⫷ Kapitel 14: Nauju ⫸
Nanouks Blick fiel zurück auf den Mann neben ihr, der sie nun ohne Eile musterte. In dem Moment, indem die Türe zugefallen war, hatte sich etwas in seiner Haltung verändert. Er wirkte entspannter, weniger auf der Hut und sein Blick war von einem bemitleidenden Ausdruck erfüllt, als er auf sie herab blickte.
»Ich wollte es nicht sagen, solange Saghani anwesend ist, doch rate ich dir, deinen Dank aufzuheben, bis es dir wirklich besser geht. Ich hätte dich gerne selbst gewaschen, aber dafür war ich ihr dann zu fein«, plauderte Nauju einfach drauf los. »Oder nicht fein genug«, überlegte er dann und legte den Kopf schief, als er sich schulterzuckend zu dem Tisch umwandte, auf den er die alten Wickel gelegt hatte.
Nanouk starrte ihn irritiert an, wusste nicht recht mit seiner plötzlichen Flut an Worten umzugehen, also schwieg sie.
»Du musst wissen, Saghani gibt auf ihre Mädchen acht, wie der König auf seine Krone. Wie der Jäger auf seinen Speer.«
Nanouk blinzelte ihn träge an.
»Ich dachte, dir sei die Jagd vertraut.«
Nanouk nickte und verzog die Brauen. »Aber ich verstehe nicht, was Ihr mir sagen wollt, verzeiht.«
Nauju lachte in sich hinein und fing an aus dem Medizinkoffer, welcher neben den schmutzigen Bandagen auf dem Tisch stand, unterschiedlichste Tiegel und Phiolen zu holen.
»Ich möchte damit sagen, dass du nichts von mir zu befürchten hast.«
Nanouk schluckte und betrachtete seinen schmalen, starken Rücken, als er mit präzisen und zielgerichteten Bewegungen etwas auf dem Tisch zusammen mischte. Er hatte etwas von einem ganz normalen Menschen, jemand, der nicht Tag und Nacht auf der Hut vor Gefahren war oder tagtäglich an seine Grenzen gehen musste, um zu überleben. Auf der anderen Seite jedoch sah er ebenso wenig aus, wie jemand der im Reichtum schwamm, schließlich verrichtete er trotz seiner feinen Kleidung Handarbeit, ein Zeichen des niederen Standes.
Er wandte sich zu ihr um und schien ihren kritischen Blick bemerkt zu haben, denn er legte den Kopf amüsiert schief.
»Du fragst dich, wieso ich so umwerfend aussehe wie ein Prinz und dennoch niedere Handarbeit erledige.«
Nanouks Herz setzte einen Schlag aus und sie spürte, wie ihr die Schamesröte in die Wangen stieg. »Keineswegs, ich-!«
Doch Nauju winkte bloß ab. »Ich bin ein Adeliger, genauso von hohem Stande wie Saghani, doch das Heilen liegt mir, anders als ihren hinterhältigen Klauen«, erklärte er ihr mit einer selbstzufriedenen Stimme und blickte auf den kleinen Tiegel aus Alabaster in seinen Händen hinunter. »Und deswegen, Nanouk, kann ich dir nicht mehr von dem sinippoq geben.«
Er trat an ihr Bett und zog den einen Holzstuhl, der an der Breitseite des schmalen Tisches in der Ecke stand, an ihre Matratze heran. Nanouk blickte ihn an und schluckte. Ihr behagte es nicht, dass man sie direkt in die höchsten Ränge dieses Hofes geworfen hatte, sie wollte so unauffällig wie möglich bleiben. Doch dann würde man sie wohl auch nicht so königlich versorgen.
»Warum-«
»Weil«, unterbrach sie Nauju sanft aber bestimmt, »es deinen Körper zwar von Schmerzen befreit, jedoch deinen Geist benebelt. Das Schlafmittel zermürbt dich, lässt deine Muskeln schwinden und bricht deinen Willen.«
Nauju schenkte ihr ein arglistiges Grinsen. »Und dein Wille ist etwas, das dich hier oben am Leben hält.«
Der Geruch der Salbe, welche Nauju angemischt hatte, drang beißend und wohlriechend zugleich in Nanouks Nase, stach ihr klar in den Lungen wie die kalte Luft im Wald und roch auch nach dem harzigen Aroma der Nadelbäume. Mitunter hatte er eine andere Zutat gemischt, die den stechenden Geruch ein wenig abmilderte und einen süßlichen Abgang besaß.
»Alles, was ich für dich tun kann, ist also dafür zu sorgen, dass du widerspenstig bleibst. Und dass du deine ungeahnten Vorteile nicht vergeudest.«
Nauju hielt ihren Blick, versetzte Nanouk dadurch aber in eine leichte Unruhe. Er sah sie an, als hätte er Böses im Sinne und sie drängte dazu, diese merkwürdige Atmosphäre zu brechen.
»Welche Vorteile?«
Nauju aber blickte nur lächelnd auf seine Hände und nahm etwas von der weißen, leicht durchscheinenden Salbe heraus. »Du musst wieder zu Kräften kommen, ehe das relevant werden kann, also belaste dein zartes Gemüt nicht mit dererlei Dingen.«
Nanouk knirschte mit den Zähnen. Sie war weder zart besaitet noch war ihr Gemüt leicht überlastet. Doch als Nauju die Salbe nun auf ihr Bein strich, verging ihr jegliches Widerwort.
Ein brennender Schmerz, einem Lauffeuer gleich, biss sich an den Stellen, an denen Nauju die Salbe verteilte, rücksichtslos und effektiv durch den dumpfen Schleier des sinippoq. Nanouk stieß ein entsetztes Zischen aus und wollte zurück weichen, doch hinderte sie die Schwere in ihren Gliedern davor sich zu bewegen.
»Ich weiß«, sagte Nauju ruhig, hielt aber nicht inne, mehr und mehr dieses fürchterlichen Heilmittels auf ihrer Wunde zu verteilen. »Es wird noch eine Weile so schmerzen, aber das bedeutet, dass es wirkt.«
Nanouk stöhnte und zwang sich dazu ruhig zu atmen. »Das will ich auch hoffen«, presste sie erbost zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor. »Selbst wenn ich nicht mehr gehen sollte, werde ich Euch dafür heimsuchen!«
Nauju grinste amüsiert und holte schließlich frische Bandagen aus Baumwolle aus dem Koffer. Noch ein Luxusgut, welches Nanouk noch nie hatte erstehen können, da der Preis für solch exotische Waren weit über dessen lag, das sie besaß.
»Davon gehe ich aus«, sagte er schließlich und ließ sich wieder auf den Stuhl sinken. »Meine Salbe ist wunderbar. Sie desinfiziert die Wunde fürs erste, tötet die Keime und hält hoffentlich deine Blutvergiftung auf. Im schlimmsten Fall werde ich die Wunde wieder öffnen müssen, um das bereits abgestorbene Fleisch herauszuschneiden. Das hat nichts mit bösen Geistern zu tun.«
Nanouk warf ihm einen schmerzverzerrten, wütenden Blick zu. »Ich glaube nicht an böse Geister.«
Und was war mit Ijiraq? Sie biss die Zähne zusammen, doch konnte das Gesagt nicht mehr zurück nehmen.
Nauju hob ihr Bein sorgsam an und wickelte den weichen Stoff vorsichtig über ihren gesamten Oberschenkel. Seine Finger waren dabei unglaublich ruhig und gemächlich, als verstünde er, welche Schmerzen ihr bereitet würden, sollte er ihr Bein zu ruckartig bewegen.
»Du kommst doch aber aus Aalsung. Das liegt tief im Westen. Aberglaube und Spiritualität ist dort weit verbreitet. Nicht selten verirren sich die Geister vom Berg in die Täler.«
Nanouk erwiderte zuerst nichts darauf, als sie sich das Gesagte erst durch die Schmerzen hindurch bewusst machen musste. Mit einem Stich aus Zorn wurde ihr klar, dass Naujus sanfte Lächeln wohl daher kam, dass er aufgrund ihrer langsamen Reaktionszeiten tatsächlich dachte, sie wäre dumm.
»Achso«, brachte sie schließlich hervor, den Zorn nur mit Mühe unterdrückend. »Ihr denkt also, weil ich von den Fjorden stamme, muss ich unweigerlich erzittern, bei der Nennung der bösen Geister.«
Nauju betrachtete sie immer noch amüsiert und schloss die Bandage an ihrer Hüfte. »In deinen Augen spiegelte sich haltloses Entsetzen, als du meine Unterarme bedacht hast«, sagte er und Nanouk erstarrte.
»Da irrt Ihr Euch«, fauchte sie dann atemlos und wünschte sich, sie hätte die Kraft ihm dieses Lächeln aus dem Gesicht zu schlagen. Adeliger hin oder her. »Ich habe nur keine Zeit mich um böse oder gute Geister zu kümmern, wenn ich tatsächlich für mein Leben arbeiten muss. Ich mag mich zwar nicht auskennen mit eurer Medizin, aber das hat völlig andere Gründe!«
Nauju hob amüsiert eine Augenbraue und zog ihr die Decke wieder bis zur Hüfte hoch. »Das sollte keine Unterstellung sein.«
»Schön«, erwiderte Nanouk kalt. »Denn wenn ich mich nicht irre, dann liegt das Zittergebirge direkt in den von Euch verwunschen betitelten Nadelwäldern.«
Nauju betrachtete sie mit fasziniertem Interesse und keineswegs so, als empfände er bei ihren unschicklichen Worten das Gefühl, sie als Nobelmann in ihre Schranken weisen zu wollen.
»Manchmal tut ein bisschen Aberglaube ganz gut. Besonders hier oben. Und jetzt schlaf.«
Nanouk wollte noch etwas darauf erwidern, konnte die Art und Weise wie er sie von oben herab belächelte nicht einfach so hinnehmen, doch mit der Salbe, die zwar den Schmerz neu auflodern hatte lassen, nun aber eine angenehme, kribbelnde Kühle auf ihrer entzundenen Haut hinterließ, befiel sie eine erneute, tiefe Erschöpfung.
In Gedanken verfluchte sie den Mann. In Tallik hatte schlichtweg niemand die Zeit sich akademisch zu bilden, wenn alles, das zählte, das Überleben selbst war. Und Nanouk hatte dies bis auf die wenigen, unglücklichen Jagdunfälle noch nie als Gebrechen empfunden. Erst, als der Winterkönig gekommen und Frühling wie Sommer langsam von ihnen gegangen war, wurden solche Bildungslücken wie die der medizinischen Natur schmerzlich auffällig. Davor war es ihnen gut gegangen. Sie hatten Gemeinschaft, Harmonie und keinen Bedarf an fremdländischen Waren gehabt, bis ihnen die eigenen vom Winterkönig und seinen grässlichen Dienern gestohlen worden waren.
Sie blickte Nauju daher zuerst wütend, dann schläfrig an, wie er seinen Medizinkoffer packte, ehe sie die Erschöpfung wieder davon trug. Das letzte, was sie sah, war, dass Nauju amüsiert die Türe hinter sich schloss.
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Die nächsten Tage verliefen als unruhiger Wechsel zwischen Wachzuständen, Delirium und Albträumen. Nanouk verlor jegliches Zeitgefühl, als Nauju die Salbe und die weichen Baumwollbandagen regelmäßig erneuerte. Sie erinnerte sich an blitzendes Metall, lodernden Schmerz und haltloses Schluchzen. Hitze und Blut drängten sich ihr im Traum auf, kämpften auch bei Bewusstsein um die Oberhand und kein sinippoq, nichts als das kläglich mildernde Schmerzmittel in der Salbe, half Nanouk über diese qualvollen Wachzustände.
Alles verschwamm, als ihr Körper schwächer und schwächer wurde. Sie erblickte weiße, glänzende Federn, bildete sich ein einen fernen Ruf zu hören, der durch ungeahnte Höhen zu ihr ans Bett drang, ein Eindruck, welcher sie zurück an die Fjorde brachte. Kreischende Möwen und rauschendes Meer.
Dunkel erinnerte sie sich an Unterhaltungen mit Nauju, sein Grinsen und die präzisen, feinen Hände, die behutsam und sanft ihre Wunden behandelten. Anders als seine Worte, die oft neckend und hinterhältig sein konnten. Doch an den Inhalt dieser erinnerte sich Nanouk nicht. Auch ihre Gespräche zerflossen in ihren diffusen Gedanken, sie wusste nicht, was sie ihm erzählte, wonach er fragte, oder ob er überhaupt Fragen stellte. Sie war sich nur einer gelegentlichen Unruhe bewusst, als sie bangte, ihm Dinge zu verraten, die nicht für seine Ohren bestimmt waren, doch konnte sich nicht entsinnen, überhaupt zu wissen, was es war, dass er nicht wissen sollte.
Maha geisterte hinein und hinaus aus Nanouks Wachzuständen, sie erinnerte sich an heiße Suppe, würziges, weiches Brot, kalte Tücher auf der Stirn und das eine oder andere geteilte Lachen.
In den Stunden, in denen Nanouk meinte zu schlafen, wurde sie heimgesucht von grausigen Bildern. Die Kiefer des Eisdämons, seine spitze Schnauze und das gefrorene Blut spukte ihr in dunklen Nadelwäldern durch den Kopf. Seine Zähne legten sich ihr dann um die Kehle, sie musste erneut mitansehen, wie er die Kinder zerriss, gelegentlich war sie selbst Qiuq, der mit stummem Entsetzen seinem Ende entgegenblickte.
Andere Male wiederum wurden ihre hektischen Fluchtversuche in den Wäldern von den sanften, geräuschlosen Urahnen begleitet. Das goldene Licht floss neben ihr zu Boden, ergoss sich still über ihren Körper und ließ Blumen aus ihren Verletzungen sprießen, machten sie zu einem Teil dieser Welt, die sehnsuchtsvoll nach dem Erwachen aus dem weißen Schlaf wartete.
Diese Träume waren beruhigend, gehüllt in Gold und Wärme reckte sie dem Licht ihre Arme entgegen, weinte um die Vergänglichkeit dieser Wesen und wünschte nichts sehnlicher zurück als ihren eigenen, weisen Führer. Ataaq.
Einmal glaubte sie wach zu sein und in dem dunklen Zimmer, welches nur durch das kalte Mondlicht erhellt wurde einen Schatten direkt neben dem Fenster stehen zu sehen. Ein Schemen mit blutroten Augen, der sie stumm beobachtete. Doch als sie blinzelte und die Augen erneut auf den Punkt neben dem Fenster richtete, war der Schemen verschwunden und die Sonne blinkte durch die aufreißende Wolkendecke.
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