Kapitel 36


Eric


Wutentbrannt rast er orientierungslos durch die Gegend. Ein Zorn kocht in Eric empor, den er kaum steuern kann. Seit langem hatte er nicht mehr so einen Kontrollverlust. Doch Ambers Hände auf seinem Körper haben ihn zurück katapultiert, als er klein und schwach war, und sein Stiefvater ihn an Stellen berührt hat, die ihn immer noch schmerzen.


Wütend schlägt er auf das Lenkrad, ehe er den Wagen rechts ran fährt und erst jetzt bemerkt, wo er gelandet ist.

Seufzend stellt er den Motor ab und schließt kurz die Augen. Er hatte sich nicht unter Kontrolle und hat Amber verletzt und verängstigt. Die Panik in ihren Augen, als er sie gegen die Wand gestoßen und sie gewürgt hat, sieht er immer noch deutlich vor sich.

„Sie ist wegen mir gegangen."

Hallt die Stimme in seinem Kopf.

„Ich habe sie verletzt, weil ich ein Monster bin!"

Weil sein Stiefvater ihm damals nicht nur seine Kindheit genommen hat. Er hat ein Stück aus ihm gerissen und etwas dunkles hinein gepflanzt, dass er immer noch versucht zu realisieren. Mehrmals schlägt er auf das Lederlenkrad ein und brüllt seine Wut durch den Wagen. Er ist ein Versager. Schwach! Endlich hat er jemanden gefunden, der ihn tatsächlich lieben könnte, und Eric zerstört in wenigen Sekunden alles.

„Sie ist weggelaufen, weil sie Angst vor mir hat!"

Erschöpft legt er seine Stirn auf das Lenkrad. Eric fühlt sich müde und ausgelaugt. Vielleicht wäre es besser für alle gewesen, wenn er damals gesprungen wäre. Dann wäre Tom glücklich.Auch wenn sein Freund es nicht zeigt, weiß Eric, wie sehr er leidet. Das hinter seiner Fassade eine Welt für ihn zusammengebrochen ist, als er Annabelle ermordet aufgefunden hat. Doch seit Amber in ihr Leben getreten ist, hatte er das erste Mal das Gefühl, dass Tom seinen Schmerz langsam vergisst. Dass sein Freund endlich einen Sinn im Leben sieht. Das Tom wieder glücklich wird und sein Lächeln keine Fälschung ist.

Doch er hat alles zerstört. Er hat die Frau vertrieben, die Toms Schatten geglättet hat. Die ihn ehrlich lachen hat lassen. Wegen ihm, ist sie gegangen.

Was ist, wenn er Amber zurückholt, damit die beiden eine Zukunft haben können? Denn vor ihm wird sie immer Angst haben. Eric ist kein guter Mensch. Kein Partner fürs Leben. Das hat er mittlerweile erkannt. Sein Leben sieht anders aus. Eine Frau? Kinder? Mit einem Mann wie ihm?Unvorstellbar! Wer könnte ihn akzeptieren, wenn er es nicht mal selbst tun kann?

Eric atmet tief ein und versucht, den Schmerz und die Wut zu verdrängen, indem er das Monster tief ins sich einschließt. An Fesseln nach unten ziehe. Er berührt seine Brust, auf der das Tattoo des Dämons abgebildet ist. Eine Bestie, dass mit Stricken zu Boden gerissen wird.

Doch es klappt nicht wie sonst. Dafür ist er zu aufgewühlt.

Die Erinnerung die Amber in ihm ausgelöst hat, hängt wie ein Schatten über ihm. Die Berührung seines Stiefvaters. Seine Hände auf seiner Haut.

All das hat er versucht, von sich zu schieben und tief in sich einzusperren. Eric hat begonnen zu trainieren, hat seinen Körper mit Tattoos geschmückt, damit er die Narben nicht täglich sehen muss, während die Tinte ihn schützt. Denn die dunklen Zeichnungen geben ihm eine Sicherheit. Niemand kann seine nackte Haut berühren. Niemand sieht, was er wirklich fühlt.

Abermals blickt er aus dem Fenster zu dem alten Industriegelände hinüber, das schon vor Jahren stillgelegt wurde. Die roten Backsteine bröckeln von den Türmen, der ehemaligen Waffen Produktionsstätte. Unkraut bahnt sich einen Weg durch Teerschichten und Lehm. Es scheint, als würde sich die Natur zurückholen, was einst ihr gehörte.

Er ist viel zu kaputt. Innerlich! Eric spürt, wie seine Wut so nahe an der Oberfläche kratzt wie schon lange nicht mehr. Wie die Dämonen sich einen Weg nach draußen bahnen.

Mechanisch steigt er aus dem Wagen, während seine Füße, wie von selbst, auf das Gebäude zu tragen. Er war schon lange nicht mehr hier, weil er es nicht gebraucht hat. Weil er jemanden hatte, der ihm gezeigt hat, wie er seinen Zorn kontrolliert. Doch heute tobte eine Wut in ihm, die er nicht mehr unterdrücken kann. Einen Schmerz über den Verlust von Amber und den Streit mit Tom. Die Wut, dass sich nichts geändert hat in seinem Leben. Und einen grenzenlosen Zorn auf seinen Stiefvater, der ihm das alles angetan hatte.

Zielstrebig betritt er die eiserne, rote Tür, die schon bessere Tage gesehen hat, und folgt den Stimmen im inneren. Das Dröhnen wird lauter, als er weiter durch die staubigen Hallen eilt, ehe er durch einen Vorhang schlüpft und in einem großen, alten Waffenlager zum Stehen kommt.Sein Blick schweift durch den spärlich beleuchteten Raum. Leblose Betonwände, mit Löchern versehen, ein dreckiger Steinboden, Schutt und liegengebliebene Metallstangen. Es hatte sich nicht viel verändert. Abermals dringen dumpfe Schläge an seine Ohren und das Brüllen von drei Dutzend Männern. Der leichte Geruch von Eisen liegt in der Luft, gemischt von Schweiß und kalter Asche. Sie kommen hierher, um Dampf abzulassen. Einige, um sich etwas zu beweisen, andere weil sie Spaß daran haben.

Früher war er oft bei solchen Kämpfen. Damals wollte sich Eric selbst beweisen, dass er nicht mehr der schwache Junge war. Die Kämpfe waren aber auch ein Ventil für ihn. Er hat seinen Frust und die Wut in Schläge umgewandelt und einige einkassiert. Doch der Schmerz hat ihn befreit.

Mittlerweile ist es ein Jahr her, als er das letzte Mal hier war. Warum er nicht mehr gegangen ist, weiß Eric nicht. Doch heute, steht er in der schäbigen Halle, bereit seine Wut loszuwerden. Weil er den Schmerz nicht bewältigen kann. Es hat ihm die Kehle zugeschnürt, Ambers verweintes Gesicht zu sehen, den Schmerz und die Angst in ihren Augen. Er ist dafür verantwortlich! Sie hat gemerkt, was für ein Mensch er wirklich ist! Was für ein Monster tief in ihm schlummert.Langsam geht Eric auf die Männer, die in einem Kreis stehen, zu. Nur einer hebt den Kopf und sieht ihn direkt an. Er kennt ihn von früher. Ich weiß, dass er hier das Sagen hat. Er nickt ihm zur Begrüßung zu.

Eine Zeitlang beobachtet Eric die zwei Männer, die sich im Kreis die Fäuste um die Ohren schlagen. Doch es dauert nicht lange und einer der beiden geht zu Boden. Der Verlierer wird aus dem Kreis gezogen, während der Gewinner seine Wetten einkassiert. Um nichts anderes geht es hier. Nur illegale Kämpfe.

„Eric!" Der Kampf Vorsteher winkt ihn zu sich. „Los in den Ring."

Er streift sich das schwarze Hemd von seinem Körper und lässt es auf den dreckigen Boden gleiten, ehe ich sich in den Kreis begibt. Sich warmspringend ballt er seine Hände zu Fäusten und unweigerlich denkt er an Amber, wie sie es im Trainingsraum ebenfalls getan hat. Wie der kleine, rote Wirbelwind freudig auf den Matten gesprungen ist, bereit ihm eine zu verpassen. Und nun ist sie weg! Abgehauen, weil Eric ihr gezeigt hat, wie gefährlich er sein kann.

Ein kräftiger Mann löst sich aus der Menge und wirft sein Shirt achtlos hinter sich. Dicke Muskelstränge ziehen sich über seinen Körper, hinauf zu seinem Nacken. Er ist stark. Kein Zweifel. Genau das, was er jetzt braucht. Ein Lächeln schleicht sich auf seine Lippen, als Eric ihm winkt, näher zu treten.


Als Eric auf das Anwesen biegt, um das Auto unter dem Carport abzustellen, bemerkt er bereits Jenny die vom Haus aus, ihm zuwinkt.

„Was ist denn mit dir passiert?", fragt sie geschockt, nachdem er ausgestiegen war.

Zwar hat er einiges ausgeteilte, aber der ein oder andere Schlag hat ihn auch getroffen. Sein Kiefer schmerz immer noch und er kann sich durchaus vorstellen, dass es bereits blau angelaufen ist. Doch dies bereitet ihn keine Sorgen. Er hat schlimmeres überstanden, als ein geprelltes Kinn.

„Nichts", antwortet Eric barsch. „Was machst du hier?"

„Ich wollte Amber abholen. Ich dachte, ein Frauentag würde ihr guttun, als mit euch den ganzen Samstag im Haus abzuhängen", antwortet sie grinsend.

Seufzend geht er auf die Haustür zu: „Sie ist nicht da!"

„Wie, sie ist nicht da?", fragt Jenny und folgt ihm ins Haus.

Ein seltsamer Geruch nach Rauch dringt ihm in die Nase und angewidert rümpft er diese. Etwas stimmt hier nicht. Er bezweifelt das Tom dafür verantwortlich ist. Seit Annabelles Tod hat er noch nicht mal seinen geliebten Bourbon angefasst.

„Antwortest du mir auch mal?", möchte Jenny hinter ihm wissen. „Ihh, warum stinkt es hier so?"

Anscheinend ist ihr ebenfalls der seltsame Geruch aufgefallen und aus irgendeinem Grund macht er sich plötzlich sorgen.

„TOM?", brüllt Eric hinauf, ehe er mit schnellen Schritten ins Obergeschoss eilt.

Die Schlafzimmertür seines Freundes aufreißend, stellt er fest, dass Tom weder da noch je in seinem Bett war.

„ERIC!" Jennys Stimme dringt von unten zu ihm hoch. „Komm schnell runter."

Die Stufen hinunter springend betritt er das Wohnzimmer, in der die junge Frau auf dem Boden hockt.

„Was ist?"

„Hier!" Sie deutet auf eine Stelle auf dem Parkett. „Ist das Blut?"

Vorsichtig fährt er mit dem Finger über die trockene Stelle und zerreibt es zwischen Daumen und Zeigefinger. Ein leichter Geruch nach Eisen dringt in seine Nase. Es ist Blut! Was ist hier passiert?

„Wo ist Tom?", fragt Jenny und eine leichte Panik schwingt in ihrer Stimme mit.

„Ich weiß es nicht. Er sollte hier sein."

Unruhig rennt Eric auf und ab. Das ist doch alles nur ein Alptraum. Der ganze Tag ist ein reines Desaster. Wie konnte das passieren? Sein Brustkorb fühlt sich eng an und ein Stechen wandert durch seinen Oberkörper. Wenn Tom etwas passiert ist, während er blind vor Wut war, könnte Eric sich das niemals verzeihen. Sein Freund ist für ihn ein Anker und er weiß nicht, ob er ohne ihn überhaupt Leben kann.

Das stechende Gefühl nimmt zu und abermals kocht Wut in ihm empor. Er ist an allem schuld. An Ambers Flucht und an Toms spurlosen Verschwinden. Wieso passierte das immer? Warum bricht die Welt um ihn herum zusammen? Wenn Tom etwas zugestoßen ist, wenn ihm etwas passiert? Er ist für ihn nicht nur sein bester Freund. Nein! Ihm hat Eric zu verdanken, dass er noch existiert. Denn Tom hat ihm gezeigt, dass das Leben nicht nur aus Schatten und Leid besteht. Dass jede Dunkelheit verschwindet, wenn das Licht nur hell genug leuchtet. Er kann ihn jetzt nicht verlieren, denn das wäre auch sein Untergang.

„Beruhige dich", spricht Jenny leise auf ihn ein. „Es ist nur eine kleine Menge Blut. Er lebt noch, sonst würde hier auch eine Leiche liegen."

Eric schluckt den aufkommenden Schmerz hinunter und betrachtet die Frau vor sich. Jenny ist schon so lange ein Teil ihres Lebens. Sogar als sie Kinder waren, kamen sie öfters bei Toms Onkel zu Besuch.

„Wir finden ihn", verspricht sie leise.

Er möchte ihr glauben, weil sie ihm nie einen Grund gegeben hat, es nicht zu tun. Jenny ist immer ehrlich zu ihm gewesen, hat ihm gesagt, was für ein Trottel er ist, wenn er wieder Dummes angestellt hat. Hat über seine miese Laune gemeckert und ihn als Eisberg bezeichnet, der sogar die Titanic untergehen lässt. Sie hat ihn gerügt, wenn er zu schroff zu anderen war, und hat ihm ihre Meinung gegeigt. Jenny hat ihn nie angelogen, daher glaubt er ihr, wenn sie sagt, dass Tom lebt.

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