Kapitel 48
Niklas
„Das kann doch auch bis morgen warten", sprach ich, während ich die Decke auf das Bett fallen ließ.
„Nein." Sie stand abrupt auf. „Ich will jetzt mit dir reden, bitte."
„Alles gut, Vanessa und ich weiß es war ein Fehler, dich so unter Druck zu setzen, du kannst dir Zeit..." Während ich sprach, ging ich in einigen Schritten auf sie zu, versucht sie zu besänftigen, doch sie wich zurück.
„Nein, bleib, da wo du bist. Wenn du jetzt näher kommst, würde ich kein Wort mehr herausbringen." Das veranlasste mich zum Stoppen. Sie meinte es ernst, das war mir jetzt klar.
„Ok." Ich nickte in ihre Richtung, blieb jedoch auf Abstand.
Sie holte tief Luft, ballte ihre Hände zu Fäusten und hob den Blick. Ihre braunen Augen schauten mich so intensiv an, dass ich meinen Blick nicht abwenden konnte.
„Es tut mir leid." Schon bei diesen Worten, hätte ich sie am liebsten in meine Arme gezogen, doch ich blieb an Ort und Stelle stehen. Für sie.
„Es tut mir alles so leid, Niklas." Ihre Stimme zitterte leicht und ich wusste, dass sie sich für mich so anstrengte. „Es hat alles angefangen, als du und Joint in das Internat gegangen seid. Von da an hatte es mein Vater auf mich abgesehen, behielt mich rund um die Uhr im Auge, zwang mir seine Regeln auf und brachte mich somit unter seine Kontrolle. Zuerst dachte ich, dass er es aus Liebe zu mir tat, doch dann erhob er die Hand gegen mich und mir wurde bewusst, dass da keine Liebe im Spiel war. Welcher Vater würde schon seine eigene Tochter schlagen, wenn er sie lieben würde?" Sie machte eine kleine Pause, und in mir zog sich alles zusammen. Trotzdem bewegte ich mich nicht auf sie zu.
„Natürlich versuchte ich es geheim zu halten, wer hätte mir auch schon geglaubt? Meine Mutter hielt sich aus unseren Streitereien heraus und Joint war nicht für mich da. Und als auch noch Lisa zum Studieren ins Ausland ging, wusste ich nicht mehr wohin. Ich konnte nicht mehr sagen, ob mein Leben überhaupt noch lebenswert war. Die einzige Lösung, die ich fand, meine Gefühle unter Kontrolle zu bekommen, war Alkohol, darum betrank ich mich jedes Mal, wenn mein Vater mich wieder einmal ...." Sie schluckte schwer. „Jetzt weiß ich, dass das Trinken keine Lösung war. Das weiß ich durch dich." Ihre Augen wanderten zu meinem Gesicht, und ich widerstand dem Drang meine Arme nach ihr auszustrecken. „Dabei hatte ich mich nicht mal unter Kontrolle. Die ganze Zeit glaubte ich, dass ich die Oberhand in meinem Leben besaß, doch das stimmte nicht. Ich flüchtete aus Angst in den Alkohol, und das machte mich zu einem feigen Menschen. Nie hätte ich gedacht, dass du derjenige bist, der mir die Augen öffnet, wie verkorkst ich doch eigentlich bin."
„Das bist du nicht." Sie durfte sich nicht so fertig machen.
„Doch!" Ihr Blick ließ mich verstummen. „Ich habe alle Menschen um mich herum verletzt. Zeigte jedem die kalte Schulter, strafte jedes Mädchen, das mit mir reden wollte mit Missachtung und dabei wollte ich einfach nur verstanden werden." Eine Träne kullerte ihr die Wange hinab und ich konnte diesmal nicht anders und näherte mich ihr. Doch im gleichen Moment hob sie die Hand.
„Bitte, Niklas. Es ist so schon schwer genug für mich." Wieder blieb ich bei ihren Worten stehen. Verdammt, lange würde ich diesen Abstand nicht mehr aushalten.
„Du warst der Erste, der mir das Gefühl gab, etwas Besonderes zu sein, wie du mich angesehen hast, da lag Bewunderung in deinen Augen und am Anfang konnte ich das nicht sehen, viel zu oft hatte ich mich zuvor täuschen lassen, doch du meintest es ernst. Und als du dich dann für mich geöffnet hast, mir deine Ängste gestanden hast, wusste ich, dass ich dasselbe auch für dich tun wollte. Doch ich brachte kein Wort heraus, aus Angst, dass du mich in irgendeiner Weise verletzen wirst."
„Ich würde dich niemals verletzten, Vanessa.", sagte ich bestimmt.
„Das weiß ich jetzt." Sie wischte sich mit dem Handrücken über die Augen. „Und ich brauche dich in meinem Leben!"
In diesem Moment konnte ich nicht mehr an mich halten und schloss den Abstand zwischen uns. Sie gab mir mehr, als ich jemals erwartet hätte und jetzt wollte ich ihr meinen Trost geben, wollte sie berühren, damit sie verstand, dass ich sie genauso brauchte wie sie mich. Bevor sie noch etwas sagen konnte, zog ich sie an mich und legte meine Arme um sie. Sofort schmiegte sie sich an meine Brust und ich seufzte zufrieden auf. Dieses Gefühl hatte ich so sehr vermisst.
„Ich kann den Gedanken nicht ertragen, dass du sauer auf mich bist.", flüsterte sie an meiner Schulter.
„Nein, denk doch das nicht. Ich bin nicht sauer auf dich, das könnte ich nie.", besänftigte ich sie, und streichelte ihr geistesabwesend mit der Hand über den Rücken. Genau in dem Augenblick löste sie sich von mir und sah mich erschrocken an.
„Du bist zu gut für mich! Ich habe dich gar nicht verdient!" Sie wollte schon einen Schritt von mir weg machen, da hielt ich sie zurück, zwang sie mit einem Finger unter dem Kinn, mir in die Augen zuschauen.
„Du bist das wundervollste Mädchen, dem ich jemals begegnet bin. Du besitzt so viel Gutes in dir, dass es dir gar nicht bewusst ist. Seit meiner Krankheit erlaubte ich es mir nicht mehr an eine schöne und erfüllte Zukunft zu denken, doch durch dich habe ich wieder Hoffnung geschöpft. Du hast mir gezeigt, dass es immer noch einen Grund in meinem Leben gibt, für den ich leben sollte. Du hast mich wieder Dinge fühlen lassen, von denen ich geglaubt habe, dass ich sie nie wieder fühlen werde. Du hast mich zu einem besseren Menschen gemacht und jetzt sag noch einmal, dass du mich nicht verdient hast! Es ist nämlich genau anders herum. Ich habe dich nicht verdient."
Sie schüttelte bei meinen letzten Worten kräftig mit dem Kopf, sodass sich mein Finger von ihr löste.
„Nein, auf dem Feld habe ich den verletzten Ausdruck in deinen Augen gesehen. Und daran bin ich Schuld. Ich bin genauso wie mein Vater!"
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