⫷ Kapitel 21: Ein verschleiertes Angebot ⫸
»Und, wie fandest du ihn?«, fragte Nauju, als er sich schließlich zu ihr ans Bett setzte und begann die Salbe auf der geröteten Wunde zu verteilen.
Nanouk war ein wenig unschlüssig in dem Zimmer gestanden, als alles in ihr danach drängte, sich die Schmuckstücke von den Armen, den Händen und dem Kopf zu streichen, doch Ischkas kalt gesprochene Zurechtweisung ließ sie zu ihrem Ärgernis zögern. Lächerlich und dennoch saß sie nun beinahe versteinert auf dem Bett und versuchte das Unbehagen, welches das Metall auf ihrer Haut in ihr auslöste, zu unterdrücken.
»Wen meint Ihr?«, fragte sie zurück und beobachtete Nauju, der seiner Arbeit merkwürdig behutsam nachging. Als wolle er ihr zeigen, dass er sich durchaus benehmen konnte und seine Finger tatsächlich bei sich zu lassen vermochte.
»Nao«, antwortete er schlicht und doch ein wenig überrascht, als er aufblickte und ihren düsteren Blick suchte. »Dein Eindruck von ihm.«
Nanouk rümpfte unwillkürlich die Nase, was Nauju ein hinterlistiges Grinsen entlockte. Doch er schwieg und Nanouk zwang sich daran zu denken, was ihr heute widerfahren war. An Naos widerliche Gelüste, seinen absurd roten Handschuh und die Art und Weise wie er durch seine bloße Existenz diesen riesigen, leeren Thronsaal Trotz seiner Schmächtigkeit dominiert hatte. An den Moment in welchem er von Nanouk verlangt hatte, nieder zu knien.
»So, wie ich es mir gedacht habe«, brachte sie hervor und fühlte, wie sich die Schmach erneut in ihr ausbreitete. Wie konnte er es wagen derartig auf sie herab zu blicken!
Doch Nauju runzelte nur belustigt die Brauen. »Hast du tatsächlich erwartet, dass er dich am Leben lässt und dir sogar einen Gefallen tut? Saghani hat davon erzählt.«
Nanouk wollte ihm eine Beleidigung an den Kopf werfen, wollte ihm sagen dass man in keinster Weise großzügig über den Winterkönig sprechen konnte, doch hielt inne. Sie entsann sich Ijiraqs Worten in dem dunklen Korridor.
»Er wollte mich hinrichten«, brachte sie schließlich leise hervor und das erste Mal begriff Nanouk, wie knapp sie dem Tode wohl entronnen war.
Jetzt richtete sich Nauju langsam auf und sein Blick lag beinahe reglos und unglaublich interessiert auf ihr. »Ach?«
Zuerst meinte Nanouk, er würde sich über sie lustig machen, doch sie konnte keinerlei Schalk in seinem Blick erkennen, also schluckte sie bloß betroffen und nickte.
»Ich denke schon. Doch Reiki ...« Nanouk kniff die Lippen zusammen. »Ihr hättet es mir sagen können, Ihr hattet genügend Gelegenheiten dazu!«, warf sie ihm verärgert vor, doch Nauju rollte nur belustigt mit den Augen.
»Ich war gespannt, wann du es merkst.«
»Ihr seid ein Widerling«, fauchte Nanouk und wusste mit einem Mal nicht mehr recht, wie sie sich dabei fühlen sollte. Ja, Ijiraq war Reiki über den so mannigfaltig, doch stets im schlechten Bilde erzählt wurde, aber er hatte sie auch gerettet. Vielleicht schon das zweite Mal. Nanouk runzelte die Stirn und fuhr sich über diese, als sie kurz die Augen schloss und versuchte durch ihre Müdigkeit hindurch die Gedanken in ihrem Kopf zu sortieren. Dabei fand sie heraus, dass sie es eindeutig nicht in sich hatte, nun über diese feine doch gravierende Unterschlagung von seitens Naujus zu lamentieren.
»Reiki gab ihm zu verstehen, dass ich ... anderweitig zu gebrauchen wäre«, sagte Nanouk daher zerknirscht und spürte, wie ihr dabei Trotz allem heiße Scham in die Wangen kroch. Sie wollte nicht erröten, da gab es nichts, was diese Regung auslösen konnte und doch scheute sie sich davor in Gegenwart Naujus über dererlei zu sprechen.
Dieser runzelte die Brauen und biss sich auf die Lippen, als er seine Arbeit zögerlich fortsetzte. »Ach. Tatsächlich. Ich hoffe, du bereust deinen Wunsch nicht. Was ich mir nicht denken kann, schließlich bist du nach alle dem immer noch hier.«
Nanouk holte Luft, doch stockte, als sie sich Naujus Worte sorgfältiger durch den Kopf gehen ließ. Einen Wunsch. Der Winterkönig hatte ihr keinen Wunsch erfüllt, sondern lediglich so viel gegeben, wie er selbst bereit gewesen war. Keinen Deut mehr. Er wollte spielen und Nanouk hatte ihm, gesegnet mit dem Glück einer Närrin, genau das geboten, wonach ihm der Sinn stand. Einen Weg, Saghani zu ärgern. Wobei sich Nanouk nicht sicher war, welche Ausmaße ein solcher Zeitvertreib in Ausübung des Winterkönigs annahm.
»Er findet es amüsant zuzusehen, wie Saghani vor ihm kuscht«, stellte sie benommen fest. »Er hat meiner Bitte nur aus Eigeninteresse Statt gegeben, nicht, weil er mir wirklich einen Wunsch zu erfüllen gedacht hatte. Er will euch allesamt tanzen sehen.« Nanouks Verstand arbeitete schmerzhaft, als sie versuchte die Geschehnisse des Tages in Relation zu setzen, den Sinn dahinter zu entschlüsseln, um zu verstehen, ob sie nicht doch nur nach losen Enden fischte.
Nauju blickte sie mit seinem amüsierten Lächeln an, doch aus seinen Augen sprach etwas dunkleres, tückischeres. »Er will vor allem dich tanzen sehen«, verbesserte er sie dann und beendete seine Arbeit an ihrem Bein.
»Wohl kaum«, gab Nanouk zurück und blickte erschrocken zu Nauju auf, der sich die Hände an einem Baumwolltuch abwischte. Sie schob ihre nackten Beine über den Rand des Bettes und trat versuchsweise auf den weichen Teppichboden auf. Sie konnte erkennen, wie sich selbst durch eine solch geringe Belastung die Ränder der Wunde über ihren beschädigten Muskeln kräuselten und einen stechenden, aber glücklicherweise bloß dumpfen Schmerz durch ihr Bein sandte.
Als Nauju sie bloß belächelte und darauf wartete, dass sie weitersprach, grub sich eine schwache Erkenntnis durch den Morast ihres Geistes. »Er nannte mich langweilig. Er hat mir meinen Wunsch bloß gewährt, weil er Saghani straucheln sehen will.«
Doch Reiki hatte sicher gestellt, dass ihr der Winterkönig einen zweiten Blick schenkte. Und mit einem Mal wusste Nanouk nicht, was sie schrecklicher finden sollte. Auf der Stelle hingerichtet zu werden, oder zu erleben, was es bedeutete, wenn jemand wie der Winterkönig nach ihr gelüstete.
»Tja«, machte Nauju und seufzte als hätte er nur darauf gewartet, dass Nanouk sich dessen bewusst wurde. »Und damit kommen wir zum unschönen Teil unseres Abends«, fuhr er amüsiert fort und verschränkte die Arme vor der Brust, während er alles andere als betrübt dabei aussah.
»Was meint Ihr damit?«, fragte Nanouk Trotz der unumstößlichen Vorahnung, obwohl sie genau wusste, dass Nauju sich gerne bitten ließ. Zu erfahren, was es war, das Saghani mit ihren rätselhaften Worten vorhin angedeutete hatte, war von höherer Priorität, als Nauju die Stirn zu bieten.
»Wie Saghani aus einer langweiligen, mageren Wilden eine sinnliche Liebhaberin zu machen gedenkt. Die sich darauf versteht, einen König zu beglücken, wohlgemerkt.«
Nanouk ließ sich blinzelnd auf das Bett zurück sinken. »Ich fürchte, ich habe mich verhört.«
»Ich fürchte nicht«, entgegnete Nauju jedoch schlicht und wenn ihm das blanke Entsetzen auf Nanouks Gesicht auffiel, so ignorierte er es gekonnt. »Da du aus einem Kaff wie Tallik kommst, würde es mich nicht wundern, wenn du mit deinen ... was ... sechzehn?«
»Achtzehn«, korrigierte ihn Nanouk mit krächzender Stimme und spürte, wie sich ihre Brust zusammenzog, als sie langsam begann zu begreifen, was Naujus Anwesenheit in dieser absurden Gleichung zu bedeuten hatte.
Daraufhin legte Nauju interessiert den Kopf schief und ließ seine ockernen Augen an ihrer freizügigen Kleidung auf und ab wandern. »Du siehst jünger aus als das. Mager.«
Nanouk verzog angewidert das Gesicht und widerstand dem Drang die Arme vor der Brust zu verschränken.
»Hm«, machte Nauju nachdenklich und rieb sich das Kinn, als er sie begutachtete wie ein Stück Fleisch. »Ich dachte euer Fürst hätte bloß Kinder hier herauf geschickt.«
Nanouk biss die Zähne so fest zusammen, dass sie schmerzten und musste sich regelrecht dazu zwingen ihre Kiefer zu öffnen, um zu sprechen. »Ich wurde am Fristende achtzehn.«
Am Tag der Sommersonnwende. Doch sie konnte jetzt nicht an das Fest denken, das nicht stattgefunden hatte. Das schon seit Jahren nicht mehr statt fand. Nicht mehr stattfinden durfte.
Die Sommer- als auch die Wintersonnwende waren wichtige Tage in Aalsung und seiner Umgebung. Man feierte diese beiden einschneidenden Phänomene als Wendepunkte in den Gestirnen und der Jahreszeiten. Es war die Weiche, welche in ihrem früheren Glauben den Fokus ihrer Darbringungen verlagerte, denn in der warmen Hälfte des Jahres galt es andere Ewige anzurufen, als in der kalten Hälfte. Es war ein Wechsel zwischen Sonne und Mond, Utaaki und Onori, denn obwohl jene beiden Gestirne selbstverständlich nicht vom Firmament verschwanden, so galten die Feierlichkeiten dennoch dem siegreichen Einzug des Lichts im Sommer, oder des Schattens im Winter. Zwei Hälften eines Ganzen.
Früher einmal hatten sich die Dorfbewohner fein herausgeputzt, Festgewand, bunt bestickte Armreife und Umhänge getragen, das beste Schuhwerk hervorgeholt und überall um das Dorf herum hatte man von der Hand gewobene Bänder und Tücher in die Wipfel der Bäume gebunden. Sie dienten der Orientierung, wiesen den Geistern den Weg zurück zur Erde und knüpften eine spirituelle Brücke direkt zu den Ewigen, deren Gunst man erwerben wollte.
Doch mit den Jahren, in welchen der Winter den Sommer mehr und mehr verdrängte, die Sommersonnwende nicht mehr hielt, was sie einst versprochen hatte und die Menschen den Traditionen der Darbringungen nur noch mit Zynismus und Spott gegenüber standen, hatte man auch aufgehört zu feiern.
Es gab keine lodernden Lagerfeuer, in denen man Gebete verbrannte, keine Tänze, Lieder und Musik mehr, an denen man sich erfreuen konnte und ihr ataaq hatte schlussendlich auch seine Lesungen und Zukunftsdeutungen verschweigen müssen. Niemand wollte hören, dass die kommenden Jahre nichts als Kälte und Tod bereit hielten. Und trotzdem hatte ihr ataaq, dessen Aufgabe es als spiritueller Führer früher einmal gewesen war, solch wichtige Weisungen unter den Dorfleuten zu verbreiten, bis zum Schluss daran festgehalten. Trotz des abwertenden Rufs, den er und alle anderen seines Metiers schließlich geerntet hatten.
Und hatte sie nicht selbst erst vor wenigen Tagen einen Urahn gesehen? Ein Bindeglied zwischen den Altären der Ewigen und deren ätherischen Macht, welche die Magie ins Land hinaus trugen?
Nanouks Herz setzte einen Schlag aus, als sie an Reiki dachte, der so unbeschwert gewirkt hatte, als wäre das Zittergebirge seine Heimat. Der so sanft und fasziniert gewesen war, als sich der Bote eben jener Magie, gesandt von den Ewigen, in der Erscheinung eines Geweihträgers offenbart an ihnen vorbei bewegt hatte, wie ein Traum. So voller Bedauern. Und Ehrfurcht.
Sie suchen nach demjenigen, der ihnen die Magie raubt. Sie sterben.
Das hatte Reiki ihr ins Ohr geraunt. Der Winterkönig. Er war es, der wie eine Plage über ihr Land gekommen war. Und ihr aataq war nicht verrückt gewesen, so viel wusste Nanouk jetzt.
Sie hatte lange geschwiegen und Nauju betrachtete sie nach wie vor ohne Eile, als ließe er ihr die Zeit, die sie brauchte, um das Gesagte auf sich wirken zu lassen.
»Ich wurde erst am Abend der Sommersonnwende achtzehn und war daher noch jung genug, um verkauft zu werden«, wiederholte sie bitter und spürte, wie sich die Erschöpfung nun endgültig in ihr ausbreitete.
»Ein hartes Schicksal«, bemerkte Nauju unbekümmert, als er schließlich seinen Blick von ihren Lippen hob und ihr in die Augen sah.
»Macht Euch nicht lustig über mich.«
»Keineswegs«, entgegnete er abwehrend und lächelte. Mittlerweile war sich Nanouk sicher, dass er gar nicht anders konnte. »Wie ich schon sagte, ich gehe nicht davon aus, dass du mit deinen achtzehn noch unberührt bist, was das Kommende um einiges einfacher machen wird. Wer weiß, vielleicht bist du sogar selbst schon Mutter und musstest deine eigenen Kinder hier hinauf begleiten?«
Nanouk schnappte hörbar nach Luft und stieß diese mit einem Zischen wieder aus. Doch Naujus Frage war derart neugierig gestellt, dass sich Nanouk die Haare auf den Armen aufstellten. Wie konnte er nur solche Dinge erfragen?
Es hätte durchaus sein können, dass Nanouk bereits einen Mann erwählt und Kinder hatte und allein der Gedanke, dass Nauju es amüsant fand, eine Mutter zu verspotten, drehte ihr den Magen um.
»Ihr seid abstoßend«, fauchte Nanouk angeekelt. »Wir verlieren die meisten Kinder bevor sie überhaupt ins Alter kommen, in dem sie eigene zeugen könnten! Oder habt Ihr vielleicht eine ganze Hofschar erblickt, die Adassett hier hinauf geschleppt hat?!«
Nauju hob beschwichtigend die Hände, doch Nanouk ließ ihn nicht gewähren.
»Und die älteren wie ich? Wir, die zwischen dem Elternsein und dem Kindsein hin und her geworfen werden, so wie es den mächtigeren passt? Ich käme nicht einmal auf die Idee Kinder in diese Welt zu setzen, wenn wir weder Nahrung, noch Medizin haben, um eine werdende Mutter überhaupt bis zur Entbindung durchzubringen! Aber bitte! Spottet nur!« Nanouk hielt inne, da sie gegen die bedrückende Enge in ihrer Kehle ankämpfen musste. »Ich treffe hier keine Entscheidung, denn es gibt hier nichts für mich zu entscheiden. Das hat Euer König sicher gestellt, als er uns alles nahm.«
In der entstehenden Stille hielt sich sogar Nauju anstandshalber zurück und sagte nichts. Er betrachtete Nanouk lediglich, zwar immer noch unbefangen, doch ohne diesem furchtbaren Lächeln auf dem Gesicht.
Nanouk wusste nicht woher plötzlich dieser schreckliche Drang kam in Tränen auszubrechen. Sie hatte sich nie vorstellen können oder wollen, dass sie eines Tages vielleicht selbst Mutter sein wollte. Diese Gedanken waren gefährlich, flüchtig und ebenso unerreichbar wie die Sonne in diesen trostlosen Wintern.
»Also doch«, sprach sie dann weiter, als Nauju nach wie vor nichts sagte und Nanouk das Gefühl gab, als höre er ihr aufrichtig zu. »Ich bin unberührt«, schloss sie verletzt und wünschte sich nichts sehnlicher, als dass Nauju sie einfach alleine ließ.
Doch das tat er selbstverständlicher Weise nicht. »Das ist schade«, fing er dann mit einem Seufzen an und erwachte aus seiner beinahe andächtigen Haltung. »Saghani schätzt das nicht. Und noch viel wichtiger, Nao schätzt das nicht. Er dient nicht gerne, er ist König, warum sollte er auch, er wird gerne bedient.« Nauju rieb sich die Stirn und schüttelte leicht den Kopf. »Saghani wird absolut nicht zufrieden sein. Wenn du in zwei Wochen zurück zu Nao musst, dann fürchte ich, haben wir ein ziemlich straffes Programm.«
Nanouk schluckte und rang den seltsamen Gram in ihrer Brust nieder. »Das kann unmöglich Euer Ernst sein. Saghani würde das nicht gutheißen. Ich lasse mich nicht verkaufen.«
»Verschenken«, besserte sie Nauju ungerührt aus und stemmte eine seiner Hände in die Hüfte. »Und doch, genau das ist es, wozu du zugestimmt hast, als du um einen Platz an Saghanis Seite gebettelt hast. Sieh mich bloß nicht so an«, fügte er uncharmant und alles andere als feinfühlig hinzu.
»Du hattest deine Gründe, weshalb du zurück zu ihr wolltest. Und Nao hat seine Gründe, weshalb er dir diesen Wunsch gewährt hat. Und Saghani hat vermutlich einen Haufen Gründe, euch beide glücklich zusammen zu führen. Ein Spiel, das sich für alle lohnt!«
Nauju besaß sogar die Frechheit ehrlich unterhalten auszusehen.
»Und was springt für Euch dabei heraus?«, warf Nanouk ihm wenig höflich entgegen und wich in dem kleinen Zwischenraum von Bett und Arbeitstisch so weit zurück, wie sie nur konnte.
Doch daraufhin schwieg Nauju einige Augenblicke, als hätte er nicht damit gerechnet, dass sie ihn so gerade heraus fragte. Doch sein Gesichtsausdruck wurde völlig neutral, als er seinen Blick schweigend zum Fenster hinaus richtete. Er sagte lange nichts, bloß seine Lippen öffneten sich leicht, als gingen ihm unzählige Dinge durch den Kopf, die er allesamt nicht auszusprechen gedachte. Doch Nanouk kannte diesen Ausdruck, nicht unweigerlich an ihm, aber so hatte ihr ataaq ausgesehen, wenn er sie früher mit hinaus zu den Fjorden genommen hatte.
Wenn er mit einem qualmenden Tannenzweig im frischen Nordwind stand und die Gischt seine Stiefel sprenkelte. Als lausche er tief in sich, hinein in den Rauch auf die andere Seite der Flammen, durch die Glut hindurch, welche Nanouk durch die Helligkeit in den Augen stach, als könnte er tatsächlich hören, was die Ewigen und ihre Geister sprachen.
Und so sah Nauju aus. Lauschend, grübelnd, fern.
»Für mich?«, sagte er dann leise, immer noch das herbei sehnend, was er dort draußen in der Dunkelheit zwischen den Tannen erhoffte zu finden.
»Nichts«, sagte er dann fester und Nanouk stieß die Luft aus, von der sie nicht einmal gemerkt hatte, dass sie diese anhielt, als sich Naujus leerer Blick zurück auf sie richtete.
Doch diese merkwürdige Verwundbarkeit in seinen Zügen wurde verdrängt von seinem liebsten Gesichtsausdruck; einem herablassenden Lächeln. »Daher habe ich auch keinerlei Grund, dir vorzuschlagen, dass ich dein kleines Geheimnis, deine Abneigung ihrer Arbeit gegenüber, für mich behalte und Saghani erzähle, wir machen prächtige Fortschritte.«
»Und zwar?«
Nauju hob abschätzig eine Augenbraue, ehe er eine saloppe Geste mit dem Arm machte, die Nanouk und ganz Wallheim einschloss. »Das hier ist nichts anderes als ein Bordell, ein Freudenhaus für die reichen Gäste aus den Tälern. Saghani bietet ihre wundervollen Damen im Gegenzug für eine Haufen Gold an, damit sich auch jeder hier die seidenen Decken und weichen Leinenlaken leisten kann. Und ich helfe gewissenhaft nach, damit Saghanis feine Kurtisanen an den Punkt kommen, an dem unsere Kunden mit ihnen zufrieden sind.«
Nanouk starrte Nauju schweigend an. Mit anderen Worten genoss er Wallheims Vorzüge schamlos, wanderte von Bett zu Bett unter dem Vorwand den armen Mädchen und Frauen hier beizubringen, wie sie andere Nobelleute betörten. Und das warf sie ihm dann auch rückhaltlos vor.
Nauju aber hob nur die Schultern, als kümmere es ihn wenig, was Nanouk sich für eine Meinung von ihm bildete. »Ich leiste meinen Teil der Abmachung, dafür stehen mir hier alle Türen offen. Also, willigst du ein?«
Nanouk sagte eine Weile lang nichts darauf. Sie war noch immer dabei zu verinnerlichen, was ihr Nauju soeben offenbart hatte, was es war, das Saghani von ihr verlangte. Saghani. Wie konnte sie das nur von ihr erwarten? Natürlich hatte sie längst geahnt, was es mit Wallheim auf sich hatte, doch dass Saghani sie derartig benutzen wollte, fühlte sich an wie ein übler Scherz. Gerade weil sie sich so fürsorglich um Nanouks Wohlbefinden gekümmert hatte. Doch so stimmte das auch nicht ganz. Saghani selbst hatte stets Nauju zu ihr geschickt und sie darüber hinaus kaum eines Blickes gewürdigt.
Nanouk musste sich bewegen, musste diesen zerwühlenden Gedanken ein Ventil bieten, ohne Nauju mit irgendwelchen vorschnellen Worten in die Hände zu spielen. Sie sollte gar keinen Handel eingehen, mit niemandem und mit einem eiskalten Schlag in den Magen wurde Nanouk bewusst, dass ihr Reiki die Wahrheit gesagt hatte. Doch ehe Nanouk das selbe Urteil über Saghani fällen konnte, musste sie verstehen, was es war, dass die Herrin Wallheims umtrieb. Dennoch stach der vermeintliche Verrat bitter und ernüchternd in ihrer Brust. Eben noch im Festsaal hatte sie so liebevoll mit ihr gesprochen!
Vielleicht wollte Saghani sie gar nicht an Nao liefern, schließlich hatte der Winterkönig selbst verlangt, dass Nanouk nach zwei Wochen zu ihm zurück kehrte. Doch dass Saghani anordnen könnte, dass sie dies als Geschenk auf diese Weise tun sollte ... konnte einfach nicht wahr sein! Jeder hier spielte mit verdeckten Karten und hatte sie nicht selbst eben noch vor Nauju große Worte verwendet, um dem König zu unterstellen, er spielte mit seinen Getreuen?
Nanouk humpelte unbeholfen vor der Truhe am Bettende auf und ab, als sie das Gesagte wieder und wieder in ihren Gedanken kreisen ließ. Schließlich blieb sie stehen und wandte sich langsam zu Nauju zurück um, der sie in aller Seelenruhe dabei beobachtet hatte, wie sie sich in dem kleinen Zimmer hin und her schleppte.
»Euer Vorschlag kommt nicht ohne einen Haken.« Nauju ließ seinen Blick erneut an ihr herab wandern, abwartend. »Was ist es, das Ihr wollt?«
Ein Lächeln zog an seinen Mundwinkeln. »Natürlich gibt es da etwas, das ich verlangen werde im Gegenzug für meine ... Diskretion.«
Nanouks Griff um das hölzerne Bettgestell verkrampfe sich. »Ich hoffe Ihr meint nicht das, was ich mir denke. Und ich war beinahe gewillt Ijiraq zu glauben, als er meinte, Ihr hättet ein nobles Gewissen.«
Das entlockte Nauju ein entzücktes, doch nicht minder abschätziges Lachen. »Hat er das also? Bei Zeiten kann ich mich nicht entscheiden, was ich von ihm halten soll. Er vollstreckt Naos Befehle stets so gewissenhaft. Lässt hier und da ein Kind verschwinden, sucht durch Jung und Alt wie ein eitler Menschenfresser, dem nicht gefällt, was an Abfall hier oben zusammen kommt. Und dann wiederum«, murmelte Nauju und erneut huschte sein Blick zum Fenster, sodass sich Nanouk fragte, ob er dort draußen gar etwas sah, dass ihr alleine nicht auffiel.
»Was ist es dann?«, fragte Nanouk angespannt nach, ihre Stimme vor Müdigkeit und Anstrengung ganz rau. Es gab so viele Dinge, zu denen Nauju sie zwingen konnte, denn er wusste genau wie sie, dass sie keines seiner Angebote ausschlagen konnte. Sie wollte sich diese Blöße nicht geben, musste all ihre Zeit, die sie erübrigen konnte darauf bündeln, einen Weg zu finden, wie sie dem Winterkönig entkommen und die Kinder aus dem Palast möglichst ungesehen befreien konnte. Und dann, wie sie es schaffen sollten, durch die tödlichen Schneisen des Zittergebirges zu fliehen. Es war schlimm genug, dass Saghani sie tatsächlich an den Winterkönig ausliefern würde, gewollt oder ungewollt.
»Es ist wirklich nichts gravierendes«, fing Nauju mit einem amüsierten Lächeln an, doch dann wich dieses Lächeln einem Ausdruck, den Nanouk mit angehaltenem Atem studierte. Sein Blick war mit einem Mal so fern, seine Mimik in zögerliche Furcht gehüllt und es brauchte mehrere Augenblicke, ehe er die Stimme erhob. Als er dies tat, klang eine Gefühlsregung zwischen seinen Worten mit, die Nanouk am ehesten mit Verzweiflung in Verbindung gebracht hätte.
»Wenn du gehst? Nimm mich mit.«
Seine Stimme klang so völlig frei von jeglichem Hohn und Spott und der sehnende Unterton, welcher Nanouk an die bittersüße Melodie zurück erinnerte, die er damals alleine für sich gespielt hatte, brachte ihr Herz zum Flattern.
»Wenn ich gehe?«, fragte sie in die entstandene Stille. »An den Hof, meint Ihr?«
Nauju aber schüttelte nur einmal den Kopf und blickte hinab auf seine Hände, als er an den hochgekrempelten Ärmeln seines seidenen Wamses herumzupfte. »Nein. Wenn du Wallheim verlässt, wenn du durch Naos Tore schreitest und durch das Zittergebirge zurück ins Tal reitest, um dich nie wieder umzudrehen.«
Als Nanouk ihm nicht antwortete, hob er seinen Blick. Nanouk war sich bewusst, dass sie ihn völlig kopflos anstarrte, doch sie vermochte nichts mit seinen Worten anzufangen. Zu absurd war das Gesagte. Natürlich plante sie nach wie vor, von hier zu verschwinden, doch irgendwo gab es hier einen noch größeren Haken. Es war eine Falle, oder ein Trick, ein Spiel, das Nanouk schlussendlich das Genick brach, dabei hatte sie noch nicht einmal wirklich angefangen zu spielen. Laut Reiki hatte sie bereits ein Ass im Ärmel, aber das konnte man unmöglich werten. Was war es, das Nauju hier ausnutzte? Eine weitere Wissenslücke ihrerseits? Gehe keinen Handel ein. Vertraue niemandem.
Nanouk schluckte, völlig gelähmt und handlungsunfähig. Sie konnte aber ebenso wenig mit dem Winterkönig ein Bett teilen ... geschweige denn mit Nauju. Also sagte sie nichts und Naujus Grinsen kehrte zurück, wischte diesen seltsam wehmütigen Mann, der sich ihr offenbart hatte, einfach fort.
»Du musst mir nicht sofort antworten. Ich bin morgen ohnehin fort«, sagte er und verzog die Mundwinkel ausnahmsweise einmal nach unten. »Bevor dein Bein nicht wieder genesen ist, wäre es ohnehin recht sinnwidrig, wenn du mit mir im Bett herum rollst. Oder vor mir kniest. Auch, wenn ich nicht nein dazu sagen würde, wenn du dich reglos auf die Laken legst«, zwinkerte er ihr zu.
Es sollte ein auflockernder Scherz sein, doch Nanouk war nicht zum Lachen zu mute. Zu erniedrigend, zu entblößend war allein der Gedanke, dass sie hier gezwungen werden könnte mit irgendjemandem ins Bett zu steigen.
Nauju packte seinen Koffer und war drauf und dran sich einfach davon zu machen, als hätte er nicht soeben Nanouks Welt völlig auf den Kopf gestellt und ihr jegliche Entscheidungsgrundlage und jegliches Gefühl von Sicherheit entrissen. Und dennoch war alles, das ihren Lippen entkam: »Was mache ich mit den Saphiren?«
Nauju hob eine Augenbraue, als er sie erneut ohne große Eile musterte.
»Weil Ischka behauptet, sie dürften nur von den noblen Gästen angefasst werden.«
Nauju grinste jedoch bloß und Nanouk kniff die Lippen zusammen. »Oh, ich habe jedes Recht, diese Saphire zu berühren. Mich allerdings deines Schmucks und deiner Kleidung zu entledigen, wenn nichts dabei für mich herausspringt, liegt mir nicht.« Er strich sich seine bunt bestickte Weste glatt und musterte sie erwartungsvoll, doch als Nanouk nicht darauf einging, fiel das belustigte Lächeln von seinem Gesicht.
»Es sind nur Steine. Weder sind diese hier heilig, noch aus der Krone des Königs geschnitten. Mach mit ihnen was du willst. Saghani hat so viele davon. Aber du kannst Ischka gerne sagen, ich hätte sie dir mit den Zähnen vom Körper gepflückt.«
Daraufhin zwinkerte er ihr kokett zu und verließ das Zimmer.
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