⫷ Kapitel 24: Saghanis Hingabe und Fürsorge ⫸

|| Ein extrem langes Kapitel - tut mir Leid 🙈 Aber wir gelangen endlich in die intriganten Teile der Geschichte, also zieht euch warm an 😇||

Ischka führte ihre Lehrstunde fort, erklärte ihnen die Grundregeln einer korrekten Reverenz, die schockierend mannigfaltig waren, sodass Nanouk schon bald angestrengt die Brauen runzelte. Sie konnte verstehen, dass es bei der Jagd auf bestimmte Winkel ankam, wie man einen Bogen hielt, aus welcher Himmelsrichtung der Wind wehte, doch nicht, wenn man vor jemandem knickste. Man verlor sein Leben nicht anhand eines Kniefalls, der einen Deut zu knapp ausfiel. Und dann wiederum befanden sie hier in Gesellschaft von Monstern wie Adassett und dem Winterkönig und Nanouk blinzelte sich energisch wach.

Man ließ sie Mittagessen, doch gleich darauf wurden sie erneut in den Unterricht gezwungen. Nanouk spürte die bekannte Erschöpfung einsetzten, als sie von Ischka durch die Gänge hinauf in den zweiten Stock geführt wurden und entlang der Hintergänge schließlich in das Badehaus gelangten.

In den marmornen Hallen erläuterte ihnen Ischka rudimentär, wofür die Badesäle dienten. Als hätten diese Mädchen noch nie in ihrem Leben ein Badehaus gesehen. Nanouk, zugegebenermaßen, hatte dies tatsächlich noch nie und so blickte sie sich neugierig um. Die Badesäle waren allesamt mit einem niedrigen Becken aus Alabaster ausgestattet, welches sich zu den Fenstern hin absenkte. Die Marmorsäulen, die Seidenbaldachine über die Wasserbecken spannten, waren mit feinsten Schnitzereien und Edelsteinintarsien verziert.

An den Wänden neben der Eingangstüre standen hohe Holzregale, in welche die Nanouk mittlerweile vertrauten Gefäße aus Porzellan und Stein geschlichtet waren. Befüllt mit den wundersamsten Ölen und Tinkturen, Seifen und Blütenblättern, die man sich vorstellen konnte. Als wäre dies noch nicht bizarr genug, waren unzählige Pflanzen in akribisch angelegten Beeten angesetzt, deren Blätter größer waren als Nanouks gesamtes Gesicht. Sie hatte diese Gewächse noch nie gesehen und fühlte sich aufs Neue völlig vor den Kopf gestoßen. Wallheim musste diese Sträucher mit Unsummen aus dem Ausland importiert haben, woher war Nanouk schleierhaft.

Ihr schwirrte der Kopf, als Ischka sie über die Eigenschaften der verschiedensten Bürstenvariationen aufklärte und wunderte sich über alle dem, wie sie es schafften, dass die Becken stets mit warmem, dampfendem Wasser gefüllt waren, wo sie doch inmitten einer eisigen Wüste standen.

Natürlich wurden Wallheims Frauen hier ebenso verkauft, wie in den unzähligen Schlafzimmern. Der noblen Gesellschaft beim Baden zu dienen war eine ganz spezielle Form der Intimität, bei der sich Nanouk alleine bei der Vorstellung die Nackenhaare sträubten. Baden war keines der Dinge, die Nanouk jemals gerne, noch ausgiebig gemacht hatte. Es war in den eisigen Wäldern auch gar nicht möglich. Wer hatte schon Zeit ein ergiebiges Bad zu nehmen, wenn so viele andere Dinge erledigt werden wollten?

Waschtag war immer fürchterlich anstrengend gewesen, als Nanouk Anjij und Imiaq aus ihrer vielschichtigen Kleidung schälen und so schnell wie nur irgendwie möglich mit dem heißen Wasser abschrubben musste. Selbst in den geheizten Zelten und Hütten unterkühlte man ohne Kleidung rasch und völlig sauber zu werden war daher auch ein Ding der Unmöglichkeit gewesen. Ganz zu schweigen davon, dass Anjij ständig herumgetollt war, sich nicht hatte entkleiden lassen und nachher dann auch noch schadenfroh das Wasser aus dem Zuber über sie alle verteilt hatte. Nanouk biss die Zähne zusammen und verdrängte den Gedanken an ihre lachende Schwester.

Die Sonne senkte sich bereits unter die Wolken und ließ die Welt hier oben in blauer Dämmerung zurück, als Ischka endlich ihre Lektion beendete. Sie waren gerade dabei den Badesaal zu verlassen, als Nauju an dessen Tür auftauchte.

Er trug wie immer sein blütenweißes Hemd, die bunte Stoffweste und eine schwarze Seidenhose, dessen Bund bis zu seinem Bauchnabel reichte. Kleidung so befremdlich und unpassend, dass Nanouk jedes Mal ungläubig an ihm herabblickte. Er lehnte mit verschränkten Armen gegen den Türstock und lächelte unbefangen, als Ischka sogleich vor ihm knickste.

»Ataha Nauju.«

Auch die anderen Mädchen gingen in die Knie und erst, als Nauju sie direkt anblickte, entsann sich Nanouk dies ebenfalls zu tun.

»Du kannst das einfach nicht«, grinste er sie von oben herab an und schüttelte den Kopf. Seine weißen Haare gingen in dem ganzen Alabaster und Marmor beinahe unter, er sah aus wie ein Gespenst und Nanouk stellte das erste Mal wirklich fest, dass er im Kontrast zu anderen Menschen tatsächlich wirkte, als fehle ihm etwas. Irritiert runzelte sie die Brauen.

»Ihr sagtet?«, sprach Ischka höflich und lächelte.

Doch Nauju winkte bloß seufzend ab. »Ich habe eine Nachricht von Saghani zu überbringen. An sie.« Er deutete auf Nanouk, ohne sie dabei eines weiteren Blickes zu würdigen und Ischka schnaubte.

»Ich hoffe, es geht um die Kleinigkeit, die ich ihr zu Mittag berichtet habe.«

Naujus hob unbefangen die Schultern. »Vermutlich.«

»Sehr gut.« Ischka warf Nanouk einen angewiderten Blick zu, der dem des Hünen in nichts nachstand und deutete dann den anderen Mädchen, ihr zu folgen.

Als fiele ein Gewicht von seinen Schultern fuhr sich Nauju durch die Haare und schloss die Türe. Nanouk beobachtete ihn misstrauisch dabei und versuchte aus seiner Haltung zu erschließen, was es wirklich war, dass Saghani wollte. Doch Nauju ging bloß einige Schritte in den langsam dunkler werdenden Badesaal und machte schließlich eine saloppe Geste mit dem Arm, welche den Badesaal einschloss.

»Wie sagt dir dieser Ort hier zu?«

Nanouk blinzelte aufgrund dieser unpassenden Frage. »Ich weiß nicht Recht, was Ihr meint«, gestand sie irritiert und blickte zurück zur Türe. »Saghani wartet auf uns.«

Nauju rollte mit den Augen, als wäre ihm die Dringlichkeit Saghanis Aufforderung nicht einmal gewahr. »Ich meine«, setzte er ungeduldig an und trat an den Rand des Beckens, »ob es dir hier drinnen zusagt. Ob du gerne badest.«

Nanouk verschränkte die Finger hinter dem Rücken, damit man ihr die Nervosität nicht ansah und trat vorsichtig einen Schritt näher. »Nein. Eigentlich nicht.«

»Hmm«, summte Nauju nachdenklich und ließ seine Finger über die Wasseroberfläche streichen. »Die meisten Adeligen wünschen im Morgengrauen zu baden, wenn sich die Sonne über das Meer erhebt, doch ich selbst mochte die Gesellschaft von Onori immer ein wenig mehr.«

Nanouk spitzte die Ohren, als Nauju den spirituellen Namen des Mondes in den Mund nahm und ihr bei dessen Klang ein Kribbeln durch den Brustkorb tanzte. Der letzte Mensch, der diese urtümlichen Namen zu Nanouk gesprochen hatte, war ihr Großvater gewesen.

»In seinem Bett aus Sternen ruhend«, fuhr Nauju ungehindert fort, »frage ich mich jede Nacht, was er wohl träumt, wenn Utaaki über den Himmel zieht. Ob er sich nach seiner anderen Hälfte sehnt, ob er Utaaki beneidet, stets in Licht gebadet zu sein, während er selbst nicht mehr als eine Reflexion ihrer Macht ist.«

Nanouk lauschte ihm mit bangem Herzen, die Hast um Saghanis Befehl für den Moment vergessen, als sie Nauju beobachtete, wie er so merkwürdig betroffen über die beiden Himmelskörper sprach.

»Nein«, sagte sie dann mit leiser Stimme und schluckte gegen das Gefühl der Enge in ihrem Hals an. Als Nauju ihr einen neugierigen Blick unter seinen hellen Wimpern hindurch zuwarf, hob sie leicht die Schultern und blickte zu Boden. Wegen der Worte, die gegen ihr selbst auferlegtes Verbot gingen, oder der seltsam bedrückten Stimmung, die mit einem Mal von Nauju ausging, konnte Nanouk nicht eindeutig zuordnen.

»Weder Sonne noch Mond würden einander irgendetwas neidig sein«, fuhr sie schließlich fort und spürte, wie sich ihre abgekauten Nägel in ihre verschränkten Finger gruben. »Utaaki und Onori sind beide Hälften eines Ganzen. Ganz egal, wie unterschiedlich sie sind, diese Unterschiede sind es, welche sie zu unentbehrlichen Gegenstücken machen. Die Ewigen des Mondes und der Sonne würden niemals etwas dermaßen irdisches wie Neid empfinden«, schloss Nanouk flüsternd und biss sich anschließend auf die Lippen.

»Ich wundere mich«, sinnierte Nauju nach einem Moment der Stille. »Wenn die Ewigen nicht irdisch empfinden, warum sind sie dennoch geneigt Mitleid zu zuzulassen? Ein Gefühl, das über alle Maße irdisch ist.«

Nanouk wusste darauf keine Antwort, da sie ohnehin viel zu sehr von Naujus traurigem Lächeln abgelenkt war, sodass er schließlich wieder abwandte und seufzte.

»Ich bin mir sicher, mit der richtigen Gesellschaft würdest du das Baden genießen«, wechselte er dann abrupt das Thema und Nanouk kniff die Lippen zusammen.

»Das wage ich zu bezweifeln. Ich würde Euch nicht einmal waschen, wenn Ihr Eure Kleidung anbehaltet.«

»Ah, aber du gehst davon aus, dass du mir dienen solltest. Dabei würde mich das Gegenteil reizen.«

Nanouk wollte etwas erwidern, als das Gesagte vollständig bei ihr ankam und sie augenblicklich einen Schritt vor ihm zurück wich. »Wir sollten Saghani nicht warten lassen«, sagte sie kurz angebunden und Nauju lachte amüsiert auf.

»Saghani?«, sagte er und ließ seinen Blick durch die Fenster hinauf in den kobaltblauen Himmel wandern. »Ich lasse sie bereits über eine Stunde warten. Noch bevor ich überhaupt hier her kam. Was?«, setzte er nach, als er Nanouks entsetzten Blick bemerkte. »Mir war einfach nicht danach sofort zu dir zu kriechen. Ich bin kein Laufbursche und Saghani darf das nicht vergessen«, meinte er beinahe schon trotzig. »Außerdem habe ich selbst Arbeit zu erledigen, beziehungsweise andere Frauen, auch wenn ich dich dabei aussparen muss«, grinste er ihr selbstgefällig zu und Nanouk rümpfte die Nase.

»Ihr seid nicht witzig.«

»Ein kleines bisschen schon«, widersprach Nauju und Nanouk rollte mit den Augen. »Du bist furchtbar langweilig«, warf er ihr dann vor und setzte sich endlich in Bewegung, um sie zu Saghani zu bringen.

»Ich habe auch nie etwas anderes behauptet«, gab Nanouk nun zurück und folgte ihm.

»Und ich wette im Bett bist du auch schrecklich unspaßig", setzte er dann fort, als sie durch die schummrig ausgeleuchteten Korridore marschierten, immer darauf bedacht, Nanouks Bein nicht zu sehr zu überanstrengen. Nauju bot ihr wie auch letzte Mal schon den Arm an, doch im Gegensatz zu damals lehnte sie heute ab.

»Da seid Ihr dann wohl gerade noch einmal glimpflich davongekommen«, zuckte Nanouk bescheiden mit den Schultern.

Nauju schnalzte mit der Zunge, aber ein Seitenblick verriet ihr, dass er dennoch grinste. »Dann steckt dein Talent wohl eindeutig in der heiligen Kunst des Badens?«

Nanouk schnaubte. »Wohl kaum.«

»Ich könnte dich dazu auffordern einen Badesaal mit mir zu teilen«, insistierte Nauju.

»Und warum sollte ich gehorchen?«, fragte Nanouk langsam ungeduldig werdend.

Sie nahmen gerade die letzte Treppe nach oben, als Nauju plötzlich stehen blieb und sich zu ihr umdrehte. Er blickte sie mit zusammengezogenen Brauen von oben herab an und stemmte den Ellenbogen neben ihr gegen die auch hier mit bedruckter Seide ausgekleideten Wand. Sie wich automatisch eine Treppenstufe zurück.

»Warum du das tun solltest? Hörst du dir gelegentlich selbst zu, Nanouk? Ich bin einer von Naos Getreuen, einer seiner Generäle, wenn du so willst. Das kann dir unmöglich entgangen sein.«

Nanouk machte den Mund auf, um ihm zu sagen, was sie davon hielt, ließ es dann aber bleiben. Er hatte in gewisser Hinsicht Recht. Doch Nauju hatte ihr gegenüber von Anfang an, keinerlei Respekt eingefordert, dass sie ihn dennoch siezte hatte ganz andere Gründe. Sie spielte mit dem Feuer. Nauju mochte zwar gut aufgelegt und heiter sein, doch das ließ sie leicht vergessen, warum sie überhaupt an ihn gebunden war.

»Es ist mir nicht ... entgangen«, entschied sie sich dann zu antworten und blickte Nauju durch ihre Wimpern hindurch an.

Sie starrten einander für einige weitere Augenblicke reglos an, ehe er mit dem Zeigefinger auf sie deutete. »Gerade eben siehst du aus, als würdest du das zwar sagen, aber denken, was für ein anstrengendes Ekel ich bin – und ich kann es dir nicht einmal wirklich verübeln.«

Es vergingen weitere Momente des Schweigens in denen sie einander bloß anblickten. Nanouk wagte es nicht den Mund aufzumachen, aus Angst sie würde ohne Rückhalt bloß bestätigen, was Nauju ihr vorwarf und Nauju schien ganz damit beschäftigt zu sein ihr Verhalten auf die Waagschale seiner Toleranz zu legen.

»Verzeiht, ataha Nauju«, zwang sich Nanouk dann zu sagen, konnte aber die Augen nicht so niederschlagen, wie es hier vermutlich von den feinen Damen erwartet wurde. Außerdem klang ihre Entschuldigung mehr trotzig, als ehrlich und das quittierte Nauju dann auch mit einem tiefen Seufzen.

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Nauju brachte sie ohne weitere Umschweife in den kleinen Festsaal, in dem Saghani das letzte Mal den Umtrunk für ihre Damen gehalten hatte. Doch nun war der Saal unbelebt und abgedunkelt. Bloß der Kronleuchter direkt über Saghanis persönlichem Thron war entzündet und warf ruhiges Kerzenlicht auf den langen Tisch vor ihrem Liegesofa und die tiefblauen Samtvorhänge an den Wänden.

An dem Tisch saß eine Kurtisane und neben ihr ein Soldat in den Farben Adassetts, der sich mit Saghani unterhielt. Nanouk war versucht auf dem Absatz kehrt zu machen, als sie das düstere, vom Alter gezeichnete Antlitz Kamus erblickte. Sämtliches Blut wich aus ihrem Gesicht, als dieser sie nun mit einem Blick bedachte, der an väterlichen Unmut grenzte. Demnach wusste Saghani also bereits von dem Vorfall im Turm und Nanouk spürte, wie ihre Hände vor Schweiß klamm wurden. Doch warum sollte Adassett wegen solcher Nichtigkeiten Beschwerde einreichen?

Weil er es liebt Saghani zu untergraben und weil er es gerne sieht, wenn Menschen zu seinen Füßen leiden.

Nanouk spürte Naujus Hand im Rücken, als dieser sie weiter schob, bis sie an dem niedrigen Tisch ankamen. Die drei Weingläser darauf waren bis auf eines bereits geleert worden und Saghani sah wenigstens so aus, als wäre sie bei guter Laune.

»Da seid ihr endlich!«, rief Saghani ebenso erfreut aus, wie ihr Lächeln mutmaßen ließ. »Ich habe mich schon gefragt, was geschehen ist!«

Nauju hob unbeteiligt die Schultern und lächelte wohlwollend. »Du weißt doch, wie ablenkend und betörend dein Werk hier ist. Ein simpler Mann wie ich gerät, fürchte ich, dabei schon einmal auf Abwege.«

Saghanis Lächeln blitzte wölfisch auf ihren dunkel bemalten Lippen auf, als sie sich mit einem gebieterischen Ton an Kamu wandte. »Du kannst gehen. Tanna, begleite ihn.«

»Das wird nicht nötig sein«, gab Kamu so würdevoll zurück, wie er konnte, klang dabei aber immer noch griesgrämig. »So reizend Tanna auch sein mag, steht mir nicht nach solcherlei Gesellschaft. Und selbst wenn«, fuhr er mit einem beinahe schon entschuldigen Blick auf die Kurtisane fort, »wäre Tanna ein wenig zu jung für mich.«

Nanouk konnte schwören, dass so etwas wie Erleichterung in den Augen der Kurtisane aufglomm, ehe sie sich mit einem höflichen Knicks von Kamu verabschiedete.

Saghani jedoch rümpfte nur die Nase. »Wie schade.«

»Aber Eure Zusage ehrt Adassett«, fügte Kamu hinzu und schaffte es sogar zu lächeln, doch auch dieses wirkte wenig einladend, geschweige denn freundlich.

»Natürlich tut sie das«, antwortete Saghani rasch und winkte ihn hinfort.

Kamu verneigte sich in einer kantigen und überaus militärischen Geste, die auf Nanouk seltsam einnehmend wirkte. Als wäre Kamu ein anständiger Mann und nicht die rechte Hand des grässlichsten Getreuen des Winterkönigs.

Nauju blickte ihm verstimmt hinterher und wandte sich dann an Saghani. »Was wollte er denn hier?«

Die Herrin Wallheims strich sich nachdenklich über den Hals, als ihr Blick immer noch auf der Seitentüre lag, durch die Kamu verschwunden war. »Mir ein Angebot unterbreiten, das ich schlichtweg nicht ablehnen konnte.«

»Meiner Erfahrung nach lehnst du Angebote aus seiner Richtung prinzipiell ab«, hielt Nauju dagegen und drückte Nanouk vorwärts und anschließend auf das Sofa gegenüber Saghani.

Diese schnaubte belustigt. »Er hat sich soeben verwundbar gemacht«, sagte sie nachdenklich und ihr Blick war immer noch in weite Ferne gerichtet.

»Was untypisch ist, nehme ich an.«

Saghani holte tief Luft und ließ sie durch ihre elegante Nase ausströmen. »Sogar ziemlich. Ich dachte, sein Versagen hätte ihn in seine Schranken gewiesen und nicht dazu aufgefordert alle Achtung fahren zu lassen.«

Naujus Augen verengten sich. »Was meinst du damit?«

Sie schnaubte und endlich kehrte das diebische Funkeln in ihre saphirblauen Augen zurück. »Ach Nauju, was bist du in deiner Einfalt auch langsam im Denken!«

Nanouk erkannte, wie zwei Regungen auf Naujus Gesicht für den Bruchteil eines Augenblicks um die Oberhand kämpften. Zum einen der Drang in seiner anerkannten Belanglosigkeit die Schultern zu zucken und anderseits Saghanis Aussage herauszufordern. Und erstaunlicherweise, entschied er sich für letzteres.

»Du kannst damit unmöglich meinen, was du andeutest«, sagte er schließlich. Als Saghani ihn jedoch nur mit dunkler Belustigung anblickte, schüttelte Nauju den Kopf. »Saghani, das ist Irrsinn. Du hast sie bereits Nao versprochen.«

»Weißt du, was Nao daher sicher stellen wird?« Sie wartete gar nicht darauf, dass Nauju ihr antwortete, sondern sprach einfach weiter. »Er wird noch erpichter darauf sein, sie in die Finger zu bekommen, sich nach ihr verzehren und schließlich müssen wir alles daran setzen, meinen guten Ruf zu wahren. Mein Verhältnis zu Nao nicht frostig werden zu lassen.«

Nauju schnaubte erbost und schüttelte nach wie vor den Kopf. »Das ist Wahnsinn.«

»Nein, das ist Notwendigkeit. Jemand wie ich kann sich keine Sentimentalität leisten.«

Nanouk hatte ihr Gespräch mit wachsendem Unbehagen verfolgt und kam nicht umhin erneut diese unheimliche Mehrdeutigkeit in ihrer beiden Worte zu bemerken. Sie hatte es bereits damals nach ihrem ersten Erwachen in Wallheim durch die Türe ihres Zimmers gespürt. Wie gefährlich nahe die beiden an einer unausgesprochene Wahrheit vorbei tanzten, die ihnen beiden bewusst war und dennoch keiner wagte anzusprechen. Vielleicht, weil diese Worte zwischen ihnen längst gesagt worden waren, oder nicht gesagt werden durften.

»Wenn ich dich sentimental vorfinde, muss ich davon ausgehen, dass dein Räucherwerk schlussendlich nicht ausgereicht hat«, setzte Nauju an. »Wirf sie nicht weg«, warnte er schließlich, doch offenbarte sich der wahre Inhalt dieser Worte nicht.

Saghanis Miene wurde daraufhin unglaublich ruhig. Ihre Augen blitzten arglistig, als sie Nauju reglos musterte, doch Nanouk mit einem Prickeln auf den Armen feststellte, dass sie vermutlich in jeder anderen Situation keine Sekunde gezögert hätte, Nauju ihre Zähne in die Kehle zu schlagen.

Doch nun hob und senkte sich ihr Brustkorb einmal kräftig und das rasiermesserscharfe Lächeln kroch zurück auf ihre Züge. »Du solltest bei Zeiten nicht so undankbar sein. Ohne mich wärst du deinen Geschwistern gefolgt.«

Nauju lächelte ebenfalls und wenn ihn diese Aussage beunruhigte, so zeigte er es nicht. Nanouk sah nun aber genauer hin. Er hatte ihr gegenüber noch mit keinem Wort erwähnt, dass er Familie hatte. Verstörender Weise, fand Nanouk, denn sie hatte sich bis jetzt noch nicht einmal vorstellen können, dass es irgendjemanden hier oben gab, der Geschwister haben könnte. Sie hatte König Naos Vertraute allesamt in einen Topf geworfen und obwohl Maha ihr vermittelt hatte, dass diese Männer und Frauen etwas ähnliches wie Familie waren, hatte Nanouk diese Bezeichnung stets als künstlich empfunden. Ebenso künstlich und unschicklich, wie die in Wallheim gängigen Anreden ataha und anaana.

Doch aus Saghanis Mund klang es wie eine wahrhaftige Tatsache und Nanouk meinte plötzlich die spitzen Kanten in Naujus gespielt gleichgültiger Miene zu erkennen.

»Wie dem auch sei«, winke Saghani schließlich ab und deutete auf Nanouk. »Adassett hat seinen Lakaien geschickt, um mir zu beichten, dass er ein ungestilltes Verlangen nach Nanouk hat. Ungeahnte Vorteile trafen es in ihrer Hinsicht ziemlich gut«, grinste sie an Nauju gewandt und goss sich Wein aus der silbernen Karaffe nach.

Nanouk wurde kreidebleich. »Das war ein Missverständnis«, krächzte sie und Nauju blickte sie vorwurfsvoll an.

»Was hast du getan?«

Doch Saghani winkte ab und brachte damit beide zum Schweigen. »Was es war, ist unwichtig. Wichtig ist bloß, was es jetzt ist. Unsere Gelegenheit«, flötete Saghani und nahm einen großen Schluck aus dem Weinglas.

»Du bist wahnsinnig«, entrüstete sich Nauju und schüttelte erneut den Kopf. »Du willst sie doch nicht wirklich Adassett überlassen!«

Nanouk nickte atemlos, ihr Kopf drehte sich und sie fühlte, wie sich die Panik langsam aber doch nach oben drängte. Sie konnte unmöglich zu Adassett. Nicht als Strafe, nicht als Belohnung und ganz sicher nicht, um ihm im Bett zu dienen. Sie hatte sich diese Freiheit doch gerade erst bitter durch Nauju erkauft.

»Und ob ich das will. Du weißt, wie ungeeignet die letzte Kurtisane war, die ich ihm zukommen habe lassen. Inja ist seitdem völlig unbrauchbar geworden«, spuckte Saghani angewidert und Nanouk versuchte immer noch den Boden unter ihren Füßen wiederzufinden, obwohl sie saß.

»Saghani«, fing Nauju bemüht ruhig an, aus Furcht, dass Nanouk ihre Abmachung brach, oder aus einem anderen Grund konnte Nanouk durch das Rauschen in ihren Ohren nicht sagen. »Nanouk ist nicht Maha. Bei weitem nicht. Ist dir bewusst, dass nicht nur Nao ein Auge auf sie geworfen hat, sondern auch Reiki? Damit würdest du ihn direkt angreifen.«

Saghani schwieg für einige Momente, als sie sich das Gesagte durch den Kopf gehen ließ. Für einige, hoffnungsvolle Momente, erlaubte es sich Nanouk durchzuatmen, doch als die Herrin Wallheims schließlich wieder anfing zu lächeln, wurde Nanouk bewusst, dass ihre Tage gezählt waren.

»Und was ist besser, als seinen Geist zu benebeln, als blanke Wut? Reiki wird fuchsteufelswild sein, dass Adassett auf Nanouk Besitzanspruch erhebt. Du weißt, wie grässlich antagonistisch die beiden einander gegenüberstehen. Und je mehr sich Reiki auf seinen Erzfeind konzentriert, desto mehr Spielraum bleibt uns. Außerdem kann Adassett sie nicht kaputt machen. Wir sind hier also durch Naos Verlangen abgesichert.«

Und zu Nanouks Entsetzen schwieg Nauju daraufhin.

»Verzeiht, anaana Saghani«, zwang sich Nanouk für sich selbst einzustehen, als Nauju bloß stumm neben ihr stand und in die Ferne starrte. »Doch Ihr sagtet es doch selbst. Ihr habt mich König Nao versprochen. Würde es ihn nicht ebenfalls verärgern, wenn ihr mich davor an ataha Adassett ... übergebt?«

Saghani winkte daraufhin bloß ab. »Nao geht es nicht um dich. Aber Adassett zu dienen ist doch sicherlich kein Problem für dich, Nanouk. Schließlich sind selbst die Felle eines Barbaren wärmer als die Schneisen im Zittergebirge.«

Dieses Mal galt Saghanis tödlicher Blick alleine Nanouk, die versteinert auf dem Liegesofa saß und nur schaffte zu nicken.

»Fantastisch. Dann hätten wir das geklärt. Ich gebe euch bis zum Ende dieser Woche. Ich habe Adassett, ungeduldig wie er ist – eine Eigenschaft, die du durchaus ausnutzen solltest – versprochen, dass er dich am Ende des Festes in seine Gemächer mitnehmen kann. Er zahlt sogar eine Menge Gold für dich.«

Nanouk nickte nur erneut, kaum verstehend, was Saghani ihr erzählte. In ihrem Kopf hatte sich ein hohes Pfeifen eingenistet, das ihr jeglichen kohärenten Gedanken bereits im Keim erstickte. Es war eine Drohung, die offensichtlicher nicht sein konnte. Saghanis anfängliche, mütterliche Fürsorge reichte tatsächlich nur bis zu dem Moment, indem Nanouk begann ihre Wichtigkeit für Saghanis persönliche Zwecke zu verlieren. Sollte sie ihrem perfiden Plan, Adassett, Reiki und allem Anschein nach auch dem König höchst persönlich, ein Bein zu stellen, nicht zustimmen, war sie nicht mehr wert als das, was sie zu Beginn ihrer Ankunft gewesen war. Ein schmutziges, grobschlächtiges Kind, das bereits mit einem Bein im Grab stand und auch getrost ihr zweites dort hinein setzen konnte.

»Außerdem hat Adassett, so ungerne ich das auch zugebe, körperliche Qualitäten, die dir fehlen«, fuhr Saghani unbefangen fort und lächelte Nauju entschuldigend zu. »Und ein Temperament, das ihr sicherlich hinsichtlich Naos Vorlieben definitiv helfen kann.«

Doch dieser hob nur die Schultern und grinste wohlwollend. »Keine Sorge, ich erhalte täglich Bestätigung, mehr als alle anderen.«

Saghani schnaubte amüsiert und leerte den Rest ihres Weines in einem Zug. »Dann sieh zu, dass sie auf Adassetts ... Praktiken vorbereitet ist.«

Nauju nickte und packte Nanouk unzeremoniell am Oberarm, um sie aus den schweren Polstern zu ziehen.

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Nanouk stolperte wie betäubt hinter Nauju her, als dieser sie zurück in ihr Zimmer brachte. Nichts spielte mehr eine Rolle, wenn Saghani sie an Adassett verkaufte. Sie hatte wirklich geglaubt, sie hätte mehr Zeit, hätte sich mit Nauju auf jemanden eingelassen, der ihr helfen konnte und sich erst gestern damit auf die Schulter geklopft, dass sie Nauju Saghanis Absichten besserwisserisch unterbreitet hatte.

Ja, Saghani würde nichts und niemanden zwischen das Ziel kommen lassen, das sie nach wie vor heimlich verfolgte. Oder zumindest vor Nanouk verheimlichte, ob Nauju darüber informiert war, wonach Saghani wirklich dürstete, konnte sie nicht sagen. Nun, jetzt saß sie selbst am Ende dieser Absichten und hatte mit den Auswirkungen Saghanis Pläne zu leben.

Es ist nicht stehlen, wenn es freiwillig gegeben wird. Das waren die Worte, die Adassett damals in der Halle der Abgaben zu ihr gesprochen hatte, als Fürst Perrin die Kinder seines Fürstentums an das Monster in den Bergen verschenkt hatte. Nanouk wusste nicht genau, weshalb ihr dieser Moment gerade jetzt wieder einfiel. Vielleicht aber, weil nun alles der selben, perfiden Logik entsprach. Adassett würde sich an ihr vergreifen und es als Einvernehmlichkeit ansehen, weil Saghani befahl, dass es das zu sein hatte.

Sie hatte an sich nichts dagegen mit jemandem ins Bett zu steigen, oft genug waren ihr dahingehend Gedanken durch den Kopf gegangen. Sie hatte sich als aufblühendes Mädchen vorgestellt, wie es wohl wäre Iuanoq oder Nanavi zu küssen und später, wie es sich anfühlen könnte, wenn Ajat seine Hände unter die weichen Fellschichten ihrer Kleidung wandern ließe. Doch jegliche Neugierde war von der bitteren Resolution erdrückt worden, welche ihr die harte Realität vehement in den Verstand gehämmert hatte. Sie durfte keine Kinder bekommen, ganz egal, wie schön es vielleicht sein konnte.

Das würde ihr hier durch Naujus Tonikum vermutlich nicht passieren, doch gab es hier auch nichts, was ihre Neugierde anregte. Hier wurde sie dazu gezwungen und das war, was den Unterschied ausmachte.

Sie wurde aus ihren verzweifelnden Gedanken gerissen, als Nauju die Zimmertüre mit einem endgültigen Geräusch hinter ihnen beiden schloss.

»Nanouk«, fing er zögerlich an und ließ sich mit dem Rücken gegen das Holz sinken, während er die Arme dabei verschränkte.

»Nicht«, schnitt sie ihm sofort das Wort ab und hob abwehrend die Hände. Überrascht über ihren eigenen, scharfen Tonfall. »Versucht nicht mich zu beschwichtigen, nachdem Ihr keinen Finger gerührt habt, um das zu verhindern.«

»Du vergisst, dass ich bereits einmal meinen Kopf riskiert habe, um dein Angebot zu verwirklichen«, hielt Nauju dagegen, doch seine Stimme war dabei ernst, ganz untypisch für ihn. »Saghani mag mich aus reinem Eigennutz brauchen, aber wenn sie ihren Hals dadurch Nao hinhalten muss, kommt das nicht ohne einen Preis.«

Nanouk rang die Hände. »Das klang das letzte Mal aber noch anders. Ihr meintet, sie könnte Euch nichts abschlagen.«

»Ich bin mir sicher, das habe ich anders formuliert, aber das spielt doch nun gar keine Rolle mehr. Saghani will dich Adassett geben, weil sie es will. Weil sie meint, dass sie es muss. Sie will dich testen.«

Ihre Blicke trafen sich und Nanouk musste ihren Kiefer fest zusammenbeißen, damit er ihr nicht vor Angst schlotterte. Sie fühlte irgendwo tief in sich drinnen, dass sie dieser Pfad der Ereignisse nicht weiter kümmern durfte. Alles, was sie seit ihrem Erwachen hier in Wallheim getan hatte, diente alleine dem Zweck zu Kräften zu kommen, Saghani milde zu stimmen, um an den Palast zu gelangen und nach den Kindern zu sehen. Jeder Morgen der hier oben anbrach, bedeutete, dass Inaak und Paali vielleicht nicht mehr lebten, vielleicht längst verkauft, versklavt oder hingerichtet worden waren. Für Qiuq war sie bereits längst zu spät.

Nanouk schlief in Daunenbetten, bekam warme Mahlzeiten serviert und lebte gegen all ihre Erwartungen, während ihre Kameraden litten. Während ihre Eltern litten, während Ajat sich grämte. Sie war hier, weil sie alle dem ein Ende bereiten wollte. Muss, wies sie sich selbst zurecht. Ich muss dem ein Ende bereiten, andernfalls werden wir allesamt sterben.

Doch mit diesem Gedanken kamen all die anderen niederschmetternden Tatsachen zurück in ihren Geist geflutet. Das, was der Winterkönig war, konnte alleine seiner Erscheinung nach nicht menschlich sein und auch Nauju hatte ihr erklärt, dass Nao nicht mehr bei Sinnen war. Er stahl den Ewigen ihre Boten, raubte den Urahnen ihre Magie und zerstörte das Land, auf dem er lebte. Wie sollte man so jemanden aufhalten? Mit einem lahmen Bein? Mit der grässlichen Aussicht, sich einem sadistischen Barbaren hingeben zu müssen, der wöchentlich Menschen den Kopf abschlug?

Nanouk spürte, wie alles drohte über ihr zusammen zu brechen, ihre Entschlossenheit und auch die Kraft, sich durch diese furchtbaren Umstände zu kämpfen, immer schwächer wurde. Es war zu viel für ein Paar Hände.

»Du weißt, dass Saghani Recht hat? Adassett kann dir nicht wirklich schaden«, drang schließlich Naujus sanfte Stimme durch das stille Zimmer und Nanouk blickte erschrocken auf. Sie hatte in ihrer Verzweiflung beinahe vergessen, dass er immer noch gegen ihre Türe gelehnt dastand und sie betrachtete.

»Wie auch«, fuhr Nauju fort. »Selbst, wenn er Nao nicht mehr nahe steht, folgt er seinen Befehlen so widerstandslos wie Reiki. Wenn Saghani berichtet, was Adassett mit Naos Hab und Gut angestellt hat, dann droht ihm die selbe Strafe, wie allen anderen. Er wird dir nicht wehtun.«

Nanouk wusste, dass er diese Dinge zum Großteil sagte, um sie zu beruhigen und doch klammerte sie sich an diese trügerischen Worte, wie eine Ertrinkende an die Rettungsleine.

»Haben sich deine Ansichten, was mein Angebot angeht, geändert?«, fragte Nauju dann vorsichtig. »Du weißt, dass ich dir nach wie vor zeigen kann, wie du diese Nacht am besten überstehst. In allem Ernst, ich mache mich nicht lustig, noch möchte ich deine Situation ausnutzen.«

Nanouk kniff die Lippen zusammen. Unter die Furcht mischte sich leichte Verärgerung.

»Nein. Ich möchte verstehen, wie nahe Adassett und der Winterkönig sich stehen.«

Nauju hob seine Brauen verblüfft an und stieß sich von der Tür ab. »Bevor ich das tue«, meinte er und ein verwegenes Funkeln trat in seine hellen Augen. »Was lässt dich nicht verzagen? Warum brennst du so heftig dafür, hier zu verschwinden – neben den offensichtlichen Gründen?«

Nanouk holte tief Luft und ließ sie langsam wieder ausströmen. Sie wusste nicht, wie sehr sie Nauju tatsächlich vertrauen durfte, als sie an den Moment im Thronsaal zurückdachte, in welchem sie abgewägt hatte, ob sie zu erkennen geben sollte, dass ihr das Wohl der Kinder am Herzen lag. Vielleicht weniger, als er es verdient, dachte sie bedrückt, aber mehr, als ich es will.

»Ich bin nicht alleine hier herauf gekommen wie du weißt. Es gibt Kinder«, fing sie daher zögerlich an, »denen ich helfen möchte. Doch wir wurden getrennt. Ohne sie kann ich hier nicht weg. Ich bin verantwortlich für sie.«

Nauju sagte nichts darauf, sondern nickte nur nachdenklich zu sich selbst. »Adassett und Nao waren eng befreundet, als ihrer beiden Väter noch am Leben waren. Adassetts Vater war der Hauptmann der Wache und als sein Sohn wurde Adassett für die selbe Rolle ausgebildet«, fing Nauju an zu erzählen.

»Und kam es dazu?«

Nauju schnaubte. »Nicht direkt. Wie du weißt, starb Naos Vater an einer Krankheit. Nao wurde mit siebzehn gekrönt und Adassett war selbst keine zwanzig, als sein Vater starb.«

»Das war bevor Reiki zu ihnen stieß?«

»Nein«. Nauju schüttelte den Kopf und seufzte. »Reiki kam bereits viel früher an den Hof, doch er blieb nicht. Erst, als Nao König wurde, fand er seinen permanenten Platz neben dem Thron.«

Nanouk kaute nervös auf ihren kurzen Nägeln. »Und dann wurde die Geschichte kompliziert.«

Nauju lachte. »Dann wurde sie kompliziert, ja. Sie haben sich zerstritten und seit dem ... ist es nicht mehr wie früher. Ich kenne keine Details, wichtig ist auch nur, dass du dir sicher sein kannst, dass Adassett auf Kriegsfuß mit Nao steht. Und mit Saghani, doch das dürfte dir bereits aufgefallen sein.«

Das waren zumindest zum Teil beruhigende Neuigkeiten. Nauju ließ sie nur kurz alleine, damit er seinen Arzneikoffer holen und sie in der Zwischenzeit das Bad aufsuchen konnte. Sie musste außerdem wieder an den Schlagabtausch zwischen Saghani und Adassett zurück denken, als sie einander vor dem Palast mit Worten in Stücke reißen wollten. Saghani hatte Adassett eine Innigkeit mit dem Winterkönig unterstellt, die jedoch allem Anschein nach, wenn sie Nauju Glauben schenkte, ein Ende gefunden hatte.

Kaum war er zurück, fragte ihm Nanouk auch schon wieder Löcher in den Bauch. Nauju zeigte sich seltsam gewillt, ihr zu antworten und Nanouk wunderte sich, ob das daran lag, dass er doch ein schlechtes Gewissen wegen seiner Passivität heute hatte.

»Also Reiki hat Adassett praktisch von der Seite des Winterkönigs verdrängt«, stellte sie schließlich fest, als Nauju ihr Bein behandelte.

»Nicht direkt. Adassett war Nao so nahe, wie er Reiki nahe war. Die drei waren unzertrennlich, ganz egal, wie absurd und bizarr dir das jetzt erscheinen mag.«

»Ziemlich bizarr«, murmelte Nanouk und begutachtete Naujus Hände bei der Arbeit. »Dabei könnten sie nicht unterschiedlicher sein.« Sie musste zurück an Aalsung und den Schneepfad denken, als ihr der starke Kontrast dieser beiden Männer nur zu deutlich ins Auge gestochen hatte.

»Damit hast du Recht«, hakte Nauju leise ein. »Adassett ist wie ein Feuer, ein Waldbrand, ein Gewitter, das vor nichts halt macht. Vielleicht ist er sogar noch versessener auf Naos Thron als Saghani.«

Kurz war es still, als Nauju seinen Gedanken nachhing und Nanouk räusperte sich. »Und Reiki? Wenn Adassett ein Waldbrand ist?«

Nauju hob eine Schulter, als seine Finger vorsichtig über die Narbe glitten. »Reiki ist wie das Wasser«, fing er an zu sprechen und seine Stimme war dabei beinahe ehrfürchtig ruhig. »Ein steter Fluss, bedacht und in die Tiefe hin unkenntlich, bis man in seine Stromschnellen gerät und ertrinkt«, schloss Nauju und seine Finger ruhten ebenfalls reglos auf ihrem Bein. »Bis er dich mit Haut und Haar verschlingt.«

Alleine bei der Erwähnung dunkler Gewässer kribbelte Nanouks Narbe an der Schläfe. »Dann ist Saghani wohl der Wirbelsturm, der über den Landstrich fegt?«, fragte Nanouk murmelnd nach und löste endlich ihre zusammengebundenen Haare. Ihre Frisur war bei weitem nicht so kompliziert wie jene, die sie für den Winterkönig getragen hatte, doch immer noch viel zu straff.

Nauju warf ihr einen Seitenblick zu und beobachtete sie dabei, wie sie sich mit den Fingern die Kopfhaut massierte.

»Saghani ist ein Blizzard«, berichtigte er sie dann jedoch mit einem lustlosen Lachen. »Während sie dich davon wirbelt, nimmt sie sich außerdem die Zeit, dich dabei in der Luft zu zerreißen.«

»Das habe ich gemerkt«, murmelte Nanouk und konnte dennoch nicht verhindern, dass sie leise Enttäuschung fühlte, als sie daran dachte, wie Saghanis Fürsorge ihr gegenüber abgenommen hatte. »Was will sie überhaupt? Warum will Saghani an Naos Seite finden?«

Daraufhin hob Nauju seine Augenbrauen überrascht und setzte sich gerade auf. »Saghani will nicht an Naos Seite finden. Auch«, fügte er dann zögerlich hinzu, »wenn es den Anschein hat. Außerdem wacht Reiki stets über Nao, niemand könnte ihn auch nur berühren, wenn Reiki es nicht zulässt. Er tut alles, was Nao ihm aufträgt und tötet jeden, der ihm in die Quere kommt.«

Nanouk schüttelte den Kopf. »Wie? Wie um alles in der Welt kann Reiki ... kann Ijiraq, solche Dinge tun? So war er doch gar nicht«, flüsterte sie bedrückt und auch wenn sie wusste, dass Reiki vermutlich nicht freiwillig tat, was man ihm auftrug, war es dennoch schwer für sie, zu akzeptieren, dass er keinerlei Mitspracherecht hatte. Obwohl sie die Geschichte über den Dämon Ijiraq kannte, fiel es ihr schwer zu glauben, dass Reiki wahrhaftig ... Kinder fraß.

Doch Nauju wischte diese Zweifel beiseite.

»Die Bindung, die Reiki an Nao fesselt, ist stärker als ein Versprechen, Nanouk.« Er wickelte die Bandagen um ihr Bein und als er fertig war, wischte er sich die Hände an dem Baumwolltuch sauber. »Sie ist von einem Ewigen geschmiedet worden und daher auch für die Ewigkeit gemacht.«

Nanouk starrte Nauju entsetzt an, als er sich geistesabwesend über die Unterarme strich. Dort, wo die Glyphe von Etamashuk in seine Haut gestochen worden war. »Ein Ewiger hat das getan? Wer? Warum?«

Doch Nauju holte tief Luft und wandte sich ab von ihr. »Das weiß wohl nur das Monster selbst.«

»Welches?«

Nauju schnaubte belustigt. »Richtig, ich vergaß. Für dich sind beides Monster. Du kannst Nao aber gerne selbst fragen, wenn du die Gelegenheit bekommst. Das ist zufälligerweise ja recht bald.«

Er wandte sich nun wieder zu ihr um und grinste ihr selbstgefällig ins Gesicht. Nanouk überlegte sich, wie gut es in ihren Plan passte, wenn sie Nauju mit der Faust die Nase brach. »Ihr seid nach wie vor nicht witzig«, fauchte sie und Nauju legte den Kopf schief.

»Mich interessiert es aber tatsächlich genauso wie dich. Aber damit du mir berichten kannst, musst du erst einmal bis dorthin überleben.«

Nanouk würdigte ihn nicht einmal eines Blickes. Sie war müde und erschöpft, sogar ihre Knochen protestierten träge, als sie gähnte und durch Naujus seltsam informatives Gespräch fühlte sie sich tatsächlich in der Lage halbwegs beruhigt zu schlafen.

Nauju ließ sie kurz darauf auch alleine, zögerte, als wolle er noch etwas sagen, doch zog die Türe dann fest hinter sich zu. Nanouk wunderte sich, ob er ihr einen Vorwurf daraus machte, dass sie ihre Abmachung trotz allem nicht brechen wollte. Sie würde schließlich die Arbeit einer Kurtisane verrichten, bloß nicht für ihn. In der Dunkelheit ihres Zimmers rümpfte sie die Nase. Sie konnte das überstehen. Musste.


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