Kapitel 24
Tom
Es ist für Tom ungewohnt unter der Woche im Club zu sein, aber der Drang sich wieder aktiv zu beteiligen, hat ihn heute hierher gezogen. Während Eric und Amber zuhause sind, steht er neben der Bar und beobachtet wie sich das Belle langsam füllt.
Obwohl Donnerstag ist, rechnet Tom mit dem gleichen Ansturm wie gestern, denn heute ist Ladys-Night in seinem Nachtclub. Er liebt die Mottotage und ebenso seine Gäste. Es ist erst neun Uhr und die Feierwütigen drängen bereits hinein. Der DJ, ein Latino mit Rasta Frisur legt gerade „Beyonce -Single Ladies" auf und schon geht ein Kreischen durch die meist weiblichen Gäste, die alle auf die Tanzfläche stürmen.
Tom seufzt und verlässt, die Bar, an der er gestanden hat, um eine Runde durch den Club, zu laufen.
Er trifft Luca, der neben dem Darkroom lehnt, der heute offen hat. Sein Blick schweift aufmerksam über die Gäste.
„Hey", begrüßt ihn Tom und stellt sich neben ihm. „Ist alles gut?"
„Hey Tom", antwortet Luca und grinst. „Noch keine Probleme."
Obwohl er von Luca am meisten weiß hat Tom das Gefühl ihn kaum zu kennen. Vielleicht liegt es aber nur daran, dass er nur seine Gegenwart kennt, nicht die Vergangenheit. Er hat eine tolle Frau, die es liebt zu backen und sie permanent mit Kuchen und Törtchen verköstigt. Seine beiden Töchter sind Engel, die Tom bereits in sein Herz geschlossen hat. Kelly, seine älteste, liebt Pferde und oft besuchen alle ihr Anwesen, um mit den Stuten einen Ausflug zu machen.
Was ihn manchmal sorgen bereitet ist Luca. Er weiß, dass er in Afghanistan stationiert war und viel Schlimmes erlebt haben muss. Denn für Luca existiert die Zeit nicht mehr. Als hätte er keine Vergangenheit, bis er aus dem Krieg zurückgekehrt ist. Mia, seine Frau, scheint dies schwer zu belasten. Ihr Mann lächelt, ist liebevoll und ein toller Dad, doch jedes Mal, wenn sie über Vergangenes spricht, weicht Luca aus.
Tom bedeuten seine Mitarbeiter viel. Sie sind für ihn eine Familie geworden, da er für seine eigene, seit fünf Jahren Luft ist.
„Hast du ein Auge auf Nate?", möchte er von Luca wissen.
Dieser nickt und blickt an ihm vorbei. Tom folgt seinen Augen und bemerkt den Studenten, der eine der Frauen gerade davon abhält, den Tänzer vor ihr zu betatschen. Denn bei Ladys-Night sind es männliche Tänzer, die sich auf den Emporen bewegen, was die Frauen überaus lieben.
Tom betrachtet eine Weile die Tanzfläche. Die Jungs hatte er schon einmal gebucht, da sie professionell sind. Einer von ihnen trägt noch seine Feuerwehruniform und die Frauen flippen komplett aus, während er aufreizende Bewegungen macht.
Kopfschüttelnd wendet sich Tom wieder zu Luca. Er hat Amber absichtlich nicht mitgenommen und langsam wird ihm bewusst wieso. Er wollte nicht, dass sie einen anderen Mann anschmachtet als sie beide. Verflucht! Er ist eifersüchtig. Ein Gefühl, dass er nicht kennt.
„Ich dreh mal weiter meine Runde", murmelt Tom. „Wenn was ist, sag Bescheid."
Damit wendet er sich von Luca ab, der wieder beginnt, den Raum genauestens zu beobachten.
Toms nächster Halt ist der Darkroom. Er betritt den abgedunkelten Gebäudeteil, der in einem dezenten Licht beleuchtet ist und von ruhigeren Tönen, als „Barbie Girl", dass gerade draußen auf der Tanzfläche gespielt wird, begleitet wird. Alle sechs Separees sind belegt, was an den geschlossenen Türen zu erkennen ist.
Die Räume sind meist Monate vorher ausgebucht und Tom lässt sich das gut bezahlen. Alleine zwei Securitys muss er dafür abstellen. Luca steht davor und eine weiterer beobachtet im Verborgenen, das geschehen im Inneren. Der Mann nickt ihm kurz zu, als er an den japanischen Zimmern vorbei schlendert.
Leise Gespräche dringen aus einem der Separees, während aus dem anderen lustvolles Stöhnen kommt. Die Zimmer sind hellhörig und dennoch schützen sie einen vor unerwünschten Blicken. Das reizt seine Gäste und solange sie im Legalen bleiben, ist es ihm egal, was sie darin treiben.
Oder mit wem!
Lisa betritt den Raum mit einem vollen Tablett Getränke. Sie trägt passend zum Darkroom ein aufreizendes Kleid, mit hohem Beinschlitz und japanischem Muster. Ihre blonden Haare sind mit Stäbchen auf ihren Kopf fixiert. Sie sieht hübsch aus, wenngleich Lisa nicht seinem Typ entspricht.
Sie nickt Tom zu, ehe sie an eine der Separees tritt und nach höflichem Nachfragen, eintritt.
Da im Darkroom alles seinen Gang nimmt, verlässt er diesen wieder. Kenai ist wie immer an der Tür und scheint sichtlich genervt, von den ganzen „gackernden Weiber" wie er sie gerade getauft hat. Das hat Tom zum Schmunzeln gebracht. Der Hüne, grimmig mit verschränkten Armen umringt von einer Schar Frauen, die auf den Einlass warten und sich über Schuhe, Make-up und ihn unterhalten. Denn obwohl Kenai eine abschreckende Wirkung hat, ist er ein regelrechter Frauenmagnet. Tom weiß wirklich nicht, was Frauen mit dem düsteren Aura Ding haben. Je unnahbarer ein Kerl, desto interessanter.
Eric strahlt das auch aus und konnte sich als Teenager kaum vor Anfragen retten, die er alle kommentarlos ignoriert hatte. Sein Freund wollte nie eine Beziehung und war lediglich an gefühllosen Sex interessiert.
Dabei denkt Tom wieder an Amber. Würde Eric seine Meinung bei dem roten Wirbelwind ändern? Könnte er sich eine Partnerschaft mit ihr vorstellen? Mit Amber und ihm?
In der VIP-Lounge ist so weit alles in Ordnung. Einer seiner Barkeeper versorgt die Gäste oben und ein Securitymann achtet darauf, dass niemand Probleme macht. Sicherheit ist für ihn immer wichtig gewesen. Seine Gäste sollen sich hier wohl fühlen. Schlägereien von Betrunkenen, ängstliche Frauen, die sich nirgends alleine hin trauen, oder K.O. Tropen in den Drinks gibt es im Belle nicht. Sein Personal ist sowohl hinter als auch vor der Bar ausgebildet. Sie sollen erkennen, wenn eine Frau bedrängt wird, oder ein Mann Stress beginnt, ehe es komplett ausartet.
Kurz nach elf Uhr ist sein Club brechend voll. Die weiblichen Gäste feiern zur Musik von „Danza Kuduro", während die männlichen Begleitpersonen an der Bar mit einem Bier in der Hand auf die Taschen achten. Da einer seiner Barkeeper sich kurzfristig krank gemeldet hat, ist Tom selbst eingesprungen und rotiert mit den anderen hinterm Tresen. Zwar kommt er gut mit allen seinen Mitarbeitern aus, aber man spürt, dass die restlichen Angestellten in seiner Nähe nervös werden. Klar, er ist auch ihr Chef. Nach anfänglicher Gehemmtheit läuft es nach wenigen Stunden echt gut. Da das zubereiten, von Cocktails nicht sein Ding ist, übernimmt Tom das herausgeben von Bier und Softdrinks. Es hat ihm gefehlt, mit anzupacken und im Club zu stehen. Das Lächeln gleitet wie von selbst auf seine Lippen, als hätte er nie etwas anderes getan. Da ist keine Maske. Keine Gezwungenheit und abermals fragt Tom sich, ob es an Amber liegt. Denn sobald seine Gedanken zu ihr driften, muss er unweigerlich wie ein verliebter Teenager grinsen.
Mittlerweile ist es kurz vor Mitternacht, als er Luca sieht, der grimmig auf ihn zutritt. Tom stellt einem männlichen Gast eine Flasche Bier hin, ehe er sich an seinen Securitymann wendet.
„Was ist los?", fragt er ihn, da Luca kein Mensch ist, der schnell wütend wird.
„Hast du kurz Zeit?", möchte er wissen.
Tom blickt an der Bar entlang, an der immer noch zahlreiche Gäste stehen und auf ihre Getränke warten.
„Gerade wirklich schlecht, Luca", brummt er und nimmt eine Bestellung auf. „Können wir nachher reden?"
Er stellt eine Coke und zwei Flaschen Bier auf die Theke und stempelt die Karte ab, mit denen sie arbeiten.
„Ist wirklich wichtig", grummelt der Security weiter, als sein Funkgerät zu knacken beginnt.
„Kenai. Kannst du das wiederholen? ... Hallo?"
Luca zieht verwirrt die Augenbrauen nach unten.
„Kenai?", fragt er abermals.
„Er antwortet nicht", murmelt Luca.
„Ist er überfordert mit den Mädels?", fragt Tom nach und grinst.
„Höchstwahrscheinlich. Ich schau mal nach", antwortet Luca. „Aber danach müssen wir dringend reden."
Tom nickt, als in dem Moment eine Frau über die Musik hinweg kreischend an die Bar läuft.
„Hilfe. Wir brauche draußen Hilfe!", spricht sie panisch.
Tom ist sofort alarmiert und eilig springt er über die Bar, um Luca, der sich bereits einen Weg durch die Menge bahnt, zu folgen.
Eine Menschenmenge hat sich draußen versammelt und sich durchquetschend, versucht er ins Innere zu gelangen. Die Panik lässt sein Herz höher schlagen und laut rufend drängt er die Menschen auseinander. Doch der Anblick, der ihm anschließend geboten wird, lässt ihn stocken.
Kenai liegt auf dem Boden, die Augen kaum offen, starrt er zu ihm empor. Eilig lässt er sich neben den Hünen nieder. Ein Mann kniet am Boden und drückt auf Kenais Bauch, aus dem ein Messer ragt.
„Verdammt! Was ist hier passiert?", fragt Tom ruhig nach.
„Wir haben es nicht genau gesehen. Aber plötzlich ist er in die Knie gegangen und das steckte in ihm", antwortet ihm der schwarzhaarige Mann, der druck auf die Wunde ausübt. „Ich habe es noch nicht rausgeholt. In den Arztserien machen sie das auch nie."
Nervös blickt der junge Gast zu Tom empor.
„Das war gut. Schön weiter drücken", fordert Tom. „Wurde der Notruf schon gerufen?"
„Ja. Er muss gleich da sein", antwortet jemand hinter ihm.
„Tut mir leid, Boss", murmelt Kenai angestrengt. „Den hab ich nicht kommen gesehen."
Tom rutscht zu seinem Türsteher und Freund auf und ergreift seine Hand, die er ihm entgegenstreckt. Sein Blick gleitet über den Hünen. Das dunkle Hemd ist getränkt mit Blut und der junge Mann hat Schwierigkeiten, die Blutung zu stoppen. Verdammt. Wie es scheint, ist die Hauptschlagader beschädigt und das bedeutet nichts Gutes. Tom drückt mit der freien Hand ebenfalls auf die Wunde, was Kenais Kehle ein Stöhnen entweicht. Er möchte Kenai keine Angst machen, daher versucht er, auf ihn beruhigend einzureden.
„Das wird wieder. Ich brauch dich doch hier an der Tür. Wer soll dich denn ersetzen?"
In der Ferne ertönen Sirenen Geräusche und eine Erleichterung durchströmt ihn. Doch als er in das blasse Gesicht seines Freundes sieht, dem immer wieder die Lider zufallen, überkommt ihn abermals die Angst. Der Druck auf seiner Hand wird schwächer.
„Ich weiß nicht, Boss", röchelt Kenai.
„Hey. Hey. Nicht sprechen", mahnt ihn Tom.
Neben ihnen hält der Krankenwagen und Lucas Stimme dringt an seine Ohren.
„Verdammt. Macht den Weg frei Leute", knurrt er wütend.
„Machen Sie Platz!" Ein Sanitäter taucht neben ihm auf und der junge Mann, der zuvor auf die Wunde gedrückt hat, weicht von Kenai zurück. „Was ist passiert?"
„Wunde am Bauch. Wahrscheinlich die Hauptschlagader verletzt. Er hat verdammt viel Blut verloren. Waffe steckt noch", antwortet Tom ihm sachlich.
Er versucht, ruhig zu bleiben, obwohl sein Puls rast und die Angst, einen Freund zu verlieren, ihn fast lähmt. Der Sanitäter überprüft die Vitalzeichen, ehe sie einen Druckverband, um das Messer wickeln.
„Er muss sofort ins Krankenhaus", ordnet der Sanitäter an. „Sagen Sie in der Notfallambulanz Bescheid. 30-jähriger Mann mit Stichwunde am Bauch. Womöglich Arterie verletzt."
Der Assistent nickt, ehe er die Daten in sein Funkgerät spricht. Währenddessen hieven die anderen Rettungsassistent Kenai auf eine Trage und schnallen ihn fest. Tom steht daneben und fühlt sich dermaßen nutzlos, während die Sanitäter ihn in den Rettungswagen schieben.
„Wo bringen Sie ihn hin?", brüllt er dem Mann hinterher.
„St. Paul's Hospital", antwortet der Rettungssanitäter, ehe er die Türen des Krankenwagens zuschlägt und dieser mit Blaulicht davonfährt.
„Tom? Bei dir alles gut?"
Luca ist neben ihn getreten und sieht in besorgt an.
„Ja!"
Das tiefe Brummen aus seiner Kehle war nicht beabsichtigt und doch kam es. Tom ist wütend, dass realisiert er erst jetzt, als Luca einen kleinen Schritt von ihm weicht. Normalerweise ist er die Ruhe in Person. Das hat er sich jahrelang antrainiert. Seine Gefühle verstecken und nicht der Außenwelt zeigen. Doch gerade kann er sie nicht verbergen. Irgendein Arsch hat seinen Freund mit einem Messer abgestochen und dass vor seinem Club. Es reißt eine tiefe Wunde in ihm auf, die ein stechen in seiner Brust verursacht.
„Kenai wird wieder", spricht Luca beruhigend auf ihn ein. So wie er es zuvor bei seinem Freund gemacht hat. „Er ist ein Kämpfer."
Doch er bezweifelt, dass diese Geschichte ein Happy End nimmt. Das viele Blut, das in den roten Teppich eingedrungen ist. Selbst er ist voller Blut. Wie bei Annabelle. Die Bilder seiner toten Schwester erscheinen in seinen Gedanken. Ihr lebloser Körper. Die aufgerissenen Augen. Der stumme Schrei. Der Schmerz, den er in diesem Moment empfunden hat. Der Hass, der ihn immer noch mit sich reißt, wie ein fließender Strom. Er hätte es verhindern können. Sogar müssen!
Er greift sich an seine Brust, in der ein dumpfer Schmerz beginnt, ehe er sich stumm ab wendet. Er bahnt sich einen Weg in den Club, in dem es scheint, als wäre nie etwas geschehen. Die Gäste tanzen und feiern. Niemand achtet auf ihn. Keiner interessiert sich dafür, was nur wenige Meter vor der Tür passiert ist. Das Kenai gerade um sein Leben kämpft.
Schweigend betritt Tom den Office Bereich und eilt die Treppen zu seinem Büro empor. Erst als die Tür ins Schloss fällt, atmet er die Luft aus, die er unweigerlich angehalten hat. Der Druck wird stärker und sein Körper beginnt zu zittern, als die Emotionen auf ihn eindreschen wie Schläge.
Wieder befindet er sich im Hausflur zu Annabelles Wohnung. Ein Typ rempelt ihn unsanft an und wütend brüllt ihm Tom hinterher. Doch wird er ignoriert. Wie in seinen Träumen betritt er das leere Wohnzimmer und ruft nach seiner Schwester. Allerdings erhält er wie immer keine Antwort. Die Flasche Bourbon steht auf dem Wohnzimmertisch und scheint ihn zu verhöhnen.
Wie von selbst steuert Tom ihr Schlafzimmer an. Sein Herz wummert gegen seine Rippen, als er die Tür öffnet.
Der dunkle Bildschirm des Fernsehers reflektiert eine Person auf dem Bett. Er möchte sich nicht umdrehen und dennoch tut er es. Wie jedes Mal, seit fünf Jahren.
Mit weit aufgerissenen Augen blickt ihm Annabelle entgegen und ehe Tom auf sie zu stürzt, um ihr zu helfen, weiß er bereits, dass es zu spät ist. Blut klebt auf ihren Körper und das Bett unter ihr ist ebenfalls rot. Er hört seine Stimme weit entfernt, die ihren Namen schreit, als er schluchzend an ihrem Bett zusammenbricht.
Nur für ihn ist sie in den Supermarkt gefahren. Nur für den Bourbon, den er so gerne trinkt. Nur seinetwegen ist sie tot. Es ist seine Schuld.
Der Druck auf seiner Brust wird größer und Tom versucht sich, zum Atmen zu zwingen. Er wird jetzt nicht zusammenbrechen, während sein Freund, um sein Leben kämpft.
Mit bebendem Körper erhebt er sich. Kenai wird kämpfen, dass bezweifelt er nicht. Doch wird er den Kampf auch gewinnen?
Tom zückt sein Smartphone und bemerkt jetzt erst, seine blutigen Hände. Abermals durchdringen die Bilder seiner toten Schwester seine Gedanken. Zitternd gibt er die wenigen Wörter in das Gerät ein, ehe er auf Senden drückt und ein Schluchzen seine Kehle verlässt.
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