Kapitel 8

Niklas 

„Gutes Training". Luis klopfte mir kurz auf die Schulter, um dann in der Kabine zu verschwinden. Ich liebte diese Abende, an denen sich mein ganzes Team auf dem Platz zusammenfand und wir an unserer Spieltechnik arbeiten konnten. Joint hatte sich auch mal wieder blicken lassen und half mir gerade dabei, die einzelnen Bälle ins Netz zu befördern.

„Und bist du zufrieden mit deinem Team?" Er grinste mich an, während er mir einen Ball entgegen streckte. Unser Streit auf seiner Party war schon längst wieder vergessen.

„Wir sollten noch etwas an unseren Pässen arbeiten, aber sonst bin ich einigermaßen zufrieden mit unserer Leistung." Ich wollte mich gerade nach einem Hütchen bücken, als mir mit voller Wucht ein Ball gegen den Rücken flog.

In der nächsten Sekunde hörte ich Joints Lachen. „Mach dich mal locker, Coach." Er zog das letzte Wort übertrieben in die Länge und schoss noch einen Ball in meine Richtung. Er verfehlte, was mich jetzt schmunzeln ließ. In dem Moment war ich froh, dass er zwei linke Füße besaß. Mit einer schnellen Bewegung, warf ich den Ball in meiner Hand nach oben und schoss ihn mit Vollspann gegen Joint. Dieser riss vor Schreck die Augen auf, doch zu mehr war er nicht mehr fähig, als der Ball ihn auch schon mitten im Bauch traf. Trotz des Aufschreis, breitete sich ein leichtes Lächeln auf seinem Gesicht aus.

„Du Mistkerl" Keuchend hielt er sich die Hand vorm Bauch und kam mit dem Ball langsam auf mich zu. „Hab schon verstanden, keine Witze mehr über den Trainer."

„Wie geht es eigentlich Vanessa?" Was? Wie kam ich denn jetzt auf den Gedanken?

Joints Lächeln rutschte etwas nach unten, doch dann fing er sich gleich wieder.

„Als ich zum Training aufbrach, hatte sie ziemlichen Stress mit meinem Dad wegen irgendeines Piercings." Er hielt kurz inne. Joint redete nicht oft über seinen Vater. Ich wusste, dass er manchmal dazu neigte, lauter zu werden. Warum hatte ich dann überhaupt Vanessa erwähnt?

„Aber das ist doch schon 2 Stunden her."

„Du weißt doch, wie lange sich ein Streit mit meinem Dad in die Länge ziehen kann." Er bückte sich kurz, um ein Hütchen aufzuheben. Als er mich wieder ansah, lag ein bekanntes Lächeln auf seinem Gesicht. „Und du weißt doch auch wie Frauen sein können." Mit diesem Satz ging er auf die Kabine zu.

Auf halben Weg drehte er sich zu mir um. „Kommst du?"

Ich atmete kurz ein. Die Nachtluft war kühl. Perfekt, um noch länger zu bleiben.

„Nein, ich bleibe noch kurz hier. Räum noch auf."

„Ist klar, Nik. Wir wissen beide, dass du noch weiter trainieren willst." Er kannte mich gut.

Kurz darauf verschwand er in der Kabine. Nach ein paar Minuten kam er wieder heraus und verabschiedete sich von mir. „Treibs nicht so wild mit deinen Bällen."

„Leck mich" Dann hörte ich den Auspuff seines BMWs. Jetzt war ich allein. Stille umgab mich. Allein das Flutlicht gab mir die nötige Sicht auf den Rasen. Und als hätte ich nicht schon zwei Stunden Training hinter mir, rannte ich weitere zehn Runden um den Platz bis meine Beine schon anfingen zu schmerzen.

Ich verbesserte gerade meinen Schuss aus dem Elfmeter, als ich an der Bande etwas klirren hörte. Sofort hielt ich mitten in der Bewegung inne. Ich kniff die Augen zusammen, doch ich konnte nichts sehen, dafür war es einfach schon zu dunkel. Ein paar Minuten lauschte ich in die nächtliche Stille hinein. Als ich kein weiteres Geräusch war nahm, konzentrierte ich mich wieder auf meinen Schuss. Der Ball traf mit voller Wucht in die linke obere Ecke, genau da wo ich hin haben wollte. Ich lächelte zufrieden und setzte mit dem Fuß am nächsten Ball an.

„Das bringt doch gar nichts ohne Torwart." Die weibliche Stimme brachte mich völlig aus dem Konzept und ich sah nur noch zu, wie der Ball gegen den Pfosten knallte. Daneben befand sich Vanessa, die jetzt vor Schreck zur Seite sprang.

„Ey, pass doch auf wohin du schießt" In ihrer Stimme schwang Belustigung mit. Sie trug ein graues Top mit einer schwarzen Jeans und dazu passende Chucks. Panisch fasste ich instinktiv an meinen Kopf um zu testen, ob sich meine Mütze darauf befand. Das tat sie, erleichtert ließ ich die Hand wieder sinken.

„Was tust du hier?" Ich rührte mich nicht von der Stelle. Trotz der Entfernung konnte ich dennoch in ihrer linken Hand eine große Flasche ausmachen. War das Alkohol? Als sie nun geradewegs in das Innere des Tores stolperte, hätte ich mir denken können, was in der Flasche war, doch ich beobachtete nur, wie sie in das Tor lief und in der Mitte stehen blieb.

„Dasselbe könnte ich dich fragen." Sie beugte sich leicht nach vorne, sodass ich in ihren Ausschnitt sehen konnte. Fuck. Schnell hob ich wieder den Blick und verdrängte meine aufkommenden Gedanken.

„Schieß!" Erwartungsvoll sah sie mich an.

Ich musste schmunzeln. In ihrem Zustand würde sie nicht einen Ball halten können.

„Komm schon, Nik. Schieß endlich!" Ungeduldig wippte sie von einem Fuß auf den anderen und schenkte mir ein breites Lächeln.

Na gut. Was sollte schon passieren? Ich war ungefähr 11 Meter von ihr entfernt, weit weg also, um nicht auf falsche Gedanken zu kommen. Mit schnellen Bewegungen legte ich mir einen Ball zurecht. Ich versuchte nicht mal, groß auszuholen. Mein Fuß traf auf das Leder und beförderte ihn direkt vor Vanessas Beinen. Ich hatte absichtlich leicht geschossen, was sie, nach ihrem Gesichtsausdruck zu urteilen, nicht gerade amüsant fand.

„Ist das alles was du drauf hast, Nik?" Sie sah mich empört an, hob den Ball auf und warf ihn in meine Richtung zurück.

„Zeig mir was du kannst." Klang ihre Stimme jetzt verführerisch? Oder bildete ich mir das nur ein?

Ich schüttelte den Kopf. Sie machte mich gerade echt wahnsinnig. Was wollte sie hier? Doch statt sie zu fragen, trat ich ein paar Meter zurück. Stellte mich in Position, visierte mein Ziel an, nahm mit steigender Geschwindigkeit Anlauf und ließ meine Stollen gegen den Ball schnellen. Aus dem Augenwinkel konnte ich Vanessas lautes Quieken hören. Sie hatte sich schützend beide Hände über die Augen gelegt und stand stocksteif dar. Wenn sie wüsste. Nach einigen Sekunden, lugte sie zwischen einzelnen Finger hindurch und direkt in mein amüsiertes Gesicht. Sie ließ den Blick nach unten gleiten und entdeckte den Ball direkt vor ihren Füßen. Ich hatte ihn genauso leicht wie vorhin geschossen, nur dass ich etwas mehr ausgeholt hatte.

„Was ist...?" Sie starrte mich ungläubig an. Jetzt konnte ich mein Lachen nicht mehr zurückhalten.

„Du hättest dein Gesicht sehen sollen" Ich musste mich auf meinen Knien abstützen, um nicht noch lauter zu lachen.

„Du... hast mich verarscht?" Wütend funkelte sie mich an. Die Wirkung war jedoch nicht die, die sie wollte, denn als sie beleidigt die Arme verschränkte, prustete ich einfach los. Ich wusste nicht wann ich das letzte Mal so gelacht hatte.

„Nik, es reicht." Sie versuchte krampfhaft nicht mit zu lachen, doch ich bemerkte wie ihre Mundwinkel zuckten.

Mit einem lauten Schrei und vor Schreck aufgerissen Augen imitierte ich ihre lustige Einlage und erntete dafür nur noch mehr wütendes Schnauben.

Plötzlich flog Etwas nur zwei Zentimeter an meinem Kopf vorbei. Das war echt knapp. Ich richtete mich auf und blickte Vanessa an, die mit schnellen Schritten auf mich zu stiefelte. Hatte sie gerade wirklich auf mich geschossen? Wann hatte sie so Schießen gelernt? Wieder verzogen sich meine Mundwinkel nach oben. Was war nur los mit mir?

„Hör endlich auf zu lachen!" Ich konnte ihre böse Miene nicht ernst nehmen. Auch nicht als sie den zweiten Ball in Beschlag nahm und mich mit ihren braunen Augen fixierte.

„Du solltest lieber mit dem Seitspann schießen, anstatt mit der Kuppe."

„Halt die Klappe" Sie schoss auf mich. Oder besser gesagt, Meter weit von mir entfernt. Kein Wunder, wenn sie so wacklig auf den Beinen unterwegs war.

„Aber dann würdest du vielleicht Mal treffen" Ich konnte es einfach nicht lassen, sie anzustacheln.

Jetzt rannte sie die letzten Meter auf mich zu. „Du bist echt unglaublich". Sie blieb in einem kleinen Abstand vor mir stehen und rammte mir mit voller Wucht ihre Hände gegen die Brust. Damit hatte ich nicht gerechnet. Ich taumelte ein paar Schritte zurück.

„Hör sofort auf zu lachen." Ich konnte mich noch nicht einmal fangen, als sie schon die Lücke zwischen uns schloss und mir einen weiteren Stoß gab.

„Du sollst aufhören, Nik." Wieder machte sie einen Schritt auf mich zu, die Arme gehoben.

„Nur wenn du damit anfängst." Sie wollte schon zum nächsten Schlag ausholen, da sah sie mich einen Moment lang verwirrt an.

„Ich weiß, dass du es willst." Meine Stimme klang jetzt tiefer. Was... war... bloß... los... mit... mir?

Sie musterte mich eindringlich, um dann den Kopf zu schütteln und mir ein wundervolles Lächeln schenkte. Endlich.

„Wer bist du?" Sie sah mir neugierig in die Augen. Wow. Hatte ich schon mal erwähnt, dass sie echt faszinierend waren? Zudem fiel mein Blick auf etwas Glitzerndes an ihrer Nase. Das musste das Piercing sein, wovon Joint gesprochen hatte. Doch ich konnte es nicht genauer betrachten. Ohne eine Vorwarnung, holte Vanessa blitzschnell aus und stieß mich kräftig nach hinten. Verdammt, sie war echt stark. Damit riss sie mich aus meinen Gedanken und ich stolperte nach hinten. Kurz bevor ich auf den Rasen landete, konnte ich ihre Handgelenke packen und sie mit nach unten ziehen. Sie quiekte vor Schreck, als sie auf meiner Brust landete. Ihr Aufschrei verwandelte sich jedoch zu einem herzhaften Lachen, in dem ich mit einstimmte. Ihre Haare lagen auf meinem Gesicht und ich konnte ihren Duft einatmen. Ihr weiches Lachen vibrierte an meiner Brust und ließ mich an anderer Stelle ganz heiß werden. Fuck. Das musste echt aufhören. Doch als sie sich auf mir bewegte, glitten meine Hände automatisch an ihre Hüfte um ihr Gleichgewicht zu stützen. Ihr Top war durch den Sturz etwas nach oben gerutscht und meine kalten Fingerspitzen berührten ihre weiche Haut, was ihr ein Zischen entweichen ließ. Sie bewegte sich etwas nach vorne, aber nicht um von mir zu klettern, sondern um mir ins Gesicht sehen zu können. Sie legte eine Hand auf die linke Seite meines Oberkörpers, wodurch mein Herz begann schneller dagegen zu klopfen.

„Nein, wirklich. Wer bist du eigentlich Niklas?" Ihre Stimme glich einem Flüstern, und ich konnte nicht sagen, ob die Worte überhaupt an mich gerichtet waren. Ich konnte ihren heißen Atem auf meiner Wange spüren. Unsere Gesichter waren nur noch ein paar Zentimeter voneinander entfernt. Wenn ich mich also ein kleines Stück nach vorne gebeugt hätte, hätte ich ihre vollen Lippen berühren können. Verdammt. Ich konnte spüren wie sich ihre Nähe auf meinen Körper auswirkte. Ich musste sofort etwas Abstand zu ihr bekommen, bevor ich hier noch durch drehte. Warum machte sie keine Anstalten von mir zu klettern? Und warum unternahm ich nichts? Sie war die Schwester meines besten Freundes.

Entschlossen packte ich sie fester an der Hüfte, mit dem Ziel, sie von mir zu schieben. Ein leises Seufzen entglitt ihren leicht geöffneten Lippen. Sie machte es mir echt nicht einfach. Entschlossen mein Vorhaben durch zuziehen, wurde ich von einzelnen Regentropfen unterbrochen, die sich innerhalb von Sekunden zu einem Schwall von nassen Eimern entwickelten. Überrascht drehte Vanessa sich zur Seite, um gen Himmel zu blicken. Ich nutzte meine Chance und stand mit ihr in den Armen schwungvoll auf. Schnell umklammerte ich ihre Hand und rannte mit ihr über den Rasen, durch den Regen in Richtung Sportheim. Lachend ließ sie sich mit ziehen. Während wir uns unter dem Vordach des Sportheims unterstellten, konnte ich mich endlich etwas beruhigen und abkühlen. Sobald ich mich zu Vanessa umdrehte, bemerkte ich, dass sie mit ausgestreckten Armen und geschlossenen Augen auf den Parkplatz getreten war und sich unter dem Wolkenbruch langsam im Kreis drehte. Fasziniert beobachtete ich ihre Bewegungen. Tatsächlich kannte ich dieses Mädchen gar nicht.

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