05 | Bilder auf der Haut
Meine lieben, weiter gehts. Den Kommentar muss ich später anfügen, wenn ich am Laptop bin. Irgendwie geht das am Handy gerade nicht 😶
Willow drehte sich unschlüssig vor dem Spiegel in ihrem Badezimmer hin und her. Sie hatte eine gefühlte Ewigkeit über ihr Outfit nachgedacht, bevor sie sich schlussendlich für jenes beigefarbene Sommerkleid entschieden hatte, für das er ihr bereits ein Kompliment gemacht hatte. Diesmal hatte sie ihre Augen ein wenig stärker geschminkt, dafür auf Lipgloss verzichtet.
Sie schaute flüchtig auf die Uhr an ihrem Handgelenk. Er würde jede Minute klingeln, um sie abzuholen. Bereits den gesamten Vormittag fieberte sie ihrem Treffen mit ihm entgegen. Er hatte es ihr tatsächlich angetan, auch, wenn sie es nicht darauf angelegt hatte. Doch jeder Gedanke an ihn zauberte ihr automatisch ein Lächeln auf die Lippen und löste ein verräterisches Kribbeln in ihrem Bauch aus.
Kurz hatte sie darüber nachgedacht, mit Cassie darüber zu sprechen, sich jedoch vorerst dagegen entschieden. Sie wusste schließlich noch gar nicht, wie sich ihre Verabredung mit Carlos entwickeln würde. Möglicherweise würde der Funke auch nicht überspringen und sie würde sich statt Cassies aufgeregten Fragen ihrem mitleidigen Blick stellen müssen. Sie wollte nicht zugeben müssen, dass es wieder nicht geklappt hatte, doch das war nicht ihr einziger Beweggrund, zu zögern. Sie wusste auch, dass Cassie jeden Mann, den Willow traf, ganz genau unter die Lupe nahm. Auch, wenn Carlos mit John befreundet war, würde sie bei ihm keine Ausnahme machen; erst recht nicht nach dem, was sie kürzlich über ihn und seine Beziehungen gesagt hatte. Möglicherweise wusste sie Dinge über ihn, die Willow selbst noch verborgen blieben, weshalb sie versuchen könnte, ihn ihr auszureden. Doch Willow wollte sich selbst ein Bild von Carlos machen, bevor sie eventuell vor ihrer älteren Schwester für ihre Entscheidungen rechtefertigte. Es bestand auch die Möglichkeit, dass Cassie ganz locker reagierte, doch vielleicht würde sie auch einen riesigen Aufstand machen. Schließlich war Carlos genau wie Johns Cousin Marten nicht gerade ein Vorzeigeschwiegersohn und fiel eher in die Kategorie Mann, die Ärger bedeutete.
Als es klingelte, schob sie die Gedanken beiseite und schlüpfte schnell in ein Paar Sneaker, das farblich hervorragend zu ihrem Kleid passte. Dann schnappte sie sich ihre kleine Umhängetasche und einen Cardigan und verließ die Wohnung.
Als sie kurz darauf aus der Haustür trat, stand Carlos am Straßenrand und lächelte. Sie erwiderte es. Er trug ein lässiges Shirt, das ein wenig über seinen Oberarmen spannte, und eine Shorts.
„Hi", begrüßte sie ihn unbeholfen, während sie einander unschlüssig musterten.
„Hi", erwiderte er und zog sie für eine kurze Begrüßung in seine Arme. Sofort begann ihr Herz wie wild zu klopfen und während sie ihre Augen schloss, sog sie den Geruch seines holzig-fruchtigen Parfums ein. Seine Hände, die er an ihre Taille gelegt hatte, hinterließen ein verräterisches Kribbeln unter dem Stoff ihres Kleides, dort, wo er sie berührte. Sie lächelte leicht, als sie sich von ihm löste. Anschließend schenkte er ihr ein strahlendes Lächeln, das sein sonst so kühles Gesicht direkt viel herzlicher wirken ließ und seine Augen zum Leuchten brachte.
„Cool, dass du tatsächlich mitkommst", sagte Carlos und öffnete die Fahrertür seines Wagens, während sie das Auto umrundete. „Ich bin wirklich gespannt", gab sie zurück. Er beobachtete, wie sie auf der Beifahrerseite einstieg und die Tür hinter sich zuwarf. „Wird cool, wirst du sehen", prophezeite er. „Ganz sicher cooler als ein Kinobesuch", schmunzelte sie.
„Gehst du nicht gern ins Kino?", hakte er interessiert nach, während er den Motor startete. „Sind mir zu viele Menschen. Du weißt ja, die mag ich nicht besonders", erinnerte sie ihn und entlockte ihm ein Grinsen. „Klingt, als wärst du auf einer Tattoo Convention genau richtig", stichelte er. „Aber mit dem Kino hast du mich auf deiner Seite. Viele quatschen unnötig dazwischen oder kauen viel zu laut auf ihren Chips herum."
„Oder sie knistern so laut, wenn sie ihren Süßkram aus der Tüte holen", ergänzte Willow. „Exakt", erwiderte Carlos. „Deshalb schaue ich Filme viel lieber in Ruhe zuhause."
Als sie eine Dreiviertelstunde später vor Carlos die Halle betrat, in der die Tattoo Convention stattfand, schaute sie sich neugierig um. Sie war regelrecht überwältigt von den vielen verschiedenen bunten Ständen der einzelnen Tätowierer. Neben den mobilen Studios vor Ort hab es ein Dutzend weiterer Stände, die Pflegeprodukte oder Körperschmuck anboten. Der Geräuschpegel war deutlich höher als erwartet. Als sie durch die Halle schlenderten, wusste sie gar nicht, wohin sie zuerst schauen sollte. An einem der ersten Stände, an dem sie vorbeigingen, ließ sich gerade ein junger Mann, Willow schätzte ihn auf Mitte zwanzig, einen Wikinger auf das Schienbein tätowieren. Er lag mit schmerzverzerrtem Gesicht auf der Liege. Die Nadel des Tätowierers summte, es roch nach Gummi und Desinfektionsmittel. Einen Moment schaute Willow fasziniert dabei zu, wie das Bild immer mehr Form annahm. Irgendwann setzten sie ihren Weg fort.
„Kann hier jeder einfach hinkommen und sich tätowieren lassen?", fragte sie an Carlos gewandt.
„Unterschiedlich. Die meisten Artists vergeben ihre Termine vorab. Du kannst dann deinen Lieblingstätowierer anschreiben, um was auszumachen. Aber einige lassen sich auch gezielt einen Tag frei, um Besucher zu bedienen oder selbst über die Convention zu gehen. Manche Tätowierer vergeben auch keine Termine im Vorfeld, sondern bieten ausschließlich Tätowierungen für Laufkunden an."
Eine Weile bummelten sie durch die Gänge. Willow sog alle neuen Eindrücke auf wie ein Schwamm. Sie hätte nicht gedacht, dass sie so viel Gefallen daran finden würde, sich verschiedene Stände anzuschauen, hin und wieder stehenzubleiben und Tätowierern bei ihrer Arbeit zuzusehen oder das eine oder andere Motiv genauer zu betrachten. Sie war fasziniert, wie verschieden die bunten Bilder waren. Die Vielfältigkeit war ihr vorher gar nicht bewusst gewesen.
„Die Stände sind ganz schön klein", stellte sie nach einiger Zeit fest. Schließlich fanden an den meisten mobilen Studios lediglich der Tätowierer, die Liege und der Kunde Platz. „Ja, manchmal wird es ganz schön eng, vor allem, wenn noch eine Begleitung dabei ist", erwiderte Carlos.
„Ich würde Platzangst bekommen, denke ich", gab Willow zurück, als sie am nächsten Stand stehenblieb. Auch hier drängten sich auf engstem Raum Tätowierer, Kundin und Begleitung zusammen. „Hast du dich schonmal auf einer Convention tätowieren lassen?", fragte sie interessiert.
„Ja", sagte er und deutete auf das Tattoo in seinem Nacken. „Das habe ich auf einer Convention stechen lassen, bei einem Tätowierer aus Amerika."
„Ist es nicht unangenehm, wenn einem die Leute dabei zuschauen?", hakte sie nach. Er schüttelte den Kopf. „Nee. Mich stört das nicht, solang der Tätowierer sauber arbeitet." Sie drehte ihren Blick wieder der Kundin, die gerade auf ihrem Handy herumtippte. Eigentlich sah sie ganz entspannt dabei aus.
„Ich glaube, ich hätte zu viel Schiss, dass es wehtut", gestand sie und wandte sich wieder ihrem Begleiter zu. Der lächelte zuversichtlich. „So schlimm ist es echt nicht", beteuerte Carlos. „Das sagst du - du hast ja auch schon jede Menge Erfahrung", grinste sie. „Wenn du Angst hast, könnte ich deine Hand halten", schlug er amüsiert vor.
„Ich habe nicht vor, mich tätowieren zu lassen", erwiderte sie entschieden. „Weil du Schiss hast, dass es piekt?", feixte er. Seine Augen leuchteten dabei. „Weil ich gar nicht vorhabe, mir eins stechen zu lassen", korrigierte sie entschieden. „Wieso eigentlich nicht? Würde dir sicher gut stehen. Hier zum Beispiel", spekulierte er und berührte wie zufällig sanft ihr Schulterblatt. Ihre Haut kribbelte, als er mit seiner rauen Hand darüber strich.
„Und was hast du dir so vorgestellt?", hakte sie interessiert nach, während sie versuchte, die Wirkung, die er auf sie hatte, zu verbergen, doch dort, wo er sie berührt hatte, bildete sich eine Gänsehaut. „Ein pinker Flamingo würde super zu dir passen - oder ein kotzendes Einhorn", schmunzelte er. Sie verdrehte die Augen. „Du bist so ein Idiot, Carlos."
„Du könntest dir auch einfach dein eigenes grimmiges Gesicht tätowieren lassen, damit jeder ganz genau weiß, woran er ist, wenn er dich kennenlernt", fuhr er unbeeindruckt fort. „Und du meinst, das sehen sie nicht sowieso, wenn sie mich anschauen?", hakte sie nach und setzte absichtlich einen düsteren Blick auf. Er lachte. „Vermutlich schon. Dann doch besser das kotzende Einhorn."
„Wenn ich mir schon ein Tattoo stechen lassen würde, würde ich mir zumindest etwas aussuchen, das wirklich zu mir passt", kommentierte sie ernst. „Einen Bücherwurm also", trieb er sein Spiel fort. „Vielleicht einen schönen Schriftzug oder sowas", sinnierte sie. „Jetzt kommen wir der Sache schon näher", sagte er zufrieden. Sie lächelte, als sie ihren Weg durch die Gänge fortsetzten. „Du willst ja nur meine Hand halten."
Er sagte nichts, denn er war gerade an einem Stand stehengeblieben, um sich die Wannados des Künstlers anzusehen. „Gefällt dir was davon?", hakte Willow interessiert nach. „Sehen ganz gut aus, aber ich hab schon einen Termin bei meinem Tätowierer", sagte er. Sie runzelte interessiert die Stirn.
„Und was möchtest du dir stechen lassen?" Carlos legte das kleine Buch mit den Motivvorschlägen des Tätowierers zur Seite. „Siehst du dann, wenn es fertig ist", sagte er bedeutungsvoll, bevor er weiterging. „Du machst es doch jetzt nur so spannend, um meine Neugier zu wecken", stellte sie trocken fest. „Und - funktioniert's?", fragte er frech grinsend. „Nee, mir doch egal, was du dir stechen lässt", flunkerte sie, dabei hätte sie es gern gewusst. Interessiert blieb sie an einem Schmuckstand stehen.
„Willst du dir jetzt ein Piercing stechen lassen?", grinste er. Sie schüttelte den Kopf. „Nein, aber Elina hat eins und vielleicht kann ich ihr ja einen schönen Stein zum Geburtstag mitbringen." Seine Lippen verzogen sich zu einem Grinsen. „Was?", fragte sie. „Stecker. Es heißt Piercing-Stecker." Sie seufzte. „Du weißt genau, dass das nicht meine Welt ist, also sei nicht so streng zu mir."
„Wo hat sie denn das Piercing?", hakte er nach, während sie ein paar Stern-Stecker betrachte. Sie gefielen ihr überhaupt nicht, erst recht nicht als Geschenk. „Im Bauchnabel", antwortete sie beiläufig. Sie erschauderte, als sie merkte, dass er so dicht hinter sie getreten war, dass sie seine Körperwärme spüren konnte. „Stell ich mir bei dir auch sexy vor."
Sein Atem kitzelte ihr Ohr und erzeugte eine Gänsehaut in ihrem Nacken. Für einen Moment glaubte sie, die Fassung zu verlieren. Ihr fiel auf die Schnelle kein passender Konterspruch ein. „Hast du was gesagt?", probierte sie lahm ihre Unsicherheit zu überspielen. Carlos grinste. Er wusste genau, dass sie ihn gehört hatte. „Entspann dich, Alex Dunphy", lachte er. „Du guckst Modern Family?", hakte sie überrascht nach. Er lächelte, ehe er ein geheimnisvolles Gesicht aufsetzte. „Es gibt vieles, was du nicht über mich weißt. Und jetzt komm. Draußen gibt es einen Waffelstand."
„Das ist meine absolute Lieblingsserie", platzte es aus ihr heraus, während sie ihm in Richtung Ausgang folgte. „Spoiler mich nicht, okay? Ich bin gerade erst bei Staffel fünf." Bei der Vorstellung, sich von Zeit zu Zeit ein paar Folgen mit ihm anzuschauen, schlich sich ein Lächeln auf ihre Lippen.
Heute mal kein mieses Cliffhanger Ende. Ich hoffe, es hat euch gefallen, denn zwischen den beiden knistert es ja schon sehr, oder? 😄 Aber so langsam könnte er wenigstens mal versuchen, sie zu küssen, oder? Was meint ihr?
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