Kapitel 40
Niklas
Tagelang hatte ich nicht mehr richtig gegessen, geschweige denn geschlafen. Mein Leben schwank zwischen Fußball und Joggen hin und her. Wenn ich kein Auge zubekam, was eigentlich täglich passierte, zog ich meine Sportklamotten an und lief die Straßen entlang, bis mir meine Knochen schmerzten. Jeden verdammten Tag hoffte ich, dass Vanessa sich bei mir meldete. Doch das tat sie nicht. Irgendwann warf ich mein Handy aus Frust in meine Zimmerecke, um nicht vollends verrückt zu werden.
Es waren zwei Wochen vergangen, als ich sie das letzte Mal gesehen hatte. Jetzt versuchte ich mich mit dem kommenden Fußballspiel abzulenken. Doch auch dieses Mal war mir kein Sieg gewährt.
Meine Lungen brannten wie Feuer, als der Schlusspfiff ertönte. Frustriert sah ich zu der jubelnden Menge, die einen Kreis um die gegnerische Mannschaft bildete. Mein Blick fiel auf Joint, der sich während des gesamten Spiels nicht annähern angestrengt hatte. Ich wusste, warum er das tat. Damit wollte er mich treffen.
Ein Wunder, dass er überhaupt noch mitspielte. Doch als ich ihn beobachtet hatte, wie er einen Ball nach den anderen verlor, konnte ich nicht mehr nachsichtig sein. Er durfte seine Wut auf mich nicht an den Teamkollegen auslasen, und das machte er, wenn er seine Mannschaft nicht unterstützte. Sie konnten nichts dafür. Nachdem sich meine Spieler aufgerappelt hatten, wartete ich bis jeder in der Kabine verschwunden war. Dann erst wandte ich mich an Joint, der fröhlich mit einem Gegenspieler plauderte.
„Können wir reden?" Meine Worte richteten sich an ihn. Doch dieser ignorierte mich, was mich sauer werden ließ.
„Es ist wichtig, Mann!" Bei meinem wütenden Ton drehte er sich um. Er zuckte kurz mit den Schultern, als wäre ihm alles gleichgültig und folgte mir zum Spielfeldrand.
„Was willst du von mir?" er versuchte mir nicht in die Augen zuschauen.
„Lass gefälligst deine Probleme nicht an der ganzen Mannschaft aus!" fuhr ich ihn an.
„Probleme? Mit meiner Schwester rum zu vögeln, nennst du also ein Problem?!" Jetzt funkelte er mich wütend an.
„Das meinte ich doch gar nicht! Du hast dich heute wie der letzte Idiot aufgeführt, hast absichtlich Bälle durchgelassen, hast die ganze Zeit irgendwelche Freistöße provoziert. Was soll das?!"
„War ja klar, dass sich bei dir nur alles um Fußball dreht!" er wollte sich schon abwenden, da machte er drohend einen Schritt auf mich zu. „Achja, und um meine kleine Schwester! Von der kannst du ja auch nicht deine dreckigen Finger lassen!"
„Ja und? Du bist mein bester Freund, du müsstest mich unterstützen und nicht wegen so einer Sache die Freundschaft beenden!"
„Hast du den Arsch offen?!" schrie er mir entgegen. „Ich habe dich ein Leben lang unterstützt! Ich war immer für dich da. Du bist derjenige, der Mist gebaut hat, nicht ich!"
„Das weiß ich, doch du gibst mir aber auch keine Chance mich zu erklären."
„Wieso sollte ich auch? Du hast mich belogen!"
„Weil wir eben schon so viel durchgemacht haben. Du kannst mich nicht einfach aus deinem Leben streichen!" versuchte ich mich zu erklären.
„Und wie ich das kann!" er wandte sich wieder ab.
„Dann pass wenigstens auf Vanessa auf!"
„Warum tust du es nicht? Das ist doch jetzt deine Aufgabe!" er blieb stehen.
„Wir sehen uns zurzeit nicht mehr."
„Och, sollte ich jetzt etwa Mitleid haben?!" er machte sich nicht mal die Mühe, sich umzudrehen. Verdammt, was wollte er denn von mir hören?
„Scheiße, du sollst dich um sie kümmern, wie es sich für einen älteren Bruder gehört!" Mit einem zornigen Blick machte er kehrt und stieß mit beiden Händen gegen meine Brust, sodass ich rückwärts stolperte.
„Sag mir nicht, was ich tun soll!" Aufgebracht machte er einen weiteren Schlag. Dieses Mal ließ ich mich nicht von ihm verprügeln, dafür war mir die Sache zwischen Vanessa und mir zu wichtig.
„Du siehst einfach tatenlos zu. Du hättest sie schon die ganze Zeit beschützen müssen!" Ich schubste ihn zurück.
„Du hast doch keine Ahnung!" damit brachte er mich auf 180. Wutentbrannt stürzte ich mich auf ihn und warf ihn zu Boden. Er jedoch hatte nicht mit meinem Angriff gerechnet und riss erschrocken die Augen auf. Während ich versuchte ihn nach unten zu drücken und er wie ein Wilder um sich schlug, hatte unser Geschrei, die anderen aus der Kabine gelockt. Aus dem Augenwinkel sah ich, wie Luis auf mich zu rannte, doch ich wollte nicht locker lassen und stieß Joint erst in die Luft, um ihn dann wieder auf den Boden aufprallen zu lassen. Dann spürte ich zwei Hände auf meinem Körper, die versuchten mich von Joint zu ziehen. Widerwillig gab ich nach und ließ mich von Luis wegschaffen.
„Beruhig dich, Mann!" er hielt mich davon ab, mich noch einmal auf Joint zu stürzen, der jetzt mit einem verärgerten Gesichtsausdruck aufstand. Mir war bewusst, dass Gewalt keine Lösung war, also versuchte ich ihm mit meinen nächsten Worten ins Gewissen zu reden.
„Sie ist deine Schwester. Sie ist deine Familie!" Meine Stimme hatte sich etwas beruhigt, ebenso wie mein Atem.
„Wozu du ganz sicher nicht mehr gehörst!" Das war's. Das war alles, was er zu mir sagte. Stumm sah ich zu, wie er sich von mir abwandte und in sein Auto stieg. Als er wegfuhr, ließ er den Motor aufheulen und raste mit hoher Geschwindigkeit die Straße entlang.
„Was ist denn in euch gefahren?" Luis hatte seinen Griff gelockert und sah mich jetzt ungläubig an. Unfähig noch etwas zu sagen, zuckte ich einfach stumm mit den Schultern.
„Shit! Er hat das mit seiner Schwester herausgefunden, oder?" Ich nickte ihm zu. Und ich dachte noch vor ein paar Wochen, dass Luis mein größtes Problem wäre, dass er Joint alles verraten würde.
„Hey, lass den Kopf nicht hängen. Ihr rauft euch schon wieder zusammen." Beim Vorbeigehen klopfte er mir aufmunternd auf die Schulter. „Wenn nicht ihr das hinbekommt, wer dann?" er lief auf die restliche Mannschaft zu. „Die Show ist vorbei! Verzieht euch!"
Nach und nach leerte sich der Sportplatz und ich blieb alleine auf dem Rasen zurück. Ich hatte keinen blassen Schimmer, ob Joint und ich unsere Freundschaft auch nur ansatzweise wieder in den Griff bekamen. Dabei brauchte ich ihn ebenso in meinem Leben wie Vanessa.
Sobald ich die Haustür aufgesperrt hatte, stand mir im Inneren des Flurs mein Bruder gegenüber. Mit verschränkten Armen versperrte er mir den Weg. „Du sagst mir jetzt sofort, was mit dir los ist!"
„Ich weiß nicht, was du meinst."
„Jetzt komm mir nicht mit dieser miesen Nummer." Er hatte sich immer noch nicht vom Fleck bewegt. „Seit Tagen läufst du wie ein Geist durch das aus. Man bekommt dich fast nicht mehr zu Gesicht und wenn doch, dann bist du abweisend oder genervt. Zudem kommt hinzu, dass du nicht mehr regelmäßig isst, worüber sich Mom wirklich Sorgen macht."
„Ist schon gut, ich hab's kapiert!" frustriert warf ich meine Sporttasche auf den Boden. Wieso musste er nur so aufmerksam sein?
„Soll ich raten? Ich hätte da nämlich eine Theorie für dein lustloses Verhalten." Herausfordernd sah er mich an. Bei diesem Sturkopf konnte ich nur verlieren, also gab ich nach.
„Du weißt es doch eh schon." Jetzt lockerte er seine steife Haltung und machte mir Platz.
„Was ist denn vorgefallen? Geht es immer noch um dieses andere Mädchen?"
„Nein." Während ich sprach, ging ich Richtung Küche. Ich war heilfroh, als ich diese leer vorfand. Die vorwurfsvollen Blicke meiner Mutter hätte ich nicht auch noch ertragen.
„Was dann?" Markus war mir gefolgt. „Du kannst nicht deinen Liebesfrust an uns auslassen und dann nichts sagen."
„Ist ja ok." Ich nahm mir eine Wasserflasche aus dem Kühlschrank. „Ich habe ihr von meiner Krankheit erzählt."
„Das ist doch gut! Wie hat sie darauf reagiert?"
„Das kann ich nicht genau sagen, sie zeigt mir ja nie ihre Gefühle."
„Ah jetzt, kommen wir der Sache schon näher." Bei seinen Worten verdrehte ich die Augen.
„Du kannst manchmal richtig nerven, weißt du das?"
„Dafür hat man doch einen kleinen Bruder." Er schenkte mir ein leichtes Lächeln. „Und jetzt lenk nicht ab und komm endlich auf den Punkt."
Ich betrachtete ihn für einen Augenblick. Ich hatte wirklich niemand anderen, dem ich mein Leid hätte beichten können.
„Nachdem ich ihr von meiner Vergangenheit erzählt habe, wollte ich natürlich auch, dass sie sich mir anvertraute. Doch sie konnte noch nicht einmal, ich vermisse dich zu mir sagen. Erst als ich es von ihr verlangt hatte. Mann" Ich fuhr mir aufgewühlt über die Glatze. „Dabei wollte ich gar nicht, dass wir in einem Streit auseinander gehen."
„Und jetzt? Habt ihr Schluss gemacht?"
„Wir waren doch nie wirklich zusammen. Ich habe ihr Zeit gegeben, sich ihrer Gefühle für mich klar zu werden. Während sie das tut, halten wir erstmal Abstand voneinander. Aber anscheinend geht es ihr nicht so schlecht wie mir, da sie sich noch nicht bei mir gemeldet hat."
„Hm." Markus sah mich mit gerunzelter Stirn an.
„Das ist alles?" Ich habe dich noch nie sprachlos erlebt."
„Eure Beziehung ist auch alles andere als leicht."
„Das brauchst du mir nicht zu sagen." Wir schwiegen beide für eine Weile, nur das Ticken der Küchenuhr war zuhören.
„Du magst sie doch und sie dich offensichtlich auch." Fragend sah ich ihn an. Worauf wollte er hinaus?
„Ich meine, dass ihr anscheinend nicht ohne einander könnt. Schau dich an. „ Mit dem Zeigefinger zeigte er auf mich. „Seit du dich mit Vanessa getroffen hast, hast du dich total verändert. Du kamst wieder lächelnd nach Hause, bist nicht ständig auf eine Mütze angewiesen, hast dich uns wieder ein Stück weit geöffnet, mit uns Witze gemacht. Das Mädchen hat dich glücklich gemacht. Das konnte jeder Außenstehende feststellen. Und bei ihr war es genauso. Die Blicke, die sie dir immer zugeworfen hat, sprachen Bände."
Er setzte sich aufrechter hin. „Sie braucht nur etwas mehr Zeit, um sich zu öffnen. Du darfst sie jetzt nur nicht aufgeben, das würde euch beide nur unglücklich machen."
„Ich habe sie nicht aufgegeben. Das könnte ich niemals. Ich denke nur, dass sie nicht genauso empfindet, sonst hätte sie sich doch bei mir gemeldet oder?", schloss ich unsicher.
„Manche Menschen brauchen einfach länger, um sich ihrer Gefühle bewusst zu werden." Ich nickte ihm zu. Tief im Inneren wusste ich, dass sie auf mich zukommen wird. Dass unsere Beziehung nicht verloren war. Doch mein Verstand erlaubte mir nur die Dinge wahrzunehmen, die vor meinen Augen abliefen. Und da sah ich Vanessa vor mir stehen, wie sie mir nicht ihr Vertrauen schenkte. Dieser Schmerz überwiegte derzeit jede Hoffnung, die ich noch in mir trug. Müde erhob ich mich von meinem Stuhl.
„Danke, dass du mir zugehört hast." Beim Vorbeigehen wuschelte ich ihm brüderlich durch seine blonden Haare. „Ich werde mich jetzt aufs Ohr hauen."
„Ok." Er sah mich verständnisvoll an. Doch als ich die Treppe hinaufstieg, stand er ebenfalls auf und lief in meine Richtung.
„Liebe ist kompliziert, aber dafür ist sie das schönste Gefühl auf der Welt."
Ich ließ den Satz unkommentiert im Raum stehen. Wie immer hatte er Recht mit dem was er sagte. Mit Vanessa zusammen zu sein, war das schönste Gefühl, das ich je erlebt hatte.
Bạn đang đọc truyện trên: AzTruyen.Top