Orlofskys Schwingen

Es war eine allgemein anerkannte Wahrheit, dass es an jedem schlechten Tag in Kostjas Leben regnete.

Und das Trommeln des Regens dröhnte laut in der ganzen Kutsche, als die Tropfen gegen Fenster und Dach hämmerten, während Kostja zwangsweise auf die Geißel seiner Existenz starrte:
Prinz Vasilij Chervenkov.

Der, dessen Schutz man in Kostjas Verantwortung gelegt hatte.
Dabei hätte er den Prinz am liebsten aus der Kutsche geschubst. Und dabei am besten vor das nächstbeste Gefährt.
"Ich hab Mama doch gesagt, dass ich keine Amme brauche!", beschwerte sich seine erlesene Hoheit da sogleich, während ein Windstoß ihr Gefährt ins Schwanken brachte. "Warum hocken Sie da noch hier? Ich bin Offizier, kein Kind!"

Glaub mir, ich könnte mir auch schöneres vorstellen.
Doch statt seinen Gedanken auszuformulieren, meinte Kostja bloß: "Wegen Prizrak. Er hat erst letzte Woche einen weiteren Ved'mak befreit. Einen Terroristen. Er ist eine Gefahr und wir können Ihr Leben nicht so leichtsinnig gefährden."

Vasilij schnaubte.
"Dann befehle ich Ihnen einfach, zu verschwinden!"

"Sie sind nicht der Zar, Hoheit."

"Und Sie sind gleich verbannt auf die geteilte Insel", patzte er zurück, doch Konstantin blieb unbeeindruckt.

"Es heißt, das Klima dort wäre angenehmer als hier. Vielleicht würde es meinem Schlaf helfen."

Seit er vor einem knappen Jahr aus der Akademie graduiert war, hatte man ihn zur unbeliebtestens Arbeit der ganzen Garde verdonnert. Die Betreeung des ebenso jungen Vasilij.
Allein eine Gewissheit hatte ihn dabei immer am Leben gehalten:
Er hatte mehrere Trainingseinheiten mit Ergena Zatsepina überlebt, er würde folglich auch Vasilij überleben.
Obwohl der Prinz alles daran legte, ihm vom Gegenteil zu üverzeugen.

Vasilij verzog die Lippen, dann richtete er seinen Blick demonstrativ aus dem Fenster.
Böen rissen an den Fensterläden, weißer Schaum bildete sich um die Abflüsse und die Tropfen peitschten nur so gegen die Scheibe, gegen die der Prinz neugierig sein Gesicht presste.
Man hätte meinen könne, die ganze Welt löse sich in dieser blaugrauen Masse auf, da stieß Vasilij mit einem Mal ein schrilles:"Da! Sieh mal! Da ist es!" aus.
Automatisch richtete sich Kostja etwas auf.
"Was?"

"Na, das Bluthaus!"
Bluthaus.
Der Ort des Mordes dieses ausgedienten Kommissars.
Allein bei dem Wort krallten sich Kostjas Finger in das Sitzpolster.
"Sie meinen diesen... diesen Dolchraub?" Selbst in seinen Ohren war seine Stimme ein brüchiges Scheppern.

Ein einfacher Raubmord, befand die Politsija. Einer der zahlreichen Gauner und Verbrecher der Stadt, die es diesmal einfach eine Spur zu weit getrieben hatten.
In jedem anderen Viertel wäre es eine Alltäglichkeit gewesen. Etwas, das man vergaß.
Trotzdem war diese Blutttat in jeder Munde.
Wie denn auch nicht? War es doch zum Zentrum der Gerüchte eines sich zerfleischenden, tratschenden und höchst gelangweilten Hofstaats geworden. Dort, im Haus des Händlers Novikov, der die Zarendynastie höchstselbst mit Seide und Juwelen belieferte.

"Dolch?", quiekte Vasilij. Seine Stimme überschlug sich fast. "Also die Gräfin Rostova meinte, es wäre ein Schwert gewesen! Eine gewaltige Klinge aus Kristall! Und- Und der alte Fürst Kuragin hat sogar geschworen, dieser Sicherheitskerl wäre der wahre Dieb! Aber eine alte Verzauberung der Heiligen hätte die Waffe zerstört, damit der Dieb stirbt und sie nicht in seine Hände fällt!"

Der Vodnik hob eine Braue.
"Und wem glauben Sie?"
Der Prinz plusterte sich ein wenig in seinem Sitz auf.
"Niemanden natürlich! Ich falle auf solches Geschwätz von alten Weibern und Greisen doch nicht herein! Obwohl, was Rostova gesagt hat..."
Er kam nicht weit, denn ein Heulen tönte durch die Nacht, als schimmernde Bälle in den Himmel schossen.

Beide drängten sich an die kleinen Fenster, als die bunten Funkten in gewaltige Lichtexplosionen aufplatzen und wie ein Meer aus Diamantenscherben auf die schlafende Stadt hinabregneten

Aber die schillernden Farben waren nicht nur ein Zeugnis von Freude von Ekstase, sondern sie verkündeten ihre Ankunft bei niemand geringerem als dem Prinzen Orlofsky, einer Altingrads bezeichnendsten Persönlichkeiten.
Es war die größte Party des Jahres.
Aber jede Party bei Orlofsky war die größte Party des Jahres.
Dabei verstrich keine Woche, wo der Prinz nicht den Höhepunkt eben jenes zelebrierte.
"Blamieren Sie mich ja nicht vor dem Prinz!", zischte Vasilij ihm zu, "Wer weiß, wann mich Mama wieder gehen lässt!"

"Das würde mir nicht einmal in meinem kühnsten Traum einfallen, Hoheit."
Vielleicht, so überlegte Kostja, hatte man ihn nicht wegen dem Ved'mak zur Begleitung auserwählt . Möglicherweise hing es eher damit zusammen, dass der liebe Vasja nach seinem letzten ... abendlichen Manöver so vollgelaufen war, dass er auf den Thron selbst gereiert hatte.

Knarzend hielt die imperiale Kutsche an, da schwang sich Kostja zuerst aus der Kutsche und schnippte mit den Fingern.

Die Regentropfen über ihnen stoppten noch im Fall.
Wie von unsichtbarer Hand formte sich eine winzige Kuppel aus Nichts über seinen Kopf, an dessen Seiten die Wassermassen abperlten.
Sofort sprang Vasilij herab, machte einen entschlossenen Schritt nach vorne - und wurde sogleich von Kostjas Griff um seinen Arm zurückgerissen.
"Was soll-", heischte er Kostja schon an, doch der deutete nur auf den Boden- und die schlammige Pfütze vor ihnen.

"Meine armen Schuhe!", jaulte der Prinz und warf sich sofort wie ein Klammeräffchen an Kostjas Brust.
Versteift und mehr strauchelnd als gehend schob er sie beide an der Pfütze vorbei und den Kiesweg zum Orlofsky'schen Herrenhaus hinauf.

Es war eher ein Palast errichtet aus Glas.
Schwere Marmorsäulen flankierten den Eingang, Kristalleuchter blitzten in den schlanken Zypressen am Wegesrand auf, während sich in den Fenstern nicht nur die bunten Feuerwerke spiegelten, sondern bereits die Lichter der Feier strahlten.
Die zwei erklommen die hellen Stufen und schritten durch die prächtige Pforte des Hauses in den ersten Saal, da schlug ihnen der Gestank von Alkohol, süßem Parfum und Schweiß entgegen.
Ihr Ursprung war nicht schwer zu finden: Eine gewaltige, zuckende Masse aus Leibern in der schönsten von Altingrads Ekstasen.

Kostja wäre am liebsten davongelaufen.
Aber dafür war es wohl reichlich spät.

"Willkommen, willkommen!", dröhnte da eine Stimme über ihnen, hallte an den hohen Decken und brachte die zappelnde Menge für den Sekundenbruchteil zum Verstummen.
Stirnrunzelnd richtete sich Kostjas Blick nach oben - und er wäre am liebsten in Ohnmacht gefallen.

Da war er, Prinz Orlofsky in seiner ganzen Herrlichkeit, hemdlos und mit blanker Brust, wie er auf einem prächtigen Kronleuchter hin und her schwang und triumphierend eine halbvolle Flasche Avonçant in die Luft reckte.
Das stand so nicht in Konstantins Arbeitsvertrag.
Obwohl... hatte er überhaupt einen Arbeitsvertrag?

Vor Freude quietschend stürzte sich Vasilij bereits in die Menge und Kostja wollte hinterher, da hatte ihm ein viel zu frivol gekleideter Dienstbote ein Glas Avoncant in die Hand gedrückt.
Kostja stutzte.
Trug der Mann etwa... ein Häschenkostüm?
Und viel wichtiger:
Wo war seine verdammte Hose?
Und: Wo bei Kresnik war Vasilij?

Weg, das waf die einfache Antwort, als Kostja im Gedränge schon tiefer in die Hallen von Lust ud Hedonismus gespült wurde.

Was auch immer das hier für ein Fiebertraum war, alsbald fand sich Kostja am Rande der Tanzfläche stehen, möglichst weit an die Wand gedrückt und das noch immer randvolle Glas Avonçant in seiner zittrigen Hand.
So stand er da, die Stirn schweißig in dem hiflosen Versuch, möglichst abweisend zu gucken, damit ja niemand ihn in so ein Debakel wie sozialen Kontakt verwickelte. Um diese zu beschreiben, bediente er sich sehr gerne der vargischen Höllenvorstellung.
Glücklicherweise tat die Uniform der Kresniknina ihre Wirkung.

Aber das änderte noch lange nichts an seinem dringlichsen Problem.
Sein finsterer Blick durchborhte weiterhin das Glas, als können seine Augen allein den Schaumwein verdampfen.
Aber nichts tat sich.
Hinter seiner Stirn ratterte es.
Wegtrinken?
Seine Kehle schnürte sich zu.
Das stand außer Frage.
Das Glas knackte gefährlich bei seinem Klammergriff.

Er könnte es in den nächsten Pflanzkübel schütten.
Aber der nächste war fünfzehn Meter und eine tanzende Masse entfernt...
Dem Hündchen der Gräfin Rostova einflößen?

Sein Glas mit dem leeren eines anderen austauschen?
Ja, das könnte vielleicht funktionieren...
Wenn Ergena ihn manchmal auf die Einladung des Grafen Lisitsyn hin in das Lokal "Zum güldenen Bären" mitschleppte, sah er manchmal einen blonden, mürrischen Polkovnik genau diese Taktik erfolgreich anwenden und-

"Wie können Sie es wagen?"
Der Schrei zerfetzte die Luft, Kostja zuckte aus seiner Trance und allein seiner soldatischen Ausbildung verdanken, dass er einer durch die Luft zischenden Flasche entweichen konnte,
Das Geschoss zerschellte an der Wand hinter ihm. Avonçant schwappte um seine Stiefel. Es knallte.

Kostja wirbelte herum, seine Augen zuckten durch die Menge und seine Hand hatte bereits die Kresnik-Pistole gezogen, da türmte sich schon Orlofsky vor ihm, bereits bewaffnet mit einer weiteren Flasche.
Allgemeines Keuchen stob um ihn auf.
Eine alte Matrone fiel in Ohnmacht.
Niemand fing sie auf - außer der Boden.

"Wie können Sie es wagen!", widerholte der Prinz erneut erzürnt, Glücklicherweise mittlerweile bedeckt von einer -leider Kresnik noch immer offenen-Uniformjacke.

"Ich- ich stehe hier nur!", protestierte Kostja hiflos, aber das schien den Zorn der Bestie nur weiter anzufachen.

"Genau das ist das Problem", fauchte der Prinz ihn nur an, überbrückte die Distanz zwischen ihnen und riss dem perplexen Vodnik schamlos die eigene Waffe aus der Hand. "Es ist bei mir so Sitte, dass sich jeder köstlich amüsiert. Warum Sie nicht? Wo ist der Avoncant? Wo die Frauen?"

"Ich trinke nicht."
Und Frauen? Was sollte er damit bitteschön machen? Anmalen?

Sogleich wurde Orlofsky bleich.
"Das kann nicht sein!"

Kostja rümpfte die Nase.
Sollte der Prinz doch dahingehen, wo die kellischen Würstel wuchsen!
"Vielleicht ennuyieren Sie mich einfach nur", erwiderte er spitz und wie getroffen schnappte Orlofsky nach Luft. Sein Gesicht war schlagartig kreidebleich geworden.
"Ich? Langweilig?", hauchte er, da schoss mit einem Mal die Stichflamme des Widerstands durch seinen Geist und Körper.

"Meine allerliebste Prinzessin", trällerte er da und winkte Richtung Menge. "Meine Liebe, ich bin verzweifelt! Allein eine Heilig kann uns erreten!"

Und eine Heilige kam.
Vielleicht war es das Rascheln der schönen hellblauen Seide, vielleicht die funkelnden Perlen in ihrem Haar oder vielleicht diese warme Aura, die heller leuchtete als jeder Heiligenschein, aber Zinaïda Chervenkova stach aus dieser Menge hervor wie eine einzelne Flamme bei Nacht.
Kostjas Herz rutschte. Natürlich kannte er sie. So wie er jeden Angehörigen einer Familie kannte, dessen Schutz sein einziger Existenzgrund war.

"Mein lieber Orlofsky, was ist denn?"

"Er!", rief Orlofsky und packte Kostja an den Schultern. "Er ist passiert!"

Der Gardist wollte schon widersprechen, da verpasste der Prinz ihm einen deftigen Stoß und er stolperte der Zarewna regelrecht in die Arme.
Es war wahrlich nur dem Griff einer Heiligen zu verdanken, dass seine Visage keine nähere Bekanntschaft mit den Marmorfliesen schloss.

"Stellen Sie es sich nur vor!", lamentierte er weiter. "Mein lieber Freund hier wollte die Mazurka tanzen! Aber der Arme traut sich einfach nicht, zu fragen! Helfen Sie bitte dieser armen Seele!"

Die Zarewna nickte ernst - und Grauen kroch Kostjas Nacken herauf.
"Nein", wollte er sagen, aber kein Laut entwich, allein seine blassen Lippen verformten sich hilflos.
Was auch immer er hatte sagen wollen oder können, das plötzliche Dröhnen der Musik verschluckte jeden Laut, da packte Zinaida seine Hände.

"Ist das nicht ein schönes Stück?", flötete sie und zog ihn auf die Tanzfläche und er sah nur, wie Orlofsky ihnen hämisch hinterher winkte."Manch ein Orchester im Ozvienskij Theater hätte es nicht schöner spielen können!"
Für einen Moment starrte er sie ziemlich perplex, verstört und irritiert an, bevor er hervorbrachte:
"Ge-Genau. Wirklich beachtlich. Ein Phänomen. Sehr beeindruckend."

In diesem Moment dankte er Alanis innerlich dafür, ihn Stunden seiner Jugend mit Etiketten und Tanzstunden zu quälen, auch wenn man ihm kurz davor beim Exerzieren alle Knochen gebrochen und jedes Glied zerschlagen hatte. Sonst wäre er sogleich über die eigenen Füße gestolpert und auf die Zarewna gefallen als er sie an der Hand führte.

"Sie sagen Worte, mein Lieber", neckte die Zarewna ihn nur.
Hitze schoss in seine Kopf.
"Verzeihung", nuschelte er leise. "Ich bin weder ein Freund von Musik, noch von Feiern."

"Aber Sie sind ein Freund davon, mürrisch in der Ecke zu stehen?"
Oh, er hatte viele Freuden im Leben.
Beispielsweise den Prinzen Orlofsky restlos entsaften.

Fast schon beleidigt schürzte er die Lippen, als er die Zarewna in die nächste Form führte.
"Sie wissen gar nicht, wie sympathisch Ecken sind", korrigierte er sie."Außerdem habe ich an einer Wand gestanden, nicht in einer Ecke, das ist ein Unterschied. Würden Sie etwa ein echtes Karasinski in eine Ecke hängen?"

"Sie sind also die Muse der Kunst?"

"Kunst ist hübsch und - wenn gut gemacht- sagt etwas zum kulturellen und historischen Kontext ihrer Entstehung aus."
Außerdem, so hatte er festgestellt, konnte ein langer Monolog über die Entdeckung der Farb-und Luftperpsektive, statt allein der Bedeutungsperspektive der alten Tage, eine gute Taktik sein, noch die persistentesten Feinde der Zarenfamilie in die Flucht zu schlagen... genauso wie die Zarenfamilie selbst.

"Wisssem Sie", setzte sie an, als sie sich beide Unterarme überkreuzt im Kreis drehten, "Orlofsky ist auch Sammler! Nun, vielleicht nicht unbedingt aus Leidenschaft un Kunstliebe heraus."

"Sondern aus Prestige?"
Sie zuckte mit den Schultern.
"Er langweilt sich. Konsum jeglicher Art hilft."

Doch plötzlich hellte sich ihre Miene auf.
"Val- Ich meine natürlich, Graf Lisitsyn meint sogar, Orlofsky hätte die Scheide dieses Dolchs, der letztens gestohlen wurde! Ist das nicht spannend?"

Die Worte waren wie ein Schlag in die Magengrube. Kostja stolperte, geriet aus dem Takt und wankte gefährlich, da packte ihn die Zarewna fester und nahm unauffällig die Führung an sich.
"Alles in Ordnung?", raunte sie ihm zu.
"Nur kurzer Schwindel", gab er eine Spur zu hastig zurück.
"Brauchen Sie frische Luft? Etwas zu trinken?"
Er schüttelte den Kopf.
Er war nicht schwach. Er war kein Kind mehr. Dabei wollte er in diesem Moment nichts sehnlicher als die Nase im Fell eines Kätzchens zu vergraben.
Schnell wechselte er das Thema.

"Und diese Scheide? Wie ist der Prinz daran gekommen? Ich dachte, dieser Händler wäre im alleinigen Besitz?"
"Oh, das ist ja das ganze Spektakel", berichtete sie mit blitzenden Augen. "Also Lisitsyn hat nur erzähllt, was Orlofsky ihm beim letzten Treffen der velischen Avonçant-Aktionäre erzählt hat. Orlofsky war nämlich bei der Auktion anwesend, wo der Dolch verkauft wurde. Und weil dieser reiche Kaufmann seiner Meinung nach Ihn durch fehlendes Trinken und Rumjammern beleidigt hätte... Nun, Aus Spaß und purer Langeweile trieb er den Preis so hoch, dass er nahezu unbezahlbar war. Können Sie das glauben?"

"Bei ihm? Nur zu gut", brummte er.

"Der dritte Bieter - wer weiß, wer das war- ist schon zu Beginn ausgestiegen. Am Ende konnte Novikov die Scheide nicht einmal mehr bezahlen! Und der entervte Auktionär hätte Orlofsky wohl umgebracht, hätte er nichts gekauft!"

Novikov hatte also sein halbes Vermögen aufgebracht, das kurze Zeit später gestohlen wurde?
Scharf zog er die Luft ein. Bitter.
Doch bevor er etwas andere hätte erwidern können, riss die Musik ab und ihre Finger löseten sich voneinander.

"Es war mir eine Ehre", murmelte er und neigte kurz den Kopf.

"Sie war ganz auf meiner Seite."
So standen sie noch für einen Moment da, nicht mehr gefangen in diesem Ritual aus Bewegung, da fühlte Kostja die Blicke.
Oder eher, wie sie ihn durchborhten.

Oh, er kannte sie. Mittlerweile kannte er sie zu gut.

Sie legten sich glühend auf die schwarze Uniform und verschlangen das gold-silberne Sonnenrad.
Sie sahen Kostja an und doch sahen sie durch ihn hindurch, denn sie sahen nur den Kresnik.

"Mama, sieh doch", hörte er eine Mädchen - noch zu jung für eine Debütantin- murmeln und sah, wie sich ihre Hände um einen Talisman klammerten,
Sofort versteifte er sich.

Ein Scheppern. Dann ein Klirren. Ein Hauch eines Geräuchs, kaum merkbar und doch so fremd in dieser Kakophonie aus Ekstase.

Etwas in ihm erstarrte.

Das Geräusch war ihm vertraut. Hatte es sich doch in dieser einen Nacht, am Tag seines Todes und Wiedergeburt, in sein Gehirn gebrannt.

Instinktiv wirbelte sein Blick zu Orlofskys markanter Gestalt. Doch der baumelte nur wieder fröhlich von seinem Kronleuchter, seine Hände aber waren leer. Keine Flasche Avoncant, auch keine verräterischen weiteren Scherben auf dem Boden.
Nicht in diesem Raum.

Sein Blick zuckte nach draußen. Schwärze ergoss sich über Orlofskys Lustgarten und allein die Fenster seines Anwesens funkelten golden gegen die Nachthimmel.
Keine Sterne, kein Mond, stattdessen die scharfen Silhouetten von zerschlagenm Glas in dem honigfarbenen Licht.
Doch auch etwas anderes war nicht mehr in diesem Raum, realisierte er mit Grauen.
Die Prinzessin!

Doch als sein Blick das Farbenmeer abtastete, erkannte er ihre vertraute, unverkennbare Gestalt, wie sie sich klammheimlich durch eine Seitentür in die Nacht schob.
Heilige!
Er unterdrückte ein Fluchen, dann schaltete die Konditionierung.
Unter seiner Anwesenheit würde er nämlich definitiv nicht zulassen, dass die Prinzessin sich in irgendwelche Gefahr, unsittliche Situation oder beides manövrierte. Diese Gerüchte um Lisitsyn waren schon explosiv genug, die Chervenkovs brauchten nicht noch den nächsten Skandal am Hals.
Und wenn er ganz ehrlich war, so gestand er sich ein, wollte sein Herz nichts anderes, als diesem SPektakel zu entfliehen.

So hastete er sich durch die Masse Richtung dem verräterischen Hinterausgang.
Reflexartig wichen einige sofort vor ihm zurück, anderen entschlüpfte er geschickt aus und schon im nächsten Moment stürzte er auf die Terrasse und eisige Nachtluft küsste seine Wangen.
Dann sah er sie.

Der helle Stoff ihres Gewands flatterte phantomhaft in der Nacht, direkt hinter einem Schatten, dem sie stolpernd hinterherjagdte.
Ein Mann, erkannte er da.
Für einen Moment wollte sein Herz aussetzen.

"Hoheit!" Seine Stimme zerriss sie Stille der Nacht. Panik jagte jede Silbe in die Höhe.
Aber die Zarewna warf nur einen knappen Blick nach hinten, dann rief sie:"Na los, kommen Sie!"
Das ließ er sich wahrlich nicht zweimal sagen, denn schon sprintete er ihr alarmiert hinterher.
Im nächsten Moment knallte ein weiteres Stiefelpaar hinter ihm auf das Pflaster.

"Laufen Sie etwa weg?", rief Orlosky keuchend, Empörung schrillte in seiner Stimme. Niemand verlässt ungefragt meine Party, außer ich werfe Sie höchstpersönlich heraus!"
So rannten Zarewna, Kresnik und Prinz den kleinen Hang herab.
Alles wegen einem kleinen Schatten.

Dreck spritzte und mit jedem Schritt schlitterte er weiter über Schlamm, aber er wagte es nicht, seine Schritte zu entschleunigen.
Dann geschah es schon.
Stolpernd machte die Zinaïda einen Satz nach vorne, streckte ihre Hände aus und jeden Moment schienen ihre Fingerkuppen den Mantel des Fremden zu streifen, ja zu packen-

Kostjas Warnschrei kam nicht rechtzeitig.

Der Schatten war verschluckt von der Dunkelheit, stattdessen schoss eine Kreatur aus dem Boden, weiß blitzte auf und eine gewaltige Gestalt bäumte sich in den Nachthimmel.

Drekavac.

Ein markerschütternder Schrei zerfetzte die Nacht. Kostja presste die Hände auf die Ohren und Grauen erfüllte jede Faser seines Körpers, als das Monster sich krümmte.
Bereit, sich auf die Prinzessin zu stürzen.
Er handelte einfach.
Seine Hand schoss vor.
Im nächsten Moment erstarrte der Regen in der Luft, als Speere aus Eis die Kreatur durchbohrten.

Zumindest sollten sie das.
Hätten es tun sollen.
Stattdessen schnitt Eis nur wie ein Messer durch Nebel.
Eine Illusion.
Und es gab nur einer Quelle, der sie entspringen konnte.
"Ved'mak", stieß er aus, da war es bereits zu spät, als eine Gestalt aus nichts und Schatten schoss und mit voller Kraft in Kostja krachte.

Sie stürzten in einem Knäuel aus Gliedmaßen zu Boden.

In einem letzten klaren Moment schmetterte er seine Faust in das Gesicht des Ved'mak und sofort echote ein Knacken in seinen Ohren.
Heißes Blut traf ihn und für einen Moment schaffte er es, eine Hand zu befreien, doch das Momentum des Angreifers pinnte seine schmalen Körper zu Boden.
Ein Unterarm rammte seinen ganzen Brustkorb zu Boden, sogleich flackerten helle Lichter vor seinen Augen und hinter ihm hörte er entsetzte Rufe, aber seine Augen konnte sich auf nur eine Sache konzentrieren:
Das Messer über ihm.

Hell wie eine Mondsichel funkelte die rasiermesserscharfe Klinge in der Luft. Bereit, sich in ihn zu bohren.
Endgültig.
Das war es also.
Was eine erbärmliche Art zu sterben, schoss es ihm durch den Kopf, als der Stahl wie das Schwert eines Henkers auf ihn herabfuhr.
Aber er starb nicht.
Heißer Schmerz schoss durch seine Wange, als sich das Metall schmatzend in die Erde neben ihm bohrte.
Statt dem Maul der Schlange, blickte nur das Gesicht eines Geistes auf ihn herab.
Aschfahl, nahezu konturlose Züge und Augen, die so schrecklich bleich und hell waren.
Die schmalen Lippen formten aber nur ein nahezu lautloses:
"Georgij?"

Kostjas Herz setzte einen Schlag aus. Ein Zucken wanderte durch seine Brust, schlimmer als es der Messerstich hätte sein können, aber alles, was er über die Lippen bekam, war ein verwirrtes:"Was?"

Doch in diesem Moment der Unachtsamkeit hatte Konstantin eine Hand aus der festen Umklammerung befreit - und ballte seine Finger zu einer Faust.
Heulend wich der Angreifer zurück, als alle Flüssigkeit aus seinem Körper gepresst wurde.

Der Druck glitt von seinem Körper, er sprang auf wankende Füße und gerade wollte Kostja zum finalen Schlag ausholen, da brannte sich gleißendes Licht auf seine Lieder.
Taumelnd stolperte er zurück, doch als er die Augen aufriss, war da nichts mehr.

Der Ved'mak war wie vom Erdboden verschluckt. Getilgt von der Welt.

Allein die gläserne Dolchscheide klapperte vor ihm auf den Boden - und Kostja fiel auf selbigen keuchend auf die Knie.
Sein Herz raste und bevor sein Hirn sich auch nur hatte einschalten können, spürte er feuchtes Gras Hinterkopf und Rücken kitzeln.
Am liebsten hätte er sich einfach übergeben.

"Bei Kresnik!", zerschnitt da eine Stimme die Nacht.
Orlofsky. Aber mindestens eine Oktave zu hoch. "Was war das?"
*Das wüsste ich auch gerne*
Er wollte etwas sagen, aber kein Ton entkam seinen Lippen.
Es war nicht einmal die Situation, schwor er sich selbst. Er hatte schon deutlich schlimmeres gesehen - erlebt gar - und doch...
Da plumpste schon Orlofsky neben ihm auf den Boden und packte Kostjas Schultern.
"Also wirklich", schimpfte er und gab Kostja einen Klaps auf die Wange. "Ich mag es ja wirklich, wenn hübsche Männer vor mir liegen. Aber Sie sind definitiv zu bekleidet dafür und nicht in meinem Bett!"
Kerzengerade schoss Kostja bei diesen Worten in die Höhe und funkelte den Prinzen mit glühenden Wangen an - der lachte aber nur.
Doch selbst er Laut erstickte, als aus dem Schatten eine weitere Person... gewankt kam?
"Hoheit-", stieß der Kresnik aus, da strauchelte die Prinzessin gefährlich und mit einem Satz nach vorne fing der Gardist sie auf.
Wenigstens ein kleiner Erfolg bei diesem... diesem Desaster.
Erst langsam wollte sein Hirn die letzten Minuten begreifen, aber umso mehr legte sich eine Erkenntnis um seine Brust.

Wäre er in irgendeinem gewöhnlichen Arbetsverhältnis, jeder Vorgesetzter hätte ihn spätestens jetzt vor die Tür gesetzt.
Er hatte nicht nur die Zarewna aus den Augen verloren - von Vasilij ganz zu schweigen, auch hatte er sie mit dem Kopf voran in eine Gefahr stürmen lassen. Zum krönenden Abschluss wäre er beinahe noch selbst direkt vor ihren Füßen krepiert.

Was hätte dann noch zwischen ihr und... und diesem Monster gestanden? Orlofsky etwa?
Vielleicht lag Vasilij mit der Verbannung auf die geteilte Insel gar nicht mal so falsch.

Doch er schob diese Sorgen beiseite, stattdessen fragte er sie:"Wie geht es Ihnen? Sind Sie verletzt?"
"Es ist nichts, keine -" Sie zischte, dann klammerte sie sich an Kostjas Schulter fest.
"Vielleicht war es nicht einer meiner lichtesten Momente, in Schuhwerk für den Ball einen glitschnassen Hügel herabzusprinten, als würde mich die Schlange höchstselbst verfolgen."

Mit einem Blick auf ihren Zustand stieß Kostja nur ein zustimmendes Brummen aus.
Der Saum ihres Kleides war vollgesogen mit Schlamm, grüne Verfärbungen hatten Abdrücke auf dem edlen Stoff hinterlassen und ein Riss legte ihren gesamten rechten Arm frei.
Betrachtete man das nicht gerade unauffällige Humpeln... Nun, der Vorfall allein könnte die Sehnsucht nach Tratsch des velischen Hofes für ein ganzes halbes Jahr befriedigen.

"Wir müssen Sie zurück ins Haus bringen. Unauffällig", meinte Kostja. "Orlofsky, wissen Sie-"

"Ruhe? In meinem Haus? Um die Zeit?" Er lachte hysterisch. "In jeder Nische lungert es nur so vor... vor Aktivitäten. Obwohl-"
Er warf einen Blick über seine Schultern zu den golden illuminierten Fassaden.
"Der Eingang. Niemand würde es wagen - absolut niemand!- die Feier zu verlassen. Die Diener lassen jetzt noch keinen da raus. Und modisches Zuspätkommen geht auch nur so weit. Niemand will sich zu viel hiervon entgehen lassen."

"Das ist Ihre ganz persönliche, sehr subjektive Meinung", brummte Kostja nur.
Orlofsky zog eine Grimasse in seine Richtung, dann ergänzte er nachdrücklich:
"Von dort bekämen wir Sie auch schnellstmöglich in eine Kutsche..."

Kresnik und Zarewna tauschten einen zweifelnden Blick aus, dann nickte sie ihm zu.
Viel Wahl schienen sie aber nicht zu haben.

So schlichen sich Prinz, Zarewna und Kresnik im Schatten des Garten und abseits von Prunk und Gloria durch den Schlamm, bis sie - Zinaida gestützt auf Kostja- durch einen Dienstboteneingang in das Vestibül huschten.
Still und verlassen lag es vor ihren Füßen. Allein kalter Marmor starrte ihnen entgegen, gemeinsam mit dem leisen Rascheln prächtig bunt bemalter Papierschnipsel, die jeder ihrer Schritte aufwirbelte.
Wie Orlofsky prophezeit hatte, wagte sich keine Menschenseele herein - allein dumpfer Feierlärm drang durch die nun verschlossenen Türen zu ihnen hindurch.
Vollends humpelten die drei ramponierten Gestalten aus ihrer Nische und auf den Ausgang zu, da setzte Orlofsky noch zu einem "Na, hab ich's nicht gesagt?" an und-

Krachend schlugen die Türflügel auf.
Und als Orlofsky sah, wer da kam, kippte ihm gleich das schmierige Grinsen vom Gesicht.
Scheinbar war heute ein besonders langer, der Pflicht geschuldeter Abend gewesen.
Und scheinbar hatte man zusätzlich der gesellschaftlichen Pflicht nachkommen wollen, zumindest den grimmigen Kopf einmal in die feucht-fröhliche Feier zu stecken und sich zu versichern, dass gewisse Generalleutnants nicht vollkommen den Ruf der eigenen Organisation zerstörten.

So marschierte der Feldmarschall Wieworka mit ganzem Stab und all der nötigen Würde auf - und platzte in die perfekte Katastrophe.

Vor dem Militär  stand da niemand geringeres als Prinz Orlofsky mit nichts als einer offenen Uniformjacke über seiner nackten Brust und einer Flasche Avoncant in der Hand (wo kam die denn plötzlich her?), der Zarewna und lebeden Heiligen höchstselbst in einem zerrissenen, verdreckten Kleid und Arm in Arm mit einem ziemlich mitgenommenen Kresnikninamitglied.
"Hallo, Eichhörnchen", brachte Orlofsky noch hervor.

Das letzte, was Kostja sah, war wie der Generalfeldmarschall beschämt und empört den Mund aufriss, bevor der Kresnik selbst in Ohmacht fiel und dramatisch auf dem Boden zusammenbrach.

Dieses Kapitel ist objektiv zu lang, aber hey, dafür existieren jetzt in dieser alternativen Zeitlinie Avonçant-Aktionäre :'D

Und shout out an Kostjas liebstes Hobby "Von Ved'mak" niedergeschlagen werden + Trauma.

Durch Union of Salvation habe ich jedoch noch eine Frage.
*Räusper*
Waren sich die Filmmacher bewusst, was sie hier getan haben?

So gucken sich Misha und Valja an und nothing can change my mind.

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