Kapitel 17

Vanessa

Außer Puste hielt ich an dem weiß, grünen Haus an, stieg vom Fahrrad ab und ging auf die Tür zu. Als ich das letzte Mal hier war, hatte ich den Garten rings um das Haus gar nicht bemerkt. Er sah gepflegt aus. Nicht wie unser Garten. Ich traute mich schon gar nicht mehr rein, so verwildert wie er war. Mit klopfendem Herzen drückte ich auf die Klingel. Bitte sei da. Kaum ertönte das Zeichen, schwang auch schon die Tür auf. Erschrocken machte ich einen Satz nach hinten.

„Oh, entschuldige, ich wollte dich nicht erschrecken." Eine Frau, die mir ziemlich bekannt vorkam, stand mit einer weiß schwarz gepunkteten Schürze im Türrahmen. Das musste seine Mutter sein. Ihrem besorgten Gesichtsausdruck nach, musste ich wie ein verschrecktes kleines Kätzchen aussehen. Reiß dich zusammen, Vanessa.

„Hi, ich bin..." Weiter kam ich nicht.

„Vanessa, natürlich." Sie breitete herzlich ihre Arme aus und kam auf mich zu. Ich erstarrte im selben Moment, als sie ihre Arme um mich schlang und mich fest drückte. Wann wurde ich jemals so herzerwärmend umarmt? Ein leckerer Duft nach Keksen ging von ihr aus und mir lief sofort das Wasser im Mund zusammen. Nach einer gefühlten Ewigkeit löste sie sich von mir und betrachtete mich eingehend.

„Wow. Du wirst immer hübscher." Sie schenkte mir ein ehrliches Lächeln.

Ich verzog mein Gesicht zu einer Fratze. Das musste sie wohl sagen. Bevor ich ganz vergaß, warum ich hier war, versuchte ich es noch einmal mit einem freundlichen Gesicht.

„Ich wollte zu Markus. Ist er da?"

„Natürlich, Schätzchen. Komm doch rein."

Schätzchen? Das hörte sich jetzt blöd an, aber ich fühlte mich sofort geborgen.

„Markus, du hast Besuch" Während sie sprach, führte sie mich an den Küchentisch. Jetzt wusste ich auch woher der köstliche Duft kam. Mehrere Bleche voller Kekse reihten sich auf den Küchentresen. Ich fragte mich, wann bei uns das letzte Mal gebacken wurde.

Markus kam mit seinen zerwühlten blonden Haaren an den Küchentisch. Auf seinem Gesicht lag ein strahlendes Lächeln.

„Hey Du, doch Lust auf eine Fotosession?" Er setzte sich zu mir an den Tisch.

„Immer doch." Ich konnte mir ein Lachen nicht verkneifen. Mit einem ebenso strahlenden Lächeln brachte uns seine Mutter einen Teller voller dampfender Kekse.

„Ich sehe euch noch, da wart ihr so" Mit der flachen Hand, gut einen Meter über den Boden, deutete sie unsere damalige Größe an.

„Wusstest du, dass Vanessa auch an der Uni studiert?" Markus zeigte auf mich.

Interessiert drehte sich seine Mutter zu mir. „Das ist aber schön. Was studierst du denn?"

„Literaturgeschichte."

„Wow. Das hört sich toll an."

Ich musste schmunzeln. Es war nett, dass sie das sagte, obwohl ich wusste, dass es nicht so war. Jeder guckte mich schief an und hielt es für brotlose Kunst. Es hatte Monate gedauert, bis ich meine Eltern davon überzeugen konnte.

„Ja, es macht mir Spaß."

Bevor sich seine Mutter wieder an den Teig machte, tätschelte sie mir im Vorbeigehen den Kopf. „Das freut mich wirklich sehr" Wie konnte ein Mensch nur so herzlich sein?

Markus und ich unterhielten uns währenddessen um belanglose Dinge, als plötzlich die Haustür aufging. Ich beobachtete wie Niklas mit einem gelben Outfit in die Küche stapfte und seiner Mutter einen Kuss auf die Wange gab. Gleichzeitig griff er mit der rechten Hand auf eins der Bleche. Er hatte den Keks schon in der Hand, da gab sie ihm einen leichten Klaps auf seine Hand und funkelte ihn empört an.

„Die sind noch nicht fertig, Niklas!" Er schenkte ihr ein liebevolles Grinsen und umarmte sie noch einmal. „Solange habe ich aber keine Zeit" So vertraut hatte ich ihn noch nie gesehen. Mir fiel auf, dass er mich noch gar nicht bemerkt hatte und dass ich meine Augen nicht von dieser familiären Szene abwenden konnte. Meine Spannerei endete damit, dass Markus mit seiner Stimme die Aufmerksamkeit auf uns lenkte.

„Hallo, Bruderherz."

Niklas Augen weiteten sich, als er mich ebenfalls am Tisch entdeckte.

Langsam hob ich die Hand und winkte ihm leicht zu. „Hi" Schnell ließ ich die Hand sinken. War ich denn jetzt völlig bekloppt?

Mit schnellen Schritten kam er auf uns zu. „Was machst du denn schon wieder hier?" Seine Frage war an mich gerichtet.

„Niklas!" Seine Mutter funkelte ihn tadelnd an. „Sei gefälligst netter zu unserem Gast"

Entschuldigend hob er beide Hände. „Was verschafft uns diese besondere Ehre, Frau Schwarz?" Ein verschmitztes Lächeln erhellte sein Gesicht. War ich in einem falschen Film? Er blühte ja richtig auf.

„Ich wollte ein bisschen Zeit mit deinem Bruder verbringen. Alte Zeiten aufleben lassen, du weißt schon." Seine Mundwinkel zogen sich kaum merklich ein Stück nach unten, doch das hätte ich mir auch genauso gut einbilden können.

„Na dann, will ich euch mal nicht stören." Mit einem Satz drehte er sich um.

„Tust du nicht. Setz dich ruhig zu uns." Was? Markus deutete auf den Stuhl neben mich. Wenn sich Niklas zu uns gesellte, dann konnte ich meinen Plan vergessen. Doch zu meiner Erleichterung schaute er nicht mal in unsere Richtung, sondern winkte mit der Hand ab. „Ein andermal" Damit verschwand er die Treppe hinauf, kam nach ein paar Minuten in Sportklamotten und Kopfhörer und Mütze wieder nach unten und lief ohne ein Wort aus dem Haus. Niemand außer mir, beachtete ihn. Ok, dann war das wohl normal Tag und Nacht mit dieser Mütze rum zu laufen. Mit einem Kopfschütteln konzentrierte ich mich wieder auf mein Gespräch mit Markus und versuchte mich an seine gestellte Frage zu erinnern. Irgendwas mit Golf, dachte ich.

Nach einer halben Stunde verkündete seine Mutter noch ein paar Besorgungen machen zu müssen und ließ uns alleine. Endlich. In der Sekunde als die Haustür zu fiel, lehnte ich mich zu Markus und senkte meine Stimme.

„Ich habe eine Bitte an dich."

Er schaute mich erstaunt an. „Also bist du doch nicht grundlos her gekommen."

„Nein. Ich wollte dich wirklich wieder sehen."

Sein Gesicht hellte sich merklich auf. „Schieß los. Was kann ich für dich tun?"

„Ich brauche die Handynummer deines Bruders"

Anstatt mich fragend anzuschauen, nickte er mir verständnisvoll zu.

„Ich wusste, dass da was zwischen euch läuft"

„Was? Nein. Du verstehst das falsch. Die Nummer ist nicht für mich."

„Nicht?" Verwirrt lehnte er sich mir jetzt entgegen. „Für wen dann?"

„Für eine naja..." Freundin kann ich Michelle nicht gerade nennen, „für eine Bekannte."

„Bekannte?" er beäugte mich misstrauisch, „Für eine Bekannte betreibst du so einen Aufwand?" Er deutete mit einer umschweifenden Bewegung auf den Tisch, der voller Fotos und Kekse war.

Ich zuckte mit den Schultern. Ich wusste selbst nicht, warum ich das alles für sie tat. „Sie hat mich darum gebeten"

„Wieso fragst du ihn nicht selbst?"

Berechtigte Frage. Doch wieder konnte ich nur mit den Schultern zucken. Oh man, mein Plan lief nicht gerade hervorragend.

„Hmm", Nachdenklich legte er einen Finger ans Kinn, „Tut mir leid, wenn du mir keinen triftigen Grund liefern kannst, dann kann ich dir auch leider nicht helfen." Sein Mund war zu einer strengen Linie gezogen. Er meinte es also ernst. Mist. Ich überlegte fieberhaft wie ich ihn überzeugen konnte. Wieso hatte ich nicht Plan A durchgezogen und sein Handy einfach genommen und nach der Nummer gesucht. Doch jetzt war es dafür zu spät.

„Also gut, du hast Recht, ich mag Niklas." Siegessicher lächelte er mich an. „auf freundschaftliche Weise." Setzte ich schnell dahinter. „Und da ich als gute Freundin nur das Beste für ihn will, habe ich dem Mädchen zu gesagt."

Seinem Gesichtsausdruck nach zu urteilen, glaubte er mir immer noch nicht. „Und?"

„Und wir wissen ja beide, dass er schon länger keine Dates hatte. Und da dieses Mädchen, das wirklich unglaublich süß ist," hoffentlich übertrieb ich es nicht, „und Interesse an ihm hat, dachte ich, dass er vielleicht naja, mal wieder sein Leben leben sollte." Nachdem ich meinen Satz beendet hatte, stierte ich vorsichtig zu Markus Gesicht. Seine Stirn war in viele Falten geworfen und ich dachte schon, dass er mir wieder eine Abfuhr erteilte, da glätteten sich die Falten und er nickte.

„Das hört sich plausibel an" Erleichtert lehnte ich mich in meinem Stuhl zurück. „Und du denkst wirklich, dass sie die Richtige für ihn ist?"

Nein. „Natürlich. Er lässt sich nur nicht wirklich auf sie ein."

Wieder nickte er. „Seit dem Vorfall hat er sich wirklich zurückgezogen." Seit dem Vorfall? Neugierig musterte ich Markus. Doch der ging nicht weiter darauf ein. „Dann hatte Niklas doch Recht und ich hatte mir die Funken zwischen euch nur eingebildet." Niklas hatte das zu ihm gesagt? Ich spürte wie sich mein Magen zusammen zog. Verdammt, ich musste mich zusammen reißen und meine Aussage weiter durch ziehen.

„Wie kommst du auch auf so einen Mist?" ich lachte, um die Schärfe aus meiner Stimme zu überspielen. „Zwischen Michelle und ihm, da entfacht ein ganzes Feuerwerk."

Er lachte ebenfalls. „Jetzt übertreibst du aber."

„Ein bisschen vielleicht."

„Na gut, wenn Niklas dadurch wieder offener und naja selbstbewusster wird, dann werde ich dein Vorhaben, die beiden zu verkuppeln, unterstützen." Wieder stellte ich mir die Frage, was denn in der Vergangenheit vorgefallen sein muss, dass er sich so sehr verschlossen hatte?

„Halt! Niemand hat was von verkuppeln geredet. Ich gebe nur einen kleinen Schubs in die richtige Richtung. Den Rest müssen die beiden tun."

Er musste schmunzeln. „Na klar." Er holte sein Handy aus der Hosentasche und gab mir die Nummer. Das hat doch ganz gut geklappt und schneller als ich gedacht hatte. „Ich vertraue darauf, dass du die Nummer nicht anderweitig missbrauchst."

Ich nickte angestrengt. „Du kannst mir vertrauen." Die Worte hörten sich ätzend falsch an, doch ich konnte jetzt keinen Rückzieher mehr machen.

„Obwohl ich fand, dass ihr ein nettes Paar abgegeben hättet"

„Tja, jetzt kannst du ein neues Traumpaar anschmachten"

„Du bist immer noch genauso schräg wie früher." Während er sprach, hob er eines der Kinderbilder auf und grinste mich an. Sofort erwiderte ich sein Lächeln. Ich fühlte mich hier erstaunlicher Weise immer wohler.

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