Kapitel 32
Es war das erste Mal, dass Zunae wirklich als Verwalterin von Kavalare im Einsatz war und sie konnte die Aufregung in sich spüren.
Wie auch schon bei ihren ersten Besuch hier, ritt sie mit Yelir zusammen in das Dorf ein.
Dieses Mal waren die Bewohner alle unterwegs, was sie etwas beruhigte. Es war nur Aaron, der sie begrüßte.
Als Zunae abstieg, nahm Yelir die Zügel ihres Pferdes, was sie die Lippen verziehen ließ. Er würde es wieder mitnehmen und sie am Abend abholen. So hatten sie es ausgemacht. Als hätte er Angst, dass sie auf die Idee kam, damit wegzureiten. Sollte sie jedoch fliehen wollen, brauchte sie gar kein Pferd.
»Bis heute Abend«, sagte Yelir, der noch einen letzten Blick auf sie warf, bevor er Aaron ernst ansah. Dieser hatte die Aufgabe auf Zunae aufzupassen. Nicht nur, dass es ihr gutging, auch, dass sie nicht verschwand.
Er neigte leicht den Kopf und wandte sich dann an Zunae. »Bitte folgt mir«, bat er und schritt voraus.
Seitdem sie ihm im Kampf besiegt hatte, war er ihr gegenüber sehr höflich, doch auch distanziert. Was daran lag, dass er nicht wusste, wie er sich ihr gegenüber verhalten sollte. Sie war kein Mann und doch stand sie im Moment über ihm. Ein seltsames Gefühl, weil er nicht wusste, ob es gut war. Wie er sie sah, würde von ihren Entscheidungen abhängen.
Aaron führte sie auf das kleine Haus zu, das er bewohnte. Es fühlte sich plötzlich falsch an. Er wusste ihre elegante Erscheinung nicht in seiner schäbigen Wohnung. Für ihn war sie in Ordnung, doch die Vorstellung Zunae auf den zerschlissenen Sofa zu sehen, behagte ihm nicht.
Als er die Tür öffnete, spannte er sich an.
Zunae sagte jedoch nichts und ließ sich auch nicht anmerken, was sie dachte. Dennoch entging ihr nichts.
Dass er als Dorfoberhaupt ein Haus besaß, das nur wenig besser war als das der anderen, überraschte sie. Sagte aber auch viel über den aktuellen Zustand aus.
Als Zunae im Flur stand, löste sie ihren Umhang von ihren Schultern und hängte ihn einfach an die Wand, wo auch Aarons Sachen hingen.
Dieser versteifte sich etwas, denn der feine Stoff, der auf seinen, teilweise dreckigen Kleidern hing, bereitete ihm Unbehagen.
»Ihr müsst die Schuhe nicht ausziehen«, sagte er schnell, als Zunae sich daran machen wollte.
Überrascht sah sie auf. »Wieso?«, fragte sie leise. »Du gibst dir Mühe dein Haus sauber zu halten und es ist nass draußen«, bemerkte sie mit ruhiger Stimme, die keinerlei Wertung, nur eine Frage enthielt.
Aaron fühlte sich unter ihrem Blick unwohl. »Es ist kalt«, sagte er schließlich. Das war zwar nur ein Grund, doch ein wichtiger.
»Das ist nicht schlimm«, erwiderte Zunae, bevor sie ihre Stiefel öffnete und hinausschlüpfte.
Aaron, der einen Moment brauchte, um sich wieder zu fangen, tat es ihr gleich und zog seine Schuhe aus. Sofort spürte er die Kälte am Boden, die zwar durch das Holz etwas gemildert wurde, doch warme Teppiche konnte er sich nicht leisten.
Es fühlte sich falsch an, eine zarte Frau wie Zunae über das reine Holz laufen zu lassen. Diese bewegte sich jedoch, als würde sie es nicht stören.
Sie spürte zwar das Holz, doch da ihre Magie in ihrem Körper zirkulierte, störte sie die Kälte kaum.
Als sie in die Wohnstube kamen, sah sie sich kurz um. Es gab einen kleinen Tisch, der mit Dokumenten gefüllt war, die sie angefragt hatte und ein abgenutztes Sofa. Der Kamin, der die eine Seite zierte, war zwar mit Holz gefüllt, aber erloschen.
»Bitte setzt Euch, ich werde mich sofort um das Feuer kümmern«, sagte er und lief bereits darauf zu.
»Darf ich?«, fragte Zunae, was Aaron in seiner Bewegung innehalten ließ.
Zuerst wollte er sie warnen, dass es gefährlich war, bevor er damit rang, ihrer Bitte nachzukommen.
Was war die richtige Reaktion?
Schließlich gab er nach und nickte leicht.
Zunae hob ihre Hand, bevor sie einen kleinen Blitz ihrer Magie in Richtung Kamin schickte. Er legte sich auf das Holz, das kurz zischte, bevor es in Flammen aufging.
Aaron riss die Augen auf und machte einen Schritt zur Seite. Magie. Sie konnte Magie einsetzen.
Er erinnerte sich an den Kampf und Yelirs Worte.
Wenn er die Leichtigkeit sah, mit der sie das tat, wunderte es ihn nicht, dass Yelir Magie im Kampf verboten hatte. »Ist das die Gabe Eures Artefaktes?«, rutschte Aaron heraus, bevor er sich davon abhalten konnte. Er ärgerte sich sofort, denn die Frage war unangebracht.
»Nein«, erwiderte Zunae. Erst durch diese Antwort wurde Aaron klar, dass sie nicht auf ein Artefakt angewiesen war. Yelir hatte also in dem Kampf nicht ihn und sein Artefakt gemeint.
Als Blutgeborene war Zunae natürlich in der Lage neben ihrem Artefakt auch ihre Gabe zu nutzen. Er hatte völlig vergessen, dass sie das könnten musste, wenn sie aus der Köngisfamilie kam.
Aaron atmete tief ein, während sich Wärme im Raum ausbreitete.
Zunae leiß sich nieder und blickte dann auffordernd zu Aaron. Dieser ermahnte sich, nicht noch mehr Fehler zu machen und ließ sich nieder.
»Ich habe die Dokumente besorgt, um die Ihr gebeten habt«, sagte er, doch er konnte sie nicht ansehen. »Sie sind vermutlich unvollständig und ... nicht so umfangreich«, rechtfertigte er sich, denn auch schon die Dorfoberhäupter vor ihm hatten nicht so viel Wert darauf gelegt.
Zunae nickte lediglich, bevor sie begann, sich die Blätter anzusehen.
Es dauerte nicht lange, da hatte sie alles gesichtet.
»Ich hatte gehofft, es gibt ein paar Hinweise darauf, wie ihr in dieser Klimazone Ackerbau betreiben konntet«, sagte sie nachdenklich.
Seitdem sie das erste Mal hier war, hatte sie sich mit vielen Dingen beschäftigt und entschieden, dass es wichtig war, zuerst eine Versorgung mit Nahrung sicherzustellen. Nur würde das nicht so einfach werden.
»Es gibt Erzählungen darüber, dass man magische Steine nutzte. Viele Dorfbewohner haben noch Überreste davon. Als Andenken«, erklärte Aaron, der sie genau beobachtete.
Sie sah konzentriert, aber auch nachdenklich aus.
»Magische Steine?«, fragte Zunae und spielte mit einer ihrer Strähnen. »Kann ich sie vielleicht sehen?«, wollte sie wissen und blickte Aaron fragend an.
Dieser erhob sich. »Sie sind aufgebraucht und zu nichts mehr gut. Die meisten nutzen sie nur als Anhänger oder Andenken«, erklärte er, während er zum Kamin ging und von dem Brett darüber eine kleine Schachtel nahm. Sie war aus Holz, doch trotz der fehlenden Verzierungen eine saubere Arbeit. Er öffnete die Schattlle und stellte sie vor Zunae ab. »Die Magie darin ist verbraucht. Sie sind nicht mehr nützlich«, sagte er noch einmal, als Zunae danach griff. Bevor sie den Stein, der aussah wie Glas, jedoch berührte, hielt sie inne.
»Ich darf doch, oder?«, fragte sie und erst, als Aaron nickte, nahm sie den Kristall an sich, um ihn zu betrachten. Er hatte eine wirklich gute Qualität. »Warum füllt ihr sie nicht erneut?«, fragte sie neugierig, als sie sich den Kristall besah. Bei ihr Zuhause wurden diese für gutes Geld gehandelt.
»Das ist viel zu teuer. Fast so teuer wie neue Steine. Außerdem weiß niemand, wie man sie nutzt«, erklärte er abwinkend, während er sie genau im Auge behielt.
Zunae gab einen nachdenklichen Laut von sich. »Wie viele solcher Steine besitzen die Familien denn?«
»Ich denke ... pro Familie vielleicht so drei oder vier Stück«, sagte er schließlich, wusste es jedoch nicht genau.
»Glaubst du, die Dorfbewohner würden sie verkaufen?«, wollte sie wissen, während sie noch immer beobachtet, wie sich das Licht in dem Stein brach.
»Kommt sicher auf den Preis an«, erwiderte Aaron, der nicht verstand, warum sie so neugierig auf diese Steine war.
»Ich würde für einen Stein dieser größe ein Gold zahlen«, bemerkte sie und legte den Stein zurück in die Schatulle.
Aaron schnappte nach Luft. »Ein Gold?«, fragte er entsetzt. Das war der Preis, den man bei ihnen für kleine, gefüllte Steine zahlte. Und sie wollte diesen für leere zahlen?
Was dachte sie sich dabei?
Aaron musterte sie. War das vielleicht ihre Art, Geld unter die Leute zu bringen ohne sie als Almosen zu verkaufen?
Wenn ja, war das durchaus schlau. So würde sie den Menschen nicht vermitteln, sie hätten Schulden bei ihr.
»Seid Ihr Euch sicher?«, fragte er vorsichtig.
Zunae nickte. »Wenn möglich, würde ich das gern heute tun«, erwiderte sie, klang aber unsicher. »Würdest du mich dabei unterstützen?«
Aaron wusste nicht, was er dazu sagen sollte. Er wollte sie auch nicht verunsichern oder verärgern. »Ist das abgesprochen? Das ist doch sehr viel Geld«, bemerkte er, da er nicht wusste, ob sie Yelirs Erlaubnis dafür hatte.
Zunae blickte ihn fragend an und legte den Kopf schief. »Warum sollte ich absprechen, was ich mit meinem Geld mache?«, fragte sie und holte einen kleinen Sack hervor, der an ihrer Hüfte hing. Darin befanden sich mehrere Gold- und Silbermünzen, die sie aus ihrer Truhe genommen hatte.
Aaron konnte den Sack nur anstarren. »Euer Geld ...«, bemerkte er mit belegter Stimme. Sie nutzte ihr eigenes Geld für diese Dinge? Wo hatte sie das überhaupt her?
Für ihn war es ungewöhnlich eine Frau zu sehen, die derart viel Geld hatte und es als ihre bezeichnete. Allerdings durfte er nicht vergessen, dass sie aus den Südlanden kam. Dort verhielt es sich anders.
»Ja. Meine Aussteuer. Ich dachte mir, ich kann sie anlegen«, bemerkte Zunae mit einem Lächeln. Sie verstand nicht, wo Aarons Problem lag und tat einfach so, als wäre nichts. Für sie war es immerhin normal, über ihr eigenes Geld zu verfügen.
Aaron räusperte sich. »Dürfte ich etwas fragen?«, bat er, denn er machte sich Sorgen, dass sie sich durch seine Unwissenheit angegriffen fühlte.
Zunae machte lediglich eine auffordernde Bewegung und nickte.
»Wie verhält sich das in Eurer Heimat? Wie geht ein Paar damit dem Geld um?«, fragte er leise, denn das waren Dinge, über die man hier nichts lernte.
»Das Geld, das Mann und Frau mit in die Ehe bringen, ist ihre. Es gibt aber auch eine gemeinsame Kasse für Ausgaben rund um das Haus«, erklärte Zunae ohne zu Zögern. »Das sichert beide Parteien in einem Fall einer Scheidung oder eines Todesfalles ab. Es ist so, dass auch für die Kinder, sobald sie geboren werden, Geld zurückgelegt wird.«
Aaron hörte genau zu und nickte schließlich. »Ganz anders, als bei uns«, erwiderte er. In ihrer Gesellschaft wurde erwartet, dass der Mann das Geld nach Haus brachte und auch verwaltete. Mit dem Augenmerk, dass er sich gut um seine Frau zu kümmern hatte. Es war also gern gesehen, wenn eine Frau gut aufwuchs, ein Taschengeld bekam, damit sie ausgehen konnte oder ihren Schmuck zur Schau stellte. Das hieß, der Mann konnte sich gut um sie kümmern. Allerdings ging das Geld nach dem Tod des Mannes an den ältesten Sohn. Gab es diesen nicht, ging es an das Oberhaupt seiner Heimat. Dieser musste sich aber auch um Frau und Kind kümmern. Ganz egal, wie reich oder arm der Mann war. Damit waren die Hinterbliebenen immer abgesichert.
Allerdings hatte Aaron auch schon gesehen, dass es nicht immer so gut klappte.
Zunae lächelte. »Ich denken, wir können viel voneinander lernen«, sagte sie mit einem solchen Strahlen, dass Aaron für einen Moment die Sprache wegblieb. Von einander lernen.
Obwohl sie noch nicht viel getan hatte, sah Aaron das Potential, das sich hier ergab. Sie war nicht wie andere. Nicht einmal wie die Männer bei ihnen. Was sie wusste, wusste hier niemand und er würde wirklich viel von ihr lernen können. Wenn diese Dinge dann am Ende seiner Heimat zugute kamen, war das noch besser.
Aaron entschied sich, ihr die Unterstützung zu bieten, die sie brauchte. Dann würde er sehen, wie sehr ihr Wissen ihm half oder, ob es alles noch schlimmer machte.
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