Kapitel 34


Tom


Er fühlt sich miserabel. Wie konnte es so weit kommen? Eric hatte schon lange nicht mehr so einen Wutausbruch. Hätte Tom es ahnen müssen? Dass es irgendwann soweit ist?

Seufzend fährt er sich über sein Gesicht. Die letzten Stunden hat er sich mit Arbeit abgelenkt, doch inzwischen bekommen seine Mitarbeiter es alleine hin. Während er sich in seinem Büro zurückgezogen hat, ist Eric an die Bar gegangen. Wahrscheinlich ist er mittlerweile betrunken.

Immer wieder fragt er sich, ob er es hätte verhindern können. Jedoch wusste er die Antwort schon so lange. Das Eric ausrastet, war nicht zu umgehen. Er ist noch lange nicht bereit, jemanden so nahe an sich zu lassen. Selbst Tom kann ihn, bis auf ein paar Schulterklopfer, nicht berühren. Aber er hat gehofft, dass es besser geworden ist. Das Eric seine Aggressionen langsam im Griff hat. Doch er hat sich getäuscht. Der Gewalt stieg ungefiltert in seinem Freund empor. Wer weiß, was noch passiert wäre, wenn er nicht im gleichen Raum gewesen wäre.Abermals dringen Ambers Worte zu ihm durch. „Ihr tut mir nicht gut." Stimmte das? Taten sie ihr nicht gut?

Es hat Tom verletzt, diese Worte aus ihrem Mund zu hören, dass er das gemacht hat, was er immer tat. Er hat eine Mauer um sich gezogen, um sich selbst zu schützen. Doch mittlerweile bereut er es. Tom hat sich vorgenommen, morgen mit Amber zu reden. Gemeinsam mit Eric die Wogen glätten. Retten, was es zu retten gibt. Denn diese Frau ist mehr, als nur ein Abenteuer. Mehr als nur eine Bettgeschichte. Sie ist die erste Frau, die ihnen beiden ein Gefühl der Leichtigkeit gibt. Des Verstehens und der Geborgenheit. Amber fühlt sich wie zuhause an. Jemand, der nicht nur ihn erdet. Auch Eric ist in ihrer Gegenwart anders. Entspannter.

Sie mussten mit ihr reden. Versuchen eine Lösung zu finden, um sich gegenseitig wieder vertrauen zu können. Das ist das einzige Richtige.


Am frühen Morgen macht Tom seinen Freund an der Bar ausfindig. Gedankenverloren dreht er einen Whiskey Tumbler in seiner Hand. Starrt auf die bernsteinfarbene Flüssigkeit, als würde sie ihm antworten geben. Eric sieht fertig aus und vollkommen erschöpft.

Seufzend stellt sich Tom an die Bar und winkt einem der Barkeeper zu sich.

„Wie weit seid ihr?", fragt Tom.

„Fast fertig", antwortet sein Angestellter.

„Wie viel hat er getrunken?", möchte Tom wissen, um Eric besser einschätzen zu können.

Der Barkeeper folgt seinem Finger und sieht ebenfalls zu Eric.

„Nichts. Das ist immer noch sein erstes Glas."

Tom hebt skeptisch eine Augenbraue. Wie schlecht muss es Eric gehen, wenn er nicht mal den Bourbon anrührt. Er nickt seinem Angestellten zu, ehe er neben seinen Freund tritt und sich auf den freien Barhocker fallen lässt.

„Wie wäre es, wenn wir nach Hause fahren?", fragt er Eric.

Immer noch schwenkt dieser das Glas in seinen Händen, als wäre es eine Art Meditation für ihn.

„Wir schlafen eine Runde und anschließend reden wir mit Amber", spricht er weiter.

Bei Nennung ihres Namen, stockt Erics Bewegungen. Jedoch bleibt sein Blick stur auf das volle Glas gerichtet.

„Na los!" Tom erhebt sich.

„Du hast sie doch gehört", flüstert sein Freund leise. „Hast ihre Angst selbst gesehen. Sie sieht endlich das in mir, was ich wirklich bin."

Tom schüttelt den Kopf: „Nein. Sag das nicht. Amber sieht so viel mehr in dir."

„Schwachsinn", stößt Eric knurrend heraus und wirft das volle Whiskeyglas an die Wand ihm gegenüber.

Klirrend rieseln die Scherben auf dem Boden hinter der Theke. Die wenigen Gäste im Raum blicken sich um, woher der Krach herkommt, während die beiden Barkeeper Eric geschockt anblicken.

„Steh auf", fordert er seinen Freund auf. „Wir sollten heimfahren."

Widerstandslos erhebt sich Eric und gemeinsam verlassen sie den Club.


Je näher sie dem Anwesen kommen, desto unruhiger wird Tom. Dinge beschäftigen ihn, die ihn niemals wichtig erschienen. Doch jetzt, im Angesicht abermals einen Menschen zu verlieren, der ihm etwas bedeutet, beginnt er langsam zu zweifeln, dass er es überhaupt verdient hat glücklich zu sein.

Sie biegen auf das Grundstück ab und parken den Audi unter dem Carport, wo normalerweise der Jeep steht. Irritiert sieht sich Tom um. Hatten sie den Zweitwagen in die Garage gestellt?

„Wo ist der Truck?", wundert sich nun auch Eric.

Eilig verlassen sie das Auto.

„Hast du ihn in die Garage gefahren?", möchte Tom wissen.

„Nein. Warum sollte ich", schimpft Eric, eilt aber bereits zu der Doppelgarage.

Ein mulmiges Gefühl treibt Tom in Richtung Haus. Er öffnet die Haustür und rennt die Treppen empor.

„Amber?", ruft er in die Stille hinein.

Die zweite Treppe überwindet er mit großen Schritten und ohne Anklopfen, betritt er das leere Gästeschlafzimmer. Klamotten liegen überall verteilt herum. Der Schrank sieht aus, als wäre er durchwühlt worden. Eine bedrückende Enge macht sich in ihm breit, als auch Erics Stimme durch das leere Haus hallt.

Noch bevor sie jeden Raum durchsucht hatten, selbst den Keller und den Garten, wusste Tom, dass Amber nicht hier ist. Mit pochendem Herz betritt er die Küche, dicht gefolgt von Eric.

„Sie ist weg, verdammt", brummt sein Freund wütend.

Erst da fällt ihm der kleine Weiße Zettel auf der Insel auf. Eilig überfliegt er die Zeilen, die ihm die Brust zu schnüren, ehe er den Abschiedsbrief an Eric weiterreicht.

„Sie hat das Auto geliehen?", stößt er heraus. „Und lässt es stehen, wenn der Tank leer ist? Scheiße, was soll das?"

Tom schüttelt den Kopf und lässt sich erschöpft auf einen der Stühle nieder.

„Es bedeutet, sie ist weg", brummt er. „Hat sich gegen uns entschieden."

Seine Nerven liegen blank. Die letzten Tage, haben ihn ausgelaugt. Erst Ambers plötzliches Auftauchen. Dann Kenais Angriff, der Drogenfund und Nates Lügen. Und jetzt ist die Frau, die ihm unter die Haut geht und eine Sehnsucht in ihm weckt, verschwunden. Abgehauen!

„Uns?", fragt Eric ihn barsch. „Das glaubst du?"

„Was willst du von mir hören?", fragt er grimmig.

Er ist wütend. Wütend auf die Situation. Wütend auf sich selbst, dass er es so weit hatte kommen lassen. Sein Körper bebt vor Anspannung. Sein Kiefer schmerz, so fest beißt Tom zu.

„Ich will wissen, was du denkst!", brüllt Eric und tritt direkt vor ihn.

Grimmig sieht Tom ihm entgegen, erwidert aber nichts. Sein Puls rast.

„Du denkst genauso. Hab ich recht?", fragt er ihn. „HAB ICH RECHT? DU DENKST SIE IST WEGEN MIR ABGEHAUEN?"

Grimmig erhebt sich Tom und stellt sich seinem Freund gegenüber.

„Was willst du hören?", knurrt er wütend.

„DIE WAHRHEIT. DENKST DU, DASS SIE WEGEN MIR ABGEHAUEN IST?"

„JA. VERDAMMT. JA", schreit Tom zurück, den Kopf rot vor Zorn.

Fassungslos sieht ihm Eric entgegen und sofort bereut er seine Worte. Sie kamen aus dem Effekt, aus der Wut die in ihm brodelt. Doch er hatte sie nicht so gemeint. Zumindest wollte er sie nicht laut aussprechen.

„Verdammt Eric ...", beginnt er seufzend, doch wird von Eric unterbrochen.

„Du hast alles gesagt. Lass es."

Sein Freund schüttelt den Kopf und wendet sich von ihm ab.

„Eric... Warte", fleht ihn Tom an.

Er wollte es nicht sagen. Nicht laut! Denn gedacht hat er es sich die ganze Zeit. Er hat die Angst und die Panik in Ambers Blick gesehen. Hat ihren Kampf beobachtet, nicht zusammenzubrechen. Tom weiß, dass Eric viel im Leben durchgemacht hat, und er schämt sich, dass er ihm die Schuld an der Situation gibt. Sein Freund hat keine Schuld. Das Monster, das ihn zu dem gemacht hat, der er heute ist, ist daran schuld.

Tom eilt seinem Freund hinterher, der die Küche verlassen hat und zielstrebig zur Haustür marschiert. Er bekommt ihm am Arm zu fassen, doch blitzschnell stößt ihn Eric von sich.

„Lass mich in Ruhe. Du hast alles gesagt, was ich wissen muss", knurrt er ihn finster an. „Ich habe gesehen, wie du Amber ansiehst. Was sie dir bedeutet."

Eric wendet sich ihm zu und sieht ihn grimmig entgegen. „Sie hat dich Glücklich gemacht und ich ... ICH habe das zerstört."

„Nein!" Tom schüttelt den Kopf, doch Eric bringt ihn mit einer Handbewegung zum Schweigen.

„Wir wissen beide, dass ich ein Monster bin. Dass ich es nicht verdient habe, dass mich jemand liebt", knurrt er wütend. „Niemand wird mich je so akzeptieren, wie ich bin."

„Das ist Schwachsinn", brummt Tom. Er ist wütend. Sein Freund sollte nicht so über sich denken. „Du bist kein Monster. Du wurdest von einem verletzt, aber das macht dich nicht selbst zu einem. Amber hat dich akzeptiert. Sie hat dich nicht so gesehen."

„Das ist eine LÜGE", brüllt Eric. „Und das weißt du. Ich habe es in ihren Augen gesehen. Die Panik. Die Angst. Ich habe sie heute Abend verletzt und dass kann ich nie wieder gut machen."

Abermals wendet er sich zum Gehen ab.

„Wo willst du hin?", fragt Tom und rennt ihm hinterher.

„Weg. Einfach nur weg."

Eilig überquert Eric die Einfahrt und springt in den Wagen, ehe er ihn anlässt und mit quietschenden Reifen und auf wirbelnden Kies, dass Anwesen verlässt. Seufzend starrt Tom eine Zeitlang auf das Tor. So sollte das nicht ablaufen.

Wieso hat er das Gefühl, dass alles gerade wie ein Kartenhaus zusammenbricht? Was soll er nun tun? Warten bis Eric zurückkehrt? Amber suchen? Eric suchen? Gott! Er weiß es nicht. Eric ist ein Sturkopf. Wie er seinen Freund kennt, wird er sich ein Ventil suchen und seine Wut hinauslassen. Doch was, wenn es wieder so abläuft, wie damals? Als er ihn auf der Brücke gefunden hat. Selbst jetzt, Jahre später, spürt er das Gefühl der Machtlosigkeit immer noch. Eric zu sehen, wie er dabei war, sein Leben mit einem Schlag zu beenden. Tom hat auf ihn eingeredet. Ihm gut zugeredet und ihm versprochen, alles zu tun, damit der Schmerz vergeht. Doch hat er das? Sein Versprechen gehalten? Nein! Denn Eric ist immer noch voller Qual und Leid. Selbstzweifel erdrücken ihn und lassen ihn unberechenbar werden.

Seufzend wendet sich Tom dem Haus zu. Hoffentlich stellt er nichts Dummes an. Hoffentlich besinnt sich Eric und merkt, dass es Menschen in seinem Leben gibt, die ihn akzeptieren. Jenny und Will. Lisa, Luca und Kenai. All diesen Menschen bedeutet Eric etwas und Tom ist sich sicher, dass auch Amber mehr für ihn fühlt.

Langsam schleppt er sich ins Wohnzimmer, um aus dem Fenster die aufgehende Sonne zu beobachten. Ein leichter Wind weht und bringt die Oberfläche des Sees in Bewegung, als ein Knacken hinter ihm ertönt. Kurz hofft er, dass einer der beiden Menschen zurückgekehrt ist, die ihm so viel bedeutet. Doch als er sich umdrehen möchte, durchdringt ein massiver Schmerz seinen Kopf. Sterne tanzen vor seinen Augen und das Gleichgewicht verlierend, stützt Tom zu Boden. Geputzte, schwarze Schuhe treten in sein Gesichtsfeld, ehe eine tiefe, ihm bekannte Stimme durch seine Gedanken hallt.

„Schlaf schön!"

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