Theenia - Blutmond
Blutmond sollte eine Kurzgeschichte/Novelle im Theenia-Setting werden. Man merkt, dass Epilog und Blutmond ungefähr zur gleichen Zeit geschrieben wurden, wenn man den allgemeinen Vibe der Geschichten vergleicht. Blutmond wäre aber in vielen Punkten mein Favorit. Hier der erste Teil davon, ich glaube auch der einzige, den ich überhaupt geschrieben habe.
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Alle Blicke lagen auf mir, dem kleinen Jungen, vernarbt von Kopf bis Fuß, und im Herzen noch mehr. Finstere Augen, pechschwarz wie ihre Seele, waren es, gebrochen waren jene, jede einzelne von ihnen. Vor mir, ein großer, in pechschwarze Kleider gehüllter Mann, dessen Augen noch schwärzer schienen als alle anderen sonst, und dessen Seele noch zerstörter schien, als sonst eine dieser Welt. Nicht einmal Nihyd, der Gott der Finsternis, von seiner eigenen Mutter in die Hölle verbannt, konnte ein solch grausames Herz haben wie jenes, das vor mir hinter Knochen und Fleisch versteckt lag. War dort überhaupt ein Herz? Ich vermochte es wohl nie zu erfahren.
»Cerus Ejiil«, begann dieser zu sagen, während er seine Hand in ein Gefäß voller schwarzer Masse tunkte, aus welchem auf jeder Seite eine furchteinflößende, steinerne Kreatur ragte, »Sklave eines korrupten Gutsherrn in Giiva.« Eine der dunklen Kreaturen schien mir genau in die Augen zu sehen. Seine Augen sahen fast so aus, als würden sie blutrot leuchten, doch ich musste mich täuschen. »Geboren unter Sklavenschaft, aufgewachsen unter Sklavenschaft, befreit von der Bruderschaft der Nacht.«
Als die Bruderschaft mich mit sich nahm, nachdem sie den Hof und all seine Bewohner getötet hatten, hielt ich sie für kaltblütige Mörder, doch als sie mich dann in ihre Kreise einluden, anstatt mich, nach meiner Befürchtung, zu foltern und umzubringen, erkannte ich, dass sie mehr waren als nur das. Sie waren Diener der Dunkelheit und Rächer des Nihyd, dessen Mutter ihn so sehr verabscheut hatte, dass sie ihn in die Hölle verbannt und mit allen Mitteln bekämpft hatte. Ihre idealistische Welt trübte die Augen jedes einzelnen ihrer Anhänger; und wir würden ihnen die Augen öffnen, sie sehen lassen, sie Teil haben lassen an der Wahrheit, an der einzigen und unabdingbaren Wahrheit.
»Dein neuer Name soll dich von jeglichen Versprechen entbinden, dich neu geboren werden lassen in die Waage der Dunkelheit. Steh auf, Kind der Nacht, steh auf, Jerun Navos. So wie dein Vorname dich von all deiner mickrigen Vergangenheit befreien soll, soll dein Nachname für die Zukunft stehen, für die Zukunft der Nacht.« Ich erhob mich voller Stolz von meinen Knien, während der dunkle Mann mir einen Teil der schwarzen Flüssigkeit auf die Stirn tröpfelte, doch dort war noch etwas anderes. Ich konnte es nicht genau begreifen, es war, als sei es immer da gewesen, als hätte es mich mein Leben lang begleitet. Doch nun war es irgendwie..anders. Es war stärker und mächtiger als ich es kannte. Das letzte Mal, als ich jenes Gefühl verspürt hatte, wurde ich gerade von eben jener Bruderschaft mitgenommen.
Und da erkannte ich es: Es war die Angst, die in mir hochkroch. Es war diese schreckliche, mächtige Angst, und es machte mir noch mehr Angst, dass sie da war. Umso mehr ich darüber nachdachte, desto mehr Angst bekam ich auch. Angst vor meinem Schicksal und vor dem, was noch kommen würde, welche Prüfungen ich bestreiten und wie viele Männer, Frauen und Kinder ich töten müsste.
»Gib dein Versprechen an den Gott der Finsternis«, forderte mich der oberste Herr der Bruderschaft auf, der weiterhin vor mir stand. Er war immernoch einen Kopf größer als ich, doch er war generell sehr groß. Es war furchteinflößend, genau vor seinem Herz zu stehen und doch keines schlagen zu sehen oder zu hören. Ich breitete meine Arme zu beiden Seite aus, wie ich es von den Lehrern gelernt hatte. »Ich verspreche«, murmelte ich. Einer der Männer hinter mir trat mir leicht ins Bein. »Ich verspreche«, sagte ich nun etwas lauter.
Sollte ich dieses Versprechen wirklich abgeben? Sollte ich mich ganz der Finsternis hingeben, wenn diese doch eigentlich dafür bekannt war, in ihr nichts mehr zu sehen? Nein, man sah doch etwas in ihr. In der Schwärze erkannte man doch neue Zeichen und Bilder, wie ich sie mir doch damals immer unentwegt angeschaut hatte, wenn ich nicht schlafen konnte. Dann hatte ich in die Luft gegriffen und die vielen kleinen Pünktchen, die sich um mein Umfeld bewegten, umhergewirbelt, sie geformt und so getan, als ob ich mit ihnen wie mit Magie kämpfen könne, bis ich dann irgendwann voller Erschöpfung meine Arme hatte sinken lassen, friedlich eingeschlafen war und in meinen Träumen weiter meine Abenteuer erlebt hatte. Und wenn ich dann am nächsten Morgen aufgewacht war, hatte ich mich wieder daran erinnern müssen, dass dies alles eben doch nur ein Traum gewesen war, eine Kindheitsfantasie, die niemals Wirklichkeit werden sollte.
»Ich verspreche, mich Nihyd, dem Gott der Finsternis, zu unterwerfen und seinen Wünschen Folge zu leisten, der Bruderschaft der Nacht die Treue zu schwören und mich vom Lichte abzuwenden«, schoss es dann so aus mir hinaus. Erst realisierte ich gar nicht richtig, was ich da gesagt hatte, doch allmählich wurde mir klar, dass ich gerade eben mein Schicksal besiegelt hatte, sowohl das im Leben, als auch im Tod.
Panik ergriff mich und mein Atem wurde schneller, ich wusste nicht einmal so recht, ob das, was ich hier gerade getan hatte, wirklich das war, was ich wollte, doch da legte mir jemand von hinten die Hand auf die Schulter. Es war Qess, mein Lehrer und Mentor, ein alter Mann mit grauen Haaren, vielen Falten und einem langen, genauso grauen Bart. »Das hast du gut gemacht«, flüsterte er mir ins Ohr, »Alles ist gut, du hast das Richtige getan.« Dies sagte er mit all seiner alten, grauen Weisheit, dass ich es ihm schon fast glaubte. Es beruhigte mich, diese Worte zu hören und plötzlich überkam mich wieder diese feste, unerschütterliche Überzeugung, dass das, was ich tat, wirklich richtig war.
Der dunkle Tempel war bereits leer, als Qess und ich durch das in Stein gemauerte Tor nach draußen in die Nacht traten. »Wir hatten alle Angst«, erzählte er mir, während wir zusammen einen kleinen Gang durch den nahegelegenen Wald machten. »Wir wussten nicht, was auf uns zukommen würde. Aber am Ende ist alles so passiert, wie Nihyd es für uns vorgesehen hat. Und er ist ein Gott, der wirklich auf unserer Seite steht. Er ist mächtiger als die Göttin des Lichts je sein wird, denn er schert sich nicht um Vertäuschung oder Ruf, sondern tut die Dinge, die nötig sind.«
»Du meinst also, Tarthea lügt jeden ihrer Anhänger an?«
»Nenne nie wieder ihren Namen. Sie ist es nicht wert, beim Namen genannt zu werden und wird nur ihre Boten auf uns herabschicken, um zu versuchen, uns auszuspielen, damit ihre idealistische Welt nicht verletzt wird. Doch dieses Geschenk werden wir ihr nicht machen.«
Als wir einige Zeit gegangen waren, hielt Qess mich bei einem kleinen See an. Er war wirklich nicht groß, vielleicht etwas größer als ein Brunnen, aber sein Wasser war so klar, dass ich jede einzelne Pflanze auf seinem Grund sehen konnte.
»Das nennt die Göttin des Lichts Klarheit«, meinte Qess in einer ruhigen, fast klagenden Stimme. »Was siehst du darin?«
Ich antwortete wahrheitsgemäß und war gespannt, was mein Mentor mir zu sagen hatte. Fragend starrte ich auf das Wasser, das im Mondlicht funkelte.
»Du siehst alles um das Wasser herum. Du siehst die Erde, die Pflanzen, die Fische und die Steine, doch das Wasser selbst siehst du nur durchsichtig und schlecht. Ist das wirklich Klarheit? Kann etwas die Wahrheit sein, wenn es doch nur verdeckt und nur alles andere darum sichtbar ist?«
Qess holte ein kleines Gefäß, so groß wie mein Daumen, aus seinem Mantel hervor, öffnete es und goss die pechschwarze Flüssigkeit in das Wasser, bis nichts mehr im Gefäß übrig blieb.
»Nun schaue noch einmal hinein«, forderte er mich auf, ohne mich dabei anzusehen, sondern komplett auf das Wasser gerichtet. Ich erschrak, als ich sah, dass sich das eben noch kristallklare Wasser pechschwarz und undurchsichtig gefärbt hatte.
»Dunkelheit«, antwortete ich halb flüsternd. »Pure Dunkelheit. Keine Fische, keine Pflanzen, keine Erde, keine Steine, nur Schwärze.«
»Du siehst das Wasser«, gab Qess zurück. »Und wenn du genau hinsiehst, kannst du in der Schwärze noch viel mehr erkennen, doch das weißt du ja bereits.«
In dieser Nacht träumte ich von den beiden Göttern und mir, wie ich zwischen ihren beiden Welten zu ihnen gezerrt wurde. Die eiskalte Hand des Lichtes packte mich am Arm, die feuerheiße Hand der Dunkelheit am Bein. Ich fühlte mich wie zerrissen, und wenn man es genau nahm, war ich das ja auch. Doch das Schlimmste war wohl: Beide Seiten zerrten an mir, wollten mich bei sich.
Mir wurde keine Wahl gelassen.
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