Kapitel 38

Claire

Das große Pendel hinter der pinken Pest schwang unaufhaltsam hin und her und zog meine Aufmerksamkeit mehr auf sich als die vor mir liegende Prüfung.

Hermine hatte mir erzählt, dass sie Allie entgegen der Anweisung von Umbridge heute Morgen in den Krankenflügel gebracht hatte. Ich hatte zu ihr gehen wollen, doch Umbridge hatte mich vor die Wahl gestellt: Ich hatte zu Allie gehen und durch die ZAG-Prüfung fallen oder hierbleiben und mein Glück versuchen können. Außerdem hatte sie angedroht, sowohl Madam Pomfrey als auch Allie der Schule zu verweisen.

Allie hätte mich vermutlich getötet, wenn ich nicht an der Prüfung teilgenommen hätte. Wobei es in meinem momentanen Zustand wahrscheinlich ohnehin keinen Unterschied machen würde, ob ich hier saß oder Allie Beistand leistete.

Lenkte ich meinen Blick auf die Prüfung, schienen die Buchstaben zu verschwimmen. Und wenn ich es schaffte, die Fragen zu lesen, kannte ich die Antwort nicht.

Diese Prüfung war jetzt schon eine Katastrophe.

Nicht weit entfernt von mir saß Hermine, die natürlich hochkonzentriert auf ihren Prüfungsbogen sah und fleißig ihre Antworten niederschrieb. Rechts von mir befand sich Malfoy, der offensichtlich auch keine Schwierigkeiten mit der Prüfung hatte. Abschreiben konnte ich von keinem der beiden, da unsere Federn selbstverständlich mit einem Anti-Schummel-Zauber belegt waren.

Ich sah wieder auf meine Prüfung und las mir ganz langsam die Frage durch.

Was ist laut Slinkhard der Unterschied zwischen Flüchen und Gegenflüchen?

Etwas klingelte bei mir, irgendwo in der hintersten Ecke meines Gehirns. Wir hatten dieses Thema mit Umbridge und ihrem bescheuerten Buch von Wilbert Slinkhard behandelt. Ich konnte mich sogar daran erinnern, dass die Antwort auf diese Frage bereits in der Einleitung des Buches gestanden hatte. Doch es wollte mir einfach nicht einfallen, was die Antwort auf diese Frage war.

In Umbridges Unterricht hatte sie immer gepredigt, wir müssten sowieso niemals magische Gewalt anwenden. "Verhandlung statt Vergeltung" war das Motto der pinken Pest und auch dieses blöden Buches gewesen.

Und dann fiel es mir ein. Es gab für Slinkhard keinen Unterschied zwischen Flüchen und Gegenflüchen. Für ihn waren beide Arten eine Schädigung des Opfers und die Bezeichnung eines Fluches als "Gegenfluch" war für ihn nichts als eine verharmlosende Rechtfertigung.

Eifrig schrieb ich die Antwort nieder. Mir gefiel sie nicht, aber wenn ich diese Prüfung bestehen wollte, musste ich wohl in den sauren Apfel beißen und der pinken Pest und ihrem bescheuerten Slinkhard nach dem Mund reden.

Und plötzlich war die Prüfung beinahe einfach. Ich konnte den Gedanken an Allie und ihre Vision verdrängen und mich ganz und gar auf die vor mir liegende Prüfung konzentrieren.

Als ich meine Prüfung schon fast beendet hatte, hörte ich von draußen plötzlich Geräusche, die dort nicht sein sollten. Es war, als würde sich etwas oder jemand der Tür nähern.

Beinahe gleichzeitig drehten wir Prüflinge unsere Köpfe Richtung Tür.

Die pinke Pest bemerkte, dass wir nun abgelenkt waren, und schwang sich auf ihre kurzen Beine.

Sie stolzierte durch den Raum, ihr Blick grimmig und beinahe beleidigt, weil es jemand wagte, ihren Schülern die Aufmerksamkeit für ihre Prüfung zu stehlen. Ihre Schritte hallten in dem großen Raum wieder. An der Tür angekommen öffnete sie diese vorsichtig und spähte hinaus.

Im ersten Moment passierte nicht viel. Ein winziger Feuerwerkskörper schwirrte erst vor Umbridges Nase herum, flog in den Prüfungsraum und zündete sich zu einem kleinen, blauen Feuerwerk. Ein Grinsen schlich sich auf meine Lippen. Ich kannte diese winzigen Feuerwerkskörper. Fred und George wollten sie nach ihrem Schulabschluss in ihrem Scherzartikelladen anbieten.

Umbridge sah sich verwirrt auf dem Flur um, konnte jedoch im ersten Moment nicht festmachen, woher das kleine Feuerwerk gekommen war.

Und dann brach das Chaos aus.

Fred und George sausten auf Besen an Umbridge vorbei in den Klassenraum, wirbelten die Prüfungsbögen auf und schmissen mit weiteren Feuerwerkskörpern um sich. Alle Prüflinge sprangen von ihren Plätzen auf, jubelten den Weasley-Zwillingen zu und erfreuten sich daran, dass die Prüfung damit wohl offiziell ihr Ende gefunden hatte.

Einige Schüler, unter ihnen auch Malfoy und seine Lemminge, versuchten, die kleinen Feuerwerkskörper wegzuschlagen, doch das hatte nur den Effekt, dass sie an die Wand gedrängt wurden. Und kurz darauf waren ihre verängstigten Gesicher für den Moment auf der Wand verewigt.

Lange konnte ich mir dieses Spektakel nicht ansehen, denn einer der Zwillinge landete plötzlich mit seinem Besen neben mir.

"George, wie-" Weiter kam ich nicht, denn mein Freund zog mich sanft auf seinen Besen und hob mit mir auf dem Besen wieder ab. Panisch klammerte ich mich an den Rotschopf.

"George, WAS ZUM TEUFEL?", schrie ich ihm ins Ohr. "Es ist schön, deine Stimme wieder mal in dieser Stimmlage zu hören, Goldkehlchen", erwiderte er nur. "Außerdem solltest du unseren großen Abgang doch nicht von den billigen Plätzen aus sehen. Außerdem kommt jetzt das Halbfinale."

Wie aufs Stichwort warf er einen weiteren Feuerwerkskörper hoch. Dieser verwandelte sich in einen Drachenkopf und steuerte im nächstem Moment direkt auf die pinke Pest zu. Als sie dies bemerkte, begann sie, mit kleinen Schritten wegzulaufen.

Es war amüsant. Sehr amüsant sogar. Vor allem, weil sie ohnehin keine Chance hatte. Nur wenige Sekunden später hatte der Feuerwerks-Drache sie eingeholt und schloss sein Maul um sie. Und genau in diesem Moment zersprang sich der Drachenkopf in viele kleine Feuerwerkskörper und ließ alle Ausbildungserlasse, die Hogwarts seit Umbridges Ankunft hatten trister werden lassen, zersprangen.

"Und jetzt kommt das Finale", erklärte George mir grinsend und gab Fred das Kommando, nach draußen zu fliegen. "Was kommt denn jetzt noch?", erwiderte ich. Noch besser konnte es doch kaum werden. "Warte es ab, Goldkehlchen."

Die Schülermassen liefen uns hinterher und überranten Umbridge, die nun ziemlich mitgenommen aussah, quasi. Es war herrlich.

Fred und George flogen in den Schulinnenhof. Beide hielten noch zwei kleine Feuerwerkskörper in der Hand. Wie das den Drachen und Umbridges Bloßstellung toppen sollte, war mir noch nicht so klar.

Die beiden schienen sich ein Signal zu geben, ehe sie die Feuerwerkskörper in die Luft warfen und noch ein wenig höher flogen.

Und dann sah ich, warum das das Finale war: Die Feuerwerkskörper bildeten ein riesiges W, das selbst aus winzigen kleinen Feuerwerken bestand. Nachdem Umbridge den Zwillingen verboten hatte, ihre Scherzartikel in irgendeiner Weise in der Schule zu benutzen, war das hier natürlich die ultimative Rache. Der Anfangsbuchstabe ihres Nachnamen mit ihren eigenen Scherzartikel vor allen Schülern und sogar einigen Lehrern.

"Und Goldkehlchen, war das ein würdiges Finale?", fragte George mich grinsend, woraufhin ich spaßhaft mit den Schultern zuckte. "Das war schon großes Kino. Aber der Umbridge-fressende Drache hat mir trotzdem besser gefallen."

Ich sah nach unten, wo all die Schüler den Zwillingen zujubelten und sich an ihrem Streich erfreuten. Und dann sah ich sie.

Wir waren zwar recht weit oben in der Luft, doch ich würde den Rot-Ton ihrer Haare überall erkennen. Allie war wach.

George schien zu bemerken, dass etwas nicht stimmte. "Was hast du?"

Er drehte seinen Kopf zu mir. "Allie ist da unten. Sie war nicht bei der Prüfung wegen einer Vision", erklärte ich ihm. Und ich musste nichts weiter sagen. Er verstand und gab Fred ein kurzes Zeichen, dass er gleich wieder da sein würde.

George setzte mich am Rand des Schulinnenhofes ab. "Ich hoffe, es ist alles in Ordnung", sagte er und drückte einmal meine Hand. Ich nickte nur und stürzte mich in die Schülermenge.

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