keifte Kali zurück. Ihr gefiel es gar nicht, wie herablassend dieser Mann war. Sie waren hier immerhin nicht auf einem Schlachtfeld, auch wenn sie gerne eines daraus machen würde.

Zunae spürte eine innere Unruhe, die sie sofort handeln ließ. Sie wollte auf keinen Fall, dass Kali etwas Unüberlegtes tat.

Mit schnellen Schritten war sie bei ihrer Schwester und legte eine Hand auf ihren Schwertknauf, als diese gerade danach greifen und es ziehen wollte. Eine Reaktion, die sehr gut zu ihrer ungestümen Schwester passte.

Überrascht blickte Kali zu Zunae auf. Unterdrückte Wut in den Augen. Warum hielt Zunae sie davon ab? Sie wollte ihr Schwert ziehen und diesem Barbaren für seine Unhöflichkeit einen neuen Scheitel ziehen!

»Kali, beruhig dich«, sagte Zunae sanft, die auf keinen Fall wollte, dass diese Sache eskalierte.

Damit war sie jedoch nicht allein.

»Degoni«, ermahnte Yelir seinen Bruder, erhielt aber nur ein Brummen, doch schließlich nahm er die Hand von seinem Schwert.

»Verzeiht meinem Bruder, aber er ist skeptisch«, mischte sich Misha mit seiner samtenen Stimme ein und machte einen Schritt auf Zunae zu, bevor er sich verneigte. »Mein Name ist Misha Raenac. Ich bin derjenige, der Euch in Euer Land begleiten wird«, sagte er und griff so ihre Worte wieder auf.

Misha war der Diplomat der Familie. Wäre er nicht hier, hätte Yelir Degoni nicht zurückhalten können. Immerhin stand Yelir selbst kurz davor, die Nerven zu verlieren.

Es war ein herber Verlust. Hoffentlich wog diese unbekannte Königin diesen auf. Auch, wenn Yelir nicht vorhatte, ihr irgendwelche Macht einzuräumen. Er würde sie an der kurzen Leine halten und alles kontrollieren müssen, was sie tat.

Yelir wusste nur überhaupt nicht, was er mit ihr anfangen sollte. Am liebsten hätte er sie einfach wie eine Gefangene gehalten, um die Südlande zu erpressen, doch da Misha bei ihnen war, drohte ihm vielleicht das gleiche Schicksal. Er musste also auch noch freundlich sein.

»Vielen Dank, dass Ihr Euch bereit erklärt habt, diesen Handel einzugehen. Der Frieden unserer beiden Länder liegt mir sehr am Herzen«, erwiderte Zunae, für die es ganz natürlich war, die Verhandlungen zu führen. Immerhin war sie einst die Königin ihres Landes gewesen. Nuya hatte deutlich gemacht, dass sie es auch wieder sein würde, sollte das mit dieser Heirat nicht funktionieren.

»Scheinbar so sehr, dass du abgedankt hast«, knurrte Degoni, der dahinter noch immer eine Finte lauern sah. Warum sonst sollte eine so mächtige Königin abdanken und zu ihnen ziehen?

»Meine Schwester Nuya hat meinen Posten übernommen, nachdem wir uns alle einig waren, dass ich von uns allen die Umgänglichste bin«, erwiderte Zunae mit einem Lächeln, das sie noch mehr strahlen ließ. Von allen Anwesenden wirkte sie am Unschuldigsten und Reinsten, obwohl sie nicht einmal eine Heilerin war.

Yelir verstand nicht, wie sie in so einer Situation so ruhig bleiben konnte. Hatte sie keine Angst davor, dass sie ihr Leben wegwarf? Ihre Macht hatte sie immerhin schon verloren.

Strebte sie vielleicht Macht bei ihnen an? Wenn das der Fall war, war sie definitiv einer Illusion erlegen. Sie würde nie Macht in den Nordlanden erhalten.

Degoni schnaubte, beließ es aber erst einmal dabei.

Zunae wandte sich um und blickte zu der Kutsche, die Jane fuhr. Dann drehte sie sich wieder zu Yelir. »Da ich nicht möchte, das mein Aufenthalt bei Euch anfangs zu viele Umstände bereitet, habe ich zwei Dienerinnen und eine Kutsche mit Hochzeitsgeschenken bei mir, um Euch zu entschädigen«, informierte Zunae, die ein wenig Sorge hatte, dass sie Belle und Jane doch da lassen musste.

Yelirs Augenbraue zuckte. Hochzeitsgeschenke? Sie schien es ernster zu meinen, als er angenommen hatte. Mittlerweile fragte er sich sogar, ob die ersten Briefe wirklich von ihrer Mutter kamen und nicht eigentlich von ihr. Er konnte auch nicht wissen, dass es Zunae gewesen war, die ihre Mutter gedrängt hatte.

»Versuchst du uns zu bestechen?«, schnauzte Degoni, der wirklich nicht erfreut über das alles war. Nicht nur verlor er seinen jüngsten Bruder, er bekam auch noch eine Frau, die alle seine Nackenhärchen alarmiert aufstehen ließen.

»Bei uns ist es Brauch, dass die Frau dem Mann eine Mitgift mitbringt«, erklärte sie. »Ein Teil davon ist für den Mann, der andere Teil für die Frau, damit sie sich unabhängig versorgen kann.«

Zunae sah Degoni an, dass sie ihn damit ärgerte und auch Yelir war nicht begeistert. Allerdings war er neugierig auf die Schätze, die sie bei sich hatte. Geld war etwas, das er durchaus gebrauchen konnte und wenn sie wirklich welches bei sich hatte, das sie ihm überließ, hatte er zumindest einen kleinen Gewinn mit ihr gemacht.

»Mach wie du denkst«, brummte Yelir schließlich, der Degoni sehr ähnlich war. Ihn interessierte nur, dass sie auch noch Geld in ihre Lande brachte. Etwas, das sie wirklich nicht zu viel hatten. Dass die Südlande es entbehren konnten, wunderte ihn aber dennoch. Er hatte bisher nie das Gefühl gehabt, dass sie besonders reich waren. Was aber auch daran lag, dass die Kampffelder immer auf neutralem Territorium in der Nähe des Gebirges gewesen waren. Yelir selbst war noch nie in Naytan, der Hauptstadt der Südlande gewesen.

Belle nahm das als Zeichen und sprang vom Kutschbock der Kutsche, in der Zunae gefahren war, um sich an der Seite ihrer Königin zu positionieren.

»Na wenigstens müssen wir sie dann nicht bemuttern«, brummte Degoni leise, doch Zunae hörte es dennoch. Es war ihr egal, was er von ihr dachte.

Für sie war Yelir viel interessanter, weil sie ihn als Vernünftigeren der beiden Brüder einschätzte.

Er wirkte in seiner kurz angebundenen Art zwar sehr eitel und sein Blick war herablassend, doch das machte ihn auch interessant.

Zunae wandte sich zu Aidina um, die ebenfalls zu ihr gekommen war, um sie noch einmal zu umarmen.

Aidina kämpfte mit den Tränen, denn sie wollte ihre Schwester auf keinen Fall gehenlassen, doch eine andere Wahl hatten sie nicht, wenn sie Frieden wollten. »Pass bitte auf Kali auf«, bat Zunae leise, denn Kali würde damit ihre Bezugsperson und Ersatzmutter verlieren. Zunae sorgte sich schon jetzt um sie.

»Werde ich«, erwiderte Aidina, die mit den Tränen kämpfte. Sie hatte sich jedoch vorgenommen, stark zu sein. Wenn sie zurück waren, würde Kali weinen. Daher wollte Aidina für sie beide stark sein.

Zunae löste sich von ihr und nahm auch Kali sanft in den Arm. »Denk daran, dass du ihm nichts tun darfst, wenn du möchtest, dass ich überlebe«, flüsterte sie, denn davor hatte sie am meisten Angst. Dass Kali auf der Reise einfach so den Prinzen der Raenacs tötete.

»Ich bin ja nicht blöd«, erwiderte sie zähneknirschend und mit geballten Fäusten.

Zunae tätschelte sie ein letztes Mal, bevor sie sich wieder den Raenacs zuwandte.

Diese hatten die Zeit ebenfalls genutzt, um sie zu verabschieden.

Nun standen sich Misha und Zunae gegenüber, die langsam aufeinander zu und dann aneinander vorbei gingen. Direkt auf die Kutschen zu.

Zunae folgte Belle und die Kutsche, welche Jane fuhr, während Misha ganz allein war.

Hatten sie nicht daran gedacht, Diener mitzuschicken oder hatten sie sich bewusst dagegen entschieden? Sie hatte keine Ahnung von den Zuständen in den Nordlanden oder, dass sie Geldmangel hatte, weshalb sie nur noch die nötigsten Diener im Schloss hatten. Zunae wusste es nicht, doch zumindest wusste sie, dass man sich um Misha kümmern würde.

Ob er aus den Nordlanden kam oder nicht, spielte für die Angestellten des Schlosses keine all zu große Rolle. Sie wussten sehr gut, dass Zunaes Wohlergehen mit dem von Misha verknüpft sein würde, weshalb man ihn gut behandelte.

Dieser Hochzeitshandel war mehr ein Austausch von Gefangenen, die als Druckmittel dienten. Das wussten beide Parteien. Zunae hoffte nur, dass es irgendwann so weit sein würde, dass sie es anders sahen und dem anderen wieder vertrauen konnten.

Jahrhunderte Krieg würde zwar nicht in wenigen Jahren vergeben sein, doch hoffentlich waren die Bande eng genug, um gemeinsam gegen den bevorstehenden Feind zu kämpfen.

In dem Moment, in dem Zunae die Tür der Kutsche griff, um einzusteigen, spürte sie, wie sich ihre Sicht änderte.

Die Ränder wurden dunkel und die Umgebung unklar und wirr.

Sie stand plötzlich in einem Innenhof, den sie nicht kannte. Vor ihr ein Mann, der Yelir ähnelte und doch nicht. Er hatte eine Narbe über dem Auge und blickte sie böse an.

Im nächsten Moment spürte sie Schmerzen in der Brust und als sie hinabsah, erkannte sie den Knauf eines Schwertes, das sich durch ihren Körper gebohrt hatte. Dazu eine Blutlache vor sich und eine bleiche Hand mit einem silbernen Ring, der aus dem Blut herausstach.

Zunae keuchte leise und hatte Mühe damit, sich auf den Beinen zu halten.

Die Vision verblasste und sie krallte sich in das Holz der Kutsche, um nicht zu fallen.

Ihr Körper zitterte und ihr Atem ging schnell, doch jetzt zu fallen oder ein Anzeichen von Schwäche zu zeigen, wäre nicht gut.

Zunae kämpfte damit, einzusteigen, ohne zu fallen. Es war Belle zu verdanken, die zu ihr kam und ihr half, dass sie ins Innere gelangte, ohne zu viel Schwäche zu zeigen.

Kali und Aidina hatten Mühe damit, nicht einzugreifen, denn sie sahen sehr deutlich, dass Zunae mit einer Vision zu kämpfen hatte. Sie kannten die Anzeichen gut. Hoffentlich gingen die Raenacs gut mit ihr um. Um sie musste man sich kümmern!

Zunae war schlecht und ihr Kopf dröhnte, während die Bilder ihrer Vision immer wieder vor ihrem inneren Auge aufblitzen.

Sie sah nicht zum ersten Mal ihren Tod, doch nicht in dieser Form.

Was hatte das zu bedeuten?

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