⫷ Kapitel 29: Der Preis eines Lebens ... ⫸

Nanouk schaffte es irgendwie, sich zurück auf das Liegesofa zu schleppen und die gähnende Leere in ihrem Magen vorsichtig mit dem Rest des Wassers zu tilgen. In kleinen Schlucken nippte sie an dem Glas und versuchte ihre zitternden Hände zu beruhigen. Sie konnte das durchstehen.

Wie hatte Adassett überhaupt gemerkt, dass sie die Glyphe auf den Halswirbeln trug? Als er ihr den Schmuck aus den Haaren gezogen hatte? Nanouk schluckte und stand auf wackeligen Beinen auf, um zu der Kommode neben der Türe zu gehen. Es war alles da, so wie er versprochen hatte und Nanouk stellte das leere Glas daneben.

Adassett. Er hatte ihr ein Angebot unterbreitet, wollte sie zu den Kindern führen, von denen er behauptet hatte, sie erfrieren zu lassen wäre eine Gnade. Vielleicht, aber nur vielleicht, hatte er diese Aussage damals in Aalsung gar nicht im Vergleich zu ihrer aller früherer Leben gemeint, sondern weil er sich bewusst war, was es hieß am Palast zu enden. Es war eine Gnade im Gebirge zu sterben und nicht hier oben zur Belustigung des Adels hingerichtet zu werden.

Darauf musste sie sich konzentrieren. Ganz gleich, wie wahnwitzig auch nur der bloße Gedanke daran war, sich auf ihn einzulassen, hatte er behauptet, sie zu den Kindern bringen zu können. Er wusste, wo sie sich befanden und ... vielleicht brachte sie das einen Schritt näher an ihr eigenes Ziel. Oder er spielte mit ihr.

Ein scharfes Klopfen riss sie aus den Gedanken und ohne auf einen Antwort zu warten öffnete sich eine der Flügeltüren zu Adassetts Gemach. Erschrocken fuhr Nanouk zusammen, doch entspannte sich, als sie Inja erblickte, die mit einem Mantel über dem Arm eintrat.

»Ich war mir nicht sicher, wann ich dich holen kommen sollte«, eröffnete sie ohne Begrüßung das Gespräch und drückte ihr den Mantel in die Arme. »Aber ich dachte, ich gebe ataha Adassett all die Zeit, die er braucht.«

Nanouk griff nach dem Mantel und verzog den Mund. »Langsam frage ich mich, was es ist, das dich immer wieder zu ataha Adassett zieht.«

Daraufhin wurde Inja leichenblass und ließ die Türklinke los. »Mach dich fertig. Die letzte Kutsche fährt bald und anaana Saghani will dich sprechen. Der Prinz ist längst auf die Jagd gegangen.«

Nanouk zog sich den Mantel über und fing an den Schmuck von der Kommode in ihre Taschen zu stecken.

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Die Kutschfahrt zurück nach Wallheim verlief schweigend. Inja und Nanouk wurden von einigen Nachzüglerinnen begleitet, die jedoch müde auf ihren Plätzen saßen und vor sich hin dösten. Auch Nanouk fielen die Augen zu, obwohl sie nach wie vor gegen die Erschütterung der vergangenen Stunden zu kämpfen hatte. Die Kopfschmerzen zeigten jedoch keine Gnade und so war sie ebenfalls froh über die stille Reise.

Sie wurden auf der Nordseite Wallheims neben den Dienstboteneingängen empfangen und anschließend in die Waschräume geführt. Bis auf Nanouk.

Ischka hielt sie mit einem strengen Blick davon ab, mit den andern Frauen zu gehen und deutete ihr zu folgen. Nanouk biss sich befangen auf die Lippen, humpelte aber hinter Ischka die Treppen hinauf, bis sie schnaufend im fünften Stock ankamen.

»Anaana Saghani möchte mir dir sprechen.«

Nanouk war zu stark außer Atem, um ein sarkastisches Kommentar zu erwidern, was vielleicht in Ischkas Gegenwart auch besser so war.

»Ich hoffe, du hast deine Pflicht zur Genüge erfüllt. Deinem Zustand nach zu urteilen ... dürfte ataha Adassett zumindest seinen Teil getan haben.«

Ischkas Blick wanderte an Nanouks zerknitterter Tunika, an den verrutschten Strümpfen und den zerzausten, offenen Haaren herab. Nanouk blieb zögerlich stehen. Ihr zerrupfter Zustand sprach wohl für sich und Nanouk war beinahe erleichtert, dass Adassett ihren Schmuck gelöst hatte.

Ischka wertete ihr erschrockenes Schweigen als Bestätigung und holte einmal tief Luft, ehe sie die Lippen zusammenkniff und sagte: »Nun. Es wird einfacher werden mit der Zeit.«

Dann klopfte sie an die Türen von Saghanis Gemächern.

Die breite Flügeltüre wurde von Maha geöffnet, die bloß in einen Morgenmantel gehüllt in den Flur spähte. Ungeschminkt und mit offenen Haaren war sie beinahe nicht wieder zu erkennen, doch ihr sanftes Lächeln, als sie zuerst den Kopf vor Ischka neigte und dann Nanouk einen freundlichen Blick zu warf, war das selbe, das Nanouk mittlerweile von ihr kannte. Demnach durfte ihre Verstimmung Aufgrund Sikus ebenfalls wieder verflogen sein.

»Wie schön, dass ihr hier seid! Anaana Saghani wartet schon auf dich, Nanouk. Danke, dass du sie her gebracht hast«, wandte sie sich an Ischka und die alte Dame seufzte.

»Selbstverständlich. Ich gehe davon aus, dass es mir obliegt das Fest zu organisieren?« Dabei warf sie einen raschen Blick über Mahas Schulter und diese nickte.

»Danke. Ich bin aber sofort bei dir und gehe dir zur Hand. Ich mache mich nur noch frisch.«

Ischka nickte und verabschiedete sich dann.

»Du siehst ziemlich fertig aus«, wandte sich Maha an Nanouk und öffnete die Türe ein Stück mehr, damit sie eintreten konnte. Nanouk folgte der Geste und nahm auf Mahas Handzeichen auf einem der Liegesofas um den niedrigen Holztisch Platz.

»Anaana Saghani kommt sofort. Sie hatte eine etwas ... anstrengende Nacht hinter sich und ich habe mich um sie gekümmert«, bot Maha ihr auf ein Mal eine Erklärung, die Nanouk nie erwartet hätte. Sie konnte sich nicht vorstellen, dass Saghani anstrengende Nächte haben könnte.

»Ist ihr nicht wohl?«

Maha seufzte und fing an zerwühlte Tagesdecken aufzusammeln. »Gelegentlich. Dann ist es gut, wenn sie jemanden hat, der über sie wacht.«

Nanouk wusste nicht, was sie darauf sagen sollte und Maha schien auch keine Antwort zu erwarten. »Sie wird gleich bei dir sein.«

Nanouk nickte und nutzte die Zeit, während der Maha durch eine weitere Türe verschwand, sich trotz allem ein wenig zurecht zu machen. Sie kämmte sich die Haare mit den Fingern und legte sie sich dann schützend über die Schulter, darauf bedacht das verräterische Symbol auf ihren Halswirbeln zu verdecken.

Das Quietschen eines Türscharniers kündigte die Herrin Wallheims an und Nanouks Herz hüpfte ihr gleich wieder in den Hals.

»Nanouk«, empfing sie Saghani schließlich mit einem Lächeln und hob die Hand, als sich Nanouk erheben wollte. Sie trug bloß einen samtenen Morgenmantel und ihre Haare flossen ihr frei über die Schultern. »Bleib ruhig sitzen, meine Blume. Das muss eine anstrengende Nacht für dich gewesen sein.«

Nanouk schluckte und betrachtete Saghani nun, da Maha ihre Erscheinung erwähnt hatte, eine Spur genauer. Sie war noch ungeschminkt, wirkte blass und ein wenig kränklich, wenn man denn darauf acht gab. Vielleicht konnte man die Augenringe einer durchwachten Nacht an den Schatten über ihrer Wangenknochen erkennen, oder aber dies war nur ein Artefakt des schummrigen Lichts und des Räucherwerks, welches stet in feinen, weißen Schlieren durch den Raum zog.

»Erzähl mir, wie geht es dir? Wie hat Adassett reagiert?«

Nanouk schlug die Augen nieder in einer, was sie hoffte, beschämten Geste und nicht, weil sie erneut plante, Saghani zu belügen. »Mir geht es ... entsprechend. Ataha Adassett hat mir den gesamten Abend hindurch Wein eingeflößt, daher verzeiht, wenn ich mich nicht an jedes Detail erinnere, doch ... in den Morgenstunden machte er mir klar, dass er mich erneut kaufen würde.«

Sie hörte Saghani seufzen. »Das sind doch aber fantastische Neuigkeiten.« Hier gingen ihre Meinungen eindeutig auseinander. »Nauju hatte tatsächlich Recht. Deine Wildheit dürfte es ihm wirklich angetan haben.«

Nanouk presste die Lippen zusammen und musste wieder daran denken, wie sehr sie hier in Wallheim ins Auge stach. Wilde.

»Na komm, freu dich«, forderte sie Saghani schließlich mit einem verschwörerischen Lächeln auf. »Weißt du eigentlich, wie selten es vor kommt, dass Adassett sich eine Kurtisane zwei Mal gönnt? Seine Schale zu knacken versuche ich nun schon seit einigen Jahren, doch dieser Barbar scheint mit niemandem zufrieden zu sein.«

Adassett hatte sie keineswegs ihres Aussehens nach zu sich bestellt, doch das sagte sie ebenso wenig. Saghani wirkte ehrlich vergnügt, begeistert und erfreut, als hätte sich hiermit wirklich gezeigt, dass Nanouk den von Nauju angesprochenen Test bestanden hatte.

»Anaana Saghani, verzeiht die Frage, doch warum ist es so wichtig, dass er mich erneut wählt?«, versuchte sie mehr über die Natur dieser Prüfung in Erfahrung zu bringen.

Saghanis Grinsen wurde eine Spur dunkler, als sie sich ein wenig nach vorne lehnte, sodass ihr die langen, seidigen Haare bis auf die Oberschenkel fielen. »Weil es bedeutet, dass wir einen Weg in seinen Kopf gefunden haben. Weißt du, was es ist, das hier oben wahre Macht bedeutet?«

Nanouk schüttelte zögerlich den Kopf. Adassett hatte davon gesprochen, dass es das Wissen war, welches den höchsten Stellenwert besaß.

»Körperliches Vergnügen. Die meisten Gäste hier oben sind dekadente Günstlinge, denen nicht viel an den einfachen Leuten liegt«, fing Saghani an zu erklären und lehnte sich wieder zurück. Ohne ihre adrette Kleidung war Nanouk sogar versucht, sie als Mütterchen zu sehen.

»Willst du in ihre Köpfe, so musst du etwas finden, dem sie niemals entsagen würden. Und Lust ist in dieser Hinsicht ein menschliches Belangen, das nicht selten zur Sucht wird. Vor allem, wenn man zu viel Zeit bei der Hand hat.«

Nanouk dämmerte, worauf Saghani hinauswollte und konnte sich nicht entscheiden, ob sie schockiert, oder beeindruckt sein sollte. »Aber weshalb müsst Ihr Euch einschleichen, Ihr seid doch eine von König Naos Vertrauten«, warf sie zögerlich ein. »Ihr besitzt doch bereits all die Macht.«

Saghani verschränkte die Arme vor der Brust. »Bei weitem nicht. Es gibt so viele Spiele, die hinter verschlossener Türe ablaufen, dass es auch gar nicht möglich ist. Reiki verfolgt seine Ziele ebenso wie Anuri, Siku und Adassett. Und um diese erstrebenswerte Kontrolle zu erlangen, muss ich das Blatt jedes einzelnen kennen.«

Nanouk lauschte mit wild schlagendem Herzen. Das hier waren tatsächlich Informationen, die einen ungeheuren Wert besaßen und sie wunderte sich, weswegen Saghani ihr diese einfach so aushändigte. Deswegen war Maha so darum bemüht stets von Siku gekauft zu werden und deswegen war es für Saghani so wichtig, dass Adassett Gefallen an ihr zeigte.

»Ich verstehe«, sagte sie schließlich. »Also soll ich für Euch die Ohren offen halten.«

Saghanis Grinsen wurde zu jenem wölfischen, das Nanouk einen Schauer über den Rücken jagte. »Weitaus mehr. Du sollst ihn für dich gewinnen, bis er dir zu Füßen liegt und dir alles verrät, was du verlangst. Du siehst, was er ist. Ein Monster, das es auszuschalten gilt. Doch besitzt er so viel Einfluss und Widerstandskraft, das dies von außen nicht zu erwirken ist. Er muss von innen straucheln und ich möchte, dass du ihn zu Fall bringst, Nanouk.«

Nanouk starrte Saghani mit verhaltener Fassungslosigkeit an. Das waren Forderungen, denen sie niemals gerecht werden konnte. Wie auch schon zuvor fühlte sie sich haltlos verloren an diesem Hof voller Intrigen, verstand kaum ihre eigene Wichtigkeit und sollte dennoch mit einem Mal die Macht der Veränderung sein.

Ich möchte dich nicht als Spielstein missbrauchen, sondern dir selbst die Karten für deinen Zug in die Hände geben.

Adassetts bizarre Worte geisterten ihr wieder durch den Verstand. Ihr anfängliches Ziel wurde immer unerreichbarer, das erkannte sie nun unwiderruflich. Wenn sie zu ihren Gefährten wollte, dann musste sie erst durch den Morast dieses verkommenen Hofes navigieren wie mit dem Kajak durch die Eisschollen auf offenem Meer – ein Unterfangen das schneller mit dem Tod endete, als man sich versah.

»Sagt mir, was ich tun kann«, bat sie daher mit fester Stimme, die, wie sie hoffte, über ihr eigenes Bangen hinwegtäuschte. Denn nebst der merkwürdig motivierenden Worte Adassetts, fiel ihr ebenso auch ein, dass er sie als schlechte Lügnerin betitelt hatte. Und zu Recht. Selbst Nauju kaufte ihr die fügsame Kurtisane nicht ab und langsam fragte sich Nanouk, ob Saghani überhaupt darauf Wert legte, wie sie sich gab. Vielleicht war es ihr einerlei, solange Nanouk tat, was sie verlangte.

»Finde heraus, was ihn verrückt macht und dann perfektioniere es. Werde ein Teil von ihm und erstatte mir Bericht. Wenn er dich erneut ersteht, dann sehen wir weiter.«

Nanouk nickte ergeben, doch nicht ohne trotz allem dumpfe Furcht zu verspüren. Das hier war alles viel zu groß für sie. Mit ihrem ursprünglichen Ziel, Naujus Abmachung und Reikis wahrer Offenbarung, konnte sie nicht auch noch für Saghani arbeiten. Sie mochte zwar Informationen haben, doch taumelte dennoch wie eine Marionette zwischen den höchstrangigen Heuchlern hin und her. Wo war das Ass, von dem Reiki gesprochen hatte? Was nutzte es ihr, sich selbst für einen Zug zu entscheiden, wenn immer noch die furchtbare Übermacht eines wahnsinnigen Königs auf sie herabblickte, der das Land an seinen verwundbarsten Stellen auseinander riss? Mit einem Dämon an seiner Seite, welcher die Macht besaß immer und überall zu sein.

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Saghani entließ sie daraufhin und das Gefühl der Geborgenheit, das sie absurderweise durch ihre Worte verspürt hatte, schwand dahin, alsbald sie zurück in den immer geschäftigen Korridoren Wallheims war. Nanouk suchte sich den unauffälligsten Weg durch die Hintergänge und erreichte schließlich die Wohnquartiere der Kurtisanen. Die Frauen und Mädchen huschten hier lachend und schnatternd hin und her und Nanouk stellte fest, dass ihr einige Gesichter tatsächlich mittlerweile bekannt waren.

Sie alle sprachen von dem Fest, das Maha gemeinsam mit Ischka vorbereitet hatte und Nanouk entschloss sich, nachdem sie sich in ihrem eigenen Zimmer in die angenehme Arbeitertunika gewickelt hatte, dass es nicht schaden konnte, den Frauen ein wenig auf den Zahn zu fühlen. Obwohl sie sich gerne einfach auf dem Bett zusammen gerollt hätte und den Kater ausschlief, wollte sie sich diese Gelegenheit nicht entgehen lassen. Nur für eine kurze Weile. Nur, um etwas zu essen.

Alles andere musste warten. Sie wollte gar nicht an Nauju denken, dem sie noch nicht begegnet war, da sie nicht genau einordnen konnte, wie sie sich seinetwegen nun fühlte. Er hatte gewusst, was auf dem Fest geschehen würde, doch dennoch nichts gesagt. Er hätte sie vorwarnen können.

Nanouk ließ sich von den Stimmen der anderen leiten und gelangte dann auf selbem Weg wieder in den kleinen Festsaal im zweiten Stock, in dem sie auch schon letztes Mal nach ihrer Audienz beim Winterkönig empfangen worden war. Auch dieses Mal war der Saal in Kerzenschein getaucht und die Tische mit Fingerhäppchen beladen, die den Mädchen und Frauen zur Stärkung angeboten wurden.

Nauju hatte gemeint, Saghani setze so viel auf Geld, damit jeder hier in Seide schlafen konnte, doch Nanouk fragte sich, ob es nicht eher diese kleinen Festlichkeiten waren, welche das Beisammensein ermöglichten, ganz gleich, was der Abend brachte. Gegen all ihre Erwartungen konnte sie deutlich sehen, wie sehr Saghani ihre Untergebenen am Herzen lagen und durch Ischka verstand sie auch, wie diese solidarische Haltung hier oben vermutlich mehr wert war, als die Seide, in der sie schliefen.

Maha, die sie durch den Raum erblickte, eilte mit vor Freude strahlendem Gesicht auf sie zu. »Dass du dich nach dieser Nacht hier blicken lässt, zeugt von ungeheurer Widerstandskraft!«

Nanouk lächelte. Maha nahm sie bei der Hand und führte sie zwischen den Sitzkissen und Tischen hindurch, bis sie sich auf einem breiten Liegesofa niederließen. »Ich habe gesehen, wie viel Wein ataha Adassett dir eingeflößt hat. Das muss eine furchtbare Nacht gewesen sein«, sagte Maha dann mit gedämpfter Stimme und belud eines der Porzellanteller mit Brot und kaltem Gemüse, frischer Pastete und gekochten Früchten.

»Oh.« Nanouk knurrte der Magen und sie presste sich eine Hand auf den Bauch. »Es war auf jeden Fall ... ein unschönes Erwachen, das stimmt.«

»Na komm, iss erst einmal.« Maha reichte ihr den Teller und ließ sich zurück in die Kissen sinken. »Das kann ich mir vorstellen. Erzähl.«

Nanouk aß langsam mit den Fingern und warf Maha dann einen erschrockenen Blick zu. »Ich ... denke, ich muss das erst einmal aufarbeiten, ehe ich darüber sprechen kann«, murmelte sie und senkte den Blick.

»Oh. Natürlich, wie dumm von mir! Aber du weißt, dass du hier stets offen sein kannst, richtig? Bloß in der Gegenwart der Gäste musst du dich benehmen. Und glaub mir«, Mahas Grinsen wurde verschwörerisch, »du findest hier keine Kurtisane mit schicklichem Mundwerk, halte dich also bloß nicht zurück.« Maha zwinkerte ihr zu und Nanouk musste ebenfalls wieder lächeln.

»Außer«, fuhr Maha fort und strich sich die Strähnen aus dem Gesicht, »du würdest diese Dinge gerne mit ataha Nauju besprechen.«

Nanouk verschluckte sich beinahe und musste sich daraufhin ein wenig zügeln. »Warum sollte ich das tun wollen?!«

Maha lächelte wissend. »Das kann dir unmöglich entgangen sein. Nein!«, rief sie dann gespielt entsetzt aus. »Ataha Nauju ist ständig in deiner Nähe und das nicht nur wegen deines Beines.«

Nanouk ließ den Teller sinken und blickte sich hektisch in dem gefüllten Saal um. Es gefiel ihr nicht, was Maha implizierte und ihr Kopf fing wieder an zu pochen, als ihr das Herz höher schlug. Sie konnte unmöglich mit ihm sprechen. Nicht nach dem Fest.

Doch dann dachte sie wieder an Vorgestern und wie er sie hinauf in den Badesaal geführt hatte, um ihr vorzuspielen. Sie schluckte und wandte sich wieder ihrem Essen zu.

»Es ist mir möglicherweise nicht entgangen«, murmelte sie schließlich und spürte, wie sich ihr der Hals einschnürte. Doch dass Nauju ihre Gegenwart vielleicht nur aus dem Grund suchte, da seine eigene Freiheit davon abhing, konnte sie nicht ausschließen. Daher lenkte sie das Thema rasch in eine andere Richtung, doch dieses Mal blockte Maha wieder ab und auf die Frage, um Saghanis Gebrechen, lächelte sie nur.

»Das braucht dich nicht zu kümmern. Anaana Saghani hat gelegentlich Schlafprobleme, doch lass das ruhig meine und ataha Naujus Sorge sein.«

Sie plauderten anschließend noch ein wenig über Mahas Herkunft, ihre Reise auf den Gipfel des Zittergebirges und Nanouk fand sich in der Annahme bestätigt, dass ihr Leidensweg kein Einzelschicksal war. Maha war wie die meisten Kurtisanen durch menschenwidrige Umstände an den Hof gekommen und hatte schließlich an Saghanis Seite in Wallheim eine neue Heimat und vor allem eine neue Perspektive erhalten.

Seltsamerweise erschien Nauju den ganzen Tag über nicht und Nanouk wurde daraufhin doch ein wenig unruhig. Maha entschuldigte sich ebenfalls, um nach dem Rechten zu sehen und somit war Nanouk erneut auf sich alleine gestellt. Einer leisen Ahnung folgend, stand sie schließlich auf und verließ den Festsaal. Durch das ergiebige Mahl gestärkt, schwanden auch langsam die nervtötenden Kopfschmerzen und als Nanouk in die abgelegeneren Gänge Wallheims einbog, lüftete sich auch das summende Gewicht der unzähligen Stimmen von ihr.


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