Kapitel 5
Vanessa
Am nächsten Tag wachte ich mit einem dröhnenden Schädel auf, meine Zunge klebte trocken an meinem Gaumen, sodass ich mehrmals schlucken musste, dass sie sich wieder löste. Ich hatte keine Ahnung, wie ich es alleine in mein Bett geschafft hatte, allgemein wusste ich nicht wirklich viel über den gestrigen Abend. Schwammige Erinnerungen an verschiedene Cocktails und Schnapsflaschen drängten sich an die Oberfläche. Doch was danach alles geschah, konnte ich nicht mehr sagen. Verdammt. Ich stöhnte laut auf. Das war schon der zweite Blackout in dieser Woche, ich durfte das nicht zur Gewohnheit werden lassen. Mit einem Griff hob ich die Decke an, musterte meine Klamotten, die ich noch vollständig trug. Einen One-Night-Stand konnte ich also ausschließen. Vielleicht war ich auf einfach dazu fähig gewesen, die Tür aufzusperren, mir die Schuhe auszuziehen und dann noch die Treppe zu bewältigen. Ich bezweifelte meine Annahme aber gleich darauf, doch was anderes konnte ich mir nicht erschließen.
Bevor mein Kopf noch das Rauchen anfing, stand ich auf und nahm erst einmal zwei Aspirin. Das dürfte meine Kopfschmerzen vorerst dämpfen, sodass ich mich auf das Aufräumen konzentrieren konnte. So wie ich meinen Bruder kannte, würde er nicht vor 16:00 aufstehen, also begann ich schon mal damit die leeren Flaschen einzusammeln.
Das Wochenende ging viel zu schnell vorbei. Meine Eltern waren gestern wieder von der Geschäftsreise gekommen. Mein Vater musste von der Arbeit aus in die USA und hatte meine Mutter kurzerhand mitgenommen. Ich freute mich für beide, denn solche Ausflüge kamen bei ihnen eher selten vor. Gott sei Dank, hatte ich das Chaos von Joints Party am nächsten Tag beseitigt. Eigentlich wollte ich es nicht für ihn tun, doch er hatte so einen starken Kater, dass er den ganzen Tag im Bett lag. Außerdem schrie ein dreckiges und chaotisches Wohnzimmer nach Ärger und den wollte ich um alles in der Welt verhindern.
Jetzt war ich auf dem Weg zur Uni. Ich hatte um 10:00 eine Vorlesung und wollte nicht zu spät kommen. Ich ging geradewegs auf die Philosophische Fakultät zu. Mein Studiengang war Literaturgeschichte. Ich weiß, brotlose Kunst, doch ich sehnte mich nach dem Gedanken, dass ich später einmal in einer Bibliothek, umgeben von lauter dicken Büchern, arbeiten würde. Ein Wunsch von mir, den nur Lisa kannte. Eine kühle Brise umgab mich, als ich den Vorlesungssaal betrat. Er war nicht sehr groß. Es hatten sich vereinzelt ein paar Studenten in die vorderen Reihen gesetzt. Mit meinem Block glitt ich auf die hinterste Sitzreihe und stöpselte mir einen Kopfhörer in mein Ohr. Musik war ebenso ein wichtiger Teil meines Lebens, ohne den ich nicht leben konnte. Ein dröhnender Bass drang an mein Ohr und ich entspannte mich zu nehmend. Nach 5 Minuten füllte sich der Raum immer mehr und auch die Dozentin tauchte vorne auf. Ich mochte das 18. Jahrhundert mit der romantischen Literatur, deswegen genoss ich das heutige Thema. Denn nicht alles in der Romantik war fröhlich. Es gab auch düstere Aspekte, die mich mehr anzogen und faszinierten.
„Hey, Du." Eine weibliche Stimme riss mich aus meinen Gedanken. Langsam drehte ich meinen Kopf und nahm sofort einen süßlichen Duft war. Ein rothaariges Mädchen saß neben mir und beäugte mich eindringlich. Ihre grauen Augen musterten mich kurz von unten nach oben.
„Äh, Hi." Ich widmete mich wieder meinen Aufzeichnungen und versuchte sie zu ignorieren.
„Also..." fing sie wieder an. „du bist doch Joints kleine Schwester, oder?" Frustriert gab ich es auf mit zuschreiben, da ich den letzten Satz ohnehin schon nicht mehr gehört hatte.
„War das etwa eine Frage?" Wieder wandte ich meinen Kopf in ihre Richtung.
Sie schüttelte kurz den Kopf. „Dann kennst du wohl auch seinen besten Freund oder?"
Jetzt wurde ich hellhörig. „Du meinst Nick?"
Sie nickte. „Ja. Kennst du ihn gut?"
Verwirrt sah ich sie an. Was sollte die Fragerei. „Was willst du?" Ich wollte es kurz machen.
Sie wirkte kurz verdutzt über meine schroffe Antwort, fing sich aber gleich wieder.
„Also, da ich ihn echt scharf finde, wollte ich dich fragen, ob du mir nicht bei ihm etwas helfen könntest? Du kannst mir sagen, was er so mag, wenn du verstehst, was ich meine."
Ich versuchte den aufkommenden Kloß in meinem Hals herunter zu schlucken. Wieso kam sie darauf, dass ich mit ihm geschlafen hatte?
„Wieso fragst du nicht meinen Bruder?" Demonstrativ drehte ich mich wieder weg. Ich hasste diese Unterhaltung jetzt schon.
„Der will mir nicht weiterhelfen, außerdem weiß ich was du schon alles und mit allem getrieben hast. Das ist kein Geheimnis hier. Du weißt wie man Männer ins Bett bekommt."
Was hatte sie gerade gesagt? Konzentriert starrte ich auf meine Notizen, um ihre Worte in meinen Gedanken auszublenden. Hatte sich der Vorfall mit Basti etwa schon rumgesprochen?
„Also? Wirst du mir helfen?" Ihre Stimme wirkte jetzt ungeduldig hoch.
„Nein", gleich nachdem meine Antwort draußen war, schnappte sie scharf nach Luft. Schnaubend warf sie sich ihren langen Pferdeschwanz über die Schulter und blickte mich düster an.
„Kannst du nicht, oder willst du mir einfach nicht helfen?" Ich hörte ihren wütenden Unterton in ihrer Stimmer heraus.
„Ich kenne ihn nicht so, wie du das denkst. Er ist einfach der beste Freund meines Bruders. Mehr nicht." Wieso versuchte ich mich hier eigentlich recht zu fertigen? Das hatte ich nicht nötig. Noch bevor das Mädchen etwas erwidern konnte oder die Vorlesung beendet wurde, packte ich meinen Block in meinen Rucksack, stand auf und lief mit lauten dumpfen Schritten aus dem Hörsaal. Die Blicke der anwesenden Studenten konnte ich deutlich auf meinem Rücken spüren.
Niklas
Die Woche ging wie im Flug vorbei und ehe ich mich versah, stand ich vor einem riesigen Haus, aus dem wummernde Bässe kamen. Haus war untertrieben, das Gebäude vor mir glich mit ihrer Backsteinfassade einer Villa. Der Garten war genauso teuer und aalglatt angelegt, dass ich unwillkürlich das Gesicht verzog. Wahrscheinlich stutze man den Rasen hier mit einer Schere. Seufzend lehnte ich mich in meinem Sitz zurück und beobachtete wie mein kleiner Bruder die riesigen Marmortreppen hinaufstieg. Früher sahen wir uns richtig ähnlich, mit unseren blonden Haaren und blauen Augen, doch jetzt war es, als stammten wir aus verschiedenen Familien. Nicht nur ich, sondern auch er hatte sich verändert. Er hing jetzt mit den coolen Kids aus der Gegend ab, und dazu gehörten anscheinend auch solche Partys, wie diese, die in dem größten Haus der Stadt stattfand. Ich wollte schon den Motor starten, als mich ein lautes Klopfen still halten lies.
„Hey, Süßer. Was machst du denn hier?" Ich erkannte die Stimme sofort. Es war das Mädchen von Joints Party, das beinahe mit ihrem vielen Make-up an meiner Fensterscheibe kleben blieb.
Als ich das Fenster runter drehte, stieg mir sofort ihr süßlicher Geruch in die Nase. Der Geruch war einfach zu intensiv, dass es mir schon beim Atmen in meinem Hals kratzte. Vielleicht übertrieb ich auch. Egal.
Noch bevor ich antworten konnte, ergriff sie wieder ihre Stimme und schürzte dabei leicht ihre Lippen. Sie wirkte etwas angetrunken, worüber ich nicht wirklich überrascht war.
„Ich dachte nicht, dass du der Partygänger bist." Sie lachte kurz tonlos auf, dann beugte sie sich weiter in den Innenraum meines Wagens. „Also, was ist. Kommst du mit mir rein?" Ihre Augen huschten von meinem Kopf über meinen Bauch, bis zu meinen Füßen.
„Ich wollte eigentlich gerade..." Sie ließ mich nicht ausreden. Stattdessen öffnete sie die Wagentür und packte meine Hand.
„Komm schon. Wir dürfen die Party nicht verpassen." Kurz sträubte ich mich gegen ihre Hand, die mich versuchte aus den Wagen zu ziehen. Ich hatte auf so einer Party nichts verloren. Das passte nicht zu mir. Nicht mehr. Doch ein Shot konnte wohl nicht schaden, oder? Außerdem schien das Mädchen wirklich interessiert an mir zu sein. Obwohl mir ihre Berührung leicht behagte, ließ ich mich die breite Treppe und ins Haus zerren.
„Ich bin übrigens Michelle." Sie umfasste immer noch meine Hand.
„Niklas." Erwiderte ich, und unterdrückte das starke Verlangen, meine Hand weg zuziehen.
„Ich weiß", Flötete sie, als wir durch das Haus gingen.
Das Haus war innen genauso wie außen, teuer und prachtvoll eingerichtet. Sofort fühlte ich mich fehl am Platz. Die Fließen unter mir glänzten so sehr, dass ich unwillkürlich aufstoßen musste. Wie ich diese Häuser hasste. Wie konnte mein Bruder nur auf solche Partys abfahren? Ok, ich sollte ihm keinen Vorwurf machen, da ich früher nicht gerade besser war als er. Doch jetzt breitete sich ein ungutes Gefühl in mir aus, das nur nach Flucht schrie. Das Mädchen an meiner Hand, hielt mich jedoch mit einem festen Griff davon ab.
Wir kamen in einen großen Raum, in dem sich die Küche und gleichzeitig das Wohnzimmer befanden. Michelle steuerte sofort auf die Bar zu. Der Raum war brechend voll mit Betrunkenen, die entweder auf dem Sofa hingen oder knutschend in einer Ecke standen.
„Hier, auf uns." Michelle drückte mir ein kleines Glas mit brauner Flüssigkeit in die Hand und ich war erleichtert, dass sie endlich die Finger von mir genommen hatte.
Ich stieß mit ihr an und kippte das Zeug meinen Rachen hinunter. Alkohol kam mir gerade echt gelegen. Zufrieden lächelte sie mich an und wollte schon nachfüllen, als uns ein lautes Rumpeln unterbrach. Es kam vom oberen Stockwerk. Die Treppe befand sich mitten im Raum, also hatte man von hier eine gute Aussicht darauf. Ich bemerkte, dass sich auch die anderen Leute umgedreht hatten und in die Richtung starrten, aus der das Geräusch kam. Danach ging alles ziemlich schnell. Ich beobachtete wie ein Mädchen mit blonden Haaren auf ein Schwarzhaariges losging. Die Blonde schubste die andere, woraufhin diese gegen die Wand stieß.
„Schlampe" Schrie die Blonde schrill und holte zum Schlag aus. Das Mädchen an der Wand wehrte sich jedoch nicht, sie stand einfach ganz still da, als wäre sie gerade ganz woanders.
Mit einem lauten Knall, vollführte das wütende Mädchen eine Ohrfeige, die mir Gänsehaut bereitete. Der Kopf des schwarzhaarigen Mädchens flog mit voller Wucht und schmerzverzerrt zur Seite. Ach du Heilige Scheiße. Vanessa. Das schwarzhaarige Mädchen war Vanessa. Was machte sie hier? Und da oben? Ich versteifte mich, als die Blondine zum nächsten Schlag ausholte. Warum verteidigte sie sich nicht? Und wieso standen alle bewegungslos da? Wollten sie ihr denn nicht helfen? Als ich realisierte, dass ich bis eben genauso doof geglotzt hatte, setzte ich mich hastig in Bewegung. Der nächste Knall erfolgte und ich hörte tatsächlich einige Leute Beifall klatschen. Ich kam nur bis zum Treppenansatz, als mich Vanessa erkannte und vor Schreck die Augen aufriss. Von ihrem schönen hellen Braun war fast nichts mehr zu erkennen. Noch bevor ich sie erreichen konnte, erwachte sie aus ihrer Schockstarre und stürmte an mir vorbei die Treppe hinunter. Fuck. Ohne weiter nachzudenken, ging ich ihr hinter her.
„Wohin gehst du, Nick? Die Schlampe hat es verdient." Michelles hohe Stimme drang dicht an mein Ohr, doch ich ignorierte sie. Niemand hatte so eine Demütigung verdient.
Wie findet ihr die Geschichte bis jetzt so?
Würde mich über einen Kommentar freuen! :)
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