Kapitel 36 *neu*
Zunae hatte es sich neben dem flackernden Kamin und einem Schultertuch an ihrem Schreibtisch gemütlich gemacht. Neben ihr stand eine dampfende Tasse Tee, die einen angenehm süßen Geruch verströmte und sie immer wieder lockte, einen Schluck zu nehmen.
Trotzdem blieb Zunae fokussiert auf das, was Yelir ihr hinterlassen hatte. Die Finanzaufstellungen der Burg. Er musste sie von Charlet geholt haben.
Diese Dokumente gewährten ihr einen guten Einblick in die Wirtschaft, welche die Burg bisher über Wasser gehalten hatte.
Allerdings bemerkte Zunae auch einige Ungereihmtheiten. Es schien, als würden der Burg Minen gehören in denen Magiesteine abgebaut wurden. Eine gute Möglichkeit, an Geld zu gelangen. Trotzdem war der Preis, zu dem diese verkauft wurden, viel zu niedrig. Konnte sich das Volk diese sonst nicht leisten oder wusste Charlet nichts von ihrem Wert? Das Problem war, dass sie dadurch gerade so wie Gebühren für den Abbau der Steine deckten und nicht sonderlich viel übrig blieb. Es reichte, um den Harem damit zu versorgten, doch für den Rest der Burg blieb nichts übrig.
Einen Moment überlegte Zunae, ob es sich vielleicht um Charlets private Investition handelte, doch dann erinnerte sie sich daran, was Ariel, ihre Hauslehrerin, ihr einmal erzählt hatte. In den Nordlanden war es selbst für eine Königin ungewöhnlich, ihr eigenes Geld oder gar ein Einkommen zu verfügen. Erst Lacrew hatte überhaupt eingeführt, dass sich die Königin um die Finanzen der Burg kümmerte, weil er sich dann besser auf die Schlacht konzentrieren konnte.
War das von ihm ausgegangen oder hatte Charlet danach gefragt? Hatte sie überhaupt die Voraussetzungen für derlei Dinge?
Zunae konnte es nicht sagen, aber sie würde schauen, ob sie daran etwas ändern konnte. Vielleicht mit einem neuen Abnehmer? In den Südlanden waren Magiesteine sehr beliebt, da es sie bei ihnen nicht gab. Daher wurden dort, trotz Mehraufwand, die verbrauchten Steine auch wieder aufgefüllt. Allerdings sollte sie die Ressourcen der Nordlanden auch diesen zugute kommen lassen. Es wäre gut, wenn sie etwas fand, das für Aufschwung in der Wirtschaft sorgte.
Zunae blätterte weiter und nahm einen Schluck Tee, während sie sich die Ausgaben des Harems ansah. Dabei hatte sie das Gefühl, sich durch einen Berg an Dingen zu arbeiten.
Der Harem war der größte Kostenfaktor der Burg. Sie lebten über dem, was die Burg einnahm. Aber konnte sie diese Ausgaben kürzen? Vielleicht im Falle der Kleidung und des Schmuckes, aber Essen und andere Dinge, die zum Leben gebraucht wurden, konnte sie kaum einschränken. Wäre Yelir überhaupt damit einverstanden?
Zunae legte die Dokumente zurück und blickte hinaus in den sanft fallenden Schnee. Sie gab es nur ungern zu, doch sie vermisste ihn und machte sich Sorgen.
Ihre Hand wanderte zu ihrer Kette und schloss sich um das Amulett mit den blauen Blumen. Hoffentlich ging es ihm gut.
Neben Zunae bewegte sich etwas und als sie den Kopf wandte, schälte sich aus dem Schatten des Bücherregals ein kleiner, schwarzer Kater.
Überrascht, dass er einfach so auftauchte, obwohl sie ihn nicht gerufen hatte, erhob sie sich. »Chiaki. Ist etwas vorgefallen?«, fragte sie, denn er hatte noch immer die Aufgabe, die Umgebung im Auge zu behalten und für sie mehr über die Traditionen der Nordlande herauszufinden. Er hatte ihr schon die ein oder andere Möglichkeit zum Investieren geliefert.
Zunae kniete sich zu dem Kater nieder und strich ihm sanft über das Köpfchen. »Machst du dir Sorgen?«, fragte sie sanft, was den Kater dazu veranlasste, ein langgezogenes, aber leises Maunzen auszustoßen.
Obwohl Zunae ihn nicht verstehen konnte, spürte sie doch, was er von ihr wollte. »In Ordnung, dann geh ihm hinterher«, erwiderte sie, denn dadurch würde auch ihre Sorge weniger werden.
Der Kater leckte über ihre Finger, bevor er wieder im Schatten verschwand, als hätte der Boden ihn verschluckt.
Über Zunaes Lippen glitt ein Lächeln. Chiaki hatte eine Faszination für die Nordlande und ihre Bewohner. Eine, die Zunae nachvollziehen konnte. Auch, weil Chiaki jetzt schon über 20 Jahre an ihrer Seite war. Er war ihr erster Vertrauter. Ein Geschenk ihres Vaters.
Zunae dachte daran, was ihre Familie wohl gerade tat. Kam Nuya mit Misha klar?
Sie hatte zwar ein paar Briefe ausgetauscht, doch Zunae war nicht mehr so ein großer Teil ihres Lebens wie noch zuvor.
Gerade an Tagen wie diesen, wo niemand um sie herum war, um sie abzulenken, spürte sie die Sehnsucht ganz deutlich. Sie vermisste ihre Heimat, aber besonders ihre Familie.
Zunae griff nach einem Stück Papier und der Feder, bevor sie begann, einen Brief an ihre Schwestern zu verfassen. Darin erzählte sie, was alles passiert war und auch, dass Artefakt ließ sie nicht aus. Allerdings beteuerte sie immer wieder, dass alles in Ordnung war und sie zu nichts gezwungen wurde. Allerdings wollte sie so vorbeugen, dass Informationen nach außen drangen, die falsch waren. Manche Sachen sollten sie lieber von Zunae direkt erfahren.
Ob dieser Brief kontrolliert wurde?
Vielleicht, aber Yelir hatte sicher nichts dagegen, wenn sie diese Dinge gleich richtig stellte.
Nach etwa einer Stunde hatte sie mehrere Blätter beschrieben und viel mehr erzählt, als sie eigentlich gewollt hatte. Es ließ sie lächeln, denn nur selten hatte sie so viel zu erzählen. Seitdem sie in den Nordlanden war, schien jeder Tag besonders und voller Abenteuer. Hoffentlich ging das so weiter.
Ein Klopfen erklang, weshalb Zunae die Feder zurücklegte und sich erhob. Sie zog das Schiltertuch fester um sich, weil es in ihrem Hals ein wenig kratzte.
Als sie die Tür öffnete, entdeckte die Arcas. Dessen orangefarbene Augen musterten sie intensiv. »Entschuldigt die Störung. Ich wollte nach Euch schauen, weil Ihr den ganzen Tag nicht zu sehen wart«, sagte er höflich. Er hatte zwar die Aufgabe von Yelir bekommen, auf sie aufzupassen und sie zu begleiten, wenn sie die Burg verließ, doch er verstand nicht ganz, warum er so viel Aufheben um sie machte. Warum sollte sie überhaupt die Burg verlassen? Wo sollte sie hin wollen?
»Du kommst genau richtig«, sagte sie und strahlte ihn an, bevor sie einen Schritt zurück machte und ihn bat, einzutreten. »Kein Grund so höflich zu dein. Setz dich zu mir und iss etwas mit mir. Belle hat gerade Tee und Kekse gebracht«, lud sie ein. Nicht ganz uneigennützig, denn sie hoffte Arcas konnte ihr ein paar Dinge erklären. Unter anderem die Lage mit der Mine.
Überrumpelt über so viel Selbstsicherheit machte Arcas einige Schritte in den Raum. Es war extrem warm, doch da Zunae ein Schultertuch trug, glaubte Arcas, dass sie trotzdem fror. Er hingegen hatte das Bedürfnis seine Lederweste zu öffnen und auszuziehen. Allerdings gehörte sich das nicht.
»Setz dich«, bat sie, als sie auch schon Kekse und Tee für beide vorbereitete.
Arcas sah sich in dem Raum um. Er hatte neue Möbel, die jedoch nicht sonderlich ausgefallen waren. Eher praktisch. Das gefiel ihm. Es ähnelte den anderen Räumen, auch wenn hier deutlich eine gewisse Persönlichkeit zu erkennen war. Alles wirkte ordentlich, doch nicht kalt. Es gab immer wieder Kleinigkeiten, die zeigten, wer hier lebte. Ein weiteres Schultertuch, das über dem Sessel lag. Eine kleine Pflanze im Fensterbrett und ein Gemälde an der Wand, das mehrere Frauen zeigte. Waren das dir anderen Prinzessinenen?
Arcas hatte sie noch nie gesehen, traute sich aber nicht, sie länger anzusehen. Daher erhaschte er nur einen kurzen Blick. Sie kamen ihm bekannt vor, doch da auf dem Schlschtfeld nie derartig edle Kleider getragen wurden und die Frisuren auch nicht so auffällig waren, konnte er sie nicht sofort zuordnen.
»Danke«, sagte er schließlich, als er sich überrumpelt niederließ.
Zunae stellte Tee und Kekse vor ihn, bevor auch sie sich setzte. »Yelir war so lieb mir die Finanzbücher der Burg zu geben, damit ich etwas zu tun habe und mir ist etwas verwirrendes aufgefallen. Daher dachte ich, dich frag bei dir mal nach«, sagte sie unschuldig und blinzelte ihn bittend und umgarnend an. Wenn er seinen Brüdern ähnelte, würde er vermutlich nicht gern helfen. Nicht in diesem Bereich.
Überrascht, dass Zunae ausgerechnet darüber mit ihm sprechen wollte, blinzelte Arcas. »Das hat doch bisher Charlet gemacht, warum fragst du sie nicht?«, wollte er wissen. Immerhin hatte er ebenfalls nicht so viel Einblick.
»Ich glaube, sie mag mich nicht«, erwiderte Zunae zögerlich und mit einem unschuldigen Lächeln.
Arcas konnte nicht genau sagen, ober ihr glauben sollte. Er wusste immerhin, dass es nicht so war, dass Charlet sie nicht mochte. Sie hatte Angst vor der fremden Frau, die so anders war als Charlet gewohnt war. Zunae war ihr gegenüber nicht unterwürfig. Nicht einmal den Männern gegenüber. Das ließ Charlet fürchten, sie würde ihren Kindern schaden. So hatte es zumindest Arcas verstanden.
»Also, was verwirrt dich?«, fragte er und nahm einen der Kekse. Erst, als er hineinbiss, bemerkte er, dass es sich nicht um Süßigkeiten handelte, die er aus den Nordlanden kannte. In seinem Mund breitete sich die zarte Süße bitterer Schokolade aus, die in kleinen Tropfen eingebacken war. Vermischt mit einem leichten Zitronengeschmack, der den Keks eine gewisse Fruchtigkeit verlieh.
So abgelenkt von dem Geschmack, den er so nicht kannte, schreckte er zusammen, als Zunae ihm einige Dokumente vor die Nase legte.
Dass sie wirklich über diese Dinge mit Arcas reden wollte, verwirrte ihn. Sie schien ihre Rolle wirklich ernst zu nehmen. Dabei hatte er angenommen, sie wäre einfach nur ein Pfand. Ein schönes, aber ansonsten nicht wichtig.
»Mich wundert es, dass die Burg Minen besitzt«, stellte Zunae fragend fest, doch Arcas verstand nicht ganz warum.
»Die Burg hat schon immer Minen besessen«, erwiderte er mit fragender Stimme. War das alles? Wollte sie wissen, ob die Burg Minen besaß?
»Das heißt, die Minen sind schon länger im Besitz der Burg?«, fragte sie weiter, denn das widerlegte ihre Theorie, dass Charlet vielleicht nichts über den Wert der Minen wusste. Wenn die Burg schon länger Handel mit Magiesteinen machte, musste es Aufzeichnungen dazu geben.
»Soweit ich weiß schon seit meinem Urgroßvater«, erwiderte Arcas.
Das wunderte Zunae nun doch. Das war eine lange Zeit. Ein Wunder, dass die Minen noch nicht erschöpft waren. »Ich frage, weil mir aufgefallen ist, dass die Rohstoffe, die in der Mine abgebaut werden, zu einem sehr geringen Preis verkauft werden. Ist das ein Vorteilspreis oder weißt du etwas über die Konditionen. Weil es so der Burg nicht viel bringt. Der Gewinn ist so minimal, dass es sich so gut wie nicht lohnt, die Minen zu betreiben.«
Zunaes Worte verleiteten Arcas genauer auf das Dokument zu schauen. Er hatte angenommen sie wolle nur ein Thema, über das sie mit ihm sprechen konnte, aber er sah seinen Irrtum ein. Sie schien sich wirklich dafür zu interessieren und das machte nun auch ihn neugierig.
Er ging die Zahlen durch und stellte fest, dass sie recht hatte. Die Abnahme der Rohstoffe war zwar gewährleistet und ging nicht einmal über einen Zwischenhändler, doch der Partner an den diese verkauft wurden, war für Arcas suspekt. Er kannte den Fürsten nicht.
»Wenn ich das richtig verstehe, dann ist Fürst Dravar der Landesherr von Dravarn. Diese Stadt sollte aber eigentlich keinen Fürsten haben«, bemerkte Arcas, der jedoch nicht wusste, ob er sich vielleicht einfach falsch erinnerte.
Dravarn lag im Nordosten der Nordlande und war von hohen Bergen umgeben, die sich perfekt für den Abbau von Mineralien eigneten.
»Liegt diese Stadt weit von uns entfernt?«, wollte Zunae wissen, denn am liebsten hätte sie dort nach dem Rechten gesehen.
»Auf dem Pferd eine Reise von zwei Tagen«, erwiderte Arcas, ohne groß darüber nachzudenken. Er dachte, sie frage aus Neugierig und nicht, weil sie ernsthaft darüber nachdachte, hinzureisen.
Zunae stieß ein nachdenkliches Geräusch aus und nippte dann an ihrem Tee. Sie fragte sich, ob es in Ordnung war, wenn sie mehrere Tage nicht in der Burg war. Was wenn Yelir zurückkehrte und sie nicht fand?
»Wärst du bereit mit mir nach Dravarn zu reisen?«, fragte sie, denn sie war einfach zu neugierig. Um das Problem mit Yelir zu lösen, würde sie ihm einfach einen Brief zurücklassen, wohin sie gereist war und auch mit wem und warum. So konnte er, sobald er nach Hause kehrte, ihren Aufenthaltsort feststellen.
Arcas brauchte einen Moment, in dem er Zunae stumm anblickte. Hatte sie das gerade wirklich gefragt?
Er fuhr sich durch die Haare. »Sicher. Aber die Reise mit dem Pferd wird anstrengend«, bemerkte er unsicher. »Mit einer Kutsche brauchen wir jedoch wesentlich länger«, fügte er hinzu und überlegte, ob er für ihre Sicherheit sorgen konnte. Er brauchte sicherlich den ein oder anderen Soldaten. Aber wem konnte er trauen?
»Wir reisen mit dem Pferd. Ich möchte kein Aufsehen erregen«, erklärte sie unerwartet. Für Zunae war es wichtig, nicht aufzufallen. »Immerhin will ich die Lage dort auskundschaften. Mit einer Kutsche anzureisen würde nur dafür sorgen, dass sie gewarnt sind.«
Arcas kam nicht umhin, ihre Art als sehr befreiend zu empfinden. Da er sehr viel im Harem unterwegs war und sich dort um die Frauen kümmerte, hatte er bestimmte Erwartungen, die Zunae jedoch alle zerstörte. Ihre Antworten waren erfrischend und ihre Vorgehensweise wies eine gewisse Raffinesse auf, die Arcas neugierig machte und anzog.
»Du möchtest dem wirklich nachgehen, oder?«, fragte er überrascht, denn er hatte damit gerechnet zu reden, aber nicht sofort loszureiten.
Zunae lächelte schief. »Ich bin ehrlich: Mir macht die finanzielle Lage der Burg Sorgen. Ich bin zwar noch nciht Königin, aber sollte es so weiter gehen, wird die Burg sich vermutlich nicht mehr lange tragen und ich habe keine Lust in der Kälte zu schlafen.«
Obwohl es nicht lustig war, lachte Arcas auf. »Du hast Ansichten«, stellte er fest. Eine Frau, die in der Kälte schlief. Das konnte er sich nicht vorstellen. Wenn jedoch die Burg finanzielle Probleme hatte, wer sollte die Frauen dann aufnehmen? »Wann willst du los?«, wollte er wissen, da er sich noch vorbereiten musste.
»Ich denke am besten morgen ziemlich früh«, erwiderte Zunae, die kurz zum Fenster blickte. Heute war es zu spät, doch sie wollte nur ungern länger warten.
Arcas nickte ernst. »Dann treffen wir uns mogen früh in den Stallungen«, erwiderte er, bevor er seine Tasse leerte und sich erhob. »Ich muss noch ein paar Dinge vorbereiten.«
Zunae nickte. »Danke und bis morgen.«
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