Kapitel 41

Vanessa

Mein Alltag bestand daraus, in die Uni zu gehen, mit zu schreiben, nach Hause zu fahren, Alkohol zu trinken und laut „The Pretty Reckless" aufzudrehen. Auch jetzt lag ich auf meinem Bett und sang den Songtext zu you make me wanna die mit. Mein Gesicht fühlte sich geschwollen an, so unaufhaltsam waren die Tränen geflossen. Meine Beine zeichneten deutliche rote Striemen ab, die mich jedes Mal aufs Neue an die Gewalt meines Vaters erinnerten. Plötzlich klopfte es kräftig an meine Tür. Mir war egal, wer es war. Ich wollte bloß nicht gestört werden. Ich wollte mich einfach nur der Musik und meinem Schmerz hingeben.

„Vani?" Joint lugte mit seinem Kopf in mein Zimmer. „Was ist in letzter Zeit los mit dir?" Ich kaufte ihm seinen besorgten Gesichtsausdruck nicht ab. Deshalb regte ich mich keinen Millimeter und schwieg.

„Hat das ganze Gruftiedasein etwas mit Niklas zu tun?" er war näher gekommen und sprach jetzt laut genug, um die Musik zu übertönen. Wieder gab ich ihm keine Antwort. Allein schon seinen Namen zu hören, bereitete mir große Schmerzen.

„Hat er dir irgendetwas angetan?" Außer mein Herz in tausend Teile zerspringen zu lassen, nein, nichts. Dabei fragte ich mich, ob er herausgefunden hatte, was mein Vater mir angetan hatte.

„Vanessa, bitte sprich mit mir. Ich mache mir ernsthaft Sorgen um dich." Ach jetzt auf einmal. Woher kam dieser plötzliche Sinneswandel? Während er sprach, hob er die leere Vodkaflasche auf, die ich getrunken und dann einfach fallen gelassen hatte. Mit großen Augen blickte er erst mich und dann die Flasche an.

„Hast du die etwa heute getrunken?" Als ich nichts erwiderte, fuhr er fort. „Vani, es ist noch nicht mal zwei Uhr nachmittags." Er hatte sich noch nie um meine Trinkerei gekümmert, als warum tat er es jetzt auf einmal? Ein neuer Song von the Sum 41 ertönte und zog meine Aufmerksamkeit auf sich. Neben mir hörte ich meinen Bruder frustriert aufseufzen. Er gab also schon auf. Als er sich zum Gehen wendete, drehte er sich vor meiner Tür noch einmal um.

„Wenn du keinen Ärger willst, würde ich die Musik leiser machen, Dad kommt bald nach Hause."

Mehr sagte er nicht und verschwand hinter der geschlossenen Tür. Jetzt konnte ich mich wieder meinem Schmerz im Innern widmen. Immer noch regungslos blieb ich auf dem Bett liegen. Ich vermisste ihn so sehr, dass mir alles andere egal war. Deswegen nahm ich auch das Risiko in Kauf, dass mein Vater sich über die laute Musik fürchterlich aufregen würde. Es war mir egal, ob er mich noch einmal schlagen würde. Er konnte nichts tun, was mehr weh tat, als die Tatsache, dass sich Niklas von mir abgewandt hatte.

Mit einem lauten Piepsen machte mir mein Handy deutlich, dass ich eine eingehende Nachricht hatte. Wie von der Tarantel gestochen, setzte ich mich auf. Hatte er mir etwa geschrieben? Hatte er seine Meinung doch geändert und wollte mich wieder sehen? Um es herauszufinden, griff ich nach meinem Handy. Ernüchternd musste ich jedoch feststellen, dass die Nachricht nicht von Niklas kam.

Hey, Vani. Heute steigt eine Party bei meinem Kumpel. Ich würde mich freuen, wenn du auch kommst.

-Markus-

Ich tippte schon meine Antwort, um ihn abzusagen, da erschien eine weitere Nachricht von ihm.

Was ich eigentlich schreiben wollte: Du kommst mit! Keine Wiederrede! Ich hole dich um 20:00 ab. J

-Markus-

Langsam legte ich das Handy auf Seite. Ich war überhaupt nicht in Partystimmung. Markus meinte es sicherlich nur gut. Ich konnte ihm immer noch absagen, da fiel mein Blick auf meinen Fußboden, auf dem eine Klamotten-Bombe eingeschlagen hatte. Plötzlich änderte ich meine Meinung, ich konnte nicht ewig in meinem Zimmer vor mich hin vegetieren. Niklas ließ sich bestimmt nicht so gehen. Nein. Ich würde ihm beweisen, dass ich auch ohne ihn mit meinem Leben zu Recht kam. Schnell stand ich auf, griff in die oberste Schublade meines Kleiderschranks und holte eine weitere Vodkaflasche heraus. Markus hatte bestimmt nichts dagegen, wenn ich mich schon einmal in die richtige Stimmung brachte. Ich würde diese Party sowas von rocken.

Ich stand schon vor der Haustür, als Markus in meine Straße bog und mir mit einem freudigen Lächeln zuwinkte.

„Hey, du siehst heiß aus." Er zog mich in eine liebevolle Umarmung. Ich hatte mich heute für eine schwarze Jeans entschieden, damit niemand meine Verletzungen sehen konnte. „Wow. Und anscheinend hast du mit dem Trinken ohne mich angefangen.", rümpfte er die Nase.

„Ein bisschen nur." Antwortete ich ihm, bedacht darauf deutlich zu sprechen. Als er belustigt auflachte, hakte ich mich bei ihm unter und wir gingen los.

Nach einigem Schweigen drehte er sich in meine Richtung. „Wie geht es dir, Vani? Niklas hat mir von dem ..."

„Alles gut." Winkte ich ab. „Ich komme auch ohne ihn prima klar."

„Hm." Er sah mich besorgt an. „Ich bin mir sicher, dass ihr wieder alles auf die Reihe bekommt. So kann es jedenfalls nicht mit euch weitergehen. Das tut euch beiden nicht gut."

„Ach was redest du da Markus." Ich machte mich von ihm los und breitete meine Arme aus, drehte mich einmal im Kreis und sah ihn lächelnd an. „Ich dachte wie wollten heute etwas Spaß haben?"

„Ich weiß, ich weiß. Ich werde ihn nicht mehr erwähnen. Versprochen"

Zwei Stunden später tanzten wir beide ausgelassen zu irgendeinem Popsong. Popsong! Ich musste wirklich vollkommen blau gewesen sein. Durch den ganzen Alkohol war mein Kopf so benebelt, dass ich bei jeder Bewegung gegen Markus stieß. Doch das störte mich nicht. Ich hatte die gewünschte Wirkung, die mich etwas entspannen ließ. Während wir so fröhlich herumalberten, vergaß ich sogar für einen Moment Niklas und damit den Grund, warum ich mich betrunken hatte.

„Na, schau mal an, wen wir hier haben." Michelle stand mit ein paar Mädchen vor mir. Ihr verächtlicher Blick verriet mir, dass dieser Abend eine schreckliche Wendung nehmen würde. Jetzt warf sie einen Blick auf Markus.

„Kannst dich wohl nicht für einen der Brüder entscheiden, was?" Ihr böses Lachen zog einige weitere Partygäste zu uns.

„Sie hat dir nichts getan. Lass sie in Ruhe." Verteidigte mich Markus, doch Michelle ignorierte ihn einfach.

„Oh, warte. Niklas hat ja herausgefunden, dass du eine miese Schlampe bist." Sie sah mich herausfordernd an. „Gut, für mich. Jetzt habe ich freie Bahn, um ihn mir zu holen."

Das war genug! Ohne weiter nachzudenken, stürzte ich mich auf sie. Sie hatte mir die ganze Scheiße eingebrockt. Sie war diejenige gewesen, die Niklas alles falsch erzählt hatte. Wir landeten krachend zu Boden und ich konnte ein paar Personen grölen hören. Mit einer Hand hielt ich ihre Haare fest und riss sie damit nach hinten. Sie schrie schmerzvoll auf, als ich ihr noch mein Knie in den Bauch rammte.

„Kannst du mich nicht endlich in Ruhe lassen? Hast du nicht endlich genug von mir?" Man konnte meine Verzweiflung heraushören.

„Du hast ihn mir weg geschnappt!" Ihre grünen Augen sahen mich wutentbrannt an. „Ich habe dich gewarnt, doch du wolltest ja nicht auf mich hören!" Plötzlich spürte ich zwei Hände an meiner Hüfte und wurde mit einem Ruck nach hinten gezogen, weg von Michelle.

„Vanessa, lass dich nicht von ihr provozieren." Markus hielt mich eisern fest und ich musste zusehen, wie sich einige Mädchen besorgt um Michelle reihten. Ich hätte sie nicht angreifen sollen. Als sich unser Zuschauerraum immer mehr lichtete, wandte ich mich aus Markus Griff.

„Ich brauche mehr Alkohol!"

„Was?" er rannte mir hinter her. „Vanessa, das ist jetzt nicht dein Ernst?" Wütend drehte ich mich zu ihm um.

„Merkst du nicht wie verkorkst mein Leben eigentlich ist?"

Er blickte mich stumm an.

„Ich werde diese ganze Scheiße nicht mehr lange durchhalten!" Damit ließ ich ihn stehen und lief Richtung Bar.

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