Kapitel 26


Amber

Aufgebracht rennen sie ins Krankenhaus. Viel zu spät haben Eric und Amber die Nachricht von Tom gelesen. Nur weil sie übereinander hergefallen waren wie Teenager. Derweil brauchte sie Tom und was haben sie getan? Gott! Amber tat das dermaßen leid. Es war egoistisch. Hoffentlich geht es Tom gut und ebenso Kenai, seinem Freund.

Amber betritt schnaufend das Wartezimmer, während Eric aussieht, als hätte er sich nur warm gemacht. Sie musste unbedingt fitter werden. Man weiß ja nie!

Sie entdeckt Tom als Erstes und ihr bricht es fast das Herz ihn so zu sehen. Zusammengekauert sitzt er auf einem Besucherstuhl im Wartezimmer. Das Gesicht mit den Händen bedeckt, sieht er um Jahre älter aus.

„Tom!"

Eilig stellt sie sich vor ihm und geht in die Hocke, als er nicht auf ihre Stimme reagiert. Zärtlich berührt sie seine Hände und ein zucken geht durch den Körper vor ihr. Als hätte Tom sie erst jetzt bemerkt, öffnet er die Augen, in denen tiefe Trauer schimmert. Waren sie bereits zu spät? Hatte Kenai es etwa nicht geschafft?

In Toms Nachricht stand nur, dass dieser angegriffen wurde und lebensbedrohlich verletzt wurde. Das war vor einer Stunde.

„Tom", ertönt Erics Stimme hinter ihr. „Wie geht es ihm?"

Tom hebt seinen Kopf und sieht seinen besten Freund an. Wut blitzt in seinen sonst so ruhigen braunen Augen, der ihr den Atem nimmt. Sie sind zu spät!

„Er lebt noch", grummelt Tom.

„Tom!", haucht Amber, doch Eric unterbricht sie.

„Was ist passiert?"

Tom schließt kurz die Augen, als würde er die Kraft in sich sammeln, über das Geschehene zu sprechen.

„Er wurde niedergestochen", knurrt er leise. „Verdammt Eric, ich kann nicht schon wieder jemanden verlieren."

Tom so wütend zu sehen, setzt Amber zu. Normalerweise ist er ruhig und gut gelaunt, obwohl sie immer wieder an das düstere in seiner Stimme denken muss, als sie in seinem Büro war. Konnte es sein, dass Tom ebenfalls ein tiefes Geheimnis in sich trägt? „Ich kann nicht schon wieder jemanden verlieren!"

Wen hat er verloren? Einen geliebten Menschen? Warum hat er vor fünf Jahren sein Studium abgebrochen und den Kontakt zu seinen Eltern gelöst? Etwas beschäftigt ihn und Amber ist sich sicher, dass sie gerade eben, Toms wahres Ich sieht. Nicht das lächelnde, nette Gesicht, dass er jedem zeigt. Er ist wie sie. Vergräbt seinen Schmerz hinter einer Fassade, um sich zu schützen. So wie Eric, der jeden von sich schiebt, nur damit niemand sieht, wie verletzlich er wirklich ist.

„Wissen wir schon, wer das getan hat?", fragt Eric knurrend, dessen Wut, wie es schein, gerade zu brodeln beginnt.

„Nein", schüttelt Tom den Kopf. „Laut Zeugen hat er sein Gesicht verhüllt. Trug schwarze Kleidung und eine Kappe. Es ging blitzschnell. Er hat nur einen Fehler gemacht. Er hat das Messer stecken lassen! Das Retten Kenai vielleicht das Leben."

Amber beobachtet wie Eric seine Hände zu Fäusten ballt und sichtlich mit seiner Kontrolle, nicht gleich etwas klein zu schlagen, kämpft. Behutsam legt sie ihm ihre Finger auf den tätowierten Unterarm und streicht zärtlich über die warme Haut. Seine eisblauen Augen legen sich auf sie und es scheint, als würde er Ruhiger werden.

„Wir finden den Kerl, der das getan hat", spricht Amber leise. „Erst muss Kenai wieder auf die Beine kommen."

Tom sieht sie verwirrt an, ehe ein Ausdruck der Dankbarkeit über seine Augen huscht.

„Mr. O'Brain?"

Ein Arzt betritt den Wartebereich und eilig springen sie auf.

„Wie geht es ihm?", fragt Tom ruhig und scheint wieder seine Maske aufgesetzt zu haben, als er sich an den Mann im Operationskittel wendet.

„Momentan kann ich Ihnen nicht viel sagen. Wir operieren Mr. Sioux immer noch und es wird dauern", erklärt der Arzt. „Ihr Mitarbeiter hat viel Blut verloren. Die Hauptschlagader im Bauch wurde stark beschädigt. Doch er lebt noch. An diesen Gedanken müssen Sie sich klammern."

Tom nickt leicht, bevor der Mann den Wartebereich verlässt. Seufzend sinkt Tom wieder auf den Stuhl. Amber setzt sich neben ihn und ergreift seine Hand, die er schweigend in seine schließt.


Erschöpft wandert sie durchs Krankenhaus, auf der Suche nach Kaffee. Es ist mittlerweile drei Uhr nachts und die Müdigkeit macht ihr zu schaffen. Als sie einen Automaten findet, zieht sie zwei schwarze Kaffee und einen Milchkaffee für sich. Die heißen Becher balancierend huscht sie zurück zum Wartebereich, um die beiden Männer nicht allzu lange alleine zu lassen.

Immer mal wieder erscheinen Assistenzärzte, die sie auf den aktuellen Stand bringen und jedes Mal, wenn einer ins Wartezimmer tritt, ist eine drückende Spannung im Raum. Daher ist Amber ihr kurz entflohen.

Eric ist ein reines Nervenbündel, der hibbelig im Zimmer herumtigert, während Tom eine Kälte ausstrahlt, die sie frösteln lässt.

Als sie in den Gang, der zum Wartezimmer führt, gelangt, hört sie Toms Stimme.

„Er wird noch operiert", seufzt er.

Amber macht ihn an der Wand lehnend ausfindig. Ein Telefon an sein Ohr gepresst, während er sich müde über sein Gesicht fährt.

„Ja, er lebt noch. Das Messer hat ihn gerettet und wahrscheinlich das Schlimmste verhindert."

Tom bemerkt sie und ein kleines Lächeln huscht über seine Lippen, dass nicht der Wahrheit entspricht. Sie hat die Wut bei ihm gespürt, als er im Wartezimmer gesessen hat, und sie konnte es ihm nicht verdenken. Sein Freund schwebt in Lebensgefahr und das Einzige was Amber getan hat, war Eric aufzuhalten, obwohl Tom ihn gebraucht hat.

Sie stolpert in das Leben der beiden und bringt es vollkommen durcheinander. Jeden Tag, den sie mit ihnen verbringt, verliebt sie sich ein wenig mehr in die Männer. Sie spürt, wie Eric in ihrer Nähe auftaut, merkt, wie Tom sich ihr öffnet. Dennoch kann sie nicht bleiben, egal wie viel die zwei ihr bereits bedeuten.

„Ich muss auflegen", spricht er weiter ins Telefon, als Amber näher tritt. „Ich sage dir Bescheid, sobald ich neue Informationen bekomme."

Damit legt er auf und eilt auf sie zu, um ihr einen Kaffeebecher aus der Hand zu nehmen.

„Danke dir", haucht Tom ihr zu, ehe er sich zu ihr runter bückt und sie küsst. „Danke, dass du hier bist."

„Ich wäre schon viel eher gekommen. Es tut mir leid", seufzt Amber.

„Was meinst du?"

„Deine Nachricht!", antwortet sie. „Wir haben sie nicht gehört, weil wir ... Also na ja ..."

Gott! Warum fällt ihr es jetzt auf einmal so schwer, auszusprechen, was sie vor wenigen Stunden noch mit Eric getrieben hatte. Wahrscheinlich weil sich Amber schuldig fühlt. Während sie mit Eric im Trainingsraum Sex hatte, hat Tom um seinen Freund getrauert.

„Du musst dich nicht rechtfertigen", antwortet Tom und streicht ihr dabei eine Strähne aus dem Gesicht.

„Du weißt doch gar nicht für was ich mich rechtfertigen möchte", schnauft Amber aufgebracht. „Ich hatte mit Eric Sex, als du uns gebraucht hast. Das war egoistisch und dumm ... und ... und es tut mir leid."

Tom schüttelt den Kopf. „Nein. Dafür brauchst du dich nicht entschuldigen."

„Doch!"

„Nein!", widerspricht ihr Tom. „Hör mir zu Amber. Ich bin froh, dass du hier bei uns bist. Allein deine Anwesenheit bedeutet mir viel. Du kennst Kenai noch nicht und trotzdem wartest du mit uns hier im Krankenhaus. Mir ist egal, dass du mit Eric gevögelt hast oder nicht. Du bist hier und das zählt für mich."

„Also bist du nicht wütend?", fragt sie leise nach.

„Ich bin stinksauer", antwortet er ruhig. „Aber nicht auf dich, sondern auf den Mistkerl, der Kenai das angetan hat."

Amber kann ihn verstehen, daher nickt sie: „Du findest heraus, wer das getan hat."

Tom sieht sie eine Zeit lang an, als würde er überlegen, was er darauf antwortet. Ein kleines Lächeln huscht über seine Lippen, ehe er ihre Hand ergreift.

„Lass uns zu Eric gehen", schlägt er vor.

Zu gern würde Amber wissen, was in seinem Kopf vor sich geht. Noch vor einigen Tage dachte sie, dass Eric der Undurchschaubare der beiden ist. Doch mittlerweile weiß sie, dass Tom viel mehr zu verbergen versucht.

Im Wartezimmer angekommen, hat Eric sein unruhiges herum laufen beendet und sitzt nun auf einen der Stühle.

„Wo warst du?", keift er Amber an.

„Hattest du Angst, ich komm nicht wieder?", fragt sie ihn spitz und erhält ein schnaufen.

„Ich hatte nur keine Lust, das Tom mich auf eine Such- und Rettungsmission zerrt, solltest du verloren gehen", brummt er.

„Du hast dir Sorgen gemacht. Das ist wirklich niedlich", grinst sie. „Allerdings war ich nur Kaffee holen."

Eric sieht sie finster an, als Tom ein Lachen entweicht.

„Euch beide kann ich wohl nie wieder alleine lassen", grinst er. „Sonst hat Amber nur noch einen wunden Hintern."

Auf Erics Gesicht tritt ein diabolisches lächeln, ehe er den Kaffee entgegennimmt.

„Es würde ihr sicherlich gefallen", grinst Eric.

„Da bin ich mir sicher", antwortet Tom und setzt sich neben seinen Freund.

Zwar freut es Amber, dass er etwas entspannter wirkt, aber sie hasst es, wenn die beiden sich gegen sie verbünden und über sie reden, als wäre sie nicht zugegen.

„Könntet ihr bitte nicht über mich reden, während ich anwesend bin?", brummt sie und lässt sich neben Tom fallen, da sie Eric zutraut, sie auch im Krankenhaus über sein Knie zu legen.

Sie schluckt das aufkommende Kribbeln hinunter und nippt an ihrem Milchkaffee.

„Sorry, Kleines", grinst Eric. „Du hast recht. Es war taktlos."

Fast hätte sie den Kaffee ausgespuckt, da ihr Erics Worte einen Hustenanfall bescheren. Er hat sich entschuldigt und ihr recht gegeben? In einem Satz?

Verwirrt sieht sie zu ihm hinüber und begegnet seinem dämonischen Grinsen, das ihr direkt zwischen die Schenkel schießt.

„Wenn du nicht artig bist, werde ich dir jeden Tag den Arsch versohlen", brummt er süffisant. „Und es wird dir gefallen!"

Das ist keine Frage! Nein! Eric weiß, dass ihr seine Worte gefallen.

Schauer der Erregung preschen auf sie ein und lassen ihren Körper vibrieren. Unruhig rutscht sie auf dem Stuhl hin und her, um das Pochen zwischen ihren Beinen zu mindern. Tom packt ihr Kinn und zieht sie an sich. Ein dunkler Ausdruck huscht über seine braunen Iriden, der ihr einen Schauer verursachen.

„War das besser?", fragt Tom im gleichen düstern Ton wie sein Freund.

Amber vergisst das atmen, als beide Männer sie mit einem Hunger im Blick anstarren, der sie nur weiter erregt. Schwach nickt sie und zaubert beiden damit ein zufriedenes Lächeln auf die Lippen.

Toms Hände verlassen ihr Gesicht und mit geröteten Wangen wendet sich Amber ab. Wie kann es sein, dass sie mit den beiden eine Achterbahn der Gefühle bestreiten. Gerade war sie noch verärgert und binnen Sekunden, ist es reine Lust, die sie durchströmt.

Das einzige Gute daran ist, dass Tom endlich auf andere Gedanken gekommen ist und sichtlich ruhiger geworden ist.

„Hab kurz im Club angerufen und alle auf den neuesten Stand gebracht", erklärt Tom seinem Freund, während Amber immer noch versucht, ihre Atmung zu kontrollieren.

Gerade ist sie mehr als froh, von den beiden ignoriert zu werden.

„Die Nachricht, dass Kenai niedergestochen wurde, hat sich schnell verbreitet. Die Crew ist nervös und Mason hat alle Hände voll zu tun, sie zu beruhigen."

Bei dem Namen Mason erschaudert Amber kurz. Sie kennt jemanden, der ebenfalls so heißt, und sie mochte ihn nicht. Er ist Henrys Neffe und ein Arschloch. Er hat sie zu jeder sich bietenden Gelegenheit unsittlich berührt. Wenn Amber an ihm vorbeigegangen ist, hat er ihren Hintern betatscht und sie sogar einmal an die Wand gedrückt und seine Hände unter ihr Shirt gleiten lassen. Gott sei dank, kam in dem Moment eines der Hausmädchen um die Ecke und Amber konnte fliehen. Doch Henry davon erzählen, hat sie sich nie getraut. Wer weiß, wer seinen Zorn abbekommen hätte.

„Sie wollten den Club vorzeitig schließen und alle ins Krankenhaus kommen, doch ich habe ihnen gesagt, dass sie bleiben sollen. Es bringt nichts, wenn wir hier alle sitzen und uns gegenseitig nervös machen. Lieber lenken sie sich im Club ab", spricht Tom seufzend weiter.Amber rüttelt sich auf und sieht zu ihm hinüber. Tom reibt sich über sein Gesicht, das erschöpft wirkt und seine Ruhe und Gelassenheit als Show entpuppt.

„Noch dazu drängt mich Luca, dass er dringend mit mir reden muss", brummt Tom.

„Weshalb?", fragt Eric nach, der mit geschlossenen Augen den Kopf in den Nacken gelegt hat und nicht weniger müde aussieht.

„Keine Ahnung. Scheint wichtig zu sein. So aufgebracht habe ich Luca selten gesehen", grummelt Tom, als die Tür des Wartezimmers geöffnet wird und der Arzt von zuvor den Raum betritt.

Ambers Herzschlag beschleunigt sich und eilig erheben sie sich.

„Wir haben die Operation beendet", beginnt er. „Mr. Sioux hat überlebt."

Als würde eine Last von jedem der Anwesenden herabfallen, dringt ein Seufzen durch den Raum.

„Wie geht es ihm?", fragt Tom erleichtert nach.

„Er hat sehr viel Blut verloren und wird noch eine Zeitlang hierbleiben müssen", antwortet der Doc. „Wir werden ihn einmal operieren müssen, aber fürs Erste ist er stabil."

„Können wir zu ihm?", möchte Eric wissen.

„Morgen früh erst. Momentan liegt er auf der Intensivstation und schläft. Daher muss ich sie bitte, morgen noch einmal zu den normalen Besuchszeiten wiederzukommen", erklärt ihnen der Arzt.

„Vielen Dank Dr.", bedankt sich Tom lächelnd in seiner gewohnt zuvorkommenden Art.

Der Arzt nickt und verlässt den Warteraum.

„Ich ruf kurz Mason an", sagt Tom und wählt eine Nummer auf dem Display.

Während er mit ihm telefoniert, wendet sich Amber an Eric. Vorsichtig streicht sie ihm über sein Gesicht, bis er sie ansieht.

„Wir kommen morgen nochmal her", verspricht sie.

Doch Eric brummt nur und scheint seine Wut noch kein bisschen losgeworden zu sein.

„Wir können", fordert Tom ihre Aufmerksamkeit und gemeinsam verlassen sie den Raum, indem sie die letzten Stunden verbracht haben.

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