Kapitel 2


Tom

Das heiße Wasser prasselt über seinen breiten Rücken und genüsslich schließt Tom die Augen. Was für ein Tag! Seufzend stützt er seine Hände an der gefliesten Wand, der großen begehbaren Dusche ab und lässt sich die Knochen wärmen. Der Sturm tobt draußen und immer wieder flackert das Licht im Badezimmer. Es würde ihn nicht wundern, wenn es bald erlischt. Doch Eric und er haben sich gut vorbereitet. Im Außenbereich haben sie alles gesichert und für den Notfall, Kerzen und Taschenlampen bereitgestellt. Das Haus ist stabil gebaut, ebenso der Stall, indem die Pferde stehen, daher macht er sich keine Sorgen, dass ihnen etwas passiert. Sie müssen nur hier verweilen, bis der Sturm nachlässt. Dass sie nun einen unangekündigten Gast herbergen, war nicht eingeplant und macht es nicht einfacher.

Das Anwesen, was einst seinem Onkel gehörte, liegt außerhalb von Vancouver und der nächste Hof ist knappe 12 Kilometer entfernt. Zur Nordseite hinaus erstreckt sich der „Cypress Mountain" Park mit seinen über 3000 Hektar großem Gebiet. Die junge Frau muss Stunden herumgeirrt sein, bis sie letztlich auf ihrem Grundstück zusammengebrochen ist. Doch was hat sie dazu getrieben?

Ein Seufzen verlässt Toms Kehle, bevor er zum Duschgel greift und seinen Körper damit einseift. Das warme Wasser bahnt sich einen Weg über seine Brust, hinab über den trainierten Bauch, ehe es im Abfluss verschwindet.

Der Herbst bringt hier draußen kalte Nächte mit, auch wenn die Temperatur nie unter null Grad sinkt. Am Tag ist es meist sonnig und warm, doch der Sturm hat die kühle Luft aus Alaska mitgebracht, was den rapiden Temperatursturz erklärt. Nach dem Unwetter werden sie die Schäden begutachten und reparieren. Das zerstörte wieder aufbauen oder ersetzten, sollte es irreparabel sein.

Tom stellt den Wasserhahn ab, ehe er aus der Dusche tritt und sich eines der weichen Handtücher um die Hüfte schlingt. Ein Blick auf die digitale Anzeige der Uhr, die in dem Spiegel integriert ist, zeigt ihm, dass es bereits neun Uhr abends ist. Normalerweise würde er um diese Uhrzeit in seinem Büro im Club, Belle, mitten im Herzen Vancouvers über Abrechnungen oder Quartalszahlen sitzen. Doch nicht an diesem Sonntag im Oktober. Er hatte den Nachtclub geschlossen und ebenso wie das Anwesen, sturmsicher gemacht. Heute würde niemand auf die Idee kommen, sich hinauszuwagen, wenn er nicht Total verrückt ist.

Sich über sein Gesicht reibend, sieht Tom seinem Spiegelbild entgegen, das abgeschlagen wirkt. Die braunen Augen erwidern sein Starren erschöpft, während seine Lippen hart aufeinander gepresst sind. Nur wenn er alleine ist, erlaubt Tom sich, die Realität zuzulassen. Der Außenwelt zeigt er seit einer langen Zeit eine Maske, die er sich selbst auferlegt hat, um sich zu schützen. Niemanden zu demonstrieren, wie es wirklich tief in ihm aussieht. Doch von Jahr zu Jahr wird es schwerer diese Unbefangenheit zu zeigen, zu sehr rüttelt der Selbsthass in ihm. Seine Fassade bröckelt, was ihn dazu gebracht hat, abstand zur Wahren. Früher war er täglich im Club, hat Veranstaltungen organisiert und dirigiert. Hatte Personalpläne geschrieben, Bestellungen erledigt und die Aktivitäten im Belle nicht aus den Augen lassen. Doch mittlerweile fährt er nur einmal in der Woche dorthin, obwohl der Nachtclub jeden Tag offen hat. Zu müde, ein Lächeln aufrecht zu halten. Nur Eric versteht, was sich tief in ihm abspielt. Bei seinem besten Freund, den er seit Kindesalter kennt, kann Tom er selbst sein. Da fühlt sich das Lächeln nicht unecht an.

Seufzend trocknet er sich ab, ehe er in ein sauberes Shirt schlüpft und sich eine bequeme Jogginghose überstreift, die Tom sich zuvor zurechtgelegt hatte. Anschließend verlässt er das geräumige Badezimmer und begibt sich nach unten, wo ein Geruch aus der Küche dringt, der ihn erinnert noch nichts gegessen zu haben. Doch anstelle direkt nach links zu gehen und dem Duft zu folgen, biegt er in die entgegengesetzte Richtung ins Wohnzimmer ab. Die junge Frau liegt ruhig auf der dunkelgrauen Couch, wenngleich sie die Decke nun krampfhaft mit ihren kleinen Händen umklammert hält. Ihre Lippen haben mittlerweile einen gesunden Rosaton angenommen, ebenso ihre Wangen, die regelrecht zu glühen scheinen. Daher prüft Tom ihre Temperatur und stellt fest, dass diese leicht erhöht ist.

Eilig begibt er sich in die Küche, in der sein Freund mit dem Rücken zu ihm, am Herd steht und mit einer Pfanne hantiert.

„Du kochst?", fragt Tom mit hochgezogenen Augenbrauen und angelt ein frisches Handtuch aus dem Schrank, ehe er es mit kaltem Wasser durchtränkt.

„Ja, ich probiere mich an Rühreier", murrt dieser zurück, bevor sein Blick auf den nassen Lappen fällt. „Was wird das?"

„Sie hat Fieber bekommen", erklärt er ihm kurz. „Ich muss die Temperatur regeln, ehe sie in die Höhe schießt."

Damit wendet er sich ab und verlässt die Küche, um der jungen Frau den kühlenden Lappen auf die Stirn zu legen. Mehr kann er momentan nicht für sie tun. Sollte sich ihr Zustand verschlimmern, müssten sie sich überlegen, sie in ein Krankenhaus zu bringen. Doch zum jetzigen Zeitpunkt und bei dem tosenden Wetter vor ihrer Tür wäre dies nicht ratsam.

Tom betritt ein weiteres Mal die Küche, in der Eric gerade die Rühreier, oder wie er es auch nennen mag, auf zwei Teller verteilt.

Normalerweise ist das Kochen Toms Gebiet, da sein Freund es nicht nur hasst, am Herd zu stehen, er hat auch null Talent. Seine Fähigkeiten beweist er dafür am Computer und seine zwanghafte Gründlichkeit.

Da die Eier bereits fertig sind und Tom keine Kraft mehr hat, sich etwas zu kochen, setzt er sich, mit einer Flasche Wasser, an die Kochinsel. Die grau-weiße Küche ist sein ganzer Stolz und das erste, dass er im Haus verändert hatte. Über zwei Wände, steht die geräumige, moderne Küchenzeile, die mit unzähligen Schnickschnack ausgestattet ist. Einem Induktionskochfeld, dem Dampfbackofen für die schonende Zubereitung, einem Grill und einem Kaffeeautomaten, der lebenswichtig ist. Zwar ist Eric eher der Technikbegeisterte im Haus, doch Tom liebt das Kochen und alles, was dazugehört.

Sein Freund stellt ihm einen der Teller vor die Nase, ehe er sich ihm gegenüber auf einen der Barhocker niederlässt. Eric hat sich ebenfalls trockene Kleidung angezogen und trägt ein schlichtes weißes Shirt, dass seine dunklen Tattoos, an den Armen, düster erscheinen lässt. Seine schwarzen Haare sind nass vom Platzregen und hängen ihm mit einer Lässigkeit in die Stirn, die Tom immer bewundert hatte.

Skeptisch begutachtet er die gelben Flocken auf seinem Teller und stochert vorsichtig eine auf seine Gabel.

„Es ist schon nicht vergiftet", faucht Eric, als dieser sein Schauspiel verfolgt.

Toms Augenbrauen zucken. „Na ja. Bei deiner Kochkunst wäre ich da nicht sicher", kommentiert er, ehe er sich die Gabel in den Mund schiebt und das versalzene Ei, hustend zurück auf den Teller spuckt.

„Das war das letzte Mal, dass ich für dich etwas koche", knurrt Eric, der sich ebenfalls eine Gabel hinein schiebt und dabei ein Gesicht zieht, als würde er es ihm gleichtun und das Ei ausspucken. Doch wortlos schluckt er den Happen herunter, wenngleich etwas ungewollt.

„Ist vielleicht auch besser so", bringt Tom gedämpft heraus und schiebt das ungenießbare Rührei von sich. „Es müssten noch Reste vom Auflauf im Kühlschrank sein. Ich könnte ihn schnell erwärmen."

Damit erhebt er sich und durchwühlt, mit einem grinsen auf den Lippen, den Kühlschrank nach besagtem Lebensmittel.

„Versprich mir nur eines", bittet Tom seinen Freund, der mittlerweile aufgegeben hat, so zu tun, als würde das Essen schmecken, „wenn du beim nächsten Mal vorhast unseren gesamten Vorrat an Eiern aufzubrauchen. Informiere mich davor, dann bereite ich sie dir gerne zu."

Eric schnauft hinter ihm, erwidert darauf aber nichts, was Tom abermals ein Grinsen abverlangt. Murrend sitzt sein bester Freund am Tisch und sieht grimmig auf die Reste seiner Eier.

„Nimm es nicht persönlich. Nicht jeder kann kochen", versucht er ihn aufzumuntern.

Doch dieser keucht abermals und schweigt eisern weiter. Kopfschüttelnd macht sich Tom daran ein weiteres Abendessen zuzubereiten, als ein Schrei in die Küche dringt. Fragend blickt er in Richtung Wohnzimmer, ehe sie sich erheben und die junge Frau mit schmerzverzerrtem Gesicht auf dem Sofa liegend vorfinden. Kleine Seufzer verlassen ihren Mund und unruhig wälzt sie sich hin und her. Schnell kniet sich Tom neben sie, um zu verhindern, dass sie auf den Boden kracht. Der Lappen auf ihrer Stirn ist bereits nicht mehr kalt und wie es scheint, ist das Fieber gestiegen.

„Schnell, bring mir kalte Handtücher. Ihr Fieber ist gestiegen", fordert er und ohne Umschweifen verlässt Eric den Raum.

Beruhigend streicht Tom der zierlichen Frau die feuchten Strähnen aus der Stirn, während ruhige Worte über seine Lippen gleiten.

„Entspann dich. Du bist hier in Sicherheit", flüstert er ihr zu, als Eric mit neuen kühlenden Handtüchern das Zimmer betritt.

„Wickel ihr die um die Waden", verlangt Tom, ehe er ihre Stirn mit einem neuen kühlen Tuch betupft.

Ihre Brust hebt und senkt sich stark unter der Decke, doch ihre Atmung wird gleichmäßiger, bis sie sich langsam beruhigt. Tom fühlt ihren Puls, der nicht mehr allzu sehr flattert und beständig im Sinusrhythmus weiter schlägt.

„Sie muss schlafen und sich ausruhen. Was auch immer sie mitgemacht hat, hat sie komplett ausgelaugt. Die Kälte und der Regen haben den Rest erledigt."

Eric nickt und verschränkt seine Arme, wie ein schützendes Schild, vor seiner breiten Brust.„Wir sollten essen und dann ebenfalls schlafen gehen. Morgen wird der Tag auch so schon anstrengend genug", schlägt Tom vor.


Übermüdet und gähnend, begibt Tom sich am nächsten Morgen in die untere Etage. Sein erster Blick gleitet zum Sofa, wo die junge Frau weiterhin schlafend liegt. Abermals überprüft er ihre Temperatur, die gesunken ist, was ihn beruhigt. Ihre Lider liegen sanft auf ihren Augen, während kleine Seufzer ihre vollen Lippen verlassen. Sie sieht friedlich aus, wenn sie schläft, und eine Zeitlang beobachtet Tom sie. Ihre Wangen sind rosa und die Sommersprossen verleihen ihr etwas Niedliches. Ihre kupferfarbenen, langen Haare sind mittlerweile trocken und wellen sich auf der weißen Decke, die sie umhüllt. Vorsichtig schiebt er ihr eine lockige Strähne aus der Stirn, ehe Tom sich keuchend erhebt und zur Küche schlendere. Er stellt eine Tasse unter den Kaffeeautomaten und schalte das Radio an.

„Auch der heutige Tag bringt einige Sturmböen aus Alaska mit, daher bitten wir die Bevölkerung möglichst nicht das Haus zu verlassen. Die Temperaturen liegen zwischen 4 und 8°C. Im Laufe des Tages wird die Regenwahrscheinlichkeit auf 20% sinken. In der Nacht überwiegt dichte Bewölkung, aber es bleibt trocken bei Tiefstwerten von 3°C. Mit Böen zwischen 60 und 70 km/h ist zu rechnen."

Seufzend schaltet Tom das Radio aus und entnimmt die herrlich duftende Tasse Kaffee. Zumindest ist der Strom über Nacht nicht ausgefallen, was ihn um einiges erleichtert.

Gerade als er die Tasse zu seinen Lippen führt, ertönt ein tiefes Brummen hinter ihm. Grinsend dreht er sich um und erblickt einen grimmigen Eric, der oberkörperfrei und Barfuß in die Küche tappst. Seine hellgraue Hose sitzt ihm tief auf den Hüften und offenbart nicht nur einen gut gebauten Körper, sondern weitere dunkle Tätowierungen die sich auf jeden Zentimeter seiner Haut befinden.

Eric ist kein Morgenmensch und dementsprechend wirkt er auch. Grimmig kratzt er sich am Bauch, ehe er sich muffig auf den Barhocker fallen lässt.

„Morgen", grüßt Tom ihn lächelnd und reicht ihm seinen unberührten Kaffee.

Sein Freund brummt etwas Unverständliches und nippt an dem schwarzen Gebräu. Vor der ersten Tasse spricht er selten und wenn Tom weiter atmen möchte, sollte man auch partout ein Gespräch vermeiden. Daher brüht er sich einen neuen Kaffee, ehe er sich ihm schweigend gegenüber setzt. Wortlos trinken sie an ihrem Gebräu und lauschen dem tobenden Sturm, der draußen herrscht. In der Weite knarzen die Fichten und Lärchen des Waldes. Der Luftstrom rauscht an der Hauswand vorbei und das Quietschen eines Windrades in der Ferne, dringt an Toms Ohren.

„Wie geht es ihr?" Eric stellt seine leere Tasse ab und sieht ihn fragend an.

„Ihr Fieber ist gesunken und sie schläft noch friedlich", antwortet dieser ihm. „Ich wollte gleich Frühstück machen, oder gehst du erst in den Keller?"

Eric schüttelt den Kopf: „Ich wollte später trainieren."

Irgendwann hatten sie das Haus so eingerichtet, dass es ihnen an nichts fehlt. Da Sport ein wichtiger Aspekt in ihrem Alltag ist, wurde aus dem ehemaligen Männerzimmer seines Onkels, ein kleines Fitnessstudio mit Kurz- und Langhanteln. Wenn Eric ein Ventil benötigt, trainiert er oft, bis zur vollkommenen Erschöpfung. Läuft kilometerweit in den Wald, oder pumpt sich mit Kilos zur Kraftlosigkeit. Sein Freund braucht dass, denn erst dann, kann er wirklich zur Ruhe kommen. 

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