Kapitel 44
Allie
"Ich nehme an, dass Du viele Fragen hast, Alyson.
"Und ich nehme an, dass Sie viele Antworten haben, Professor. Und nennen Sie mich bitte einfach Allie."
Es störte mich nicht, dass mein Schulleiter mich mit meinem Vornamen ansprach. Er hatte das bisher nur einmal zuvor getan, aber in diesem Moment, in dem ich in seinem Büro saß, hatte ich Wichtigeres im Kopf.
Wir waren nach den Ereignissen des gestrigen Tages alle bis auf Harry auf den Thestralen zurück nach Hogwarts geflogen, begleitet von den Ordensmitgliedern. Lupin hatte sich eine kleine Standpauke von Moody anhören können, da er uns alleine gelassen hatte, aber das hatte ihn nicht sonderlich gestört. Er war der Meinung, dass wir das Richtige getan hätten. Claire hatte den gesamten Flug über meine Hand gehalten. Nicht, weil sie Angst vor der Höhe hatte, wir hatten die Thestrale dieses Mal alle sehen können. Sie hatte viel mehr Angst darum gehabt, dass sie mich doch noch verlieren könnte. Aus der selben Angst heraus hatte ich sie ebenfalls festgehalten.
Malfoy Senior war mittlerweile festgenommen worden, gemeinsam mit den anderen Todessern, die nicht hatten fliehen können. Das nahm Draco Malfoy sichtlich mit und wäre er nicht so ein furchtbarer Mensch, hätte ich fast Mitleid mit ihm gehabt.
Da Dumbledore mich heute hergebeten hatte, hatte ich Claire beauftragt, Julie und Marco über die vergangene Nacht aufzuklären. Sie hatte dem zugestimmt und war vermutlich gerade bei ihnen.
Dort saß ich nun und wartete gespannt auf das, was er mir sagen würde.
Dumbledores Büro sah furchtbar aus. Überall lagen Glassplitter rum und viele Gegenstände waren kaputt. Zudem fehlten einige Gegenstände, die zu Beginn des Schuljahres noch hier gestanden hatten. Entweder hatte Umbridge sie rausgeschmissen oder sie hatten den brennenden Kamin von innen begutachten dürfen. Ich wusste, dass Harry vor mir bereits hier gewesen war und nahm an, dass er für die Verwüstung in diesem Raum verantwortlich war. Zumindest konnte ich mir nicht vorstellen, dass Dumbledore beschlossen hatte, seinem Büro einen neuen Touch zu verleihen.
"Ich bitte, das Chaos zu entschuldigen. Ich hatte noch nicht die Gelegenheit, aufzuräumen", erklärte der Schulleiter mir. Daraufhin schwang er seinen Zauberstab und innerhalb von Sekunden waren die zerbrochenen Dinge wieder intakt an ihrem Platz.
"Nehmen Sie das nicht persönlich, aber das Chaos interessiert mich nicht. Ich würde gerne auf den Punkt kommen", erwiderte ich und fühlte mich kurz danach schlecht, da ich das Gefühl hatte, zu forsch gewesen zu sein. "Ich will nicht unhöflich sein-" "Schon in Ordnung, Allie. Du bist nicht unhöflich. Ich hingegen war es schon."
Ich hob meine Augenbrauen. "Ach ja?"
"Ich denke, unhöflich ist eine Untertreibung. Bevor ich Dir Deine Fragen beantworte, Allie, möchte ich Dich um etwas bitten. Es ist mir wichtig, dass Du keine voreiligen Schlüsse ziehst und hier bleibst, bis ich fertig bin. Das ist wirklich wichtig, Allie, verstehst Du das?", antwortete Dumbledore mir und sah mich eindringlich an. Auch wenn ich noch nicht wusste, woraus ich überhaupt Schlüsse ziehen könnte, nickte ich. Es war mir nur wichtig, Antworten zu bekommen. Beispielsweise auf die Frage, wieso Voldemort mich hatte töten wollen.
"Gut. Ich muss Dich warnen, Allie. Ich habe Deine Erinnerungen verändert und werde Dir gleich die korrekte Version Deiner Erinnerungen wiedergeben. Das kann verstörend sein und ich möchte, dass Du mir bestätigst, dass Du bereit dafür bist", fuhr der Professor mit ruhiger, aber ernster Stimme fort.
"Mo-Moment, was? Sie... Sie haben meine Erinnerungen verändert?"
Ich konnte es kaum glauben. Das würde erklären, wieso ich das gesamte Schuljahr lang das Gefühl gehabt hatte, etwas vergessen zu haben. Wieso einige Erinnerungen an das letzte Schuljahr mir so unwirklich vorgekommen waren.
"Ich bin nicht stolz darauf, aber es kam mir wie das Richtige vor-" "Professor, kann das der Grund sein, wieso ich das Gefühl hatte, mich an etwas nicht zu erinnern?", unterbrach ich den Schulleiter, wobei es mir mittlerweile egal war, ob ich unhöflich war. Dumbledore nickte, was mich erst recht zum Kochen brachte.
Ich hatte Dumbledore zu Beginn des Schuljahres gefragt, ob er wusste, welche Ursache mein Vergessen haben könnte. Jetzt ergab die Panik, die ich damals in seinen Augen gesehen hatte, auch Sinn. Denn er hatte es die ganze Zeit gewusst. Er hatte die ganze Zeit gewusst, wieso ich dieses Gefühl gehabt hatte.
Ich atmete einmal tief durch, um Dumbledores Büro nicht zu zerstören, nachdem er es gerade wieder hergerichtet hatte.
"Gut. Dann geben Sie mir die Erinnerungen jetzt zurück", forderte ich. "Bist Du Dir sicher, dass Du das-" "Professor, bei allem Respekt, aber ich habe letzte Nacht meinen schlimmsten Albtraum erlebt, ich glaube, ich halte das aus", fiel ich dem Professor wieder ins Wort. Ich war fasziniert von seiner Geduld. Snape hätte mir in den letzten Minuten schon zig Hauspunkte abgezogen und mich im nächsten Schuljahr zum Nachsitzen zitiert. Aber Dumbledore behielt die Fassung, es schien ihn nicht einmal zu stören, wie unhöflich ich war.
Der Schulleiter nickte und bewegte seinen Zauberstab.
Und nur einen kurzen Moment später kamen all meine Erinnerungen an das Ende des letzten Schuljahres zurück.
Ich hatte Dumbledore vor der dritten Aufgabe des Trimagischen Turniers tatsächlich nicht erreicht, um ihn vor Cedrics Tod zu warnen. Doch das war nicht passiert, weil ich zu lange im Krankenflügel gelegen hatte. Auf meinem Weg zu dem Schulleiter war ich von Alastor Moody, der eigentlich Barty Crouch Jr. gewesen war, abgefangen und in sein Büro gebracht worden. Ich hatte ihm erklärt, dass jemand sterben würde, woraufhin er nur gefragt hatte, ob Harry denn derjenige sein würde. In meiner Hektik war ich nicht stutzig geworden, hatte ihm stattdessen gesagt, dass Cedric sterben würde und dass Harry Voldemort entkommen würde, hatte nebenbei erwähnt, dass Voldemort zurückkommen würde. Der falsche Moody hatte daraufhin einen Ausdruck puren Wahnsinns bekommen, teils schien er freudig, teils enttäuscht. Er hatte mich dann in Ekstase gefragt, ob Voldemort wirklich zurückkommen würde. Erst in diesem Moment hatte ich gemerkt, dass etwas nicht stimmte und als der falsche Moody sich dann ertappt gefühlt hatte, hatte er mich entwaffnet und mich mit den Worten: "Ich kümmere mich später um Dich und den Jungen" in eine Kiste zu dem echten Alastor Moody geworfen.
Ich hatte aufs Übelste versucht, aus dieser Kiste zu entkommen, wobei der echte Moody keine große Hilfe gewesen war, da er nicht bei Bewusstsein gewesen war. Als Barty Crouch Jr. und Harry dann wieder in den Raum gekommen war, hatte ich mitbekommen, wie auch Harry herausgefunden hatte, dass der Moody mit ihm im Raum nicht tatsächlich Moody war. Crouch Jr. hatte sich daraufhin wieder in Ekstase geredet und hatte gesagt, wie stolz sein Meister wäre, wenn er rausfinden würde, dass er Harry und diese "unverdiente Tochter des dunklen Lords und der Verräterin Amalia Selwyn" getötet haben würde. Er hatte Harry erklärt, dass er Letztere eben aus der Kiste holen würde, damit wir Unwürdigen gemeinsam sterben konnten.
In diesem Moment waren Dumbledore und andere Professoren in das Büro gestürmt, hatten Barty Crouch Jr. enttarnt und den echten Moody und mich aus der Kiste geholt. Völlig schockiert hatte ich Claire dann erzählt, was ich über mich selbst herausgefunden hatte, woraufhin sie interessanterweise nur geantwortet hatte, dass sie nicht glauben konnte, dass jemand mit ihm ins Bett gestiegen war. Denn Claire hatte es mir nicht erspart, ihr zu beschreiben, wie Voldemort in meiner Vision ausgesehen hatte.
Zur Sicherheit war ich in den Krankenflügel verfrachtet worden, da ich mir beim Sturz in die Kiste wohl den Knöchel verstaucht hatte. Dort hatte ich Harry dann erzählt, dass es mir leidtat, dass meine klare Vision ihn nicht rechtzeitig erreicht hatte. Harry hatte mir versichert, dass er nicht böse sei und hatte sich bedankt, dass ich zumindest versucht hatte, ihn mit meinen Visionen zu unterstützen.
An alles was danach kam, hatte ich mich auch vor dem heutigen Tag noch erinnert.
Einen Moment lang sagte ich nichts, ließ die neuen Erkenntnisse einfach nur irgendwie auf mich wirken. Dann hob ich meine Stimme. "Sie... Sie haben es nicht für nötig gehalten, mir die ganze Sache zu erklären, sondern haben stattdessen meine Erinnerungen verändert?"
Ich sah den Schulleiter an, war mir nicht sicher, ob ich ihm an die Gurgel gehen sollte oder ob ich stattdessen sein Büro verwüsten sollte. In diesem Moment hätte es mir nicht einmal mehr leidgetan.
"Erinnerst Du Dich daran, dass ich sagte, Du sollst keine voreiligen Schlüsse ziehen?", fragte Dumbledore stattdessen, weshalb ich fast bitter aufgelacht hätte. "Was soll das denn wieder heißen?! Professor, Sie haben mir meine Erinnerungen genommen! Und jetzt finde ich heraus, dass ich die Tochter eines irren Zauberers bin?! Und ich soll keine voreiligen Schlüsse ziehen?! Ich-"
"Allie, Du bist nicht Voldemorts Tochter."
Ich verschluckte mich beinahe. "Wie meinen Sie das? Barty Crouch Jr. hat es doch gesagt, er sagte-" "Er liegt falsch. Und Voldemort auch. Ich bitte Dich, jetzt diesen Brief zu lesen. Ich verspreche Dir, dass ich danach all Deine weiteren Fragen beantworten werde", fiel mir der Schulleiter ins Wort und reichte mir einen Brief, der aussah, als hätte er schon einige Jahre auf dem Buckel.
Ich verdrehte die Augen, nahm den Brief aber schließlich entgegen. "Von wem ist der?" "Das wirst Du sehen, wenn Du ihn liest. Bitte tu das jetzt."
Unwillig öffnete ich den Brief, der nur die Beschriftung "Allie" trug. Die Handschrift war nicht besonders gut, beinahe so schlimm, wie meine Sauklaue.
Ich entnahm dem Briefumschlag das Pergament und begann zu lesen. Hinterher war ich mir nicht sicher, ob ich den Brief nicht lieber hätte ins Feuer werfen sollen.
Liebe Alyson,
wenn Du das hier liest, dann habe ich leider nicht erleben können, wie Du aufwächst. Ich weiß nicht einmal, ob Dein Name dann überhaupt noch Alyson ist. Dumbledore hat mir verboten, Kontakt mit Deinen möglichen Adoptiveltern aufzunehmen. Die Gefahr ist zu groß für sie. Ich kenne nicht einmal ihre Namen. Ich weiß nicht einmal, ob sie auch magisch oder ob sie Muggel sind. Vermutlich besser so.
Du wirst wahrscheinlich zum ersten Mal von mir hören. Ich hoffe, dass Dumbledore den richtigen Moment abwarten wird, bis er Dir die Wahrheit offenbart. Ich zweifle eigentlich nicht daran. Er ist ein weiser und gerechter Mann. Ohne ihn wäre ich gar nicht so weit gekommen.
Ich habe Mist gebaut, Allie, und ich will, dass Du weißt, wer ich war. Ich war eine Todesserin. Eine fanatische Todesserin, die den dunklen Lord verehrt hat. Die einzige, die mir Konkurrenz gemacht hat, war wahrscheinlich meine damalige Freundin Bellatrix. Es gab viele Hexen, die den dunklen Lord verehrten. Viele von ihnen wollten ihm gefallen. Und viele von ihnen wollten ihm einen Erben schenken. Ich kann mich nicht von diesem Verlangen ausschließen. Der dunkle Lord wusste davon und er ließ uns gewähren, in dem Glauben, dass diese Experimente ohnehin kein Kind hervorbringen würden.
Und damit hatte er auch recht. Im Gegensatz zu anderen habe ich festgestellt, dass sich Leben nicht durch Magie erschaffen lässt. Aber im Gegensatz zu den anderen bin ich schwanger geworden. Nicht durch meine Experimente und bestimmt nicht vom dunklen Lord. Die Identität Deines Vaters werde ich mit ins Grab nehmen, Allie. Ich will nicht, dass sein Name in den Dreck gezogen wird. Er ist ein guter Mann und hat mit dieser Sache am wenigsten zu tun.
Als der dunkle Lord rausfand, dass ich ein Kind erwartete, war er rasend. Denn er will ewig leben. Und wer ewig lebt, braucht keinen Erben. Im Gegenteil. Er ist paranoid und glaubt, dass Du ihm eines Tages gefährlich werden könntest. Dass Du seinen Platz eines Tages einnehmen willst und dass die Todesser Dir folgen werden. Ich habe es abgestritten, Allie. Ich habe es so oft versucht, doch niemand glaubte mir. Also floh ich. Ich wusste, wenn ich bleibe, würdest Du sterben. Das kann ich nicht zulassen.
Nun bist Du fast ein Jahr alt und nur mit der großzügigen Hilfe von Dumbledore kann ich Dich beschützen. Aber ich hatte eine Vision, Allie. Ich bete jeden Tag, dass Du diesen Fluch nicht erbst. Andere werden Dir sagen, es sei eine Gabe, aber ich bin ehrlich mit Dir: Es ist eine Pein, die ich niemandem wünsche. Die Visionen sind furchtbar.
In der Vision bist Du gestorben. Der dunkle Lord hat uns angegriffen und Dich getötet. Das ist der Grund, wieso ich diesen Brief schreibe. Ich werde nicht zulassen, dass er Dir etwas antut, Allie. Niemals. Ich weiß im Grunde, was dafür getan werden muss. Und auch wenn ich in der Vergangenheit egoistisch und feige war, werde ich es dieses Mal nicht sein. Ich werde alles tun, um diese Vision zu verhindern, ich verspreche es.
Ich liebe Dich, Allie. Ich will, dass Du das weißt. Ich bereue nichts. Ich bereue es nicht, den dunklen Lord für Deine Sicherheit verraten zu haben und mit dem Orden zu kooperieren. Ich würde all dies noch einmal auf mich nehmen mit dem Versprechen, dass Du sicher bist. Sei stark, mein Schatz. Du wirst eine großartige Hexe, ich weiß es.
Ich weiß nicht, wie ich diesen Brief am besten beende. Ich hoffe, Du musst diesen Brief niemals lesen. Und falls Du es doch musst, dann weißt Du wenigstens, dass ich alles getan habe, um Dich zu schützen.
Alles Liebe,
Amalia, Deine Mutter
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