Kapitel VIII / Wiedersehen & Anfänge
In der Garage legte ich meine Sachen ab und untersuchte meine Harley nach Kratzern ab. Zum Glück hatte sie nichts abbekommen, denn das wäre teuer geworden. Und ich brauchte mein Taschengeld eigentlich noch. Entspannt lief ich zur hinteren Wand der Garage und blickte mich vorsichtshalber noch einmal um. Niemand da, also legte ich meine Hand auf dem Scanner und ließ sie einige Sekunden liegen.
Aus dem Nichts ertönte man eine klare Computerstimme: „Herzlich Willkommen, Agent Jones." Ich öffnete die Tür, die sich in der Wand neben mir entriegelte und lächelte, als ich wieder zu Hause war. Ich stand in der Eingangshalle des ISH Hauptquartiers, einer der modernsten Einrichtungen weltweit. Da ich an die Einrichtungen gewöhnt war, erstaunte mich die ganze Technik nicht. Die ganzen Kameras, Computer und Miniwanzen waren schon lange zum alltäglichen Inventar geworden.
Zu meiner Rechten befanden sich die Trainingszimmer, die wir benutzten, um unsere Kampftechniken zu verbessern. Zu meiner Linken fanden gerade die Bombenentschärfungskurse statt. Die Kurse besuchte ich schon lange nicht mehr, denn ich hatte vor drei Jahren meinen Abschluss als Klassenbester gemacht.
Heute war ich Trainer und Leiter einer Gruppe Neuankömmlingen, die noch nichts vom wahren Leben wussten und die Welt immer noch für einen schönen Ort hielten. Im Ostflügel waren alle neusten Erfindungen zu finden. Vom fliegenden Skateboard bis zu ausgefallenen Waffen gab es dort alles. Im Westflügel befand sich die Krankenstation, die alles behandelte, was irgendwie gebrochen, angeschossen oder gesprengt wurde. Manchmal verschrieben sie einem auch noch Hustensaft.
Zum Glück musste ich bis jetzt nur wegen einer Kugel zur Station. Als ich dort ankam, fand ich Alex auf einen der Betten vor. Einer derer, die die Sanitätsausbildung gewählt hatte, richtete ihr gerade das Handgelenk. Es knackte widerlich als es wieder in seine ursprüngliche Position zurückschnellte. Sie zeigte keine Regung. Sie zuckte nicht einmal. Ich wusste aus Erfahrung, dass das eine sehr schmerzhafte Angelegenheit war. Auch wenn man das Problem nur so wieder richten konnte.
Ihr wurde die Hand verbunden und sie durfte gehen. Wir schlenderten durch das Hauptquartier, doch nach einiger Zeit, fiel mir ein, dass ich nicht wusste wie es ihr ging. Sie war auf eine der längsten Missionen geschickt worden und nach zweieinhalb Jahren war sie endlich zurückgekommen. Ich blieb abrupt stehen und sie sah mich verwundert an. Bevor sie etwas sagen konnte, nahm ich sie in den Arm. Sie versteifte sich kurz, doch entspannte sich wieder und drückte mich ganz fest an sich.
„Ich habe dich vermisst, Kleine", sagte ich leise.
„Ich dich auch, mein Großer", erwiderte sie grinsend.
„Hey! Ich will auch!!!" Plötzlich schlossen sich zwei große Arme um uns und erdrückte uns fast in der Umarmung.
"Ricardo!!! Lass los, du Fettsack!", schrie Alex laut.
Ricardo drückte extra noch ein bisschen fester zu, um sie zu ärgern. Dass er mich dabei ebenfalls halb zerquetschte schien ihn nicht zu stören.
„Ricardo!" Alex war langsam wirklich sauer. Sie konnte Ricardo sowieso nicht wirklich ausstehen, was ich aber immer noch nicht verstand. Seufzend ließ uns Ricardo los. Er hatte schon allzu oft Bekanntschaft mit der wütenden Alex gemacht und wusste, dass sie, wenn sie wütend war, so ziemlich außer Kontrolle geriet. Als er ihr bandagiertes Handgelenk sah, konnte er sich doch nicht zurückhalten und lachte auf.
„Hat Alec dir also den Hintern versohlt? Endlich. Das hätte er schon viel früher machen sollen."
„Ricardo!" Alex sprach mit leiser, aber warnender Stimme und sah ihn mit einem mörderischen Blick an. Da bemerkte er auf einmal, was er angerichtet hatte.
„Ich geh' dann mal..." Er schlenderte so lässig wie möglich davon, um nach der nächsten Ecke mit Vollgas davonzuflitzen, aber er kam nicht weit.
„Na warte, ich krieg' dich!" Alex stürzte hinter ihm her und Ricardo blieb nichts anderes übrig als das lässige Schlendern aufzugeben und ebenfalls Vollgas zu geben, wenn er nicht mit nur einer Hand verprügelt werden wollte. Ich lachte leise in mich hinein und sah zu, wie die Beiden sich um die nächste Ecke jagten. Obwohl sie sich immer zu stritten, war ich mir sicher, dass sie sich doch irgendwie mochten. Bei Ricardo wusste ich es, denn immer, wenn es um Alex ging, bekam er dieses Funkeln in den Augen. Aber das verschwieg ich natürlich gewissenhaft, denn ich war ziemlich sicher, dass Alex das nicht besonders gut auffassen würde.
Obwohl Ricardo wie ein Schläger, mit seinen breiten Armen und Tattoos, aussah, konnte er keiner Fliege was zuleide tun. Und ratet mal in welcher Abteilung er arbeitete.
Überraschenderweise arbeitete nämlich im IT-Quartier! Mit seinen 21 Jahren, war er einer der brillantesten Köpfe, die ich in der ISH kannte. Natürlich beherrschte er auch die Kampfkunst mit Perfektion, aber wenn es um Computer ging, war er einfach der beste. Er war vor ein paar Jahren aus Spanien ausgewandert und hierhergezogen. Lucy hatte ihn in einer Internet-Bar kennengelernt und ihm angeboten für die ISH zu arbeiten. Da er nichts Besseres zu tun gehabt hatte, willigte er ein und wurde nach kürzester Zeit einer der Leiter in der IT-Abteilung.
Und er war mein bester Freund. Hier jedenfalls. Im Hauptquartier des ISH. In meinem Zuhause. Dem einzigen Ort an dem ich mich geliebt fühlte und so respektiert wurde, wie ich wirklich war. Nachdem ich ins Waisenhaus gekommen war, stand eines Tages eine Frau vor mir und bot mir an, mich zu adoptieren. Bis dahin, hatte mir noch nie jemand etwas angeboten.
Ich war einfach da gewesen, hatte beinahe schon zum Inventar gehört. Und dann war sie gekommen. Sie hatte sich als Lucy Richards vorgestellt. Ich wusste nicht, wieso, aber ich hatte sie sofort gemocht. Sie nahm mich ein paar Mal zu sich nach Hause. Ich fand es damals toll bei ihr. Ich hatte nichts dagegen zuzustimmen und bei ihr zu bleiben. Am Tag, an dem ich die Zustimmung zur Adoption abgeben musste, enthüllte sie mir, dass sie eine Organisation leitete und dass ich im Hauptquartier wohnen würde. Es störte mich nicht, da ich dann zumindest eine Familie haben würde, also nahm sie mich zu sich.
Ihre Organisation war die ISH; ich interessierte mich zuerst nicht dafür, was sie eigentlich war, sondern erfreute mich daran, wieder eine Mutter zu haben. Auch wenn Lucy nicht allzu viel Zeit für mich hatte. Erst, als ich etwa ein Jahr bei ihr war, fragte ich sie, was die ISH eigentlich war. Also enthüllte sie mir, dass die ISH ein Agentennetzwerk über die ganze Welt hinweg war.
Die Agenten konnten von den Bestbietenden angefragt werden und waren einige der Bestausgebildetsten der Welt. Und sie bot mir an, mich zu einem von ihnen zu machen. Natürlich vermied sie damals peinlichst das Wort Söldner, sondern nannte ihre Leute immer nur „Agenten". Sie zog Vergleiche mit James Bond oder Ethan Hunt. Und da hatte sie mich. Welcher Junge konnte schon widerstehen, wenn ihm angeboten wurde, dass er Geheimagent werden konnte? Und dann hatte meine Ausbildung begonnen. Sicher, es war hart gewesen.
Verschiedene Kampfsportarten, Waffenkunde, alles was ein Agent so brauchte. Ich war schon auf einigen Aufträgen, ähnlich derer von Alex gewesen und ich wurde mit der Zeit zu einem der besten Agenten der ISH. In letzter Zeit wurde ich öfters als Ausbildner für die vielen Neuen gebraucht, da ich wusste wie es war alleine zu sein und mich nach jemanden mit Autorität zu sehnen. Denn ich war lange nicht das einzige Kind gewesen, dass Lucy Richards adoptiert hatte. Wenn doch auch mein Bruder... Nein. Daran würde ich jetzt nicht denken.
Schnell dachte ich an etwas anderes. Was mir sofort in den Sinn kam, war Amber. Ich dachte an ihre Haare, an ihre blitzenden Augen, ihre süße Ahnungslosigkeit. Und ihre Ohrfeige. Aber nur ganz flüchtig an die Ohrfeige, an die wollte ich mich definitiv nicht erinnern. Ich würde sie morgen um einen Neuanfang bitten. Und passend dazu würde ich ein paar Informationen für sie heraussuchen. Ja. Genau so würde ich es machen. Ich rieb mir die Hände und ging ins Informatikzimmer. Zu dieser Zeit, war fast niemand da, also konnte ich entspannt, in meine Ecke kriechen. Der Laptop auf dem Schreibtisch war direkt mit dem Netzwerk des ISH verbunden. Ich zögerte eine kurze Weile, als ich schließlich vor der Eingabe der Daten stand. Verriet ich hier nicht meine eigenen Leute? Nein, beschloss ich, dass tat ich nicht. Und dann fing ich an zu suchen.
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