#7 - a promise is a promise is a promise
"Du hast erstaunlich wenig von dem Date mit Henry erzählt", neckte Tessa sie am Sonntagnachmittag auf dem Rücken liegend mit den Händen in der Luft.
Octavia schliefen allein beim Zugucken bereits die Hände ein. "Nun ja", begann sie zögerlich.
Tessa drehte sich blitzschnell auf den Bauch, angelte ein kleines Fläschchen aus ihrer Tasche am Fußende des Bettes und schraubte es auf. Ein ekelerregender Duft strömte durch Octavias Zimmer und sie musste sich zusammenreißen, nicht sofort zum Fenster zu springen und es aufzureißen. Vorsichtig hob Tessa den Deckel und strich den Pinsel an dem inneren Flaschenhals ab. Dann legte sie ihre linke Hand flach auf Octavias salbeigrüne Tagesdecke und lackierte sich die Nägel.
Octavia sog tief die Luft ein. Wenn ihre nagelneue Decke heute Abend Flecken von diesem schrillpinken Nagellack hätte, würde sie in Tränen ausbrechen.
Es hatte Monate gedauert, bis ihre Eltern überhaupt verstanden hatten, dass es sie sich mit der Tagesdecke mit den kleinen Häschen darauf nicht mehr wohl fühlte. Und eh sie dann endlich eine Decke passend zu ihrer Wandfarbe gefunden hatte. Was hatte sie sich an diesem Tag gefreut.
Natürlich hatte die Freude nur kurz gehalten, denn die Decke war so unverschämt teuer, dass selbst Octavia mehrfach hatte blinzeln müssen. Niedergeschlagen hatte sie Tessa von dem Fund erzählt. Und ihren Augen nicht getraut als ihre Freundin am nächsten Tag mit einer großen Tüte aus dem Heimdeko-Laden in ihr Zimmer spaziert war. Manchmal, besonders in solchen Momenten, glaubte Octavia, dass das Leben es doch zu gut mit ihr meinte.
Aber dann fiel ihr meist schnell wieder ein, warum ihr Leben doch nur höchst durchschnittlich war. Wie zum Beispiel jetzt, wenn Tessa die schöne Decke ruinieren würde.
Mit großen Augen sah Tessa zu ihr herüber. Sie räusperte sich, um Zeit zu gewinnen, aber es war hoffnungslos. Tessa ließ sich nicht täuschen.
"Das hältst du keine weiteren vier Dates durch, hab ich Recht, Tavi? Denk nur an diese Zeitverschwendung", sagte sie betont dramatisch.
Octavia biss die Zähne zusammen, doch sie sagte kein Wort. Tessa wusste genau, wie sie sie kriegte. Wenn sie nicht ihre beste Freundin wäre, würde sie sie mit Leidenschaft hassen.
"Du musst es nur sagen", frohlockte Tessa weiter.
"Vergiss es. Es lief gut."
"Ach ja?", fragte Tessa mit hochgezogener Augenbraue. Ihre Aufmerksamkeit blieb jedoch zu Octavias Freude auf ihre Nägel gerichtet.
"Ja. Wir haben Eis gegessen und uns besser kennengelernt."
Tessa sah für einen Moment auf. "Wie ist er so?"
Octavia holte tief Luft. Sie musste ihre Worte nun vorsichtig wählen, wenn sie nicht wollte, dass Tessa sie direkt durchschaute. Schließlich ging es bei der Herausforderung nicht um das bloße Durchhalten sondern darum, den Geist weit genug zu öffnen um sich auf jemand anderes einzulassen. Oder so.
"Er ist zielstrebig." Ja, so konnte man es auch nennen. Es klang auf jeden Fall wohlwollender als spießig und geradlinig. Beides Adjektive, die auf Octavias zukünftigen Partner nicht zutreffend sein dürften.
"Hmm", summte Tessa unbeteiligt. Eine Weile war nichts zu hören. Octavia hatte immer gemocht, dass sie und Tessa sich auch anschweigen konnten, ohne dass es komisch wurde. Niemand konnte den ganzen Tag reden. Und wenn, dann waren es doch irgendwann nur noch Belanglosigkeiten. Oder immer das Gleiche. Dann lieber mal gepflegt eine Runde schweigen.
"Er ist zurück. Wusstest du das?", fragte Tessa schließlich.
Octavias Herz setzte einen Moment aus. Ihr war klar, dass sie quasi von einer Sekunde auf die andere nicht mehr von Henry sprachen, sondern von jemand anderem. Einem Lieblingsmenschen aus längst vergangenen Tagen.
"Und?", fragte sie um einen möglichst gelangweilten Ton bemüht. Sie würde sich eher die Zunge abbeißen, als Tessa - oder irgendwem - zu gestehen, dass der Gedanke an ihn ihr noch immer Herzklopfen der feinsten Art verschaffte.
Octavia folgte Tessas bedeutungsvollem Blick zu einer kleine Schatulle auf der uralten Kommode.
"Ernsthaft, Tessa?" Sie stöhnte genervt auf. "Du kennst die Geschichte. Du weißt, dass da nichts dran ist."
"Pfff. Ich bin deine beste und vermutlich auch deine einzige Freundin", sagte Tessa. Sie richtete sich auf, schraubte das Fläschchen zu und ging auf die Kommode zu.
Octavias Herzschlag beschleunigte sich noch ein bisschen. "Na und?"
"Ich kenne dich", sagte Tessa selbstgefällig und strich mit der Hand auf der Oberfläche des Schränkchens hin und her. "Du tust so cool, selbst vor mir. Aber es funktioniert nicht. Sieh der Wahrheit ins Auge. Du hast diesen Ring geliebt. Und das tust du immer noch."
"Er...er wusste nicht, was er da getan hat."
Tessa schnaubte und griff nach der Schatulle. "Natürlich hat er das gewusst. Er ist nicht gegangen, weil er es wollte. Er ist gegangen, weil er musste."
Octavia wusste nicht, ob sie lachen oder weinen sollte. Schließlich entschied sie sich für ein verächtliches Schnauben. "Du bist so widerlich optimistisch, dass einem ganz schlecht wird davon. Er ist ohne ein Wort gegangen."
"Das war den Umständen geschuldet. Das kann man einem Preteen durchaus verzeihen, denkst du nicht? Du hast dich verkrochen als du hättest kämpfen sollen."
"Man, Tessa, du nervst. Worum hätte ich denn da kämpfen sollen?"
Tessa öffnete die Schatulle, kippte den Ring in ihre Handfläche und steckte ihn an ihren Ringfinger. Er blieb am Knöchel stecken. Nichtsdestotrotz drehte und wendete sie das Schmuckstück im Licht, das durch das Fenster herein fiel, wie eine frisch Verlobte in einem Hollywood-Streifen. "Um deine erste Liebe natürlich."
"Wir waren Kinder. In dem Zusammenhang kann man wohl kaum von Liebe sprechen."
Tessa schnaubte erneut. "Von wegen."
Wutentbrannt riss Octavia Tessa den Ring aus der Hand und legte ihn mit einer fahrigen Bewegung zurück in die Schatulle. "Es war ein dämlicher Promise-Ring. Das bedeutet gar nichts."
"Na ja", sagte Tessa grinsend während sie mit der Schulter zuckte. "Er hat sein Versprechen irgendwie gehalten, denn er ist ja zurück."
"Uhhh, verschwinde Tessa. Ich kann dich heute hier nicht ertragen." Mit etwas mehr Schwung als nötig, warf sie die kleine Box zurück auf die Kommode. Die Schatulle prallte an der Wand ab, der Deckel öffnete sich und der Ring kullerte heraus.
In Zeitlupe konnte Octavia sehen wie er auf die Kante zu rollte, auf den Boden fiel und unter der Kommode verschwand. Sie biss sich auf die Lippe und wandte den Blick betont gleichgültig von dieser Ecke ihres Zimmers ab.
Tessa machte einen Schritt auf sie zu und lächelte sie an. Dann drückte sie ihr einen Kuss auf die Wange. "Ich hab dich lieb, Tavi. Lass dich von mir nicht ärgern. Mach einen Spaziergang oder so. Und denk Mal über meine Worte nach."
Ja, das musste Octavia sich nicht zwei Mal sagen lassen. Sobald sie die Tür hinter Tessa ins Schloss fallen hörte, schlüpfte sie in ihre Wanderstiefel, griff nach ihrem Rucksack und machte sich auf den Weg in die Natur. Das war genau das was sie jetzt brauchte, um ihn aus ihren Gedanken zu vertreiben.
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Danke für's Lesen :) Ich freue mich über jeden Klick, jeden Stern, jeden Kommentar.
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