⫷ Epilog ⫸
Es brauchte drei Tage von Tallik hinauf in den Norden, an den Fjorden bis hin zu Nanouks letzter, großer Aufgabe. Dieses Mal ließ Ajat es sich nicht nehmen sie zu begleiten, weil Adassett immer noch damit beschäftigt war die Wellen des Königmordes zu glätten und als ehemaliger Vertrauter des Königs, besaß er als einziger die Informationen, welche die Fürsten so dringlich erbaten. Über Siku hatte niemand mehr ein Wort verloren und niemand konnte sagen, wohin er samt seines Mantels entschwunden war.
Gemeinsam mit Ajat und zwei Hunden wanderte sie durch den stillen Morgen, der nur durch das harmonische Summen des anbrechenden Sommers unterbrochen wurde. Es war nach der anfänglichen Beteuerung von seitens Nanouk, dass sie dies auch alleine bewältigen konnte, dennoch erfrischend und schön, Ajat bei sich zu haben, der ununterbrochen redete und die wärmer werdende Luft mir Heiterkeit füllte.
Sie erreichten schließlich den Waldrand und traten hinaus an die Küste, wo Saibikis Rauschen durch die salzige Luft zog.
Nanouk erinnerte sich genau an welcher Stelle der Akhlut aus den Wellen empor gestiegen war und sie verharrte einen Augenblick. Es war gar nicht unweit des Ortes, an dem sie das erste Mal an der Hand ihres ataaq durch die Glut hinter die Sterne geblickt hatte.
Sie atmete die salzig frische Luft und beobachtete zufrieden, wie auch hier das Eis langsam angefangen hatte zu schmelzen. Ajat stand still neben ihr und streichelte die beiden Hunde, die winselnd an der Küste standen und mit gehobenen Nasen im Wind schnupperten und hinauf zu den Seevögeln starrten, sich wundernd, wie köstlich einer von ihnen wohl schmeckte.
Der Wind frischte auf und eine besonders große Welle brach weit draußen am Schelf, sodass das dumpfe Donnern über das Meer bis zu ihnen drang.
Sie setzen ihren Weg fort, bis sie schließlich den Altar Etamashuks erreichten. Nanouk blieb stehen, als sie den weißen Stein erblickte, der nun von grünem Laub bedeckt war und die leuchtend roten Flechten unter dem geschmolzenen Schnee hervor blitzten.
»Gib mir einen Moment«, sagte Nanouk leise zu Ajat.
»Ich bleibe aber in der Nähe«, erwiderte er und reichte ihr die schwere Tasche, in welchem Yukas Mantel ruhte.
Nanouk nickte. »Danke.«
Als Ajat zurück an den Strand gegangen war, holte sie einmal tief Luft und zog den weißen Federmantel aus der Tasche. Sie hatte ihn bis jetzt kein einziges Mal berührt, zu traurig hatte sie alleine der Anblick gemacht, doch nun, da sie Yukas Geschichte zu ihrem Ende brachte, löste sich der schwere Knoten in ihrer Brust.
Sie ließ ihre Hände vorsichtig durch den zerzausten Kragen wandern, als sie andächtig nach vorne trat und sich unter den tiefhängenden Ästen des Waldrandes duckte. Die Sonne war hervorgebrochen, obwohl fern über dem Ozean dunkle Wolken einen Sturm ankündigten.
Nanouk hatte sich darauf vorbereitet Yukas Gebeine erblicken zu müssen, auch wenn Reiki ihr versichert hatte, dass die Tiere nicht anrührten, was sich auf den Altären befand. Doch als Nanouk auf den blühenden Flecken Gras blickte, auf welchen Reiki Yuka damals gebettet hatte, war dieser Fleck leer.
Nanouk hielt den Atem an und sah sich hektisch um, doch aus dem Wald tönte nur das Singen eines Rotkehlchens und das Hämmern eines Spechtes. Die Nadelbäume hatten frische Triebe angesetzt und das helle Grün winkte ihr durch das Sonnenlicht entgegen. Aber von Yuka fehlte jede Spur.
Nanouk schluckte und trat an den Altar heran, holte Stift und Papier hervor und schrieb zwei Glyphen darauf. Eine für Etamashuks Namen und einen für Yukas. Sie bettete den Mantel fein säuberlich gefaltet auf den kleinen Sockel vor dem Altar und kniete sich ächzend nieder. Dann sprach sie ihr Gebet und verbrannte die Glyphen. Sanftes Grün und beißendes Blau züngelten empor und verloren sich als Rauch im Geäst.
Es war mehr eine Erzählung, ein Geständnis und ein Gespräch, als sie die wichtigsten Eckpunkte ihrer Reise zusammenfasste und am Ende Etamashuk bat, Yuka zu vergeben. Sein Mantel war zu guter Letzt ebenfalls heimgekehrt, das Versprechen eingelöst und die Pflicht vergolten.
Nanouks Stimme versiegte und dann ertönte das hohe Kreischen einer Lachmöwe in der Ferne. Nanouk legte den Kopf in den Nacken und öffnete die Augen, als das Sonnenlicht durch die Blätter des Efeus fiel. Eine Stimme huschte durch ihren Geist.
Sei willkommen, Bindung. Hilf mir doch noch ein letztes Mal. Nimm den Mantel.
Nanouk schluckte und blinzelte, als sie für einen absurden Moment dachte, Ajat hätte zu ihr gesprochen. Doch er stand immer noch an der Küste und warf ein Stück Treibholz für die Hunde, die sich nun nicht entscheiden konnten, was besser war. Der Stock oder die Sturmvögel, die an den Klippen nisteten.
Sie blickte zurück auf den weißen Federmantel, der unbewegt vor ihr auf dem Sockel lag, doch nun einen feinen Schimmer verstrahlte. Sie streckte die Hände danach aus und stemmte sich an ihrem Wanderstab zurück auf die Füße, entfaltete den Mantel dabei und hielt ihn in die kalte Brise.
Danke, lächelte die Stimme in ihrem Kopf und dann fuhr ein heftiger Windstoß durch das Gefieder, drehte die Federn und spreizte sie, wie die Flügel eines Vogels im Wind. Nanouk holte erschrocken Luft, als der Mantel zu glühen anfingen und dann entwand sich das Kleidungsstück aus ihren klammen Händen.
Nanouk wich zurück, als die Federn tatsächlich zu Flügeln wuchsen und ehe sie sich versah flatterte eine riesige Möwe vor ihr in der Luft. Goldenes Licht sprühte aus ihrem Gefieder und rieselte in den Luftverwirbelungen schließlich zu Boden.
»Etamashuk'siulliq?«, fragte sie verdutzt, als die mächtige Möwe ihre Krallen in den weißen Kopfstein des Altars grub und ihr Gefieder mit dem gelben Schnabel richtete.
Eben jener. Danke, dass du mein Gefieder zurück gebracht hast.
»Das verstehe ich nicht«, meinte Nanouk vorsichtig. »Ich dachte, Ihr seid getötet worden?«
Die Möwe legte ruckartig den Kopf schief und durch ihre strahlend ockernen Augen sprühte ihr der Schalk entgegen.
Meine Genossen und Genossinnen wurden gewaltsam dieser Welt entrissen, ihre Kleider missbraucht. Doch ich war bloß in einen kurzen Schlaf der Ewigkeit gebettet, bis jener, dem ich ein Versprechen gab, seines erfüllte. Und mein Federkleid ist nun schließlich wieder hier.
»Und die anderen Ersten?«, wollte Nanouk wissen, als sie an Ayiela dachte und an Adassett, die ihre Mäntel beide hergegeben hatten.
Oh, auch ihre Haut wird eines Tages wieder über warme Herzen wachen. Doch müssen diese Kinder von ihren Eltern selbst erweckt werden. Ein Unterfangen, das ein wenig mehr Zeit erfordert. Ihre Bindungen ins Diesseits sind fürs erste versiegt.
»Und Ihr seid ... unberührt?«, hauchte Nanouk und versuchte sich nicht Yuka vorzustellen, wie er einst genau hier stand, um diese majestätische Möwe dazu zu überreden, für ihn zu sterben. Wohl wissend, dass alles, was sie hatte, um je wieder zu erwachen, das Versprechen eines Erdlings war.
Nicht unberührt, kleine Bindung. Ein wenig irdischer vielleicht. Ein wenig menschlicher. Verbindet mich nun etwas weitaus tieferes als ein Versprechen mit Yuka. Wenn eine Seele sich selbst für die anderen aufgibt, so hinterlässt das Spuren. Und ich erkenne seine nicht nur an mir, sondern ebenfalls an dir. Ebenso wie meine Spur an ihm haftet. Gewissermaßen, lachte die Möwe und breitete ihre langen, schmalen Flügel in den Wind, ist er ich und ich bin er.
Nanouk schnappte nach Atem, als die Möwe einen freudigen Schrei ausstieß und sich mit einem Lachen in die Lüfte erhob. Das goldene Licht ihrer Lebendigkeit wurde vom Wind um Nanouk herum gewirbelt, peitschte ihr die Haare ins Gesicht und hüllte sie in sanfte Wärme ein, die nach Kork und zerstampften Kräutern duftete, nach Fichtennadeln und kaltem Harz.
Nanouk legte eine Hand an die Stirn, als sich die große Möwe zu ihren Genossinnen scharte und das laute Lachen das Tosen des Meeres übertönte.
Danke, Nanouk, flüsterte Yuka, ehe sich Etamashuk'siulliq weit hinauf bis hinter die Wolken schwang und sich den Sternen anschloss.
⫷ Um zu wissen, wohin du gehst, musst du zuerst wissen, woher du kamst. ⫸ ~ Ein Sprichwort der Inuit
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