⫷ Kapitel 42: Adassetts Bürde ⫸
Nanouk schluckte befangen und wich zurück, als Adassett aufstand und das blutige Tuch fahrig in der Wanne auswusch.
»Wie sind deine Eltern ums Leben gekommen?«, fragte sie beinahe atemlos und Adassett wurde mit einem Mal ganz still.
Seine Schultern spannten sich an und Nanouk erkannte, wie sich sein Brustkorb hektisch hob und senkte.
»Du musst nicht antworten, wenn-«
»Nao wurde paranoid«, fiel er ihr ins Wort und Nanouk zuckte aufgrund der Schärfe in seiner Stimme zusammen. »Nachdem die Dunkelheit, welche wir an seinen Geist gebunden hatten, langsam begann seinen Verstand zu verpesten, wurde Nao ziemlich paranoid. Und als dann sein Vater im Krankenbett verstarb, man ihn mit siebzehn zum König krönte – ein Wandel, den wir nicht beabsichtigt haben – verfiel er dem gebannten Geist immer mehr.«
Nanouk beschlich ein ungutes Gefühl, welches sich langsam von ihrem Herzen bis in ihren Verstand ausbreitete. Sie ahnte das Ende dieser Geschichte bereits und weigerte sich dennoch mit Inbrunst, es zu erkennen.
»Er ließ zuerst Imona hinrichten, die Medizinerin, welche sich um den Zustand seines Vaters hätte kümmern sollen. Ich kannte sie aus dem Dorf, in dem ich aufgewachsen bin. Sie wurde von vielen eine Wunderheilerin genannt und für einen Moment hatte ich die Hoffnung ihr Sohn könnte helfen.«
Nanouk spürte ihr eigenes Herz heftig auf und ab hüpfen. Hatte nicht Nauju davon gesprochen, dass er einst seine selbstauferlegte Pflicht Naos Vater helfen zu können nicht erfüllt hatte? Doch das wäre ungeheuerlich.
»Nao dachte, Imona hätte seinen Vater vergiftet?«, fragte sie vorsichtig nach und Adassett schnaubte ein kaltes, leeres Lachen ohne jegliche Freude.
»Und nicht nur das. Er sah Verrat in seiner Leibgarde, verdächtigte sämtliche Wachen an seines Vaters Bett und verurteilte in seinem erbitterten Wahn jeden einzelnen von ihnen zum Tode.«
Nanouk schüttelte den Kopf. »Jemand muss ihn doch aufgehalten haben.«
Adassett kniff die Lippen zusammen und wischte sich über das frische Blut, welches hervor sickerte. Er legte den Kopf in den Nacken und umklammerte seinen linken Unterarm mit solch einer Vehemenz, dass die Muskeln unter seiner Haut wie Drahtseile hervorstachen.
»Sicher. Ich habe ihn angefleht, es nicht zu tun. Einhalt zu gebieten und Vernunft walten zu lassen. Mein Vater und seiner waren gut befreundet, es gab keinen Grund, weswegen er ihn verraten hätte sollen. Unglaublicher Weise hat er Einsicht gezeigt.« Das kalte Lächeln auf seinem Gesicht verwandelte ihn in den wilden, gnadenlosen Henker, vor dem Nanouk sich bis jetzt fürchtete. Die Anspannung in ihren Schultern wollte nicht weichen und sie selbst fühlte sich durch die sich entfaltende Geschichte wie gelähmt.
»Da ich nicht wollte, dass er meinen Vater hinrichtet«, fuhr Adassett fort und ballte seine Linke zur Faust, »befahl er Reiki es zu tun. Und Reiki ... ich werde seinen Blick niemals vergessen, als er mich ansah und verurteilte dafür, dass ich ihn durch mein Weigern dazu zwang ein Leben zu nehmen. Nao war nicht entgangen, was es gewesen war, das ich für Reiki empfunden habe, wie nahe wir uns standen und er wusste, was dieser Akt des Grauens anrichten würde.«
»Nein«, widersprach Nanouk so entschlossen, dass sie selbst vor ihrem harschen Tonfall zurückschreckte. »Er würde nicht-«
»Natürlich hat er«, fuhr Adassett ihr ins Wort und das Zittern in seinem Arm wurde so heftig, dass er einen wütenden Fluch ausstieß und schließlich vom Wannenrand aufstand.
Nanouk zuckte zusammen, als er vor der Wanne auf die Knie fiel und mit sich selbst rang. Er kämpfte gegen den Drang, sich die erdrückende Last der Schuld von den Händen zu waschen, welche er so gründlich im Blut unzähliger Menschen gebadet hatte, dass Nanouk sich sicher war, er sähe das Urteil ihrer Seelen als rostrote Fesseln auf seiner Haut.
Nanouks Herz drohte ihr aus der Brust zu springen, als sie sich zwang ihre erstarrten Beine zu bewegen und zu ihm zu gehen. »Deine Mutter ...«, wisperte Nanouk und kam neben ihm zum Stehen.
Adassetts Finger krallten sich in das Holz der Wanne, bis seine Knöchel weiß hervortraten und Nanouk Angst bekam, er würde sie zerbrechen. »Da sie seine Ehefrau war, machte sie das ebenfalls zur Verräterin.«
»Hat ... hat Nao ...?«
»Oh nein«, knurrte Adassett und ließ seine Stirn heftig auf den Wannenrand schlagen. »Nein, Nao hat sie nicht angefasst.«
Der gequälte Ausdruck auf Adassetts Gesicht, welchen sie für den Bruchteil einer Sekunde erhaschen konnte, grub sich tief in ihr Herz.
»Ich konnte es Reiki nicht aufbürden«, erklärte Adassett und ballte die Hand neben seiner Stirn zur Faust.
»Du-«
»Ich«, schnappte Adassett und er hieb so fest auf den Wannenrand, dass Nanouk mit einem erschrockenen Keuchen zusammen zuckte. »Ich habe sie umgebracht, ihr den Kopf glatt von den Schultern getrennt, weil Reiki es nicht konnte.«
Nanouk legte sich ihre bebenden Finger an die Lippen und schluckte. Mit einem Mal ergab Adassetts Loslassen einen Sinn. Weshalb er sich in blinder Wut und Verzweiflung einreden musste, dass das, was er getan hatte, gerecht war. Warum er die Wahrheit hinter der Ermordung unzähliger Menschen als einzigen Weg hinnahm. Weil ihn die erdrückende, grauenvolle Schuld seine eigene Mutter töten zu müssen andernfalls um den Verstand gebracht hätte.
Nanouk konnte ein leises Aufschluchzen nicht unterdrücken, doch Adassett hob bloß seinen Kopf und schlug ihn wieder gegen den Wannenrand, ließ ihn in schierem Widerwillen dem gegenüber, was er nun zu sagen wagte, hin und her rollen. Als fräßen ihn die Schmerzen in seinem Inneren auf, wie ein Feuer, das sich über trockenes Buschland wälzte.
»Und Naos Lächeln? Naos liebevolles, dankbares Lächeln, als er mir damals die Hand aufs Haupt legte und gut gemacht sagte. Es lässt mich nicht los und verfolgt mich bis in meine Träume.«
Nanouk biss die Zähne fest zusammen, um das kalte Entsetzen nicht nach außen dringen zu lassen. Sie ließ sich neben Adassett auf die Knie sinken und packte seine Schulter vorsichtig, darauf bedacht bei der kleinsten, aggressiven Bewegung wieder auf zu springen. »Hör auf. Tu dir das nicht an.«
Ihre Stimme war mit einem Mal ruhig, ohne Hast und ohne Urteil. Sie verstand, was es war, wofür er sich auseinander riss, was in jeder wachen Minute an seiner Fassung zerrte und ihn drohte in einen niemals endenden Sog abwärts zu drücken.
Sie musste sich an die Hinrichtung erinnern, als Nao von ihm verlangt hatte nieder zu knien, wie er ihm die Hand aufs blutverschmierte Haupt gelegt hatte und auch in diesem Moment gut gemacht sagte. Nanouks Welt blieb für einige grauenvolle Sekunden lang stehen, als Adassett nach hinten auf seine Fersen sank.
»Jedes Mal?«
Adassett zuckte nur mit dem Kopf und ließ seine Hände in den Schoß fallen. »Während ich ihren Körper in den Armen hielt«, sagte er mit zusammen gekniffenen Augen, »ihr warmes Blut durch mein Wams drang und in meine Stiefel sickerte. Während sich ihr Leben in klebriger Endgültigkeit über meine Arme ergossen hat, hat Nao mir für diesen Dienst gedankt.«
Seine Stimme war von Trauer so rau, dass Nanouk die Luft anhielt, um ihn zu verstehen. Sie betrachtete ihn sprachlos, als sein Kopf zwischen seine Schultern sank und ihre Hand von dieser rutschte. Wie war es ihm überhaupt möglich nicht jede wache Sekunde diesem zerstörerischen Hass nachzueifern? Wie schaffte er es seine Wut nach innen und nicht nach außen zu richten? Das erste, was sie damals in Aalsung getan hatte, war voller Zorn loszustürmen, um ihr eigenes Leben bei dem Versuch zu beenden, das anderer zu retten. Doch völlig kurzsichtig und unbesonnen.
Adassett hob seine rechte Hand und vergrub sein Gesicht darin, als ein einziges, verzweifeltes, tonloses Schluchzen seine kräftigen Schultern beben ließ.
Nanouk streckte vorsichtig ihren Arm aus und berührte den Handrücken seiner linken Hand mit den Fingerspitzen. Das Zittern lief durch seine Muskeln, doch Nanouk vergewisserte sich bloß, ob er zurückwich, ehe sie seine Hand in die ihre nahm und auf ihren Schoß zog.
»Ich kenne die Worte nicht«, fing sie leise an zu sprechen, als sie ihren Blick gesenkt hielt und die verkrampfte Faust seiner Hand langsam doch bestimmend löste, »die in solch einer Situation angebracht wären. Ich denke, es gibt solche Worte nicht.«
Sie öffnete seine Hand und drückte ihre bebende Handfläche auf die seine. Sie war lächerlich zierlich im Vergleich zu seiner, er besaß so viel Muskelkraft, so viel Gewaltpotenzial und dennoch richtete er es nicht gegen jene, die zu verschonen er vermochte. Adassett rührte sich nicht, schien nicht einmal zu atmen und sie selbst wagte es nicht, den Kopf zu heben.
»Aber ich verstehe deine Schuld sehr gut. Es ist keine Entschuldigung dafür, was du tust, was hier oben geschieht«, sagte sie leise und strich mit der Rückseite ihrer Knöchel über seine Finger. »Aber es ist eine Erklärung. Ich weiß nicht, wie es ist, täglich mit dem Gefühl aufzuwachen, dass man den Weg, den man eingeschlagen hat, bereut. Ich kenne nur den Stillstand, das Vergessen und das Verdrängen und ich weiß nicht, welcher Weg der klügste ist. Doch ein weiser Mann hat einmal zu mir gesagt«, sie ließ ihre zittrigen Finger zwischen seine gleiten und drückte sanft zu, »Es ist äußerst unklug, aus Furcht heraus zu handeln und ebenso töricht sich von Dingen abzuwenden, alleine aus dem Grund, weil eine Zuwendung bedeutet, sich seinen Dämonen zu stellen. Und bei allem was es noch Heiliges gibt in dieser Welt, stellst du dich jedem einzelnen, Tag für Tag.«
Nanouk hob endlich den Kopf und begegnete Adassetts Blick mit einem matten Lächeln. Zu ihrer Überraschung war er selbst ruhig geworden, der verzweifelte Sturm hinter seinen Augen war erloschen und schließlich hob sich sogar sein Mundwinkel für einige Millimeter.
»Kamu, richtig?«
Nanouk konnte ihr breites Lächeln nicht ganz verbergen und nickte. »Irgendwie hat er es geschafft.«
»Das tut er immer.«
Nanouk war seltsam erleichtert, dass er sich wieder gefangen hatte, dass er auf ihr Einschreiten angesprochen und nicht in blinder Wut die Hand gegen sie erhoben hatte, wie sie es doch irgendwo immer noch fürchtete. Adassett war gegen all seine Vergehen ein Mann, der seine Grenzen kannte und diese auch klar von denen seiner Mitmenschen unterscheiden konnte. Sie wusste nicht, ob er in Gegenwart seiner Soldaten, in Gegenwart von Kamu anders reagiert hätte, als bei ihr, doch sie verstand mittlerweile auch, dass er aus genau diesem Grund seine Aufgabe in unvereinbarer Bitterkeit von dem Mann trennte, der er ihr oder Kamu gegenüber war.
Sie ließ ihren Blick wieder auf ihre verschränkten Finger fallen und biss sich dann fest auf die Lippen. Adassett hatte sich unter ihrer Berührung nicht bewegt und sie selbst beinahe die Zeit aus den Augen verloren, wie lange sie seine Hand bereits hielt. Peinlich berührt zog sie die ihre zurück und stand sich an der Wanne stützend schließlich auf.
»Danke, dass du mir derartig vertraust«, sagte sie dann und fing an, ihr Frisur zu lösen. Ausnahmsweise hatte man ihr bloß ein schlichtes Haarnetz mitgegeben, da man der durchaus verständlichen Ansicht war, dass sie keinerlei Bedarf für Eleganz haben würde.
Sie kämmte sich mit den Fingern durch die Strähnen und blickte sich von einer plötzlichen Müdigkeit überwältigt nach dem Bett um. Sie konnte sich den Polster neben den Kamin legen und eines der Handtücher als Decke benutzen.
»Danke, dass du mir vertraust«, entgegnete Adassett und war ebenfalls aufgestanden. Er sah auf seine Hände und als er ihren Blick bemerkte, fuhr er sich durch die zerzausten Haare.
»Wir sind beide ganz toll«, beeilte sich Nanouk zu sagen und blinzelte in seine Richtung. Als sie dann hinüber zum Bett ging und nach dem Polster griff, hob Adassett eine Braue.
»Du willst doch nicht allen Ernstes auf dem Boden schlafen.«
Nanouk warf ihm einen verklemmten Blick zu und versuchte zu lächeln, doch scheiterte. »Ich lege mich nicht ins Bett.«
Adassett sah sie für einige stille Momente bloß an. »Dann schlafe ich auf dem Boden. Irgendwie muss ich meine Ehre schließlich wieder herstellen.«
Nanouk schnaubte und knetete den Polster fest zwischen den Händen. »Dein vornehmes Prinzenkreuz könnte doch niemals mit den unwirtlichen Umständen eines räudigen Schneebärenfells haushalten. Und ich will mir morgen dein Gejammer wegen eines beleidigten Steißbeins nicht anhören müssen.«
Daraufhin blitze ein verschlagenes und amüsiertes Funkeln in seinen Augen auf, das Nanouk aus unerwünschten Gründen das Herz in den Hals hüpfen ließ.
»Vertrau mir. Ich habe kein Problem damit, mich auf räudigen Fellen zu wälzen.«
Nanouk öffnete den Mund zu einem empörten Laut. »Pah!«
»Wenn du willst, kann ich dir dahingehend gerne unter die Arme greifen.«
»Untersteh dich!« Nanouk schleuderte den Polster nach ihm und spürte eine beschämende Hitze auf den Wangen, welche sie vehement ihrer Nähe zum Kamin zuschrieb.
Adassett fing den Polster lachend ab und obwohl sie entrüstet war, konnte Nanouk dennoch eine gewisse Dankbarkeit dafür verspüren, dass seine drückende Laune verschwunden war.
»Ehrlich«, sagte er dann. »Leg dich ins Bett. Dein Bein würde es dir heimzahlen, wenn du auf dem Boden schläfst.«
Nanouk ließ sich schließlich widerstrebend auf dem Bett nieder, nachdem sich Adassett seinen Polster und kurzerhand einen der Wollteppiche von der Wand genommen und es sich vor dem Kamin bequem gemacht hatte.
In der aufkommenden Stille der Nacht konnte Nanouk kein Auge zu tun. Ihr ging Adassetts gequältes Gesicht nicht aus dem Kopf, erschauderte alleine bei der Vorstellung dessen, was er getan hatte und fühlte sich in gleichen Maßen schuldig, dass sie ihn nun auch noch Aufgrund ihrer Vorbehalte auf den Boden verbannt hatte.
Doch er klagte nicht und Nanouk war mehrmals versucht, ihn anzusprechen und das Bett zu teilen, doch sie lag wie erstarrt unter der Decke und blickte in die Dunkelheit, als das Kaminfeuer langsam herunterbrannte.
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Ein festes Klopfen riss Nanouk aus dem Schlaf. Schweißgebadet trat sie noch nach den Ungeheuern ihrer Träume, welche in dunkles Blut getaucht das Ende ihres Bruders erzählten. Doch anstatt, dass Adassett das Beil führte, welches Imiaqs Kopf von den Schultern trennte, so wie es Saghanis Bruder ergangen war, war es ihre eigene Hand, welche den Streich vollführte.
Sie fasste sich an die Brust, in welcher ihr heftig hämmerndes Herz schlug und zuckte erneut zusammen, als das Klopfen ein weiteres Mal ertönte. Hektisch blickte sie sich nach Adassett um, der nun ebenfalls langsam erwachte.
Das Sonnenlicht drang durch die kleinen Fenster und Nanouk fuhr sich über das schweißbenetzte Gesicht. Adassett richtete sich mit verzogenen Augenbrauen auf und rieb sich den Kopf. Nanouk unterdrückte ein Grinsen, doch wandte rasch den Blick ab, als er sich durch die Haare fuhr und zu ihr sah. Es war eine Sache, seine berückende Müdigkeit zu bemerken, doch etwas völlig anderes, seine nackten Arme zu betrachten. Und nicht auf das Muskelspiel unter den schwarzen Linien zu achten.
»Das ist der Wirtschafter«, sagte Adassett, als das Klopfen ein letztes Mal, doch etwas zaghafter erklang. »Er bringt wohl Frühstück. Keine Sorge, er wird wieder gehen, wenn ich ihn nicht einlasse.«
Nanouk nickte und bemühte sich den Schlaf aus den Augen zu reiben. »Wird er nicht denken, dir wäre etwas zugestoßen?«
Adassetts Gesicht wurde daraufhin von einem belustigten Lächeln erhellt. »Nein. Er würde bloß meinen Genuss nicht stören wollen.«
Nanouk kniff die Lippen zusammen und schob sich energisch aus dem Bett. »Gut, denn ich hab keine Lust, mein Frühstück mit den anderen teilen zu müssen.«
Adassett lachte und holte das reich beladene Tablett ins Zimmer. Er stellte es auf den kleinen Tisch und machte sich dann daran, den Kamin erneut zu entzünden, um ein wenig Wasser zu erwärmen.
Nanouk saß indes mit dem Rücken zu ihm und versuchte sich nicht davon einnehmen zu lassen, dass er all diese Umstände nach wie vor nur ihretwegen in Kauf nahm. Er könnte sich bedienen und verwöhnen lassen, ein Bad nehmen, wann immer ihm beliebte und sich all die amüsante Gesellschaft gönnen, die ihm zustand. Stattdessen kniete er in der kalten Asche und schürte die Flammen selbst, während sie aß.
Entschlossen stand sie auf und nahm Adassett den Reisig aus der Hand. »Ich mache das«, murmelte sie und versuchte zu ignorieren, dass er sich wie üblich bloß den schwarzen Stoffmantel über seinen nackten Oberkörper geworfen hatte, als würde ihm niemals kalt sein. »Iss ruhig.«
Adassett ließ sich auf die Ferse sinken und stützte seinen Unterarm aufs angewinkelte Knie. »Du musst hier nichts wiedergutmachen. Oder für etwas aufkommen, das du nicht verpflichtet bist zu geben.«
Nanouk wischte die kalte Asche in die kleine Metalllade neben dem Kamin und schlichtete den Reisig hinter das Eisengitter. »Darum geht es nicht«, stritt sie leise ab und füllte die Zwischenräume mit Holzwolle.
Adassett sah nicht so aus, als kaufte er ihr dies ab, doch ließ sie gewähren und setzte sich an den Tisch.
»Was mich interessiert«, versuchte Nanouk schließlich die unangenehme Stille zu brechen, »wie sieht der Plan nun aus? Es ist bestimmt kein Spaziergang eine Waffe in Naos Gemächer zu schmuggeln.«
»Nein«, gestand Adassett nach kurzem Zögern. »Doch einfacher, wenn sein Hof samt Reiki abgelenkt ist. Du erinnerst dich, dass ich dir von einer Alternative erzählt habe?«
Nanouk nickte und nahm den Feuerstein samt Schlageisen vom Kaminsims.
»Der Akhlut ist nur eines der düsteren Geister, welche das Zittergebirge durchstreifen. Die Urahnen sinnen ebenfalls nach Rache und übersehen vielleicht dabei, dass sie sich in ihrer Wut verwundbar machen. Es mag Ijiraq geben«, fuhr Adassett fort und Nanouk warf ihm einen Blick über die Schulter zu.
»Doch sein Volk ist ebenfalls dort draußen, stets auf der Suche nach demjenigen, der das Gleichgewicht der Welt angreift. Die Tariaksuk.«
Nanouks Herz machte einen Satz. »Ich dachte, das wären nur Geschichten so wie-«
»Ijiraq?«, fragte Adassett mit einem halben Grinsen und Nanouk schloss ihren Mund.
»Nein, Nanouk, die Schattenmenschen sind ebenso real wie Ijiraq es ist. Und sie sind wütend.«
»Dass ihnen Ijiraq gestohlen wurde?«
Nanouk huschte ein unangenehmer Schauer über den Rücken, als sie an die Geschichte der Tariaksuk dachte. An die Gemeinschaft der Schattenmenschen, welche angeblich parallel zu den Lebenden existieren. Eine gespiegelte, dunkle Welt, die jedoch in ihrer Beschaffenheit ebenso bedeutungsvoll war, wie die ihre. Ijiraq war ein böser Geist, der als Losgelöster den Menschen zur Plage wurde, mächtig und heimtückisch. Nicht so wie Reiki, stellte Nanouk mit einem Schlucken fest. Reiki war sogar, wenn sie so weit gehen wollte, freundlich. Hilfsbereit, kummervoll.
Sie wunderte sich, ob die Tariaksuk gar die Geister hinter den Sternen waren, welche auf ihren Übertritt in die Welt der Ewigen warteten. Paka war der Ewige, welche dafür sorgte, dass sie die Überfahrt entlang der Nordlichter antreten konnten, doch er war stets so beschäftigt, dass sich die Tariaksuk während ihrer langen Wartezeiten begonnen hatten Häuser zu bauen.
»Es ist ein wenig beunruhigend«, murmelte Nanouk schließlich und drehte das Schlageisen in den Händen. »Mit einem Mal verstehen zu müssen, dass man niemals so alleine war, wie gedacht. Dass stets eine formlose Silhouette aus den Augenwinkeln jeden meiner Schritte verfolgt. Ich habe mich immer unbehaglich gefühlt«, murmelte sie. »Wenn ich im Südwald auf der Jagd war, oder nach den Fallen gesehen habe. Stets war da diese dumpfe Furcht, beobachtet zu werden. Und ich wundere mich, ob das die Tariaksuk waren. Die vielleicht darauf gehofft hatten, dass ich ihnen helfe.«
Adassett warf ihr einen Blick zu, den sie mit leichtem Unbehagen erwiderte. »Ich finde, es ist ein tröstlicher Gedanke. Nicht alleine zu sein, selbst in den düstersten Augenblicken einer Existenz. Und du hättest ihnen geholfen, wenn du es gekonnt hättest.«
Nanouk lächelte halbherzig und wandte sich zurück zum Kamin, um das Feuer zu entzünden. »Nicht, wenn die Tariaksuk wütend sind«, murmelte sie.
»Doch ihre Wut ist es, was uns helfen wird.«
Nanouk wandte sich zu Adassett um und starrte ihn ungläubig an. »Was?«
»Nanouk, die Tariaksuk sind mächtige Geister, die sich ebenso von Naos Werk betrogen fühlen, wie die Urahnen. Alleine seinetwegen sind die Straßen zu den Ewigen versperrt, nichts und niemand kommt mehr vom Fleck. Die Ewigen sind gefangen in ihrem Reich hinter den Sternen und die Geister der Verstorbenen warten vergebens auf Paka, der ihre Seelen in den Frieden führt.«
»Aber die Nordlichter«, fing Nanouk mit wachsendem Unbehagen an, »sie sind doch die Straßen zu den Ewigen und die gibt es noch.«
Adassett schüttelte einmal kurz den Kopf. »Sie sind die Wegweiser, nicht der Weg selbst. Kein Geist kann die Straße betreten, wenn Paka sie nicht führt. Sie sind schließlich nur noch Geister, Schatten ihrer früheren Leben. Im Dunkeln.«
Nanouk fächelte dem Feuer ein wenig Luft zu und drehte sich dann wieder zu Adassett um. »Also ist das euer geheimer Plan? Ihr wollt mit den Tariaksuk den Palast stürmen?«
Adassett schnaubte und schüttelte den Kopf. »Das wird kaum möglich sein. Sie können nicht durch den Schleier zwischen den Welten tauchen, nicht so, wie es Ijiraq kann.«
Der Blick, den Adassett ihr zuwarf, ließ Nanouk fest die Zähne zusammenbeißen.
»Aber wenn sie Ijiraq aufhalten, während er durch das Zittergebirge streift, dann haben wir eine Möglichkeit selbst zur Tat zu schreiten.«
»Ich dachte, Reiki weicht niemals von Naos Seite.«
Doch daraufhin runzelte Adassett nur die Stirn und rieb sich über die Narbe. »Nao sucht seit Jahren nach dem mächtigsten Diener, den er finden kann.«
»Ich dachte, Ijiraq wäre der mächtigste Geist.«
Adassett stieß ein einzelnes, gedrücktes Lachen aus. »Nein. Es gibt ein Wesen, das mächtiger ist, als alles, mächtiger als Nao selbst.«
Nanouk starrte Adassett entgeistert an. »Wer? Und wie finden wir diesen?«
Doch Adassetts Lächeln erstarb und ein trauriger Ausdruck machte sich auf seinen Zügen breit. »Weißt du es denn nicht? Der einzige, der die Lebenden zu Lebenden macht, ihnen den ersten Atemzug einhaucht und den Funken jenseits der Sterne schenkt.«
Nanouks Augen wurden groß, als ihr selbst der Atem stockte. »Du kannst unmöglich ...«
»Sina-wa'siulliq«, nickte Adassett und fuhr sich über das stoppelige Kinn. »Nao sucht ihn, schickt Reiki bis in die tiefsten Winkel des Zittergebirges, um jenes Bindeglied zu finden, mit welchem ihm jegliches Leben Untertan wäre. Doch es gelingt ihm nicht.«
Nanouk wagte kaum aufzuatmen, denn das, was Adassett soeben implizierte, war schockierender, als Naos momentaner Machtmissbrauch. Sollte es ihm je gelingen Sina-was Boten an sich zu ketten, gäbe es keinerlei Hoffnung mehr.
»Es wundert mich nicht«, fuhr Adassett nachdenklich fort und schob sein beendetes Frühstück von sich fort. »Dass Reiki ihn nicht finden kann.«
»Weshalb?«
Auf Adassetts Gesicht erschien ein halbes Lächeln. »Sina-wa'siulliq ist die Verbindung zum Leben selbst. Wie kannst du dich an jemanden heranschleichen, der durch sämtliches Leben fließt, seine Magie in jeden Winkel dieser Welt streckt und so allgegenwärtig ist, wie dein Atem selbst?«
Nanouk ließ die angehaltene Luft langsam ausströmen. Das klang einleuchtend. Doch machte es die Angelegenheit nicht weniger gefährlich. Sie mussten sich also auf ein Volk verlassen, das bloß aus flüchtigen Schatten bestand, um Reiki lange genug zu binden, damit Adassett angreifen und sie selbst Nao töten konnte.
»Wer war Reiki, bevor er zu Naos Diener wurde?« Sie musste an die Eigenheit seines Mantels zurück denken, an die Kraft und die Wärme, welche durch ihre Knochen geflossen war. Doch ihr war kein Ewiger unter diesem Namen vertraut. Und Reiki war Ijiraq, er war kein Bote der Ewigen, er war ein böser Geist, Teil der Tariaksuk.
Adassett legte den Kopf schief, als verstünde er nicht, was sie erfragte, also holte Nanouk ein wenig weiter aus.
»Als er mich rettete, gab er mir seinen Mantel. Ein Mantel wie der deine, der eines jeden von Naos Getreuen. Wem hat er diesen gestohlen?«
Daraufhin runzelten sich Adassetts Brauen ein wenig und er stand auf. »Reiki hat keinen Mantel, nicht so einen, wie ich oder Saghani.«
Nanouk öffnete den Mund für Widerworte, doch schwieg, da ihr immer noch nicht geheuer war, über Reikis Rolle jenseits dieser erdrückenden Mauern zu sprechen. Adassett beendete das Gespräch und musste sich dann auch schon fertig machen. Man erwartete seine Führung unten und Nanouk folgte ihm gedankenversunken.
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