⫷ Kapitel 45: Ein Ort jenseits der Heimat, fern und doch so nah ⫸

Nanouk träumte diese Nacht von Anuri, schwebte die stillen Treppen bis zu ihrem Turm hinauf, als wäre sie wieder hinter den Sternen. Körperlos, entrückt.

Im Traum stand Inaak bei der alten Schamanin, als diese in seine Hand stach und mit seinem Blut das pijjari auf das schwere Papier malte. Doch aus den dunklen Ecken des stummen Turms beobachteten blutrote Augen jeden Schritt, ein entferntes Kichern folgte Inaak und als Nanouk erkannte, dass dieses von Anuri selbst kam, lief ihr ein Schauer über den Rücken. Anuris Augen glühten wie dunkle Kohlen, wie die Augen Ijiraqs. Langsam schälten sich schattenhafte Gliedmaßen aus den schwarzen Nischen des Turmes und griffen nach dem Jungen. Sie schrie, rief Inaak zu, er solle davon laufen, doch hinter den Sternen besaß sie keine Stimme. Keinen Körper, keine Kraft. Und dann verschluckte eine bodenlose Leere das gesamte Zimmer samt Inaak.

Es war ein Albtraum, der von Leere und Kälte, von tiefen Meeresspalten und erdrückender Last erzählte, bis sie den Ruf eines einsamen Raben vernahm, der sie aus der Dunkelheit zurück ans Licht führte. Wo Wärme sie umfing und wo sie schließlich auch erwachte.

Nanouk spürte noch die Klammheit in ihren Gliedern, fühlte ihr Herz heftig schlagen und brauchte einige Augenblicke, um sich wieder zu finden. Sie war wach und sanftes Zwielicht fiel durch den Spalt in den Vorhängen. Während sich ihr Herz beruhigte, begann sie das kräftige Schlagen eines zweiten zu vernehmen, welches dicht über ihren Schulterblättern einem langsamen Rhythmus folgte und dazu beigetragen hatte, dass sie sich allmählich beruhigte. Adassett.

Nanouk hielt instinktiv die Luft an, als sie sich ihres restlichen Körpers bewusst wurde und feststellte, dass er sich nicht nur zu ihr gerollt hatte, sondern auch sein Arm um ihre Taille geschlungen war. Er hatte sie regelrecht an sich gedrückt und die Wärme schlug um zu einer Hitze, die ihr vor allem in die Wangen schoss und ihr Herz aufs Neue in Aufruhr versetzte.

Sie war versucht ihn von sich zu stoßen, doch hielt inne. Er konnte nichts dafür, dass er sich im Schlaf bewegt hatte und gleichfalls hätte sie ihm unterbewusst erneut die Faust ins Gesicht stoßen können. Natürlich war das der einzige Grund, weshalb sie bloß vorsichtig schluckte und reglos liegen blieb. Das und die Unlust nach draußen in die klamme Kälte des Morgens zu treten. Nicht das Gefühl seines Körpers, seiner Beine an ihr, oder das Gefühl seiner Hand, die gefährlich weit oben an ihrem Rippenbogen lag.

Doch in dem Moment, in dem Adassett sich bewegte, zuckte Nanouk entgegen all ihrer Vorsätze zusammen und rollte sich unter seinem Arm hervor. Der Schwall an kalter Luft, der dadurch unter die Decke fuhr, entlockte ihr ein Zischen und weckte schließlich auch Adassett vollständig auf.

Er rappelte sich auf und Nanouk stolperte beinahe aus dem Bett, hätte Adassett nicht die Hand nach ihr ausgestreckt, um sie daran zu hindern. Nanouk umklammerte seinen Unterarm, als sie ihr Gleichgewicht fing und Adassett verkniff sich ein schlaftrunkenes Grinsen.

»Tut mir Leid«, sagte er und ließ den Arm sinken, als Nanouk ihn losließ.

»Alles in Ordnung«, murmelte Nanouk beschämt und beeilte sich ihre Haare glatt zu streichen, die ihr aus dem Zopf entkommen waren. Es gab nichts, was ihr peinlich sein könnte. Wenn, dann war es Adassett der einen Grund hatte, sich aufgrund seiner morgendlichen, körperlichen Regungen in ihrer Gegenwart zu schämen.

Doch er ließ es so wie sie unkommentiert und Nanouk war dankbar dafür. Daran denken musste sie allerdings den gesamten Tag. Sie hatte jegliche Gefühle in der Hinsicht längst verdrängt gehabt und spätestens, als sie wusste, dass sie niemals würde riskieren dürfen, schwanger zu werden, jegliche Neugierde dahingehend erstickt. Doch mit einem Mal, waren diese Gedanken allesamt zurück und durch Naujus Tonikum plötzlich viel greifbarer. Sie musste sich nicht mehr vor den Konsequenzen fürchten.

Doch dann erinnerte sie sich schmerzhaft daran, wo sie sich befand, in wessen Gegenwart sie durch den düsteren Wald reiste und was Sinn und Zweck dieser Aufgabe war. Nicht, um sich unschickliche Gedanken zu machen, sondern um einen Weg zu finden, Nao die Kehle durchzuschneiden, während er schlief.

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Sie erreichten das Tal ohne Zwischenfälle am frühen Nachmittag des dritten Tages. Die Sonne breitete sich über die Gebirgsausläufer aus wie ein Tuch gelber Seide. Nanouk lehnte sich beinahe aus dem Fenster, als sie den befremdlichen Anblick Vosejns in sich aufnahm.

Die Stadt war umringt von einer hohen Mauer aus robustem Stein und hinter den sanft abflachenden Hügeln konnte Nanouk sogar von der Straße aus das Meer rauschen hören. Der Wald um Vosejn war licht und zwischen die hohen, stillen Nadelbäume mischten sich erste sommergrüne Birken. Doch die Blatttriebe, welche längst hervorbrechen hätten sollen, waren kümmerlich und der nächtliche Frost forderte selbst in den wärmeren Tälern seinen Tribut.

Nanouk schluckte befangen, als sie das erste Mal merkte, wie weitläufig der anhaltende Winter bereits reichte und wie einschlägig er sich ausbreitete.

Der Empfang, den man ihnen bereitete, war dem in Aalsung sehr ähnlich. Der Fürst erschien persönlich an den breiten Toren aus massivem Eichenholz und eskortierte Adassett samt Kutschen und Reitern durch die breiten, gepflasterten Straßen der Stadt. Nanouk konnte sich kaum beherrschen und bestaunte die atemberaubende Vielfalt zwischen den Häusern und dem riesigen Markt, reckte den Kopf, um über die Verkaufsstände den Hafen zu sehen und fühlte sich mit einem Mal so befreit. Kein immerwährender Schatten, keine dunklen Wälder und vor allem nicht die drohende Silhouette des Palastes.

Vosejn war im Vergleich zu Aalsung riesig, die meisten Häuser besaßen nicht weniger als zwei Stockwerke und waren allesamt aus verputzten Ziegeln errichtet worden. Sie fühlte sich mit einem Mal ganz klein, dieser Welt völlig fremd und fern, als hätte sie in Tallik tatsächlich niemals über die Jagdgründe hinweg in die Welt geblickt.

Man beäugte sie dennoch misstrauisch, Adassetts Ruf musste auch hier verbreitet sein und Nanouk ließ sich das letzte Stück durch Vosejn zurück in die Sitzbank sinken.

Der mächtige Burgfried des Fürsten lag auf einem Hügel und ragte als hellgraue Silhouette gegen die Sonne über ihnen auf. Es behagte Nanouk nicht, dass man sie nun doch von Adassett trennte, doch sie fügte sich ihrer Rolle und folgte der Kammerdienerin in die Gästequartiere. Man stellte den Kurtisanen eigene Gemächer zur Verfügung, die mit ihrem angrenzenden Badesaal sogar mehr Komfort als Wallheim boten.

Man brachte ihnen sogar neue Tuniken, diesmal feine Seide im Stil der Provinz Vosejn, statt Saphiren gab es Perlen aus den küstennahen Dörfern, goldenes Garn und zartblaue Seide, die durch schaumweiße Spitze den Wellenkämmen und der Gischt schmeichelten. Nanouk ließ sich ebenso wie alle anderen Kurtisanen einkleiden, kam aber nicht umhin, die Farbwahl zu hinterfragen. Das Meer war hier im Norden nicht sanft und weich. Die zarten Farbtöne schmeichelten den Augen, aber nicht der Natur, die sich rau und dunkel an den Küsten zeigte, wo die Tage kurz und die Nächte lang waren.

Das große Fest zu Adassetts Ehren sollte noch am selben Abend stattfinden und Nanouk überkam das erste Mal greifbares Unbehagen, denn sie würde dieses Mal nicht umhin kommen daran teilzunehmen. Sie hatte zwar von Ischka eine Menge gelernt, doch dieses Wissen noch nie angewandt. Dieses Mal hatte sie Adassetts Tafeldame zu sein, musste ihm Wein nachschenken und Essen servieren, wie eine Dienerin.

Doch was ihr schwerer fiel, war die Anspannung aus ihren Gesichtszügen zu verdrängen, wann immer Adassett sie berührte. Seine Hände wanderten beiläufig um ihre Taille und unter die flüchtigen Stoffe der schaumweißen Tunika. Sie biss die Zähne fest zusammen, während sie zur gleichen Zeit versuchte zu lächeln, eine Kombination, die wenig verführend wirkte, also zwang sich Nanouk ihre Anspannung zu lockern. Dieses ganze Prozedere als neutrale Arbeit zu betrachten.

Doch dieses Vorhaben wurde in seinen Grundfesten erschüttert und fiel schließlich unelegant in sich zusammen, als Adassett sie nach dem dritten Becher Wein grob auf seinen Schoß zog.

Nanouk entkam ein Laut der Überraschung, ehe sie die Luft scharf einatmete und gleichzeitig versuchte sich in diese unerwartete Geste sinken zu lassen. Adassett bedachte sie keines Blickes, als er mit dem Fürsten an seiner Seite über Naos Anordnungen sprach, die Gefangenen der Stadt nach oben an den Palast zu bringen. Damit er sie allesamt hinrichtete.

Nanouk schluckte kräftig, als sie dicht an Adassett gedrückt auf seinem Oberschenkel saß und versuchte, die Hitze seines Körpers zu ignorieren. Sie wollte weder daran denken, wie sich seine Brust unter ihrer Hand anfühlte, noch daran, was er gezwungen sein würde zu tun, alsbald sie wieder am Palast waren. Es war furchtbar diese beiden Gefühle nebeneinander fühlen zu müssen und Nanouk wünschte sich, sie könnten zurück in die Abgeschiedenheit seiner privaten Gemächer flüchten, wo alles in Relation zu einem größeren Ganzen stand.

Nanouk ließ sich in eine bequemere Position sinken, als Adassetts Arm um ihre Taille wanderte und sie fast beiläufig dichter an sich zog. Er lachte über irgendeinen furchtbaren Scherz über Huren und Gefälligkeiten und Nanouk blickte sich in der großen Speisehalle um. Es gab mehrere Langtische an denen die geladenen Gäste speisten und lachten und am hinteren Ende sogar eine niedrige Tribüne, auf der eine Gruppe Musiker Tanzlieder spielten. Es war wahrhaftig ein Fest und auch, wenn die Umstände nach wie vor schockierender Natur waren, so war die Halle von Vosejn wenigstens mit ehrlicher Freude, Tanz und Unterhaltung gefüllt.

Sie erblickte auch die anderen Kurtisanen, die sich schmeichlerisch an ihre Herren für die Nacht schmiegten, lachten und keinen Funken Scheu an den Tag legten. Das blasse Augenpaar Injas zog schließlich Nanouks Aufmerksamkeit auf sich und sie stellte mit Unbehagen fest, dass Inja sie keine Sekunde aus den Augen ließ. Ob sie nach Fehlverhalten suchte, oder wissen wollte, was es war, das Adassett so verrückt nach Nanouk machte, spielte keine Rolle. Es bedeutete in jeglicher Hinsicht, dass Saghani von ihrem Verhalten erfahren würde.

Nanouk holte leise aber tief Luft und hob den Arm, der zwischen ihr und Adassett eingeklemmt war, um ihn langsam über seine Brust streichen zu lassen. Sie ließ sich Zeit damit, versuchte ihre Umgebung völlig auszublenden und sich nur darauf zu konzentrieren, nicht negativ aufzufallen. Wenn sie dies als Überlebensübung ansetzte, dann gab es schließlich auch keinen Grund sich zu schämen.

Behutsam strich sie über die bestickte Borte seines schwarzen Stoffmantels, bis sie zu seinem Schlüsselbein kam und mit leichtem Nachdruck ihren Daumen über den rauen Stoff dort wandern ließ. Adassetts Griff um ihre Taille verstärkte sich kaum merklich und Nanouk musste ein Lächeln unterdrücken. Sie ließ ihre Hand schließlich bis zu seinem Nacken wandern, fuhr unter den Kragen des Mantels und ließ ihre Fingerspitzen nur knapp über der Haut dort entlang tanzen.

Nun doch gespannt auf die Reaktionen, welche sie ihm entlocken konnte, ließ sie ihre Finger schließlich zaghaft in seine Haare am Nacken wandern. Seine Haut war warm und das zerzauste Haar trotz aller Widerspenstigkeit erstaunlich weich. Sie zupfte sanft an seinen schwarzen Strähnen und horchte auf seine Antworten, die er ihr wortlos gab. Seine Stimme stockte zwar nicht, er verlor auch nicht den Faden in seinem Gespräch mit dem Fürsten, doch Nanouk spürte, wie sich die Finger seiner Hand um ihre Taille kaum merklich anspannten und ein sanftes Zittern durch seine kräftigen Schultern lief.

Es fiel ihr in der lärmenden Halle nicht schwer, sein Gespräch mit dem Fürsten auszublenden und hätte lügen müssen, wenn sie dies nicht mit Erleichterung erfüllte. Sie musste nicht wissen, wie viele Waisenkinder der Fürst gedachte an Nao zu schicken, oder wie viele unglückselige Diebe lieber Naos Gericht, als eine sofortige Hinrichtung gewählt hatten. Wie lieblos er gedachte die Damen Vosejns zu benutzen und welche der Fürst persönlich vorschlug.

Nanouk schloss die Augen und ließ ihre Stirn gegen seine Schulter sinken, spürte die Vibrationen seiner Stimme durch jede Nervenfaser ihres Körpers und hieß die Wärme seiner Nähe sogar willkommen. Sie öffnete die Augen wieder und ließ ihre Hand über seinen Kieferknochen wandern, fühlte die rauen Bartstoppel dort und die dennoch weiche Grube direkt über seiner Halsschlagader. Er roch nach warmem Holz und Regen, nach dem ersten Stich des Winters, welcher in den späten Sommernächten bereits manchmal durch die abgekühlte Luft einen frühen Schneefall ankündigte.

Adassetts Hand war von ihrem Rippenbogen schließlich auf ihre Hüfte gewandert und Nanouk riss sich aus der stillen Bewunderung, ein wenig der altbekannten Scham empfindend. Sie wusste nicht, ob er das mit Absicht tat, oder weil er nun mit Jokim auf seiner anderen Seite ins Gespräch vertieft war und gar nicht merkte, wohin seine Hand sank.

Als diese dann auf ihre Hüftbeuge glitt und schließlich über ihren Oberschenkel strich, blitzte ein intensives Kribbeln durch all ihre Nervenenden. Nanouks Herz kam heftig ins Stolpern, als sich sämtliche Empfindungen auf den Fleck nackter Haut richteten, den Adassett berührte. Und als dieses Kribbeln schließlich träge, aber unverkennbar zu einem tiefer wandernden Prickeln umschlug, holte sie erschrocken Luft. Vielleicht zu hastig, zu angespannt, packte sie seine Hand, um ihn daran zu hindern, seine Finger weiter zwischen ihre Beine wandern zu lassen. Um ihn daran zu hindern zu erkennen, was seine Berührungen langsam, aber unleugbar in ihr ausgelöst hatten.

Adassett lachte in dem Moment laut auf und schlug Jokim heftig auf die Schulter, sodass Nanouk sich komplett versteifte, aus Furcht, die plötzliche Gewichtsverlagerung würde ihren erregten Zustand enttarnen. Doch Adassett befand das Fest für beendet und schob sie daraufhin grob von seinem Schoß, um sich vom Fürst zu verabschieden.

Nanouk zerrte mit rasendem Herzen an ihrer verrutschten Tunika, sich mit einem Schlag wieder der unzähligen Augenpaare bewusst und als sie durch die Halle hindurch erneut Injas Blick fing, lächelte diese sie bloß heimtückisch an.

Adassett packte sie wie sonst auch grob am Handgelenk und zog sie hinter sich her. Nanouk stolperte mehrere Male, sodass sie sich schließlich an seiner Schulter festhielt und bloß eine leichte Panik dahingehend verspürte, dass sie diese Nähe, so herablassend sie auch nach außen wirkte, sogar willkommen hieß. Denn nichts in Adassetts Gestik ihr gegenüber war herablassend. Das verstand sie mittlerweile und je genauer sie darauf achtete, desto stärker erkannte sie Adassett.

Während der letzten Tage hatte sie ihn auf eine völlig neue Art kennen gelernt, von der sie sich vielfach entwaffnen ließ. Sie verstand sich selbst nicht recht, konnte nicht sagen, wann ihre einschlägige Furcht und der schaurige Schmerz in ihrem Handgelenk bittersüßem Verständnis gewichen war. Doch die ungeschönten Versuche, es besser machen zu wollen ließen sich nicht einfach wegdenken. Es war, wie sie gesagt hatte, viel zu einfach einen jeden hier nach dem bloßen Aussehen zu verurteilen. Und jeder hatte das Recht, um Vergebung zu bitten.

Selbst er.

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Adassett verriegelte die Türe hinter ihnen und mittlerweile war sich Nanouk nicht mehr sicher, ob er das ihr zu liebe, oder aus Verfolgungsangst heraus tat. Sie beeilte sich ein wenig Abstand zu gewinnen und war froh, dass das Gemach in Vosejn dem der ersten Garnison glich. Geräumig, komfortabel und sogar samt eigenständigem Baderaum.

Nanouk strich sich die seidenen Tücher glatt und kämmte sich unbehaglich durch die offenen Haare, als sie sich zu beruhigen versuchte. Doch sie fühlte sich nach wie vor so erhitzt und neben sich. Ihre Gedanken wirbelten haltlos durcheinander, als sie sich bemühte ihre körperlichen Regungen einzuordnen, die erschreckende Anziehung versuchte zu tilgen und wieder einen klaren Kopf zu bekommen.

Vor allem, als Adassett sie von der Türe aus achtsam musterte und dann beinahe behutsam seinen Mantel aufschnürte.

»Das-«, fing Nanouk schließlich an und knetete ihre Hände in einem schwachen Versuch eine Barriere zwischen ihnen beiden zu errichten. Ihre Stimme war belegt und schwach, also räusperte sie sich und wich einen halben Schritt zurück, als sie merkte, wie Adassetts Blick wissend an ihr herab huschte.

Nanouk biss die Zähne zusammen und fühlte sich ertappt, als hätte sie gelogen oder gestohlen und die Hitze in ihren Wangen half wenig dabei zu verschleiern, was sich nun mit unleugbarem Erkennen in Adassetts Blick stahl. Die Art, wie er sie berührt hatte, hatte ihr gefallen.

Adassett machte einen Schritt auf sie zu, doch Nanouk verkrampfte sich augenblicklich und er blieb mit erhobenen Händen stehen.

»Das ist nichts, wofür du dich zu schämen brauchst«, sagte er dann mit bemüht neutraler Stimme, als er merkte, wie knapp Nanouk davor war, davon zu laufen. »Es ist nichts weiter, als eine völlig neutrale Regung-«

»Bitte sprich nicht weiter«, fiel ihm Nanouk ins Wort und verzog das Gesicht, als hätte sie Schmerzen.

»-auf Körperkontakt.«

Nanouk spreizte die Finger, als wollte sie ihn aktiv davon abhalten, entschied sich dann aber, diese vors eigene Gesicht zu schlagen, als Adassett einfach weiter redete.

»Ich hätte dich nicht so berühren dürfen. Das hat nicht viel zu bedeuten.«

»Du-«

»Und ist schwer zu kontrollieren.«

»Adassett, bitte

»Das passiert.«

»Sei einfach-«

»Und sagt nichts darüber aus, was du von all dem hältst«, fügte er hektisch hinzu, als hätte er mit einem Mal Angst, dass er sich nicht schnell genug erklären könnte, ehe Nanouk ein vernichtendes Urteil fällte.

Nanouk entkam aber jedoch nur ein erschlagendes Ächzen. »Könnten wir einfach das Thema wechseln?«

Adassett hob hilflos die Schultern und lehnte sich gegen den Esstisch, der schwarz lackiert in dem schummrigen Licht der Dämmerung kaum zu erkennen war. Adassett sah so ehrlich aus, als er angestrengt die Stirn runzelte und dieser Anblick versetzte Nanouk einen merkwürdigen Stich. Warum musste er auch so verflucht bemüht dabei aussehen, diese unglaublich peinliche Situation berichtigen zu wollen? Warum sagte er nicht einfach, dass er in diese Moment nichts lieber wollte, als sie ins Bett zu zerren und diese Regungen zu erforschen? Jene Stellen zu finden, welche diese Regungen auslösten.

Stattdessen stand er unbewegt in diesem riesigen Schlafzimmer und tat alles, um ihr ein Gefühl des Verständnis und der Sicherheit zu vermitteln. Nanouk biss sich fest auf die Unterlippe und wandte sich hektisch ab. Das waren nicht ihre Gedanken und ganz sicher nicht ihre Wünsche.

»Du könntest mir erzählen, was du in Tallik alles gemacht hast«, erklang dann seine Stimme mit leicht fragendem Unterton.

Nanouk stieß ein ersticktes Geräusch aus und schloss erschlagen die Augen. Sie war immer noch aufgewühlt und den Namen ihrer Heimat aus Adassetts Mund zu hören, ein Ort, den sie ihm gegenüber bloß einmal erwähnt und den er sich aber sofort gemerkt hatte, ließ ihr Herz ein wenig bluten. Sie hob erschlagen die Schultern und atmete zitternd aus.

»Ich habe gejagt«, sagte sie dann leise und legte den Kopf in den Nacken, um nicht sofort wieder vor Adassetts Augen in Tränen aus zu brechen. Sie ließ ihren Blick stattdessen über die reichlich verzierte Decke des Gemachs schweifen.

Die Schnitzereien in den Balken und entlang der Fensterrahmen spiegelten die Nähe zum Meer wieder und Nanouk erkannte zwischen den unzähligen Tieren viele Gestalten aus ihrer Heimat wieder. Lachmöwen und Ringelrobben, Walrosse und selbst die beunruhigend großen Dorsche sprangen gefolgt von mächtigen Schwertwalen in den fein gravierten Wellenkämmen von Balken zu Balken. Hier war alles sanfter als in Wallheim, wo Nanouk sich zeitweise regelrecht von all den Farben überwältigt fühlte. Wo dort grelles Gelb und tiefes Rot mit blitzendem Blau und verführerischem Grün verschmolz, waren die weichen Blautöne in Vosejn wie Balsam für Nanouks Empfinden.

»Daneben auf die Kinder aufgepasst«, fuhr Nanouk entspannter fort. Es beruhigte sie, die Farben und Formen dieser fremden Welt einzuordnen und schließlich fand sie sogar den Mut, sich wieder zu Adassett umzudrehen. »Viel repariert. Im Sommer im Meer gefischt und im Winter in den zugefrorenen Seen geangelt. Manchmal Stickereien angefertigt, aber um an die kunstvollen Meisterwerke aus Nanats Händen heranzukommen habe ich nicht das Geschick.«

Adassett betrachtete sie nach wie vor achtsam und ruhig, doch seine Haltung war ebenfalls entspannter. Über Nanouks Gesicht huschte ein schmales, trauriges Lächeln, als sie sich schließlich auf der gepolsterten Sitzbank am Fußende des Bettes niederließ.

»Ich erinnere mich noch ganz genau an den Morgen, als wir nach Aalsung aufgebrochen sind«, sagte sie dann andächtig und zupfte an ihren manikürten Händen herum, die zwar gepflegt waren, doch nach wie vor von einem Leben gezeichnet von harter Arbeit zeugten.

»Der Neuschnee in der Nacht hat all meine Fallen zugeschneit. Das schlimmste war, dass Ajat sich deswegen über mich lustig gemacht hat«, erinnerte sie sich mit einem wehmütigen Lächeln. »Nichts hat ihm je die Laune verdorben. Er hat mich ständig aufgezogen und auch an dem Tag daran erinnert, dass ich mehr von einem Mann habe, als die meisten Mädchen im Dorf. Kratzbürstiger Bär. So hat er mich immer genannt. Armer Ajat«, lachte sie daraufhin matt. »Ich hatte ihm versprochen Zuckermarillen mitzubringen, wenn ich nach Hause komme.«

»Er wird bestimmt auf dich warten«, kommentierte Adassett und Nanouk dreht ihm den Kopf zu.

»Das ist über ein Monat her. Er und meine Eltern, mein ganzes Dorf werden uns alle für tot erklärt haben. Oder für verloren. Es gibt diese Zukunft nicht mehr.«

Adassett verzog nachdenklich den Mund, ehe er eine Augenbraue hob und grinste. »Ich könnte ihm Zuckermarillen besorgen«, schlug er vor und Nanouk rollte lächelnd mit den Augen.

»Ich meins ernst. Vosejn ist ein riesiger Hafen und mitunter ebenso ein Handelsposten vom Festland. Wenn du willst, schicken wir Ajat einen ganzen Karren voller Zuckermarillen.«

»Pass bloß auf, wenn du einmal so großzügig bist, erwartet er, dass du auch weiterhin so tief in deine Tasche greifst.«

Adassett lachte herzhaft auf und steckte Nanouk damit effektiv und unhaltbar an.

»Sonst noch Wünsche?«

»Wenn du so fragst ...«, fing Nanouk lächelnd an. »Meine Mutter hat um neues Garn und Schuhleder gebeten. Metallnadeln sind immer erwünscht und gutes Holz für Waffen sowieso. Und wenn es keine Umstände bereitet, wären diese sonderbaren Wasserrohre in Wallheim bestimmt angenehmer, als ständig Schnee schmelzen zu müssen, weil die Brunnen zugefroren sind.«

Adassett schüttelte lachend den Kopf. »Dann haben wir keine Zeit zu verlieren. Ich weiß sogar, wie Wasserleitungen funktionieren. In Varden hatten wir ebenso welche.«

Nanouk wurde hellhörig. Sie war dazu übergegangen nach einem Kleidungsstück zu suchen, welches sie sich über die flüchtige Seide ziehen konnte, da sie anfing langsam zu frieren. Doch nun hielt sie inne und warf Adassett einen vorsichtigen Seitenblick zu. »Varden? Ist das deine Heimat?«

Das letzte Mal hatte Adassett rasch das Thema gewechselt, als Nanouk neugierig nach seiner Vergangenheit gefragt hatte und jetzt verstand sie auch irgendwo warum. Er wollte diese beiden Welten voneinander getrennt halten, doch etwas in seinem Blick verriet ihr, dass er diese klare Linie in ihrer Gegenwart bereit war verwischen zu lassen.

»Ja«, sagte er schließlich und das Lächeln auf seinem Gesicht wurde eine Spur schmäler, aber nicht minder ehrlich. »Wir haben auf dem Vluutlaag gelebt, den Hügeln über den Sümpfen. Die weniger vom Glück gesegneten Einwohner mussten ihre Hütten auf Stelzen bauen, weil der Boden im Osten instabil war.«

Nanouk setzte sich auf die weiche Überdecke des Bettes, welche aus feinem Satin geschneidert und mit ähnlich maritimen Mustern verziert war. »Das klingt mindestens ebenso unwirtlich wie die kalten Schneisen um Tallik.«

Adassett hob eine Schulter. »Nicht unbedingt für mich. Ich mag zwar kein Prinz sein, aber meine Familie war dennoch ziemlich reich. Für Vardens Verhältnisse.«

»Angeber«, schmollte Nanouk und Adassett grinste.

»Es war gerade wegen der Nähe zum Meer die meiste Zeit recht warm. Auch, wenn die Winter hart waren, gibt es Mischwälder zwischen den Sümpfen«, erklärte er dann und sein Blick wanderte in weite Ferne. »Imona hat mit ihrer Familie ziemlich dich an den sumpfigen Wäldern gewohnt.«

Nanouk horchte auf, als er erneut von der Medizinerin sprach, welche versäumt hatte, Naos Vater zu heilen.

»Kein Ehemann, keine Verwandten, außer sie mit vier Kindern. Sie kamen aus dem Süden. Mein Vater hat immer erzählt, ihr Mann wäre im Dienste des Königreichs gestorben, wie es alle mutigen Männer eines Tages tun. Irgendwo fernab der Heimat in einen Grenzkonflikt verwickelt, der so fremd erscheint, wie er klingt.«

Nanouk schluckte und versuchte sich vorzustellen irgendwann einmal den warmen Süden sehen zu können. Eine schneefreie Landschaft zu betrachten, die nicht stets von den drückenden Zügen des Zittergebirges überschattet wurde. »Es klingt wirklich ziemlich unglaubwürdig«, murmelte sie.

»Für viele junge Männer war es aber wie ein Traum«, widersprach Adassett andächtig. »Einer ihrer eigenen Söhne hat sich immer in den Kampf gewünscht. Er war der einzige seiner Geschwister, der regelmäßig mit uns in den Wald ging, um Jagd zu spielen.«

Nanouks Herz machte einen Satz, als sie wieder daran denken musste, was Nauju ihr erzählt hatte. »Wie hieß er?«

Adassett runzelte die Stirn und richtete seinen Blick zurück auf sie. »Chikuk.«

Nanouk stieß den Atem aus, enttäuscht oder erleichtert konnte sie nicht wirklich sagen, doch das erregte Adassetts Aufmerksamkeit und er kam schließlich zu ihr herüber, um seinen Stoffmantel über die Sitzbank vor dem Bett zu legen. »Nicht der Name, den du erwartet hast?«

Nanouk hob eine Schulter und schüttelte den Kopf. »Es ist nichts.«

»Er war Naujus Bruder«, fuhr Adassett schließlich fort und ließ sich dann neben Nanouk aufs Bett sinken, die ihn erschrocken dabei beobachtete. »Auch, wenn er damals noch nicht Nauju hieß. Sondern Yuka.«

Nanouk blickte Adassett an, als sie an all die versteckten Gesprächsfetzen dachte, in welchen Nauju ihr Kleinigkeiten aus seiner Vergangenheit offenbart hatte. Sie hatte sich immer gewundert, weshalb er wusste, wie sie sich fühlte, gestoßen an einen Hof, der fremder nicht sein konnte und wo der erschlagender Zynismus seiner erbeuteten Gabe wegen seinen Ursprung hatte. Imona war seine Mutter gewesen und Nao hatte sie hinrichten lassen.

Erschrocken blickte sie hinauf in Adassetts wachsames Gesicht und spürte eine unbeschreibliche Erleichterung durch sich hindurch spülen, als er den Kopf schüttelte.

»Nein, das war nicht ich. Auch, wenn ich bezweifle, dass ich Nauju jemals wieder in die Augen sehen kann. Schließlich sind wir praktisch gemeinsam aufgewachsen.«

Nanouk fühlte beinahe, wie ihr das Herz aufs Neue brach. Die dunkle Einsamkeit, in welche Nauju sich über die Jahre hinweg gehüllt hatte, rührte vielleicht auch daher, das er selbst lieber keinen Blick vor die Türe seines Gefängnisses warf. Aus Furcht, einen Kindheitsfreund zu erkennen, welcher nun zu entsetzlichen Dingen fähig war und sein Verständnis für die herbeigesehnte Illusion der heilen Welt seines Zuhauses vernichtete.

»Nauju hat keine Ahnung«, flüsterte Nanouk erschrocken und dachte an seine Skepsis gegenüber Adassetts Zurückhaltungen.

»Und das ist vielleicht auch das beste so.«

Nanouk schluckte befangen und stand dann unruhig auf. »Er hat das alles nicht verdient«, sagte sie dann leise und blickte auf ihre Hände.

»Nein, das hat er nicht. Das hat wohl niemand.«

Nanouk kniff die Lippen zusammen, um sie am Zittern zu hindern. »Er wünscht sich nichts sehnlicher, als von hier verschwinden zu können«, wisperte sie und schniefte gegen die aufkommenden Tränen an.

»Zugegeben, ein wenig überrascht mich das schon.«

Nanouk lachte kurz und traurig auf. »Er spielt eine Rolle und ertränkt seine Sorgen wie du in jeglichem Versuch, zu vergessen. Und ich sollte ihm dabei helfen, habe ihm aber im entscheidenden Moment, diese Hilfe versagt.«

Adassett war einige Augenblicke lang sehr still. Er sagte nichts und er rührte sich auch nicht, sodass Nanouk in der ungemütlichen Stille versuchte ihr nutzloses Schluchzen zu unterdrücken.

»Wenn er eines nicht ist, dann grausam«, sagte Adassett schließlich leise und erhob sich ebenfalls.

Nanouk wandte sich zu ihm um und hielt die Luft an, als er dicht vor ihr zum Stehen kam. Sie fühlte die Wärme seiner Nähe intensiv auf ihrer unterkühlten Haut und wagte kaum zu atmen, als Adassett schließlich zögerlich seine Hand hob, um ihr mit dem Daumen vorsichtig die Tränen von den Wangen zu wischen.

»Er passt nicht an diesen Schlachthof«, fuhr er leise fort und Nanouk legte den Kopf in den Nacken, um ihn ansehen zu können. »Er hätte einfach fliehen sollen, als er noch konnte.«

»Bevor er Saghani geholfen hat.«

Adassetts Lippen formten sich zu einem geraden Strich, als er ihr vorsichtig die losen Strähnen ihres Haares aus dem Gesicht strich. »Er hätte sie mitnehmen sollen und sie beide wären niemals in diese fürchterliche Mühle aus Aufopferung, Qual und Heuchelei geraten.«

Nanouk schluckte. »Wo hätten sie denn schon hingehen können? Anuri kann nicht jeden retten.«

Adassett ließ die Hand sinken, trat aber nicht zurück, als er Nanouk eingehend betrachtete. »Nein, das kann sie wirklich nicht. Aber sie tut, was sie kann.«

»Was meinte sie überhaupt damit? Damals im Turm?«

Adassett legte den Kopf schief und Nanouk versuchte sich an den genauen Wortlaut zu erinnern. »Dass er bereits hat, was er sucht.«

Ihre Blicke trafen sich und für den Bruchteil einer Sekunde erkannte Nanouk ein beunruhigtes Flackern hinter seinen haselnussfarbenen Augen, ehe sich dieses verflüchtigte und er leicht die Schultern hob.

»Ich schätze, mit er ist Nao gemeint. Und was er bereits hat? Alle Macht der Welt«, murmelte er und trat schließlich vor ihr zurück.

»Warum spricht sie nicht?«, wollte sie dann wissen und dachte an ihren unheimlichen Traum zurück.

Adassett ging hinüber zu der goldbeschlagenen Kommode und zog ein großes Wams hervor, welches den Stickereien nach ihm selbst gehörte und drehte es kurz in den Händen, ehe er antwortete.

»Nao hat ihr die Zunge herausgeschnitten.«

»Was?«, entkam es Nanouk entsetzt. »Warum?«

Adassetts Mund formte eine besorgte Linie. »Sie hat dem Töten der Urahnen und der Ersten nicht zugestimmt. Nao gewarnt, dass er damit mehr zerstört, als gewinnt.«

»Womit sie auch Recht hat.«

»Natürlich«, stimmte Adassett zweifellos zu und hob eine Schulter. »Aber Nao hat den Verstand verloren. Er nahm es persönlich und gab ihr eine Wahl.«

Nanouk schnaube herablassend. »Natürlich. Nao liebt Wahlen, was an sich seiner Regentschaft wegen unterhaltsam wäre, wenn er damit nicht bloß seinen widerwärtigen Sadismus stillen würde.«

Adassett stimmte grimmig zu. »Sie durfte zwischen dem Tod und dem Hinrichten von Kaska'siulliq wählen. Die Ewige des wolkenlosen Himmels und der Freude. Nao war immer schon mit furchtbarem Humor gesegnet.«

Nanouk schüttelte ungläubig den Kopf. »Wie konnte sie sich überhaupt dafür entscheiden?«

Doch der Blick, den Adassett ihr zuwarf, sprach auch ohne seine folgenden Worte. »Hättest du wirklich den Tod gewählt? Anuri war weise genug, um zu wissen, dass sie selbst als gebrochene Bindung nützlicher für die Welt sein würde, als tot. Nur ihretwegen gibt es überhaupt einen Ausweg aus dem Palast.«

Nanouk schlug die Augen nieder, zupfte an ihren Haarsträhnen herum und versuchte dabei nicht an Adassetts Hände zu denken. »Und die Zunge hat er ihr dann trotzdem herausgeschnitten.«

Adassett nickte mit grimmigem Gesicht. »Es ist vielleicht absurd, aber Nao weiß wirklich nichts über Anuris Aufenthalt. Früher hat er sie regelmäßig zur Schlachtbank geführt und verlangt, dass sie ihm die Namen der Geister nennt, welche er verspeiste. Doch irgendwann wurde er es Leid ihre langsame Handschrift zu lesen.«

Nanouk schüttelte angewidert den Kopf. »So viel Respektlosigkeit ist ... unbegreiflich.«

»Es ist, was aus Nao geworden ist«, sagte er andächtig und nach einem Moment der Stille, hielt er ihr das Wams hin.

Nanouk legte unbegeistert den Kopf schief. »Was soll ich damit? Das ist viel zu weit für mich.«

Auf Adassetts Gesicht erschien ein breites Grinsen und Nanouk erriet seine Worte, noch ehe er diese äußerte.

»Wehe«, warnte sie ihn mit einem unterdrückten Lachen und deutete auf ihn.

»Was? Laut Ajat ist das doch genau deine Größe, schließlich zählst du eher-«

Nanouk riss ihm das Wams mit einem empörten Schnauben aus der Hand. »Du bist unmöglich!«, fuhr sie ihn lachend an und Adassett stimmte ein.

»Tut mir Leid! Wenn du meine Meinung wissen willst«, sagte er dann und ging vorsorglich zur Badezimmertüre hinüber.

»Will ich ehrlich gesagt nicht«, fuhr Nanouk ihm dazwischen, aber Adassett grinste bloß.

»Ich finde ja, du hast eine sehr aufreizende, weibliche Erscheinung«, erlaubte er sich noch zu sagen, ehe er sich hinter die Tür duckte, als Nanouk ihm das Wams zusammengeknüllt an den Kopf warf. Sie hörte Adassetts abgehacktes Lachen durch die Türe dringen und konnte das ihre erneut nicht unterdrücken.

Nanouk hob das Wams schließlich wieder auf und beeilte sich, die seidenen Tücher gegen das feste Kleidungsstück zu tauschen, das ihr bis zu den Knien ging. Sie strich die bestickte Borte entlang und fragte sich, ob Adassett diese Kleidung noch aus seiner Heimat geblieben war, oder ob man sie eigens für seine Stellung als Getreuer angefertigt hatte.

»Passt dir doch ausgezeichnet«, riss sie Adassetts Stimme aus der Begutachtung und Nanouk zuckte zusammen.

»Ich wünschte, ich hätte meine Fellstrumpfhose«, murrte sie und zog das Wams um ihre Schenkel enger.

»Du kannst gerne auch eine meiner Hosen haben, aber ich fürchte, dann wirst du keinen Schritt mehr gehen können, sondern bloß der Länge nach aufschlagen.«

»Unbeweglich, ha«, gab Nanouk zurück und rümpfte die Nase. »So gefallen dir die Damen doch sowieso am besten.«

Adassett grinste schelmisch und überließ Nanouk das Badezimmer, auch wenn sie nicht mehr tat, als sich rasch die Mühen der Reise ab zu waschen.

»Gelegentlich ist es aber schöner«, hörte sie Adassett über das Plätschern des Wassers hinweg, »wenn ich unbeweglich auf dem Rücken entspannen darf.«

Nanouk verschluckte sich an einem Schwall Wasser, das sie sich gerade ins Gesicht spritzte und spuckte hustend und keuchend ins Waschbecken aus. Adassetts Antwort war bloß überschwängliches Lachen.

Als Nanouk zurück ins Zimmer trat, erkannte sie Adassett, der sich bereits einen Polster aus dem Bett genommen hatte. Sie starrte ihn für einige Momente verwirrt an und versuchte zu erschließen, was es war, das er dort tat, als er ihren irritierten Blick bemerkte und inne hielt.

»Möchtest du auf dem Boden schlafen?«, fragte er amüsiert und Nanouk blickte zum Kamin hinüber, der zwar brannte, doch nicht notwendig war, da es in der gut isolierten Burg ohnehin viel wärmer war als in den Garnisonen im Zittergebirge.

Nanouk schüttelte leicht den Kopf und verschränkte nervös ihre Finger. »Lass es. Leg dich einfach ins Bett«, murmelte sie und vermied es ihn dabei anzusehen.

Adassett sagte nichts darauf, doch legte den Polster zögerlich zurück. Nanouk wandte sich ab und löschte mit brennenden Wangen die Kerzen an den Wänden, bis das schummrige Kaminfeuer alles in ein warmes Zwielicht tauchte.

»Du weißt, dass mein Kreuz kein Problem damit hat«, sagte er dann jedoch in der Dunkelheit und Nanouk hob sachte die Schultern, als sie sich unter die warme Daunendecke schob.

»Darum geht es nicht«, stritt sie vorsichtig ab und blickte an den Baldachin des Himmelbettes. Er war in tiefem Blau gehalten und die Stickereien auf dem schweren Stoff schimmerten im schwachen Schein des Feuers wie kleine Sterne am Nachthimmel.

Adassett ließ sich neben sie sinken und drehte sich zu ihr um, sodass ihm Nanouk einen Seitenblick zu warf.

»Du musst mir nichts mehr beweisen«, sagte sie daher mit sanftem Nachdruck und war froh, dass es so dunkel war.

Adassett schnaubte ein müdes Lachen. »Möchtest du mir dann verraten, weshalb du mich unbedingt strafen wolltest, auf dem Fest?«, fragte er dann amüsiert und Nanouks Herz hüpfte ihr augenblicklich in den Hals.

Sie wandte ihm den Kopf zu, auch wenn sie gerade einmal die Konturen seines Körpers erkennen konnte. »Es war keine Strafe«, sagte sie schließlich. »Ich war bloß ... neugierig.«

Adassett sagte eine Weile nichts darauf, doch dann rollte seine tiefe Stimme durch den schmalen Spalt zwischen ihnen. »Und? Konntest du deine Neugierde stillen?«

Nanouk biss sich auf die Unterlippe und versuchte ihr heftig pochendes Herz zu beruhigen. Was sollte sie denn nun sagen? Sie war es nicht, doch Adassett war ... Adassett. Sie schluckte einmal heftig und dachte dann an die letzten turbulenten Wochen zurück, in denen sie stets um ihr eigenes Ende gebangt hatte.

»Nein«, wisperte sie schließlich und blickte Adassett ins Gesicht. »Ich bin immer noch fasziniert davon, was dich zum Wanken bringt, wenn nicht die Last unzähliger Fehlschläge.«

Adassett lachte sein unterdrücktes, abgehacktes Lachen und brachte das Bett damit zum Erzittern. Nanouk konnte sich daran gewöhnen. »Autsch. Das ging unter die Gürtellinie.«

Nanouk schmunzelte, weil sie zum Lachen keine Luft fand und zog schließlich ihren Arm unter der Decke hervor. Sie zögerte kurz, als sie ihre Hand vorsichtig zu Adassett schob und wenige Zentimeter über seiner Schulter inne hielt.

Das hier war eine äußerst unkluge Idee. Vielleicht richtig, doch unklug. Nanouk spürte ihr flatterndes Herz gegen ihren Brustkorb hämmern, wie es versuchte ihr gesunden Menschenverstand einzuschärfen. Das war, was ihr Verstand diktierte, nicht ihr Herz. Doch sie hatte sich immer gewundert, warum es diese Dichotomie gab, weshalb stets davon gesprochen wurde, dass Liebe von Herzen kam und der Verstand diesem wunderschönen Gefühl im Weg sei. Dabei oblag es bloß dem Verstand, sich für diesen waghalsigen Schritt zu entscheiden. Denn was vermochte von tieferer Liebe zu zeugen, als der bewusste Entschluss dazu?

Nanouk schloss die Augen und legte ihm die Hand federleicht auf die Schulter. Er hielt ganz still, als sie diese vorsichtig, wie auf dem Fest zuvor schon, über seinen kräftigen Nacken gleiten ließ und ihre Finger sanft in seine Haare schob. Sie konnte seinen Atem hören, der zuerst stockte, doch langsam zu einem gleichmäßigen, entspannten Rhythmus wechselte und diesen schließlich auch auf ihrem Haupt fühlen, als sie sich ein Stück näher zu ihm schob.

Adassett bewegte sich nicht, als sie ihm wieder und wieder sachte durch die Haare fuhr und sich wunderte, ob oder wann er das letzte Mal überhaupt so berührt worden war. Sie schluckte, als ihr zwar der Arm schwer, doch das Herz leicht wurde. Vielleicht verdienten sie beide diese sanfte Ruhe und Nanouk schlief daraufhin auch bald ein, das erste Mal ohne jeglichen bösen Traum.


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