2*

Mikael atmete heftig aus und ein.
Er konnte Immer noch nicht begreifen, was hier gerade eben geschehen war.

Der Herr hatte ihn hierher befohlen, um eine Unschuldige vor Dämonen zu beschützen. Doch sein Schwert hatte sie letztlich getötet?!
Nein... oh nein...!
Ihr ruhiger, seelenvoller Blick, als sie ihn angelächelt und dann den Herrn angefleht hatte ihm zu vergeben... Er hatte ihr dabei mitten ins Herz geblickt... ein reines, gütiges und warmes Herz, voller Liebe und Zuneigung zu jedwedem Lebewesen. Und letztlich sogar auch noch zu ihm.
Ihren eigenen Mörder.
Sie hatte ihm noch gesagt, dass es schon gut sei und sie keine Schmerzen litt...
Und sie hatte ihn lediglich noch darum gebeten nicht von ihr zu gehen, damit sie nicht ganz alleine sein musste, wenn sie nun stürbe.
Ja, sie hatte noch nicht einmal versucht ihn um ihr Leben anzuflehen, so wie andere es stets taten, wenn er sie abholen kam.
Doch dazu war er heute ja gar nicht ausgesandt worden... und hatte nun auch keine Berechtigung mehr, ihre Seele zu entbinden und auf die Reise in das Jenseits zu schicken.
Nein...
Wie hatte er bei einer himmlischen Mission nur derart versagen können? - Wie nur?

Doch er war immerhin geblieben, bis ihr kleines, noch viel zu junges Leben erloschen war.
„Herr...", legte er die nun reglose, geisterhaft blasse, menschliche Hülle, der noch blutjungen Frau vorsichtig auf den Asphalt nieder und schloß dann ganz sachte ihre noch halb geöffneten, wunderschönen, mitternachtsblauen Augen.
Eine weitere Träne tropfte auf das nun stille Gesicht herab. Doch selbst im Tode lächelte sie noch friedlich... gleich wie ein Engel.

„Oh Herr, erbarme dich ihrer reinen und guten Seele...", flüsterte er schmerzlich berührt und stand dann erst langsam und schwer atmend auf.
Wieso fühlte es dich nun so falsch an, dass er es tat? Warum fühlte er sich nun innerlich so zerrissen? Wieso wollte er sie lieber noch eine Weile lang festhalten und bei ihr bleiben?
- Das war ihm unbegreiflich.
Denn der Tod war ihm ja nun wahrlich nicht fremd. Doch schon seit vielen Ewigkeiten hatte er ihn nicht mehr so tief berührt wie ausgerechnet heute.
Es gab ihn ja schließlich auch in unzähligen Varianten. Manche grausam und kalt, lang und qualvoll, andere schnell und gnädig... schmerzlos, im Schlaf.
Er selbst hatte auch schon oft getötet... Dämonen und Schattenwesen. Gefallene Engel, die den Weg des Luzifer einschlugen und ... himmlische Engel-Anwärter, die sich aus beständig wachsender Macht- und Habgier oder in ihrer schier grenzenlos überheblichen Maßlosigkeit letztlich doch noch gegen den Herrn wandten.

Ja... es war ihm nicht fremd zu töten.
Doch heute und hier hatte er, ein Erzengel des Herrn, reines und unschuldiges Blut vergossen.
Deshalb musste der Herr ihn nun ebenfalls richten. Denn so lautete das Gesetz der Himmelsreiche, für einen versagenden Engel...

Langsam legte er sein vormals flammendes Schwert, dass ihm der Herr einst verliehen hatte, um die Dämonen aus dem Garten Eden und der Welt der Menschen zu vertreiben, auf dem kalten Asphalt ab und blickte, so wie das Mädchen zuvor nun gequält zum Himmel hinauf.
„Ihre Worte waren Warm und voller Vergebung und Liebe, Herr... Doch ich verdiene deine Gnade nicht. Denn meine Hand führte das Schwert, welches ihr Leben nahm.
Also Strafe mich nun und lasse mich fallen in tiefste Finsternis, denn ich habe eine Todsünde begangen, wieder deinen Geboten ... und eine Unschuldige getötet, über die du mich Schutz zu bieten anhieltest ..." bot er dem Himmel seine Ergebung dar und breitete verzweifelt von seiner schrecklichen Tat seine Flügel weit aus, auf dass die Göttlichen Blitze in ihn nun erschlagen würden.
Ja... Er erwartete nun das himmlische Urteil.

Doch nichts geschah.

Verwirrt blickte er schließlich erneut zum Himmel auf.
„Herr! Was tust du nur?
Ich bitte dich... lass Gerechtigkeit walten!
Denn ich nahm dieses wundervolle Leben! Also bin ich verloren und muss fallen... Ich erwarte nun deine Strafe..., ich bitte dich!"
Da endlich...
Wärme durchflutete seinen Leib, bis in seine tiefste Seele hinein und er senkte demütig den Kopf, denn seine Brüder, die anderen 12 Erzengel, materialisierten nun alle um ihn herum und blickten ihn mitleidig oder auch liebevoll an.

Oh nein... das hatte er so nicht verdient!
Er verdiente nur noch ihre Verachtung.
Doch Metatron, der Erste seiner Brüder unter ihm trat nun vor und sah ihn mahnend an.
„Erzengel Mikael, erster des Herrn! Du hast gesündigt!", sagte er milde und Mikael hob unglücklich sein Haupt.
„Ich weiß, mein Bruder! Ich nahm ein unschuldiges Leben. So nenne mich nun auch nicht mehr Erzengel. Denn ich bin gefallen...", sprach er leise und blickte wieder auf den reglosen Körper des toten, schönen Menschenkindes hinab.

Rafael war gerade schon zu ihr hingetreten und Gabriel hockte sich nun auch noch zu ihrer Rechten nieder, ... um ihrer Seele zu helfen die sterbliche Hülle zu verlassen...
Eine weitere Träne rann über sein Gesicht und er schluckte hart daran.
„Bitte helft ihr so sanft ihr nur könnt hinüber, meine Brüder. Sie... war so rein und gütig und ihre Seele ist so unschuldig und freundlich. Ja, sie hatte sogar noch Mitleid mit den Dämonen, die sie gerade töten wollten - wie auch mit mir, der sie dann tatsächlich getötet hat!", flüsterte er leise und sah Gabriel nun aber kurz verschmitzt lächeln und sich einfach wieder unverrichteter Dinge erheben. 
- Wieso?
Er musste ihr doch helfen ihren Weg zu finden!?
Verwirrt blickte er wieder zu Metatron auf, der nun ebenfalls breit grinste.
„Der Herr sprach zu uns, während des Kampfes, Mikael. Wir sollten uns alle zurückziehen, um dich diesen Auftrag allein vollenden zu lassen, Bruder. Jedoch war es dir nicht bestimmt, dieses Leben zu retten. Denn der Herr wollte diese reine Seele in ihrer Gesinnung Prüfen, ihr Herz und ihren Glauben, bevor er sie nun in die himmlischen Reiche befiehlt, Erzengel Mikael!
Du weißt es doch selbst am besten wie das läuft! Die Guten gehen früh, um ihm hernach getreulich zu dienen."

Mikael blickte seine Brüder nur fassungslos an.

„Er... will also einen Engel aus ihr machen? Wollte es gar von Anfang an? Wieso hat er dann nicht auch zu mir gesprochen?", fragte er sich ratlos und sah erneut verstört in den Himmel hinauf.

„Weil er gleichsam auch dein Herz und deine Seele prüfte, mein Bruder... Da du in den letzten drei Ewigkeiten wohl etwas vom Wege abgekommen schienst.
Immer nur der Kampf, Kälte und Härte. Du hast begonnen überall Falschheit zu sehen.
Er vermisst wohl dein einst so liebevolles und Herzensgutes Gemüt.", erklärte Metatron ihm mitfühlend und Mikael senkte nun ehrlich  erschüttert sein Haupt.

„Ich ... weiß... ich wurde in den letzten Äonen so kalt wie der Altehrwürdige Sumael, der vor sechs Ewigkeiten von uns ging.
So...  bin ich nun wohl unwürdig geworden, ihm noch länger zu dienen, Metatron...", begann er leise. Doch da lachten seine Brüder nun leise auf.
Das verwirrte ihn.

„Warum lacht ihr über meine Schande...?", ereiferte er sich sogleich aufgebracht und verzweifelt.
„Weil du dich irrst, Bruder!", klopfte Raziel ihm energisch auf den Rücken und grinste breit.
„Der Herr prüfte dich nicht etwa, um dich zu richten, Mikael. Er sah in seiner unendlichen Güte nur das, was du jetzt endlich mal dringend brauchst, um weiter sein erster Engel bleiben zu können, Bruder."
Mikael keuchte nur Fassungslos auf.
„Was spricht du da, Metatron?! Ich tötete ein unschuldiges Mädchen! Es waren nicht die Dämonen des Luzifer. Ich habe diese Schuld auf mich geladen und du höhnst mir von der Güte des Herrn, und dem was ich nun brauche...!?
- Ich falle...!"
„Tust du nicht!", meinte Zadkiel nur sachlich wie immer, ja fast schon gelangweilt.
„Sie hat dir mit ihrem letzten Atemzug schließlich vergeben, Mikael!", warf nun auch Uriel leise seufzend ein. „Das war vielleicht nicht der Herr selbst, aber dies Kind, welches den Odem des Herrn in sich trägt. Sie starb in deinen Armen und fühlte deine Tränen der bitteren Reue auf ihrer Haut. Sie flehte mit ihrem letzten Atemzug, dass dir deine Tat vergeben würde, Bruder.
Und der Herr erhörte ihr Flehen!
Mehr noch sogar.
Die Worte dieses Mädchens, auf welchem er seine Hand hielt, gefielen seinem Herzen... Denn so lange schon wartet er auf endlich wieder reine Seelen unter den Menschen. Deshalb, Erzengel, Mikael... Knie vor dem Herrn und empfange sowohl Lohn, als auch Tadel für deine Tat!"
Sprach Meratron nun freundlich und lächelte aber, was Mikael aber nur wieder grenzenlos verwirrte.
„Sie vergab mir und deshalb ...tat es auch der Herr?", fragte er ungläubig, schon wurde er von seinen Brüdern umringt, wurde niedergedrückt auf die Knie und nun hielten sie alle ihre Hände über ihn... das gleißende Götterlicht durchdrang wärmend seine gerade eiskalte Haut... bis ein sengender Schmerz durch seinen Körper raste, der plötzlich in Flammen zu stehen schien, und auch seine Flügel prickelten seltsam ...
- Sie nahmen sie ihm nun fort, oder?

Er wollte schon laut herausschreien vor Schmerz und Furcht, doch er unterdrückte jeden Laut, denn er verdiente es genau so und nicht anders.
Dann war es auch schon wieder vorbei und der Engel Gabriel trat vor, um die silbern schimmernde Rippe, die sie ihm gerade aus seinem Leibe entnommen hatten, aufzuheben und sie zu dem Leichnam des toten Mädchens hinüber zu bringen.

Moment mal... seine Rippe???

Wollten seine Erzengel Brüder also tatsächlich aus ihm selbst, aus seinen Knochen einen Engel erschaffen?
Ungläubig blickte er zu Metatron hoch, doch der nickte lediglich ernsthaft und schaute dann aber wieder zu, was der stets heilende und helfende Gabriel nun tat.

Sachte legte der Erzengel der Barmherzigkeit den Knochen auf den blutbefleckten, reglosen Leib und nun trat auch Uriel noch dazu und streckte seine Hände so wie Gabriel über der Toten aus... um sie nun vollkommen mit seiner Engelsmacht zu erfüllen.
Mikael sprang auf um seine Brüder aufzuhalten. Doch Azrael und Metatron hielten ihn sofort eisern fest.
„Siehe und verzage nicht, Bruder. Denn was du in Unrecht tatest wird sich nun doch noch zum Guten wenden! Denn Gott befahl dieses Kind in deine Obhut und in das himmlische Reich, wo sich dann erweisen wird, ob deine Gedanken über sie die rechten wahren.
Ob sie wirklich bereits ... ein Engel ist!"

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