blaue Hände
Anemone blickt erschrocken auf ihre Hände und verbirgt sie dann rasch hinter ihrem Rücken. „Verzeiht, Eure Hoheit."
„Wofür entschuldigst du dich denn?", frage ich verwundert.
Sie schlägt die Augen nieder und tritt einen Schritt zurück. „Weil ich Euer Missfallen erregt habe, Eure Hoheit. Soll ich eine andere Magd zu Euch schicken?"
Ich spitze die Ohren. Seit Wochen beobachte ich dieses Mädchen, achte auf jedes Detail ihrer Mimik und Gestik und auch auf ihren Tonfall. Sie bemüht sich sehr, sich wie eine Puppe zu verhalten, aber es ist ihr nie wirklich gelungen. Hinter ihrer devoten Haltung und ihrer nur scheinbar starren Miene scheint sich eine starke Persönlichkeit zu verstecken, die sich nicht vollständig verbergen lässt.
Ich habe das Grübchen in der Wange kurz auftauchen sehen, wenn ich sie schüchtern angelächelt habe; das Zucken ihrer Mundwinkel bemerkt, wenn ich gedankenverloren Zucker über mein Ei gestreut habe; an ihrem Tonfall ihre Meinung zu meiner weinroten Lieblingstunika heraushören können, von mir schon viele gesagt haben, dass sie sich aufs Fürchterlichste mit meinem rotblondem Haar beißt und mich noch blasser macht als ich ohnehin schon bin. Je mehr ich auf diese Art über sie herausgefunden habe, um so neugieriger bin ich auf die Person hinter der Maske der gehorsamen Magd geworden. Aber vor allem habe ich gelernt, auf feinste Änderungen ihrer Miene und ihrer Stimme zu achten.
Und ich glaube jetzt, so etwas wie Enttäuschung aus ihren fast unmerklich gerunzelten Brauen und dem ganz kurzen Stocken vor ihrer Frage herauszulesen. Sie hat mir zwar angeboten, sie zu ersetzen, aber ich wage zu hoffen, dass sie nicht wirklich den Wunsch hat, von ihrem Dienst bei mir entbunden zu werden.
Anemone verharrt weiterhin reglos und mir wird bewusst, dass sie auf eine Antwort wartet. „Du hast nichts falsch gemacht", versichere ich ihr und nehme ein ganz leichtes Aufatmen wahr. Natürlich weiß ich nicht, ob ihre Erleichterung daher rührt, dass sie einer Strafe entgeht oder dass sie weiterhin in meinem Dienst bleiben kann; ich hoffe verzweifelt auf letzteres und bin mir doch bewusst, wie gering die Chance dafür ist. Für die Mägde sind wir Prinzen nur unberührbare, beinahe göttliche Wesen, denen sie wohl dienen, mit denen sie aber nichts gemein haben. So wie die meisten Adeligen ihre Diener gerade mal als bessere Haustiere betrachten, sowenig sehen auch diese ihre Herrschaft als Menschen an.
„Anemone", ich spreche sie absichtlich mit ihrem Namen an. „Ich wollte nur wissen, was dieses blaue Leuchten zu bedeuten hat, das von deiner Haut auszugehen scheint. Ich gebe dir keine Schuld daran und ich will auch nicht ..." Was eigentlich? Mein redegewandter Bruder hätte es leichter gehabt, ihm fehlen nie die Worte wie mir so oft und er kann seine Gefühle viel besser ausdrücken als ich. Allerdings hat er auch keine derartigen Gefühle wie sie mich gerade umtreiben.
Ich schließe einen Moment die Augen und sammle meine Gedanken. Wenn ich ihr jetzt sage, dass ich sie auf keinen Fall austauschen möchte, wird sie das falsch verstehen; jeder würde das in dieser Situation. Und ihr zu erklären, dass der Schimmer, der über ihren Händen liegt, mich an den türkisfarbenen Schleim in meinem Traum erinnert, wird sie höchstens davon überzeugen, dass die Gerüchte über mich der Wahrheit sehr nahekommen. Ich will alles wissen, was mit ihr zu tun hat, aber auch das kann ich ihr hier und jetzt nicht vermitteln, ohne mich oder sie in ein schiefes Licht zu rücken. Unser Standesunterschied verhindert selbst eine ganz normale Unterhaltung zwischen zwei Menschen, wie ich sie wenigstens mit meinen Rittern führen kann und sie mit den anderen Mägden.
Auf jeden Fall ist dieser blaue Schein nicht normal und ich mache mir Sorgen, dass es ihr schadet. Vielleicht kann ich ihr mein Interesse daran auf diese Art begreiflich machen.
„Tut es weh?", rutscht es mir heraus.
Anemone blickt überrascht auf. „Nein, Eure Hoheit." Das Grübchen taucht flüchtig auf und verschwindet gleich wieder, aber ich habe es doch gesehen. Anemone lächelt nie in meiner Gegenwart. Den anderen Mägden gegenüber ist sie aufgeschlossener und ich habe beobachtet, dass sie mehrere unterschiedliche, aber immer sehr liebreizende Lächeln für andere Personen hat. Das Grübchen tritt aber nur dann zutage, wenn sie sich aufrichtig über etwas freut. Wenn ich Glück, ganz großes, unverdientes Glück, dann gefällt es ihr, dass ich mich um sie sorge.
„Weißt du denn, warum das so ist?" Ich habe weder jemals so ein Leuchten gesehen noch davon gelesen oder gehört. Und es kann ja nicht einfach so gekommen sein.
„Nein, Eure Hoheit. Es war auf einmal so. Erst dachte ich, ich täusche mich, aber dann wurde es deutlicher. Es tut mir leid, Eure Hoheit, ich hätte es gleich dem Haushofmeister melden sollen, damit er eine bessere Magd zuteilt."
Was glaubt sie eigentlich, mir damit anzutun, wenn sie es doch ist, die so blau leuchtet? Aber sie kann wohl nicht anders als so zu denken. Schließlich sind wir hier im Königspalast, wo vor einigen Jahren die Prinzessin einen befreundeten Landes eine Magd hat auspeitschen lassen, weil sie es gewagt hatte, mit ebenso strahlendgrünen Augen ausgestattet zu sein wie die hohe Dame. Mein Vater hat dieser Forderung sofort nachgeben, als sein königlicher Gast sich darüber beschwert hat, dass die Dienstmagd ihre Einzigartigkeit zerstört hätte. Mich hat dieser Vorfall damals darauf aufmerksam gemacht, wie verächtlich die „niederen" Stände und vor allem die Paria behandelt werden.
„Seit wann hast du das?" Ich hoffe, dass sie das nicht als unziemliche Neugier, sondern als aufrichtige Anteilnahme auffasst. Gleichzeitig überlege ich, ob es mir vorher schon hätte auffallen sollen. Gestern hatte sie doch ... „Ah, ich weiß wieder. Gestern, nein die ganze Woche schon hattest du Handschuhe getragen!"
„Ja, Eure Hoheit. Der Haushofmeister hat es befohlen, aber heute mussten sie gewaschen werden."
„Wegen des Leuchtens? Also nicht dass die Handschuhe gewaschen werden mussten, sondern dass du sie tragen solltest." Verdammt, warum holpere ich immer so durch die Sätze?
„Nein, Eure Hoheit. Er findet es nicht passend, wenn ich die Kleidung und das Geschirr Eurer Hoheit mit meinen Händen berühre."
„Warum, du wäschst sie doch vorher?"
„Ja, Eure Hoheit, aber es sind die Hände einer Paria." Der rechte Mundwinkel zuckt einen Moment. Nach unten, nicht nach oben, wie er es tut, wenn sie erheitert ist. Anemone wiederholt brav, was man ihr eingetrichtert hat, aber sie stimmt definitiv nicht damit überein. Ich auch nicht.
„Das ist doch Unsinn. Der Haushofmeister sollte einmal Drivans Schriften lesen! Es gibt doch keinen wesentlichen Unterschied zwischen Paria und Adligen; beides sind nur Menschen!" Erschrocken verstumme ich. Hätte ich das vor meinem Vater gesagt, hätte er mir zweifellos all meine Bücher fortgenommen und mich strengen Erziehungsmaßnahmen unterworfen, damit ich mehr über Anstand und Recht lerne. Meine bisherigen derartigen Lektionen reichen mir aber eigentlich aus; ich kann mich einfach mit der menschenverachtenden Sichtweise anfreunden, die mir meine Lehrer so beharrlich beizubringen versuchen.
Anemone ist nicht weniger entgeistert als ich. „Sowas dürft Ihr doch nicht sagen! Eure Hoheit, sie werden Euch dafür einkerkern!"
Oh, sie denkt als erstes daran, was ich zu erwarten habe, wenn meine Ansichten ruchbar werden. Eigenartig, ihre Furcht vor den Folgen meiner unbedachten Worte beruhigt mich wieder. Ich schaffe es sogar, sie in halbwegs ruhigem Tonfall zu fragen: „Denkst du anders darüber? Selbst die Priester sagen, dass wir alle Menschen sind und vom Gottessohn und der Erdenfrau abstammen."
„Ja, aber auch die Priester predigen, dass wir dennoch nicht alle gleich sind!" Anemone schlägt sich die Hand vor dem Mund. „Verzeiht, Eure Hoheit, ich wollte Eurer Hoheit nicht widersprechen." Sie verstummt und runzelt wieder die Brauen.
Plötzlich fühle ich mich viel sicherer. Theologische Debatten führe ich häufig mit dem jungen Diakon, der in meinem wöchentlichen Unterricht über die Lehren Gottes immer öfter für den alten Hofpriester einspringt. So schwer ich mich damit tue, mit anderen über Belanglosigkeiten zu plaudern, um so beredter werde ich, wenn ich mit Gleichgesinnten über tiefergehende Themen diskutieren kann.
Anemone steckt eindeutig in einem Dilemma. Entweder stimmt sie meiner ketzerischen Meinung zu oder sie erkühnt sich, die Ansichten eines Prinzen für falsch zu erklären. Ich bin gespannt darauf, wie sie sich aus der Affäre zieht und bohre daher weiter: „Glaubst denn du selbst daran, dass du weniger Mensch bist als ich?"
Wieder das leichte Stirnrunzeln. Ob Anemone wohl weiß, wieviel ihre beweglichen Brauen über ihre Stimmungen verraten? Sie ziehen sich zunächst zusammen, dann hebt sich die eine und schließlich kräuselt sich die Nase, worauf sich eine waagrechte zwischen den Brauen bildet. Es ist mehr als faszinierend, diesem Mädchen beim Nachdenken zuzusehen.
Unter gesenkten Liedern wirft mir Anemone einen taktierenden Blick zu und bemerkt wohl mein amüsiertes Lächeln. Daraufhin holt sie tief Luft und wie es aussieht auch Mut.
„Ich glaube, dass wir uns körperlich nicht unterscheiden. Ihr werdet wie wir krank und wir bluten ebenfalls, wenn wir verletzt werden. Wenn wir Paria schneller sterben als die Adligen, liegt das nicht daran, das wir schwächer sind, sondern daran, dass uns kein Arzt zu Hilfe kommt."
„Das sehe ich auch so", ich lächle ihr ermunternd zu, um ihr zu zeigen, dass ich ihre Worte nicht als beleidigend oder gar herabsetzend empfinde. „Aber warum sprichst du nur vom Körper? Was ist mit Geist und Seele?"
„Eure Hoheit, Ihr seid viel klüger als ich und wisst von so vielen Dingen, die ich nicht kenne. Ihr sprecht mehrere Sprachen und Ihr könnt all diese Bücher lesen und gelehrte Worte niederschreiben." Damit bezieht sie sich wohl auf meinen Briefwechsel mit einigen berühmten Philosophen.
„Anemone, ich habe keine Ahnung, wie man Tee bereitet", erwidere ich ihr. „Und diese Bücher kannst du auch lesen, wenn man dir die Buchstaben beibringt."
„Aber – Eure Hoheit, ich kenne die Buchstaben doch nicht."
„Ich habe sie auch nicht gekannt, bevor man sie mir gezeigt hat. Selbst Adlige werden nicht mit dem Wissen um Lesen und Schreiben geboren, Anemone, man zeigt es ihnen. Würde man es die Krieger, die Bürger, die Arbeiter und die Paria darin unterweisen, könnten sie ebenso gut lesen wie die Adligen und die Priester."
„Aber Eure Hoheit – glaubt Ihr das wirklich, Eure Hoheit? Das selbst jemand wie ich jemand wie ich lernen kann, diese Bücher zu lesen? Aber ist das nicht verboten? Ich bin eine Paria, wie dürfte ich mich danach sehnen, lesen zu können?"
Diesmal brauche ich keine Mimik und keinen Tonfall zu deuten. Alleine die Worte verraten mir, wie sehr Anemone nach Wissen hungert. Und das ist etwas, was ich sehr gut verstehen kann.
„Du darfst das", sage ich darum. „Und ich werde es dich lehren."
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