14 | Arschloch

Ich bin gespannt, wie euch das Kapitel gefällt. Der Titel ist denke ich vielversprechend 😂

Willow presste sich mit wild klopfendem Herzen das Handy ans Ohr. Das monotone Freizeichen machte sie beinah wahnsinnig. Weshalb rief er sie zunächst an, um einen Tag später ihren Rückruf zu ignorieren? In Noahs Anwesenheit hatte sie seinen Anruf nicht annehmen wollen, doch jetzt, wo sie zuhause war, war die Hoffnung auf eine Aussöhnung stärker gewesen als ihr Stolz. Also hatte sie ihrem Herzen einen Stoß gegeben und seine Nummer gewählt, aber sie erreichte ihn nicht. Möglicherweise war er auf der Arbeit oder anderweitig beschäftigt. Sie entschied, aufzulegen und abzuwarten, was als Nächstes passieren würde. Mit ihrem Rückruf zeigte sie schließlich, dass auch sie Interesse daran hatte, mit ihm zu reden.

„Hallo?"

Willow gefror das Blut in ihren Adern, als sie unerwartet eine Frauenstimme am anderen Ende hörte. Zunächst war sie so perplex, dass es ihr die Sprache verschlug. „Hi, ich möchte Carlos sprechen", sagte sie, als sie sich vom ersten Schreck erholt hatte. „Er kann gerade nicht ans Telefon kommen."

Willow runzelte überrascht die Stirn. Ihr Herz zog sich schmerzhaft zusammen. „Und wieso gehst du an sein Handy?", beantwortete sie ihre Frage bissig mit einer Gegenfrage. „Weil er mich darum gebeten hat", sagte das Mädchen. Willow stieß ein verächtliches Schnauben aus.

Hatte er sie möglicherweise nur deshalb gestern Abend angerufen? Um ihr zu sagen, dass er nun mit einer anderen zusammen war? Die Befürchtung fühlte sich an wie tausend Messerstiche, die sich tief in ihr Herz bohrten. Sie schüttelte enttäuscht den Kopf. Obwohl sie ihm am liebsten die wildesten Beleidigungen um die Ohren geschlagen hätte, fühlte sie sich hilflos. Sie wusste, dass sie das Telefon nicht weiterreichen würde. Saß er möglicherweise sogar daneben?

„Sag Carlos, dass ich mit ihm sprechen will", stänkerte Willow verzweifelt, nicht wissend, wie sie mit der unerwarteten Situation umgehen sollte. „Er aber gerade nicht mit dir", antwortete sie. Willow schluckte. „Wenn er ein richtiger Mann ist, sagt er mir das selbst", konterte sie wütend und verletzt zugleich.

„Ich sagte doch, er hat jetzt keine Zeit. Was ist falsch mit dir?", fragte das Mädchen am anderen Ende der Leitung. „Was mit mir falsch ist? Was ist falsch mit ihm, dass er jemanden vorschickt, um mit mir zu reden? Du kannst ihm ausrichten, dass mir meine Zeit dafür zu schade ist, um sie an jemanden zu verschwenden, der mich nicht zu schätzen weiß!"

Mit den Worten beendete sie das Gespräch. Ihre Finger zitterten und ihre Augen füllten sich mit Tränen der Enttäuschung. Wieso war er so ein Arschloch?

Einen Moment saß sie einfach nur da und ging das Telefonat wieder und wieder durch. Die Erkenntnis, dass er seine Zeit mit einem anderen Mädchen verbrachte, bestärkte sie nur in ihrer Befürchtung, er könnte es nicht ernst mit ihr meinen. Sie fühlte sich wie betäubt. Wieder einmal hatte ein Mann das Interesse an ihr verloren. Es schmerzte, doch sie versuchte, sich nicht erneut in das Loch aus Selbstmitleid fallen zu lassen. Stattdessen schob sie die schlechten Gedanken beiseite. Sie entschloss, die Dinge dieses Mal anders anzugehen. Fest entschlossen wählte sie Noahs Nummer.

***

„Und er hat nicht versucht, dich zu küssen?", hakte Elina neugierig nach, als sie später zusammensaßen und sie ihr von ihrer gestrigen Verabredung mit Noah erzählte. Es tat ihr gut, darüber zu sprechen, denn es überdeckte den Schmerz der Enttäuschung über Carlos' Verhalten.

„Nein, nicht mal irgendwie. Noah war einfach nur nett. Wir haben uns wirklich super unterhalten", fasste Willow zusammen.

„Also wirst du dich nochmal mit ihm treffen?", hakte ihre beste Freundin neugierig nach. „Ja, wir sind später noch in der Cocktail-Bar verabredet, in der er mal gearbeitet hat." Elina lächelte. „Das klingt doch gut", sagte sie. „Ja, ich bin gespannt, wie es so wird."

„Ich denke, er könnte wirklich was für dich sein. So, wie du ihn beschreibst, scheint er genau auf deiner Wellenlänge zu sein. Außerdem hat er nicht mal probiert, dich bei eurem ersten Date klarzumachen, also ist er vielleicht wirklich ein Verfechter der alten Schule und möchte eine Frau im klassischen Sinn erobern. Das finde ich super süß", fuhr Elina verträumt fort. Willow verzog das Gesicht. „Oh ja, das ist total romantisch", entgegnete sie gespielt verzückt. Elina grinste. „Sei doch nicht so negativ, Willow."

„Ich bin nicht negativ; ich versuche nur, realistisch zu bleiben", gab sie zurück und nippte an dem Brombeertee, den Elina ihr gerade eben gemacht hatte. Ihre beste Freundin saß ihr am Küchentisch gegenüber und musterte sie aufmerksam.

„Du gibst ihm gar keine wirkliche Chance", stellte sie sachlich fest. „Das ist doch gar nicht wahr", protestierte Willow. „Ist dir nicht aufgefallen, dass du permanent versuchst, dich davor zu drücken, dich auf mehr einzulassen?"

„Weil ich ihn noch gar nicht richtig kenne", erklärte Willow. „Und weil ich unglücklich verliebt bin", wollte sie ergänzen, biss sich jedoch auf die Zunge. Noch immer wurde ihr beim Gedanken an Carlos schlecht. Sie war so enttäuscht, dass sie darüber nachgedacht hatte, ihm eine Nachricht zu schreiben, war jedoch gescheitert, weil sie nicht gewusst hatte, was sie schreiben sollte. Nach mehreren Versuchen, einen Text zu formulieren, der nicht ausschließlich aus Beleidigungen oder Gejammer bestand, hatte sie es schließlich aufgegeben. Seit dem missglückten Telefonat am Vormittag herrschte Funkstille. Sie ging nicht mehr davon aus, dass er an einer Aussprache interessiert war. Vielmehr war sie sich nun sicher, dass er sie längst ersetzt hatte.

„Nein, da ist noch was anderes", sagte Elina und erlangte damit wieder ihre volle Aufmerksamkeit. Sie sah ihr eindringlich in die Augen, beinah schon erwartungsvoll. Willow fühlte sich nicht gut dabei, nicht ganz ehrlich zu ihr zu sein. Die Situation mit Carlos schien so verfahren und bedrückte sie dermaßen, dass sie einen guten Ratschlag brauchte.

„Ich habe mich in einen Typen verguckt, aus dem ich nicht schlau werde und nicht weiß, was ich machen soll. Noah ist wirklich nett, aber ich bin mit der Situation überfordert und will keine falschen Entscheidungen treffen."

Elina sah Willow aus großen Augen an, als die Wahrheit geradezu aus ihr herausgesprudelt war.

„In was für einen Typen hast du dich verguckt, warum wirst du aus ihm nicht schlau – und – vor allem: warum weiß ich von ihm nichts?", fragte die Blondine und hob neugierig eine Augenbraue.

„Ich habe es niemandem erzählt. Du hast ihn schon mal gesehen. Es war der Typ aus dem Café, mit dem ich zusammengestoßen bin; der, von dem du gesagt hast, dass er mich gut findet", platzte es aus Willow heraus. „Der Freund von Cassie?"

„Er ist eher ein Freund von John", seufzte Willow. „Warst du etwa schon verknallt in ihn, als wir ihm begegnet sind?", wollte Elina wissen. Willow schüttelte den Kopf. „Nein. Ich habe ihn kurz darauf nochmal wiedergesehen. Wir haben uns kurz unterhalten, dann hat er mich gefragt, ob wir mal ausgehen sollen. Also haben wir Nummern ausgetauscht", fuhr Willow fort. „Und das sagst du mir nicht?", fragte Elina enttäuscht. „Ich wusste nicht einmal, was ich mir davon versprochen habe. Denn am Anfang hat er sich nicht mal gemeldet. Aber weil mein Auto kaputt war und er in einer Werkstatt arbeitet, hat Cassie ihn angerufen und gefragt, ob er es reparieren kann. Sie wusste ja nicht, dass ich gerade auf seinen Anruf gewartet habe. Also habe ich mein Auto in die Werkstatt gebracht und er hat es mir umsonst repariert. Stattdessen hat er mich gefragt, ob ich noch Lust habe, etwas mit ihm zu essen. Also waren wir Burger essen."

Es fühlte sich an wie eine Befreiung, es endlich jemandem anzuvertrauen. „Und dann?", wollte Elina wissen. „Nichts. Wir haben uns ein paar Tage später wieder verabredet und waren zusammen auf einer Tattoo Convention. Danach waren wir noch was essen und sind an der Alster spazieren gegangen. Dort hat er mich geküsst."

Elina sah sie einen Moment aus großen Augen an. „Du hast einen Typen gedatet, mit ihm geknutscht und es mir nicht gesagt?", fragte sie kopfschüttelnd. „Cassie weiß es auch nicht; es weiß niemand, okay?"

„Aber wieso nicht?", wollte sie wissen. „Weil er nicht nur Augen für mich hat, Elina." Die Blondine runzelte die Stirn. „Wie meinst du das?"

„Als ich mit Cassie auf der Party war, auf der ich Noah kennengelernt habe, war Carlos auch da. Ständig sind irgendwelche Frauen um ihn herumgeschlichen, haben ihn angebaggert und mit ihm geflirtet – und auch, wenn er nur Augen für mich hatte, hat er sich vorher auf einen Flirt eingelassen."

„Wir wissen beide, dass du dazu neigst, dich in solche Dinge hineinzusteigern, wenn es um andere Frauen geht", sagte Elina. „Möglich, aber als ich mich ein paar Tage später wieder mit Carlos getroffen habe, haben wir in einer Strandbar eine andere Frau getroffen. Sie hat ihn auf Spanisch vollgequatscht und ganz offensichtlich mit ihm geflirtet – aber statt mich vorzustellen und nicht darauf einzugehen, hat er sich ganz locker mit ihr unterhalten – ebenfalls auf Spanisch. Als ich ihn anschließend darauf angesprochen habe, hat er komplett dicht gemacht. Wir haben gestritten, ich bin daraufhin wütend nach Hause gefahren. Gestern hat er dann versucht, mich anzurufen. Da ich mit Noah unterwegs war, war der Zeitpunkt denkbar ungünstig, all das auszudiskutieren, also habe ich ihn heute Morgen erst zurückgerufen – und hatte auf einmal eine andere am Telefon."

„Ist nicht wahr", entfuhr es Elina fassungslos. „Doch, und sie hat mir klar und deutlich gesagt, dass er mit mir nicht reden will und ihn mir auch nicht ans Telefon geholt."

Elina seufzte schwer. „Das tut mir leid. Aber meinst du, dass er wirklich mehrgleisig fährt, oder spielt dir dein Ego einen Streich? Es könnte doch sein, dass er wirklich in dem Moment verhindert war" Willow seufzte schwer. „Ich weiß es nicht. Sie hat klar gesagt, dass er nicht mit mir reden will. Und er hat bisher nicht nochmal angerufen. Das ist für mich eindeutig. Ich verstehe das nicht. Habe ich mich so sehr in ihm getäuscht?"

Sie schüttelte traurig den Kopf.

„Ich verstehe, wie du dich fühlst. Nicht mit dir zu reden und irgendeine andere Frau vorzuschicken, ist wirklich unter aller Kanone", sagte Elina. „Stimmt. Und dass er sich nicht mehr meldet, zeigt, dass er kein Interesse an mir hat. Noah hingegen interessiert sich wirklich für mich und ist außerdem voll auf meiner Wellenlänge. Ich hätte nicht damit gerechnet, mal jemanden kennenzulernen, mit dem es auf den ersten Blick so gut passt wie mit ihm."

„Verstehe", seufzte Elina. „Und was willst du jetzt machen?" Willow zuckte frustriert mit den Schultern. „Ich weiß es nicht. Carlos scheint nicht viel an mir zu liegen, sonst hätte er sich nicht mit einer anderen getroffen, sondern sich längst mit mir getroffen, um das aus der Welt zu schaffen. Es enttäuscht und verletzt mich wirklich sehr, aber vielleicht sollte ich gerade deshalb Noah als Chance sehen. Er scheint mich wirklich kennenlernen zu wollen."

„Vielleicht solltest du ihm eine Chance geben", lächelte Elina ermutigend. Willow biss sich auf die Unterlippe. Wenn sie ehrlich zu sich selbst war, schlug ihr Herz für Carlos. Dass er sie – wie die meisten anderen auch – nicht zu schätzen wusste, tat sehr weh. Noch mehr schmerzte ihre Entscheidung, Carlos zu vergessen und sich auf den Mann zu konzentrieren, der sie wirklich zu würdigen wusste. Sie nickte fest entschlossen. „Du hast Recht. Vielleicht sollte ich das. Und deshalb werde ich mich erst recht mit Noah treffen."

Noooooo, oder? Aber was soll das auch von Carlos? Wer würde sich noch aus Wut mit wem anders treffen?

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