Kapitel 47
Niklas
„Mom, wir sind wieder da!", rief Markus in das Innere des Hauses, als ich die Tür aufgesperrt hatte. Ich machte Platz für meinen Vater, damit er ins Haus gehen konnte. Dann folgte ich ihnen, zog meine Sneakers und Jacke aus, und machte mich auf den Weg in die Küche. Außer meinem Vater und Markus war niemand zusehen, also stellte ich das Essen auf den Tresen ab. Meinte meine Mutter nicht noch, dass wir Besuch hätten?
„Mom?", versuchte Markus noch einmal, und bedachte mich mit einem undefinierbaren Blick, als er aus der Küche stapfte.
„Na, da scheint mich aber jemand nicht so sehr vermisst zu haben", sagte mein Vater und wirkte dabei ein bisschen beleidigt.
„Ach, was, sie hat bloß nicht gehört, dass wir gekommen sind." Besänftigte ich ihn, und er sah mich erstaunt an. Den gleichen Blick hatte er mir schon im Auto zugeworfen. Was war nur los mit meiner Familie?
„Sicher." Sagte er nach einer Weile, und ging dann mit seiner Reisetasche ins Schlafzimmer. Da ich nicht wusste, was ich sonst tun sollte, deckte ich den Tisch und versuchte das Essen so anzurichten, dass es nicht gekauft aussah. Der Gast meiner Mutter sollte ja nicht schlecht von uns denken. Mein Vater war der Erste, der sich wieder zu mir gesellte.
„Irgendwas stimmt doch hier nicht, oder?", fragte er mich, doch ich zuckte nur mit den Schultern. Ich hatte selbst keine Ahnung, wo meine Mutter steckte. Da stand Markus an der Tür und schenkte mir wieder diesen komischen Blick. Langsam ging mir dieser auf die Nerven, wenn er was von mir wollte, dann sollte er es mir auch gefälligst sagen.
„Markus, was soll ..." Doch weiter kam ich nicht, da trat eine weitere Person neben ihn. Ich ignorierte Markus warnenden Blick und starrte Vanessa unverhohlen an. Sie war hier? Wie konnte das sein?
„Markus, sei nicht so unhöflich und stelle unseren Gast vor.", sagte meine Mutter, als sie ebenfalls in die Küche trat. Obwohl sich mein Vater bei ihrem Eintreten aufrichtete und sie in eine Umarmung zog, schaffte ich es nicht meine Augen von Vanessa zu nehmen. Ich konnte es immer noch nicht fassen, dass sie hier war, bei mir. Sie selbst hatte den Blick gesenkt, und starrte auf ihre Füße. Erst jetzt fiel mir auf, dass ihre Haare feucht waren, und sie viel zu große Klamotten trug. Wie lange war sie denn schon hier? Ehe ich etwas sagen konnte, nahm Markus ihre Hand und warf mir einen bitterbösen Blick zu. Ich wusste, dass ich mich unmöglich benahm, doch ich konnte mich nicht dazu bewegen, etwas zu ihr zu sagen, viel zu sehr überraschte mich ihr Kommen.
„Dad, das ist Vanessa, Georgs Schwester." Stellte Markus sie vor, während er sie zum Tisch zog.
„Vanessa, dich habe ich ja schon lange nicht mehr gesehen." Die Worte meines Vaters klangen aufrichtig. Als Vanessa jetzt den Blick hob und ihm schüchtern zulächelte, blieb mir fast der Atem stehen. Ihre roten Striemen am Hals leuchtenden mir böse entgegen. Was hatte dieser Mistkerl jetzt schon wieder getan? Augenblicklich verspürte ich das Bedürfnis sie in meine Arme zu ziehen, doch das konnte ich nicht. Noch immer wandte sie den Blick von mir ab, so als ob sie sich schämte. Das brauchte sie aber nicht.
„So" klatschte meine Mutter in die Hände, „Jetzt lasst uns erst mal essen. Vanessa setz dich ruhig dahin." Ihr Finger zeigte auf den Platz neben mir und ich sah Vanessa an, dass sie sich unwohl dabei fühlte, dort Platz zunehmen. Trotzdem ging sie auf den Stuhl zu und ließ sich darauf nieder. Ich hatte immer noch kein Wort zu ihr gesagt.
„Niklas, geht es dir nicht gut? Du bist so still?", fragte mich mein Vater und brachte mich somit aus meinen Gedanken.
„Nein, alles gut." Ich bemerkte, dass jeder sich etwas genommen hatte, nur mein Teller war noch leer.
„Und Dad, erzähl, wie war es in China?", lenkte Markus das Gespräch von mir, und gab mir zuvor noch einen eindringlichen Blick.
„Neben der Arbeit, war es echt genial. Ihr wisst gar nicht, was man alles frittieren kann." Er lachte und meine Mutter fiel mit ein. Neben mir bemerkte ich eine Bewegung, und sah zu, wie Vanessa sich eine Gabel voller Essen in den Mund steckte. Sie saß so nah neben mir, dass ich einfach nur meine Hand ausstrecken musste, um sie zu berühren. Als ich ihr so zusah, wirkte sie so zerbrechlich, dass Wut in mir aufstieg und ich jeden verfluchte, der sie verletzt hatte. Egal, wie dieser Abend endete, ich würde das nie wieder zu lassen, das schwor ich mir.
„Niklas!" Ich erschreckte über die laute Stimme meiner Mutter. Verwirrt sah ich sie an. „Würdest du mir bitte die Frühlingsrollen reichen?" Sofort tat ich wonach sie verlangt hatte und mir war nur zu bewusst, dass mich alle anstarrten, als hätte ich nicht mehr alle Tassen im Schrank. Mist, ich musste mich endlich zusammen reisen.
Als sich das Gespräch wieder um die Reise meines Vaters drehte, und er von Krabbeltieren erzählte, die ich nie im Leben essen würde, lehnte ich mich ein wenig zur Seite.
„Wie geht es dir?", flüsterte ich Vanessa zu, die bei meiner Frage erschrocken aufblickte, dann musste sie heftig husten. Da sie den Mund noch voll gehabt hatte, hatte sie sich jetzt kläglich verschluckt. Hüstelnd nahm sie einen Schluck von ihrem Wasser, doch es wurde nicht besser. Diesen Hustenanfall wollte ich natürlich nicht verursacht haben, also klopfte ich ihr leicht auf den Rücken. Als sie sich wieder etwas aufgerichtet hatte, bemerkte ich erst als alle verstummten, dass ich ihr beruhigend über den gesamten Rücken in kreisenden Bewegungen streichelte. Mein Vater machte große Augen und ich zog schnell meine Hand weg.
„Und Vanessa, studierst du eigentlich auch?", fragte mein Vater, nachdem er sich wieder gesammelt hatte. Der Blick meines Bruders besagte einiges. Stumm formte er die Worte „Was machst du da?" und ich zuckte nur mit den Schultern. Wie gerne wäre ich jetzt mit Vanessa alleine gewesen, dann hätte ich ihr alles sagen können, wie glücklich ich darüber war, dass sie zu mir gekommen war.
„Ja, ich habe mich für Literaturgeschichte entschieden." Ihre Stimme klang kratzig. Verdammt, ich wollte so gerne jetzt schon mit ihr alleine sein.
„Oh das hört sich echt spannend an", erwiderte mein Vater höflich. Daraufhin lachte sie auf, und ich sah sie überrascht an.
„Sie dürfen ruhig ehrlich sein." Sagte sie locker. Über ihre Unverfrorenheit musste jetzt auch mein Vater lachen.
„Nenn mich doch Robert, Liebes." Ich hätte nie im Leben gedacht, dass sich die beiden auf Anhieb so gut verstehen würden. Vanessa schenkte ihm noch ein warmes Lächeln, das ich nur selten in ihrem Gesicht gesehen habe. Sie war perfekt!
„Nick, mach lieber den Mund zu, sonst fängst du noch an zu sabbern!", warf mir Markus ironisch entgegen. Ich strafte ihn mit einem bösen Blick, was ihn nur noch mehr zum Lachen brachte.
„Vanessa, möchtest du noch etwas Nudeln?", mischte sich meine Mutter mit ein.
„Nein, danke.", antwortete diese und neigte den Kopf leicht zur Seite. „Ich bin wunschlos glücklich." Diese Worte galten nur mir, woraufhin mich eine angenehme Wärme durchzog. Dieses Mädchen würde ich nicht wieder gehen lassen, da war ich mir absolut sicher.
Nachdem Essen verschwand mein Vater im Schlafzimmer, mit dem Vorwand müde zu sein, auch mein Bruder und meine Mutter verschwanden aus der Küche, um es sich vor dem Fernseher gemütlich zu machen. Es musste wohl Zufall sein, dass alle gleichzeitig verdufteten, damit Vanessa und ich jetzt alleine auf unseren Stühlen saßen.
„Möchtest du auch etwas TV schauen?", fragte ich sie, hoffte jedoch darauf, dass sie etwas anderes mit mir vorhatte.
„Niklas...ich...", setzte sie an, brach jedoch ab und sah bedrückt auf ihre Hände, die nervös an dem viel zu großen Shirt meiner Mutter zupelten. Ich wollte sie nicht drängen, wenn sie mir was sagen wollte, dann sollte sie dies von sich aus tun, also blieb ich stumm und wartete ab, ob sie noch etwas erwiderte, doch sie sprach nicht weiter. Frustration wollte sich in mir breit machen, doch ich ließ es nicht zu, kämpfte dagegen an. Zudem fiel mein Blick auf ihren Hals und ich wusste, dass es mir genügen würde, sie einfach in den Armen zuhalten, egal ob sie sich nun öffnete oder nicht. Die letzten Tage ohne sie, waren die qualvollsten in meinem Leben gewesen und das möchte ich nicht noch einmal durchmachen. Vorsichtig legte ich meine Hände auf ihre, und veranlasste sie damit, mit dem nervösen Zuppeln zu stoppen.
„Du siehst müde aus, wir können uns auch einfach hinlegen, wie klingt das?", sagte ich sanft. Ihr Blick wanderte nach oben und als sie nickte, zog ich sie auf ihre Beine und ging ihre Hand in meine, die Treppe hinauf. Als wir in meinem Zimmer ankamen, setzte sie sich auf mein Bett, so schwach wie sie wirkte, würde es nicht lange dauern bis sie einschlief. Nur widerwillig ließ ich ihre Hand los, und kramte eine weitere Decke aus meinem Schrank hervor. Nachdem ich mich wieder aufgerichtet hatte, sah mich Vanessa unverhohlen an und ihr Gesicht wirkte jetzt viel wacher.
„Ich muss mit dir reden." Ihr Blick wirkte entschlossen.
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