20*

Emily nickte nur wieder und fing an die Platten zu schrubben.
„Meines Erachtens wird das Engelsein, vollkommen überschätzt. Und tatsächlich hatte ich es mir auch ganz anders vorgestellt. Besser und Gütiger.
Doch da gibt es nun sehr seltsame Engel, unter denen, die dem Herrn dienen. Und auch die Prüfungen an den Toren sind seltsam. Es sind eigentlich gar keine Prüfungen, sondern vielmehr Anmaßungen und meines Erachtens sogar Beleidigungen.
Das letzte Tor hab ich darum auch nicht geschafft. Und ganz ehrlich kann ich auch darauf verzichten ein Engel zu sein, wenn das dann bedeutet, dass ich meinen Körper dafür hergeben muss, nur um zu beweisen, dass ich lieben kann. Meines Erachtens ist die Definition von Liebe hier im Himmel gerade stark eingeschränkt. Und damit nun absolut nichts für mich."
„Oh, so habt ihr es also ich nicht geschafft, in den vielen Äonen eures Studiums jemanden zu finden, dem ihr aus ganzem Herzen zugeneigt sein konntet?", fragte Bianca sie bestürzt.
Emily runzelte kurz die Stirn und stellte die erste saubere Platte ins klare Wasser hinein um nach der nächsten zu greifen.
„Ich habe hier gar nicht studiert. Tatsächlich bin ich gerade erst im Himmel angekommen.
Deshalb hat es mich ja auch so sehr verwundert, dass alle gesagt haben, ich sollte nun ein Engel werden. Das wollte ich eigentlich gar nicht.
Aber der Erzengel Metatron hat da nicht locker gelassen, also musste ich in die Schule eintreten. Na ja... zumindest sind sie jetzt doch noch alle zur Vernunft gekommen. Und hier unten fühle ich mich auch gleich viel wohler. Jede Seele mit der ich hier unten bis jetzt gesprochen habe, war nett und freundlich zu mir, im Gegensatz zu den Engeln. Da kenne ich bis jetzt nur zwei sehr freundliche..."

Bianca und zwei weitere Frauen in der Nähe hörten verwundert auf zu arbeiten.
„Du willst sagen, Engels-Anwärterin, Emily, dass du in all der Zeit, in der du nun an der Hohen Schule bist, nur zwei netten Engeln begegnen durftest?
Aber ... sie sind doch die Engel! Sie sind gut und dienen getreu dem Herrn..."
Emily senkte kurz betreten dem Kopf.
„Dem Herrn dienen sie ... sicher doch. Sonst wären sie ja auch keine Engel. Nun ja... Vielleicht habe ich da ja auch nur einen völlig falschen Eindruck von den tatsächlichen Wesen erhalten, die sie sind. Ist gut möglich.", meinte sie rasch zurückrudernd und Bianca und die anderen Frauen schauten sie nur wieder groß an, bevor sie sich wieder eifrig an die Arbeit machten. So wie Emily die sich bereits den nächsten Schub Teller und Platten holte. Doch sie bekam dabei nun doch das ein oder andere Gespräch mit.
„... ist es vielleicht doch besser zurück zum Lebensbaum zu gehen und wiedergeboren zu werden. Wenn sogar jemand, der bis zum letzten Tor gelangte, meint, sie würde nur zwei gute Engel kennen..."
„... ist der Himmel einfach nicht mehr der selbe. Das sage ich schon seit 13 Äonen!"
„... geht nun sogar lieber das Geschirr spülen, und ist damit zufrieden statt ein Engel zu werden. Was soll unsereins denn nun davon halten?"
„...schon so weit gekommen, doch keine guten Engel gekannt, um sie auch wirklich von Herzen Lieben zu können..."

Emily seufzte unwillkürlich leise auf.
Oh je...
Vielleicht hatte sie hier gerade schon wieder einen großen Fehler gemacht. Ihre Erfahrungen waren noch nicht so weit ausgereift, dass sie von gut oder schlecht hätte sprechen können.
Auch dass sie die Engel am Lebensbaum kritisiert hatte, machte sie nun unruhig. Vermutlich hatte Metadron bereits die Schnauze voll von ihr.
Sie war einfach ohne alle Unterweisungen durch alle Tour durchmarschiert, und nur beim letzten, wo es darum ging, einfach nur Sex mit jemandem zu haben, stellte sie sich nun so an.
Aber für sie war Sex nun mal keine Liebe.
Für sie war Liebe etwas zartes, wunderbares, etwas tiefes, voll und ganz zugewandtes...
Unwillkürlich sah sie wieder Mikael vor sich. Wie er sie angelächelt hatte, in den Arm genommen, und dann zum Schluss fort getragen. Warum nur hatte er sie in ein Zimmer der Erzengel gebracht?
Er hatte ihr doch selbst noch gesagt, sie sollte nicht damit angeben, ihn zu kennen. Und nun war diese Engel- Dame sehr böse auf sie geworden.
Vielleicht hätte er sie einfach nur in ein ganz normales Bett legen sollen. Ja. Aber ... hätte hätte Fahrradkette... Es war anders gekommen.
Und jetzt würde sie den Engeln dienen. Und zumindest aufwaschen konnte sie. Das hatte ihre Oma ihr beigebracht. Und zwar gründlich.

*

Mikael spürte den geistigen Ruf seines Bruders Metadron an sich ziehen und beendete rasch das Gespräch mit Gabriel, der ihm ein sehr kostbares Geschenk für seine Emily gezeigt hatte.
Die Perlen der Eva!
Er hatte sie verwahrt für den Moment, da der Herr einem weiteren hochgedient Engel eine solch unvergleichliche Seelen-Gefährtin erschaffen würde.
Und nun war es so weit.
Gabriel hatte von Mikael wissen wollen, ob die Perlen Emily wohl gefallen würden oder ob sie ob ihrer gezeigten und gelebten Schlichtheit vielleicht zu viel materiellen Wert in ihren Augen bedeuten würden, nun da sie ja schon nach nur einer einzigen Äone in ihre Reihen Einzug halten würde.
Denn heute würde bereits ihre Initiation durch den Herrn geschehen. Wenn die Monde der sechs Himmelswelten den höchsten Stand und damit auch die größte Energie erreicht haben würde um sie über dem Initianden zu entladen.
Der Herr würde ihr sicherlich große Macht schenken, so rein wie ihre Seele von Natur aus war.

Das erstaunte Mikael tatsächlich immer noch, wie leicht Emily da war durch die Tore der Weisheiten durchmaschiert war.
Doch die Wege des Herrn waren manchmal unergründlich. Und ihm zu folgen, war nicht nur seine Pflicht sondern diesmal auch sein Vergnügen.
Einmal mehr zeigte sich seine Weitsicht, wie auch seine Weisheit, diese junge Seele in seine Obhut gegeben zu haben.
Emily fasziniert ihn tatsächlich immer mehr.
Er hatte sich zudem schon einige Zeit gewundert, warum sie ihn niemals zu sich rief.
Dabei war für sie derweil gar keine lange Zeit vergangen. Der Herr hatte sie für ihre schweren Prüfungen aufrecht gehalten. Er hat ihr genug Kraft für jedes einzelne Tor gegeben, dieses zu meistern und zu passieren.
Für so lange Zeit, welche für sie allerdings im Fluge vergangen war, hatte sie ohne Essen oder Schlaf durchgehalten. War auch nicht müde geworden, noch überanstrengt. Denn ihre Seele war tatsächlich so rein wie die des Herrn selbst.

Einfach nur einzigartig.

Doch schließlich hatte sie ihn doch noch zu Hilfe gerufen, als sie sich zu sehr von der letzten Prüfung bedrängt fühlte.
Er sollte sie aus der Schule heraus bringen, hatte sie zittrig von ihm verlangt und besser in eine andere Bestimmung bringen.
Weil sie natürlich sofort begriffen hatte, dass Liebe nicht alleine nur diesen körperlichen Teil beschrieb, sondern wahre Liebe tief in der Seele eines wahren Engels ruhte und sich auch nicht nur auf ein einziges Wesen beschränkte, sondern allumfassend war.

Sie hatte es nicht so artikuliert, doch es war schon durch ihr Verhalten gewiss.
Denn Emily hatte sogar ein böses Dämonen-Kind genährt, um andere Seelen davor zu beschützen. weil ihre Liebe zu egal welchen Wesen so überaus tief reichte.
Ihr Mitleid und ihre Barmherzigkeit, ihre Güte waren allumfassend. Und genau das hatte der Herr in ihr gesehen und verstanden. Auch bevor er selbst es gesehen und verstanden hatte. Doch auch Metatron war nun vollkommen verblüfft von seiner, Mikaels Seelen-Gefährtin, die mit einer wahren Selbstverständlichkeit den Weg zum Engelsein aufgab, nur um sich selbst nicht aufzugeben.

Ja...

Er versicherte also Gabriel, dass Emily sich gewiss über jegliche Aufmerksamkeit freuen würde, und verließ dann durch das flirrende Spiegeltor den dritten Himmel, um so rasch zurück in die Schule zu gelangen.
Zurück zu Emily, die nun sicherlich erwacht war.
Lächelnd malte er sich aus, wie sie nun dort in ihrem eigenen schönsten Engelsgemach sitzen und ganz gemütlich speisen würde, wie sie ihn wieder so scheu und lieblich Anlächeln würde, wenn er gleich die Türe öffnete.

Oh, er blickte kurz zum Himmel hinauf, die ersten Sterne zeigten sich bereits. Es war nicht mehr lang, bis zur Initiation.
Und der Herr malte auch diesen Sonnenuntergang nun wieder in den herrlichsten Farben aus. Ja, er jubelte sogar, da war Mikael sich sicher. Denn ein wirklich wunderbarer Engel war nun in den Himmel gekommen und hatte all ihre Prüfungen mit Bravour bestanden.
Nicht einmal er selbst hatte so schnell und allumfassend gewusst, statt noch für eine Weile lang zu forschen und die Erkenntnis zu suchen. Er hatte lange studiert, doch Emily wusste es einfach schon... was ein wahrer Engel war.
Sie zweifelte nicht, sie fragte nicht, sie folgte den Lehren, der weisen alten Seelengefährtin, die nur in diesem einen kurzen Leben ihre geliebte Großmutter gewesen war.
Und sogar diese war von der vollkommen reinen Seele ihrer Enkeltochter noch derart angetan gewesen, dass sie Mikael vor ihrem Übertritt ins Jenseits eine Nachricht für sie mitgegeben hatte.
Denn nach nun 1000 Leben hatte sie wahrhaft ausgeglichen und in Frieden gelebt und endlich Ruhe gefunden.

Als er durch das Spiegel Tor in den Korridor der Erzengel trat, wartete Metatron schon vor der Tür des offen stehenden Engelsgemaches auf ihn und runzelte besorgt die Stirn.
Sofort war er alarmiert.
„Was ist geschehen, Bruder? Wo ist Emily?", fragte Mikael ihn nun ebenfalls besorgt, nach einem Blick in das leere Gemach und trat zu ihrem Bett hin, wo sie zuletzt noch zu ruhig und friedlich gelegen und geschlafen hatte.
Doch... Da war sie nun nicht mehr. Das Bett war noch ein wenig zerwühlt, die Bettdecke zurückgeschlagen, und auch vom Essen, dass er ihr hingestellt hatte, war etwas angerührt worden... wenn auch nur wenig.
Doch von seiner Emily fehlten nun jede Spur.

Metatron trat nun ebenfalls mit finsterer Miene in das Gmach ein, und erschuf mit seiner Macht einen Lichtwirbel, der ihm ein rauchiges Schattenbild dessen zeigte, was hier zuvor geschehen war.
Beide Erzengel sahen zu wie der Schatten von Emily aus dem Bett aufstand, sich streckte und dann aber geschwind zu den Tisch hineilte, wo sie dann wie ausgehungert aß.
Da kamen aber plötzlich weitere Schatten hinzu. Durch die Türe... Fünf an der Zahl...
Einer davon trat schließlich eilig vor, ergriff Emilys Arm, und zerrte sie grob aus dem Engelsgemach hinaus...
Und das Schattenbild aller zerstob an der Tür...

Mikael wurde es nun heiß und kalt zugleich. Wer immer auch hier eingedrungen war, sie hatten Emily gewaltsam mitgenommen.
Bei der Liebe des Herrn...!

Bạn đang đọc truyện trên: AzTruyen.Top