Kapitel VII / Alte Bekannte

So etwas war mir noch nie, in meinem ganzen Leben passiert. Wenn ich normalerweise versuchte ein Mädchen zu küssen, warfen sie sich mir an den Hals. Noch nie, noch nie, hat mir ein Mädchen eine Ohrfeige verpasst. Und trotzdem. Ich, Alec Jones, zum ersten Mal von einem Mädchen geschlagen. Außerdem war sie dann auch noch weggerannt. War ich denn so abstoßend? Also, ich wusste, dass ich mich nicht gerade wie ein Gentleman benommen hatte, aber das war doch kein Grund, mir eine Ohrfeige zu verpassen. Ich schlenderte langsam durch die Gänge und dachte darüber nach, was Amber gesagt hatte. Wie war es möglich, dass sie etwas über die ISH wussten? Gab es etwa einen Maulwurf in der Organisation? Waren ihre Eltern feindliche Spione? Als ich die Mutter von Amber zum ersten Mal gesehen hatte, kam sie mir bekannt vor. Sie war wie eine verschwommene Erinnerung. Ich wusste nicht, wo ich sie schon einmal gesehen hatte. Das, was auf dem Dach passiert war, machte mir immer noch zu schaffen. Ohne irgendetwas wahrzunehmen ging ich zum Parkplatz.
Ich war einer der besten Schüler der Schule, deswegen machte es keinem wirklich etwas aus, ob ich jetzt die Stunde schwänzte oder nicht. Mein Motorrad stand am Rand und zog bewundernde Blicke auf sich. Ich nahm meine Sonnenbrille aus der Tasche und zog sie an.
In der Nähe blieben ein paar Jungs stehen und sahen zu, wie ich auf mein Motorrad stieg und wegfuhr. Heute hatte ich meinen Porsche Zuhause gelassen, da ich wusste, dass ich heute allein fahren würde. Normalerweise kam entweder ein neues Mädchen oder Luke mit. Er war der einzige Latino der Schule und hatte vorher, sehr zu meinem Missfallen, mit Amber geflirtet. Ich hätte ihm in diesem Moment so gerne eine verpasst, aber ich wollte nicht, dass Amber mich so sah, wie manche andere. Sie war... Sie war anders. Anders als die Mädchen, die ich kannte. Sie war mehr als stur und sagte einem die Meinung geradewegs ins Gesicht. Und sie schlug auch gleich zu. Auch wenn sie um einiges kräftiger hätte zuschlagen können. Ich sollte ihr ein paar Kampftechniken beibringen. Sie sollte langsam lernen, sich zu schützen, denn mit der ISH war nicht zu spaßen. Viele hatten sich mit ihnen angelegt, ohne zu wissen, in was für eine gefährliche Situation sie sich und ihre Familie, brachten. Viele überlebten diese Erfahrung nicht...
Ich konnte jetzt nur noch hoffen, dass Amber die Suche nach der ISH bald aufgeben würde. Doch so wie ich sie kannte, würde sie das nie machen. Der Fahrtwind wirbelte durch meine Haare und zerstörte das, was einmal annähernd eine Frisur gewesen war. Ich liebte das Gefühl, so nah an den Autos zu sein, so schnell, so frei. Ich gab noch ein bisschen mehr Gas, genoss den Ruck der Beschleunigung, den Wind, der mir ins Gesicht peitschte. Die Welt wurde zu einem verschwommenen Schemen und ich beinahe laut gejubelt, do gut fühlte ich mich gerade. Der Weg kam mir, sehr zu meinem Bedauern, kürzer vor als sonst. Ich wäre gerne noch ein bisschen länger gefahren.
Das kleine Wäldchen, dass mein Haus vor neugierigen Blicken verbarg, raschelte vertraut, als ich hindurchfuhr. Ich hörte das Zwitschern der Vögel und das Rauschen des kleinen Bächleins. Es befand sich unter einer dicken Moosschicht, die jedoch nicht weit vom Haus entfernt war. Ich fuhr weiter, immer noch den Vögeln lauschend und konnte ein paar aufgeschreckten Rehen nur mit Mühe und Not ausweichen. Ich stutzte kurz.
Wieso rannten sie in Richtung Lärm? Eigentlich müsste ich sie erschreckt haben! Ich fuhr weiter, hielt aber nach möglichen Feinden Ausschau. Dank meiner Ausbildung achtete ich aber auf jedes noch so kleine Detail. Ich bog um die letzte Kurve des Weges und konnte aus der Ferne schon das schmiedeeiserne Tor sehen, dass zwar altmodisch wirkte, aber mit allerlei technischem Schnickschnack gegen Eindringlinge ausgestattet war. Ich legte den Ständer des Motorrads um und stieg ab. Ich hielt kurz inne. Das Tor summte nicht wie sonst. Es lief kein Strom darauf! Das war nicht gut. Hier stimmte etwas nicht. Ich sah mich wie zufällig um, entspannte meine Glieder und schlenderte auf den versteckten Kasten zu, der die Fingerabdrücke kontrollierte, um nur die richtigen durchzulassen. Vorsichtig, um keinen Ast zu zerbrechen und somit eine Spur für Eindringlinge zu legen, schob ich die Zweige beiseite, die den Kasten bis jetzt verdeckt hatten.
Ich sah mich noch einmal um, wie ich es immer tat, dann legte ich die Fingerspitzen auf die mattschwarze, glatte Oberfläche. Nichts geschah.
Kein leises Summen der Elektrik des Kastens, keine kaum spürbare Wärme an meinen Fingerkuppen und vor allem kein Klicken des Tors, wie sonst, wenn es sich beinahe geräuschlos öffnete und den Weg in mein zu Hause frei machte. Falle! schrien meine Gedanken. Hinter mir knackte es. Ich wirbelte herum und konnte gerade noch den ersten Schlag abwehren. Ich sah den Angreifer an. Es war eine Frau. Sie trug eine schwarze Ski Maske und komplett schwarze Kleidung, so enganliegend, dass sie sich damit besser bewegen konnte als ich. Zwei elektrisch-blaue Augen funkelten mich durch die Maske hindurch an. Dann, ohne irgendetwas zu sagen, machte sie eine schnelle Drehung. Ihr blonder Rossschwanz flog hinter ihr her wie eine Peitsche. Ich duckte mich unter ihre Haare hinweg. Hätte sie mich damit erwischt, dann hätte ich einige Sekunden nichts gesehen und die Kontrolle verloren. Ohne darauf zu warten, dass sie weitermachte, griff ich aus der Hocke an. Ich trat seitlich mit dem Bein aus, denn sie mit einem einfachen Schlag nach unten blockte.
Ich suchte so schnell ich konnte, einen festen Stand, aus dem ich sie angreifen konnte, denn sonst hätte sie mich leicht aus dem Gleichgewicht bringen können. Sie sprang und drehte sich halb in der Luft. Ich verstand gerade noch rechtzeitig, dass sie auf meinem Fuß landen und brechen wollte. Ich stolperte einen Schritt zurück und kam gerade noch so davon. Zu meiner Überraschung, riss sie keine Sekunde später ihre Arme nach oben und erwischte mich mit dem Ellbogen, unter dem Kinn. Für einen kurzen Moment wurde mir schwarz vor Augen. Ich taumelte zurück und versuchte verzweifelt, ihre Taktik zu erkennen. Ich wich ihren Attacken nur mit Mühe aus. Es war, als wüsste sie genau, was ich als nächstes tun würde. Tritt, Seitwärtsschlag, Kniestoss, Schlag auf Kinn Höhe.
Ich konnte nur blocken, hatte keine einzige Möglichkeit, sie anzugreifen. Es war Karate, da war ich mir sicher, aber sie war zu schnell, als dass ich zurückschlagen hätte können. Sie landete einen Zweifachschlag. Den ersten, der erneut auf mein Kinn zielte, konnte ich abwehren, aber der zweite traf mich mitten in den Bauch. Ich taumelte zurück und landete auf dem zermanschten Waldboden. Je länger wir kämpften, desto mehr entfernten wir uns von der Straße. Sie kam langsam auf mich zu und nahm die Position für einen schnellen, harten Fußtritt ein. Sie zielte wieder auf den Bauch. Mit genug Kraft würde er mich ausknocken und unschädlich machen.
Ich wusste nicht woher, doch all diese Taktiken waren mir nur allzu bekannt. Bevor sie mich treffen konnte, rollte ich mich schnell auf die Seite und griff nach der trockenen, sandigen Erde. Sie traf zwar daneben, setzte jetzt aber auf eine andere Taktik. Sie wollte mir das Knie in die Weichteile rammen, doch diesmal war ich vorbereitet. Ich packte ihre Maske und zog daran. Als eine Lücke zwischen ihrem Gesicht und dem Stoff frei wurde, warf ich ihr die Erde ins Gesicht und ließ sie wieder los. Sie heulte vor Schreck und Schmerzen auf und versuchte, sich das Ding vom Kopf zu reißen. Ich taumelte einige Schritte zurück, fing mich aber wieder und traktierte sie mit einem Hagel aus Schlägen. Sie konnte sie nur mit Mühe abwehren. Angriff ist die beste Verteidigung, so hieß es doch immer.
Ich trat mit dem Fuß nach ihrer linken Kniekehle. Sie sah immer noch nicht richtig, ich traf und sie knickte mit einem Stöhnen ein. Als ich erneut angriff, blockte sie mit den Unterarmen ab. Ich erstarrte. Ich kannte alle ihre Manöver. Ich kannte ihre Art zu kämpfen. Sie nutzte meinen Schrecken, um sich einen Ast zu schnappen und ihn in meine Richtung zu schleudern.
Ich duckte mich darunter weg. Ich machte einen letzten Test. Nur, um mir wirklich sicher zu sein. Ich wollte mir sicher sein. Ich packte sie an den Unterarmen, stellte mich breitbeiniger hin, als eigentlich nötig. Sie drehte sich um sich selbst, lag am Ende beinahe in meinen Armen. Sie legte den Kopf an meine Schulter. Dann ganz plötzlich, hakte sie ihr Bein unter meines und brachte mich zu Fall. Sie saß auf mir und nagelte meine Arme mit ihren Knien fest. Und in diesem Moment war ich mir sicher. Sie war es. Sie zwinkerte mir zu. Ich blieb wie geschlagen liegen. Sie gab einen zufriedenen Laut von sich, ging aber nicht von mir runter.
„Hallo Alec. Schön da unten?", sagte sie mit samtweicher Stimme. Als sie ihre Maske auszog und dabei ihre Haare öffnete, kam ihre sonnengebräunte Haut zum Vorschein. Sie war dunkler als ich sie in Erinnerung gehabt hatte, doch ich achtete jetzt nicht drauf. Sie dachte wohl, dass sie gewonnen hätte, doch das war ihr Fehler. Ich stemmte meine Beine hoch, schlang meine Waden um ihren Hals und zerrte sie nach hinten. Überrascht fing sie an zu würgen und vergaß dabei meine Arme mit ihren Knien festzuhalten. Befreit rammte ich ihr die Faust in die Rippen. Sie stöhnte und ließ mich los. Ich ergriff schnell die Möglichkeit und drehte den Spieß um. Jetzt saß ich auf ihr, hielt sie fest. Sie konnte sich keinen Millimeter mehr bewegen. Sie bäumte sich unter mir auf, aber ich ließ sie nicht los. Als ihr Widerstand erschlaffte, stieg ich vorsichtig von ihr herunter.
Ich stand auf und klopfte mir entspannt und zufrieden mit dem Ergebnis, die Hose ab. Die Hand, die ich ihr entgegenstreckte, beäugte sie misstrauisch. Dann nahm sie sie doch. Ihre Entschlossenheit hätte mich stutzig machen sollen, denn sobald sie ihre Finger um meine Hand schlang, beförderte sie mich, von einem Moment auf den anderen, auf den Boden. Kichernd stand sie auf, während ich noch auf dem Boden lag. Ich kam so schnell ich konnte wieder auf die Füße. Ich sah sie an und bemerkte, dass ihre sowieso schon karamellbraune Haut noch dunkler war als sonst und dass sie ihre blonden Haare, mit braunen Strähnen ausgeschmückt hatte. Ihre Kleidung sah aus, als hätte sie sich im Matsch gewälzt. Was sie auf gewissermaßen auch getan hatte und ihre scharfen Gesichtszüge waren durch das viele Training noch schärfer geworden.
Sie funkelte mich amüsiert an. Dann griff sie wieder an, dieses Mal mit einem kraftvollen, aber einfachen Tritt auf Bauchhöhe. Ich wehrte ihn mit gekreuzten Armen ab, drehte mich auf meinem Standfuss weiter und rammte ihr den flachen Fuß in den Bauch. Sie stolperte zurück und ich nutzte den Moment, um ihr die flache Hand gegen den Kehlkopf zu knallen. Sie würgte und landete wieder auf dem Boden, nur dass sie dieses Mal nach meinem Fuß griff und mich ebenfalls zu Fall brachte. Ich trat noch im Fallen nach ihrer Hand, traf aber nicht. Dafür traf ihre Faust mein Gesicht. Ich rollte mich blind weg, richtete mich mit einem Baum im Rücken wieder auf. Sie kam wieder auf mich zu und setzte zum Schlag an, zielte wieder auf mein Gesicht.
Was sie aber nicht kommen sah, war, dass ich mich weg duckte und ihr Schlag den Baumstamm traf. Sie wimmerte, als sie das harte Holz traf, hielt sich die Hand. Ich stützte mich keuchend auf die Knie, zeigte jedoch so wenig Erschöpfung wie nur möglich.
„Reicht das jetzt, oder musst du mir beweisen, dass du auch mit einer gebrochenen Hand noch weiterkämpfen kannst?", fragte ich. Meine Stimme hörte sich merkwürdig rau an, keuchend, beinahe pfeifend. Sie verzog das Gesicht.
„Aber du musst zugeben, dass ich besser geworden bin." Ich seufzte.
„Weißt du, das hätte ich lieber beim Training herausgefunden. Mit vielen weichen Matten. Ich mag eigentlich keine Mädchen, die mich einfach so anfallen." Sie lachte, nur um gleich darauf wieder das Gesicht zu verziehen.
„Ach, komm schon, wir alle wissen, dass du auf mich stehst...", neckte sie mich. Ich wusste nicht was ich darauf antworten sollte, also nahm ich grinsend ihre Hand in meine und untersuchte sie.
„Soll das jetzt ein Hochzeitsantrag werden?", fragte sie beinahe höhnisch, doch mit einem Grinsen im Gesicht. Ich schüttelte lachend den Kopf.
„Ich schaue mir nur deine Hand an. Ich bin ja kein Experte in diesem Gebiet, aber wenn du mich fragst, dann hast du dir entweder etwas angeknackst oder gebrochen. Wahrscheinlich das Handgelenk. Du gehst nachher sofort und lässt das behandeln, klar?" Sie seufzte kleinlaut und fing an zu jammern.
„Noch nicht einmal ein 'Hallo, schön das du wieder da bist, Alex.' Noch nicht einmal ein 'Wie war's?' Ich hätte doch mehr von dir erwartet", sagte sie schmollend. Ich seufzte, grinste und umarmte sie schließlich. Alexandra oder Alex, wie ich sie gern nannte, sprach ohne Ende. Ich hatte ganz vergessen, wie viel sie plapperte. Sie war viel zu lange auf Mission gewesen. Und sie war wirklich besser geworden. Ich hatte den perfekten Vergleich, ich war schließlich ihr Lehrer.
Aber natürlich würde ich ihr das nicht sagen, sonst blies sich ihr Ego noch mehr auf. Sie schmiegte sich in die Umarmung und kniff mir dann spielerisch in die Seite.
„Komm jetzt erst Mal rein und lass dich behandeln, dann sehen wir weiter." Ich führte sie zurück zum Tor, dass jetzt wundersamer Weise wieder funktionierte. Ich wusste jetzt, dass Alex für die Abschaltung der Systeme verantwortlich gewesen war. Wahrscheinlich hatte sie darum gebeten, mich auf ihre Art begrüßen zu dürfen. Ich ließ meine Fingerabdrücke scannen, setzte mich aufs Motorrad und klappte den Ständer zurück. Sie sah mich hoffnungsvoll an.
„Darf ich mitfahren?" Ich grinste sie an.
„Zuerst ein Angriff aus heiterem Himmel und dann willst du mitfahren? Das hättest du dir früher überlegen sollen, junge Dame. Wir sehen uns dann in der Krankenstation!" Ich gab Gas und brauste an ihr vorbei.
„Hey! Das ist nicht fair!", rief sie mir nach. Ich lachte in mich hinein, doch ich wusste, dass sie den Weg auch ohne mich schaffen würde, auch mit einer gebrochenen Hand. Hätte sie den Weg nicht gekannt, hätte ich sie vielleicht mitgenommen.

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