Güldener Bär, silberner Blitz

"Darf man- Darf man der Herrschaft etwas bringen? Edelsten- Edelsten Avonçant oder aspravischen Wodka, wenn es beliebt?"

Vielleicht war es die piepsende Stimme des Lakaien, vielleicht war es die Weise, wie sein Blick fiebrig von Kostjas Augen zu dem Sonnenrad an seiner Uniform zuckte, aber der Kresnik wäre am liebsten in den hübschen Dielen des Lokals versunken.
Stattdessen aber verhärtete sich seine Miene zu der üblichen leicht unterkühlten Maske.

"Nein danke, wenn Sie nun bitte entschuldigen."
Ohne auch nur irgendeine Reaktion abzuwarten, rauschte Konstantin davon. Manch einer hätte eine gewisse Arroganz in seiner Haltung lesen können, bei genauerem Blick aber sah man das nervöse Zucken seiner Hände, als er durch einen roten Samtvorhang in die Bar des famosen Güldenen Bären entschlüpfte.
Eine Wolke aus herben Alkohol, Schweiß und Zigarettenqualm schlug ihm sofort entgegen.
Am liebsten hätte er auf dem Absatz kehrt gemacht.

Kostja konnte nicht von sich behaupten, oft in solchen Etablissement zu sein. Noch seltener war er dort aus eigener Motivation. Meistens hatten ihn nämlich Ergena oder Anatol mitgeschliffen.
Noch nie aber war er auf solche Weise an einen Ort wie diesen gespült worden.

Trotzdem straffte er die Schulter, strich sich eine widerspenstige schwarze Locke aus der Stirn und marschierte in das weiche Licht der Gaslampen mit dem stummen Stoßgebet auf den Lippen, niemand bemerke den Anflug der Unsicherheit auf seinen Zügen.
Hilflos glitt sein Blick über die Besucher und die hübschen Tische und Sessel.

Wo bist du?, hätte er am liebsten gerufen, aber er wusste nicht einmal, an wen genau er die Worte richten sollte oder wer sich genau hinter der schnörkeligen Handschrift verbarg. Auch wenn ihn eine beklemmende Vermutung dahingehend beschlich. Oh, was mussten ihn die Chervenkovs hassen.

Und doch... und doch als er sich zögerlich seinen Weg in die Stube bahnte, überkam den jungen Kresnik eine stumme Faszination. Zu seiner linken hockte eine schallend lachende Gruppen aus Soldaten - bunt gemischt, Offizier feierte mit Korporal, der Feldwebel soff mit dem Oberst, ja, selbst General wettete mit Unteroffizier. Direkt daneben eine ältere Dame mit gewaltigem Hut und tief ausgeschnittenen Seidenkleid. An einer anderen Tischgruppe wiederum saß eine Gruppe einfacher Leute mit billigem Gesöff, sogar ein Künstlerkollektiv gab sich dem Rausch der grünen Fee hin.

Aber es war ein fragiler Traum. Höchstens.

Spätestens hinter der Schwelle des Güldenen Bärs wurde das Volk der Besitzerin im Auge der Menschen wieder zu hinterhältigem Abschaum, der Arbeiter zum Spielfigürchen der Mächtigen und der Fabrikant zum Tyrann. Selbst die Soldaten würden sich wohl früher oder später entsinnen, dass sie an einem solchen Frieden kaum interessiert sein können, würde er sie doch arbeitslos machen.

Dann endlich sah er es. Eine kleine Bewegung in seinem Augenwinkel.

Ruckartig fuhr sein Kopf herum - und erspähte sogleich eine kleine, weibliche Gestalt am hintersten Tisch, die ihm einen leichten Wink mit der Hand gab.
Gerade wollte er die Stirn runzeln, da träufelte ein goldener Lichtstrang eines Kandelabers unter den Schatten ihrer Schiebermütze.

Sogleich erstarrte Konstantin.
Oh nein.
Das konnte nicht sein. Durfte nicht und doch war es.
Die lebende Heilige und Zesarewna Zinaïda, direkt dort, in Fleisch und Blut zwischen Kriminellen und Kleinbürgern, in Baumwolle statt Seide und Scheibermütze statt Diadem.
Er musste träumen. Hätte er nur nicht an dem kellischen Lebkuchen genascht, den Anatol letztens über die Grenze geschmuggelt hatte...
Doch selbst ein Blinzeln klärte seine Sicht nicht.

Kostja erlaubte sich nicht, noch länger zu zögern. Seine Füße setzten sich in Bewegung und hastete mit knallenden Sohlen auf die Gestalt zu.
Er kam nicht weit.

Konstantin spürte das Prickeln ihrer Magie im Nacken- diese knisternde Elektrizität, die durch Mark und Bein fuhr - bevor Ergena Zatsepinas spitze Finger sich in seine Schultern gruben und ihn herumwirbelten.
Im nächsten Herzschlag sah er sich ihrer von Zorn verzerrten Fratze entgegen.
Da stand sie fast einen halben Kopf kleiner als er und blickte doch von hoch oben auf ihn hinab. Unverholener Ekel war auf die gekräuselten Lippen gelegt.

Keine Sekunde später klatschte sie ihre Hand in sein Gesicht.
Es riss ihn halb herum, brennender Schmerz flammte in seiner Wange und er zischte. Wie benommen taumelte er einen Schritt zurück und packte sich instinktiv ins Gesicht.
Hinter ihm waren alle Gespräche verstummt.

"Was-Was sollte das?", brachte er nur hervor, nur um verwirrt auf die Blutschliere zu starren, die seine Fingerspitzen bedeckten.
Ihre spitzen Fingernägel, realisierte er da. Die spitzen Nägel hatten seine Wange zerkratzt.

Die Überraschung hatte kaum geschafft, sein Herz zu packen, da zischte es schon zu ihm hinab:
"Wie konnten Sie nur?"

"Pardon?" Das Wort schlüpfte über seine Lippen, noch bevor er die Situation ganz begriff. Scheinbar genug, damit Ergenas stechend blaue Augen noch mehr zu funkelndem Eis gefroren. Oh, sie schien ihn regelrecht in kalten Gewässern ertränken zu wollen - oder einen Dolch in seine Brust rammen.

"Sie wissen ganz genau, was ich meine!", fauchte sie. "Die Fürstin! Sie haben sich erdreistet- Sich dazu hinabgelassen- Wie konnten Sie nur Ihren Ruf und den unserer Garde so durch den Schmutz ziehen, Konstantin? Anatolenko hat uns doch immer vor... vor so was gewarnt!"

"Die Fürstin-" Er unterbrach sich selbst, als Grauen und Erkenntnis ihn überfielen. Sein bleiches Gesicht wurde noch eine Spur bleicher, dann brach er in nervöses Gackern aus. "Sie glauben doch nicht wirklich, dass etwas an den Gerüchten wahr ist? Dass ich und Bálint wirklich... Das getan hätten? Magie im Bett ist nun wirklich nicht mein Spezialgebiet."

Das schien sie aber nur noch mehr in Rage zu versetzen. Oh, denn Kostja kannte nur die Hälfte aller Gerüchte und von diesen nur die Hälfte in ihrer ganzen erschreckenden Gänze.

"Sie leugnen es also? Man hat Sie gesehen. Mit ihr. Oh Khorsalkin, was haben Sie nur für eine schreckliche Torheit begannen. Dabei sollte ich es sein, die die Fürstin-"

"Kapitan, bitte-"

"Wissen Sie was?" Ihre Lippen verzogen sich zu einem Lächeln wie mit Dolchen in ihr Gesicht geritzt, während ihre Stimme den Klang von süßestem Zucker annahm. "Vielleicht sollte ich Ihre Versetzung beantragen. Ins aspravische Gebirge für hübsche zwei Monate. Vielleicht ein Jährchen. Dann haben Sie genug Zeit zum Nachdenken. Nur wäre es eine Schande, wenn Sie dort in einen Sturm geraten würden, der sie vom höchsten Gipfel direkt in den Stenwald fegt."
Ihm - und keinem der Beobachter- entging das Zischen winziger Blitze um ihre Finger.

Konstantin riss sogleich den Mund auf, um sich zu verteidigen und zu leugnen, da unterbrach ein Räuspern die zwei Kresniki.
"Kapitan, Leutnant, ich bezweifle, dass dieses Spektakel hier zielführend ist. Bewahren Sie sich doch wenigstens einen Fetzen Würde."

Ergenas Kopf wirbelte zu dem Unbekannten herum - und auch Kostjas Brauen schossen bei seinem Anblick in die Höhe.
Der Mann trug die Offiziersuniform der Armee, doch es war sein Gesicht, das das meiste Aufsehen erregte.
Erfahrung und Schlachten hatten darauf Spuren gelassen. Eine lange Narbe zog sich über seine Wange, sogar ein Teil seines Nasenflügels fehlte. Vielleicht ein Hinweis dafür, wieso die jungen Kresniki nicht einmal seine Wimpern zum Zucken brachte, hatte er doch schon bereits weitaus schlimmere Stürme und Fluten des Lebens gesehen.

Die Kresnitsa schnaubte.
"Wie auch immer."
Sie hatte kaum geendet, da rauschte sie schon mit wehenden Strähnen davon.

Kostja machte in Ermangelung einer passenden Phrase eine wage Geste des Dankes in Richtung des Offiziers - ebenfalls ein Kapitan. War eine denn nicht genug?
"Danke. Vielmals", presste er noch irgendwie hervor, dann schlug es ihn schon in die Flucht.

Wie eine klatschnasse Katze und mit Wangen gerötet durch weitaus mehr als diese Backpfeife schlich er zu der Heiligen und dankte stumm Khors, dass sie sich an den hintersten Tisch verzogen hatte.
Deren Blick zuckte sofort besorgt zu ihm.

"Ihre Wange, der Kapitan-"

"Alles gut."

"Aber Sie sind verletzt!"

"Der Kapitan wird sich beruhigen", brummte er verdrossen und tupfte sich mit einer Serviette das Blut von der Wange. Während der Ausbildung hatte Ergena ihn schon deutlich schlimmer zugerichtet. "Das tut sie immer. Irgendwann."
Hoffentlich tat sie das aber schnell genug, bevor Zatsepina seine Karriere noch mehr ruinierte als ohnehin schon.

"Sind Sie sich sicher?"

"Sehr."

Leicht räusperte sie sich da.
"Können Sie es kalt machen?"

Verwirrt blinzelte Kostja. "Was?"

"Na, mein Getränk", meinte sie fast schon entschuldigend und deutete auf das Kristallglas vor ihr. "Meine Eiswürfel sind geschmolzen."

Kostja blinzelte weiter. Diesmal heftiger. Doch als Zinaïda ihn nur auffordernd anblickte, keime Ärger in ihm auf.
"Sie sollten nicht einmal hier sein. Also, Hoheit, was wollen Sie von mir? Sicherlich mehr als ein Erfrischungsgetränk?"

"Jetzt nennen Sie mich nicht so. Nicht hier. Zinaïda reicht."

"Nun, Zinaïda-" Er schluckte. Die Anrede fühlte sich falsch an auf seinen Lippen. "Warum bin ich hier?"

Ein verschwörerischer Ausdruck befiel ihr hübsches Gesicht, als sie sich mit gesenkter Stimme näher zu ihm beugte.
"Der Dolch und dieser Ved'mak bei Orlofsky. Der Mord an diesem pensionierten Kommissar."

"Zwei völlig unabhängige Taten", wehrte er ab, doch sie fiel ihm sogleich ins Wort.

"Wissen Sie, Sie sind ein schrecklicher Lügner. Von jemanden aus Ihren Reihen hätte ich da schon mehr Talent erwartet."
Sie schüttelte den Kopf.
"Für die Politsija zumindest ist das bei diesen Novikovs nicht der Rede, ja nicht mal eine richtige Ermittlung wert. Einfacher Raubmord. Aber wir zwei wissen, dass da mehr hinter steckt."
Sie ließ ihm keine Zeit, überhaupt zu widerspreche.
"Ich hab es in Ihren Augen gesehen. Sie wissen, dass hier etwas falsch ist. Bitte, helfen Sie mir. Helfen Sie mir, das Unrecht aufzudecken und die Heilige zu sein, die die Menschen brauchen."

Sofort versteifte er sich und krampfte sie Hände zusammen.
"Die Aufgabe der Kresniknina umschließt wohl kaum, irgendwelche lachhafte Kriminelle zu suchen."

Der Blick aus den blauen Augen verdunkelte sich. "Aber es ist Aufgabe der Kresniknina, meine Familie zu beschützen, nicht wahr? Dieser Illusionist hätte mich bei Orlofsky umbringen können. Vasja vielleicht auch. Von all den unschuldigen Zivilisten ganz zu schweigen. Ist es nicht Aufgabe der Kresniknina, solche Gefahren mit dem nötigen Ernst zu behandeln und sie dann zu eliminieren?"
Und dann die Worte, die alles aushebelten:"Haben Sie nicht einen Eid geschworen?"

Sie ergriff seine Hände und ließ ihm nicht einmal Zeit, in bodenloser Scham zu versinken.
Er fühlte seine innere Mauer wanken, trotzdem schob er noch schwach hinterher:
"Das ist viel zu riskant. Sie sagen schon ganz richtig, dass dieser Ved'mak Sie hätte töten können. Er wird Sie bei einem zweiten Mal nicht verschonen, wenn Sie ihm direkt vor die Füße laufen. Das kann ich nicht nur nicht unterstützen, ich kann es nicht zulassen."

"Außer wir können ihn dingfest machen, bevor er das tun kann", erwiderte sie grimmig. "Deswegen brauche ich ja auch Sie. Um die Gefahr zu bannen. Und, Konstantin, unterschätzen Sie niemals eine lebende Heilige."
Ihr Blick aus den langen Wimpern wurde weicher.
Doch Konstantin biss sich nur auf die Unterlippe und schwieg.

"Wenn Sie wollen, kann ich Ihnen einen Gefallen tun", setzte sie erneut an. "Ich weiß, mein kleiner Bruder kann sehr anstrengend sein... Auch wenn er im Herzen ein wirklich guter Mensch ist! Sollte es Sie glücklich machen, kann ich auch dafür sorgen, dass man Sie versetzt. In die Militärakademie vielleicht..."

Er stöhnte, entzog ihr seine Hände und massierte seine Schläfen.
Die Militärakademie. Die verdammte Militärakademie. Das klang... fast schon verlockend. Noch verlockender klang aber das darin implizierte Versprechen: Kein Vasilij mehr. Vielleicht nie wieder.

Doch etwas anderes überfiel ihn. Ein Flüstern, das seit zwei Tagen durch seinen Kopf gegeistert war.
Konstantin dachte daran, was der Ved'mak ihm gesagt hatte. Wie er ihn genannt hatte.
Georgij.
Ein eiskalter Schauder glitt seinen Rücken herunter, dicht gefolgt von einer Welle des Ekels.

"Wir können uns einmal das Haus der Novikovs ansehen", gestand er zerknirscht ein. "Vielleicht haben die Behörden etwas übersehen. Oder die Dienstboten etwas überhört. Eingang und Fluchtweg des Täters. All das."

Freudenstrahlend nahm sie prompt ihre seltsame karierte Schiebermütze von ihrem Kopf und setzte sie ihm auf.

Er wollte gerade in Gram versinken, da riss ihn an leises Brummen aus seinen Gedanken. Er hatte den Blick nur kurz erhoben, schon wollte er die Augen weit aufreißen, denn ein putziges Bärchen gekrönt mit einem Fez zwischen den kleinen, runden Ohren tapste auf den Hinterbeinen auf ihn zu, nur um noch auf den Vorderbeinen ein Tablett zu balancieren.

"Ohh, Robida", säuselte Zinaïda und begann gleich, die Bärin zu kraulen, während diese einfach ihre Last auf den Tisch scheppern ließ. Gefährlich schwappte die Flüssigkeit in der dampfenden Tasse Tee, die sie soeben serviert hatte und tränkte das Zettelchen direkt daneben auf dem Silbertablett.
Skeptisch entfaltete der Kresnik das nun feuchte Papier.
Ein Geschenk der Hausherrin.

Kostja begann bereits jetzt, alles zu bereuen, was zwischen der Katze und jetzt vorgefallen war.

▪︎ ▪︎ ▪︎

Ich, wie ich wirklich daran zweifle, ob Ergena das Potential für solche Fiesheit haben könnte:

Ergena im Folterkeller: Allow me to introduce myself :3


Liebe geht raus an Hrushka den Helden, weil hätte er Kostja jetzt schon seinen Namen gesagt, Kostja hätte ihn auf der Stelle geheiratet

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