#4 - X Mom
Er würde es versuchen.
Also dem Laden nicht zu schaden und Grandpa nicht zu verärgern. Das mit dem Gras konnte sie wohl nicht ernst meinen. Vermutlich wusste sie nicht, dass er mit den Einnahmen einen nicht unerheblichen Beitrag zum Familieneinkommen leistete, seitdem es nur noch sie beide gegen den Rest der Welt waren.
Hauptsächlich kaufte er sein Mittagessen und Snacks für sich. Er fragte sich, ob seine Mutter davon ausging, er würde mit den läppischen zweieinhalb Dollar für das Mittagessen den ganzen Tag satt werden. Entweder verschwendete sie keinen weiteren Gedanken daran oder sie wusste es, und sagte einfach nichts.
Selbst das zusätzliche Essen im Tiefkühler hatte sie zuletzt nicht mehr kommentiert, nachdem sie sich anfangs tagelang gewundert hatte, wann sie diese Tüte Erbsen, jenes Stück Fleisch oder das letzte Mal Pizza gekauft hatte.
Das Essen würde zwangsläufig irgendwann knapp werden, wenn er nichts dazu beitrug, also würde er es weiterhin tun.
Er musste sich vielleicht nur etwas cleverer anstellen als beim letzten Mal. Auch wenn sein Wirkungskreis nun ein anderer werden würde - er hatte bisher noch von keiner Schule gehört, an der nicht vernünftig getickt wurde. Und sein Gras war nun Mal sehr gut.
Jetzt musste er nur noch einen Weg finden, ans andere Ende der Stadt zu kommen. Was seine Mutter vermutlich nicht ahnte, war, dass er eine eigene Zucht besaß. Er kaufte das Zeug nicht einfach irgendwo. An einer lichten Stelle tief im Wald bei dem Dirtbiketrail hatte er ein kleines Gewächshaus aufgestellt und baute dort das beste Gras der Stadt an. Der Apfel fiel nicht weit vom Birnenbaum, wie Grandpa zu sagen pflegte. Parker musste lachen. Ob er von seinen Aktivitäten wusste?
Spät abends, als seine Mutter sich auf den Heimweg gemacht hatte und Parker seinem Grandpa unter mehrfachem Gähnen erzählt hatte, wie Mode er war, war er in sein frisch bezogenes Bett gekrochen.
Das Gästezimmer war winzig, was kaum verwunderlich war, denn soweit er wusste, war diese kleine Bruchbude das Elternhaus der Mutter seines Grandpas. Es hatte also bereits einige Generationen beherbergt, die mit deutlich geringeren Ansprüchen an ihren Wohnraum großgeworden waren.
Durch das einzige Fenster schien ein schwacher Strahl der Laterne vor dem Haus. Das orangefarbene Licht malte die Möbel in diesem Zimmer beinahe unheimlich an. Und obwohl er seiner Mutter beim Beziehen des Bettes zugesehen hatte, konnte er nicht umhin, den muffigen Geruch des Kissens wahrzunehmen und zu hoffen, dass die Matratze nicht durch die jahrelange Nichtbenutzung Ratten beherbergte.
Ohne den Lichtschalter zu betätigen - es knackte im ganzen Haus verräterisch, wenn er umgelegt wurde - setzte er sich auf den kleinen Hocker vor dem noch kleineren Schreibtisch und stöpselte das Ladegerät seines Handys ein.
Gute Nacht. X Mom
Er wusste, dass sie dies hier als die einzige Lösung sah. Nie in seinem ganzen Leben hatte sie ihm etwas Böses gewollt. Vielleicht schuldete er es ihr nach dem ganzen Ärger im letzten Schuljahr, dass er sich nun zur Abwechslung Mal wie ein Vorzeigesohn verhielt. Doch er würde sich sein letztes Schuljahr nicht komplett versauen lassen. Schlimm genug, dass er neue Freunde finden musste, aber das Dealen konnte er aus rein finanziellen Gründen nicht lassen. Alles andere würde sich zeigen.
Ohne sich großartig zu bewegen blieb Parker zwei Stunden lang auf dem Stuhl sitzen und surfte dabei im Netz. Zum Glück hatte sein Grandpa WLAN, ansonsten würde er zusätzlich zum schmerzenden Rücken auch noch ein steigendes Datenvolumen in Kauf nehmen müssen. Als er sicher war, seit mindestens 20 Minuten kein einziges Geräusch mehr im Haus gehört zu haben, stand er leise auf.
Die Bodendielen knarrten, aber das konnte er nicht ändern. Auf leisen Sohlen schlich Parker Stufe für Stufe die ebenfalls knarzende Treppe hinab. Mit ruhiger Hand öffnete er die Haustür und trat auf die Veranda. Obwohl die Tage heiß waren, umgab ihn nun die kühle Luft der Nacht. Sie roch verbraucht.
Parker hatte nie verstanden, wie die Stadt es schaffte, die stinkende Abendluft loszuwerden und bis zum Sonnenaufgang gegen frische, angenehm leichte Luft auszutauschen.
Parkers Blick schweifte über die nähere Umgebung. Er hoffte, ein altes Fahrrad oder etwas ähnliches im Garten zu sehen, doch er wurde enttäuscht. Zugeben, mit einem Fahrrad wäre er elendig lange unterwegs und konnte seine Pflanzen nicht wirklich ideal transportieren, aber alles war besser als laufen. Und die öffentlichen Verkehrsmittel fielen aus offensichtlichen Gründen aus.
Gerade als er hineingehen wollte, um seine Jacke zu holen, fiel sein Blick auf die verwetterte Garage am anderen Ende des Grundstücks. Fieberhaft überlegte er, wann er seinen Grandpa zuletzt hinter dem Steuer eines Autos gesehen hatte. Doch es wollte ihm nicht einfallen.
War es so lange her, dass es unwahrscheinlich war, ein Auto in der Garage zu finden? Parker entschied, dass ein Auto es auf jeden Fall wert wäre, entdeckt zu werden und so kämpfte er sich durch kniehohes Unkraut, um ausladende verholzte Stauden herum bis zu der baufälligen Hütte durch. Als er davor stand, verfluchte er sich selbst.
Wie es für seinen Grandpa typisch war, hing ein großes, schweres Vorhängeschloss vor den beiden Flügeltüren. So viel dazu.
Enttäuscht stieß er die Luft aus, als ihm eine weitere Idee kam. Er ging um die Garage herum und entdeckte eine schmale Tür an der Seitenwand.
Auf dem Weg dorthin verdanken seine Stiefel im Matsch. Das schmatzende Geräusch warnte ihn, seine Schuhe vor dem Betreten des Hauses zu putzen, wenn er nicht wollte, dass sein Grandpa von den nächtlichen Ausflügen erfuhr.
Ohne allzu große Hoffnung rüttelte Parker vorsichtig an der Tür und war nicht wenig überrascht als sie mit einem leisen Knarzen aufsprang. Er zückte sein Handy und aktivierte die Taschenlampe.
Langsam beleuchtete er jede Ecke des fast leeren Raumes. Ein Auto war darin leider nicht zu sehen, aber an der schmalen Wand sah er ein braunes Stück Stoff, das vermutlich etwas Brauchbares darunter verbarg. Parker sandte ein kleines Stoßgebet in den Himmel. Hoffentlich war es ein fahrtaugliches Rad und nicht irgendein Schrotthaufen.
Da er nicht an eine Übermacht glaubte, war ihm klar, dass sein Wunsch durch dieses kleine Gebet nicht in Erfüllung gehen würde, aber vielleicht meinte es das Universum trotzdem gut mit ihm.
Er ging - abermals sehr vorsichtig um plötzliche und vor allem laute Geräusche zu vermeiden - durch die Garage, bevor er nach einem kleinen Zipfel Stoff griff, und ihn mit einer schwungvollen Bewegung auf den Boden beförderte. Staub wirbelte auf und tanzte ausgiebig im Licht seiner Handylampe.
Er staunte nicht schlecht, als er seinen Fund mit der Taschenlampe anstrahlte. Er hatte ein altes Motorbike gefunden. Es sah zwar nicht aus als würde es die Strecke im Wald überleben, aber das musste es ja nicht. Es sollte ihn nur zum Gewächshaus und zurück bringen.
"Sie steht schon viel zu lange herum", ertönte tiefe Stimme hinter ihm.
Parker fuhr zusammen und spürte seinen schnellen Herzschlag bis in den Hals. Plötzlich flackerten die Lampen an der Decke und nach schwerem Kampf gingen drei der vier Lampen an.
"Grandpa!"
"Hast du gedacht, ich höre es nicht, wenn sich jemand aus meinem Haus schleicht? Ich bin mit fünf Schwestern großgeworden, auf die ich ein Auge werfen musste", sagte er und zwinkerte Parker zu. "Meinst du, wir können sie wieder fit machen?"
Parker war sich absolut nicht sicher, ob das eine gute Idee war. Sein Grandpa war nicht mehr der Jüngste. Genau genommen sah er ziemlich fertig aus, was selbst in Parkers Ohren beleidigend klang. Es gab Zeiten, in denen seine Mom ihm mit sorgenvoller Miene erzählte, welch alltägliche Sachen Grandpa in letzter Zeit immer häufiger vergaß. Da stand Motorradfahren bestimmt nicht ganz oben auf der Liste der Dinge, die er unbedingt tun sollte.
Nervös räusperte sich Parker. "Ich weiß nicht, ob das so eine gute Idee ist, wenn du-"
Ein schallendes Lachen unterbrach Parker. "Nicht für mich. Für dich, dachte ich. Deine Mutter ist eine gute und gerechte Frau, aber du willst doch nicht ein ganzes Jahr lang jeden Abend nach der Arbeit hier mit mir herum sitzen und dich langweilen."
Er wollte seinen Großvater nicht zu nahe treten, aber genau dieser Gedanke hatte ihn die letzten Stunden mehr als nur einmal gequält. "Da könntest du Recht haben."
Wenn er dem Gesagten seines Grandpas lediglich zustimmte, konnte ihm daraus wohl kaum ein Strick gedreht werden, oder?
"Gut. Dann schauen wir uns die Kiste morgen in Ruhe an." Sein Grandpa trat hinaus in die Nacht und winkte Parker zu ihm zu folgen. "Zwei Bedingungen habe ich allerdings."
Parkers Herz wurde schwer. Natürlich hätte er nicht damit rechnen sollen, dass das Ganze ohne irgendwelche Kosten für ihn ablaufen würde und doch trag ihn die Enttäuschung unvorbereitet. War er der Einzige, der immerzu alles verhandeln musste?
"Ach ja?", fragte er tonlos. Vermutlich werden die Bedingungen ihn derartig abschrecken, dass er freiwillig auf die Nutzung des Motorbikes verzichten würde.
"Zuerst sollst du dich seiner Mutter gegenüber vorbildlich verhalten. Sie hat nichts Geringeres verdient." Erneut zog sich Parkers Herz zusammen. Selbstverständlich. So weit war er selbst schon gewesen.
"Und weiter?", murrte er leise.
"Die zweite Bedingung ist, dass du mir jeden Morgen einen Kräutertee kochst. Das hast du als kleiner Junge schon gemacht."
Parker glaubte seinen Ohren nicht zu trauen. Grandpa legte wert auf seinen Tee? Es war ja eine Sache, dass seine Mutter und er selbst gewissermaßen auf die Tees schworen. Parker hatte schon als kleiner Junge angefangen, sie zu mischen, und es war zu seinem Faible geworden.
Seit Parkers Kindertagen hatte sich die Zusammensetzung jedoch stark weiter entwickelt. Hatte er damals noch ausgerissene Grasbüschel mit anderen Unkräutern gemischt, wählte er seine Zutaten nun mit etwas mehr Sorgfalt aus. Kraut war nicht gleich Kraut und so hatte er über Jahre gelernt, welche Kombination wogegen half - und welche nicht.
Heute war er also, auch wenn man es ihm nicht auf den ersten Blick ansah, auf mehreren Pflanzengebieten ein Pro.
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