Kapitel 30

Allie

"Ich sage euch: Sie hasst mich!", beendete Claire ihre Erzählung vom Essen mit den Weasleys. Offensichtlich war es die meiste Zeit über unangenehm gewesen und wie sich an ihrem Erzählungsende erkennen ließ, war sie der Ansicht, Mrs. Weasley würde sie hassen.

Wir hatten uns bereits im Zug vor einer Woche eifrig über unsere Ferien ausgetauscht, aber Claire konnte einfach nicht anders, als ständig über Mrs. Weasleys Hass auf sie zu reden. Das Kennenlernen hatte sie echt aufgekratzt.

"Bestimmt nicht. Vielleicht-" "Nein, Julie. Nein. Sie hasst mich. Ende der Geschichte", unterbrach Claire unsere Freundin und ließ sich neben einer Ritterstatue nieder. "Kommen wir zu den wichtigen Dingen des Lebens: Marco, wie geht es mit Finnick weiter?"

Marco hatte uns erzählt, dass sein Treffen mit Finnick ein Erfolg gewesen war. Sie hatten sich in einem angesagten Zauberer-Café getroffen und nach Marcos Angaben hatte Finnick nicht nur ständig mit ihm geflirtet, sondern hatte sich mit ihm auch über ernsthafte Dinge unterhalten.

Unser bester Freund zuckte mit den Achseln. "Keine Ahnung. Ich lasse es einfach auf mich zukommen. Für jetzt genieße ich einfach die Zeit mit ihm."

Julie wollte gerade etwas sagen, da wurde Claire plötzlich aufgeregt. Sie sah zuerst zu Julie und Marco, anschließend zu mir. "Allie. Hast du nicht deine Voodoo-Stunde?"

Ich sah auf meine Armbanduhr, stellte erschrocken fest, dass ich bereits zwei Minuten zu spät war. "Verdammt. Du hast recht. Wir sehen uns später!"

Gehetzt kam ich in dem Klassenzimmer an, in dem ich meine Voodoo-Stunde heute haben würde. Ich hatte absolut keine Lust auf diesen Unterricht. Noch immer hatte ich es nicht einmal geschafft, eine Vision hervorzurufen. Ich hatte schon des Öfteren gefragt, ob Firenze und Professor Trelawney mir nicht einfach sagen konnten, wie ich Visionen abhalten konnte. Jedes Mal hatte ich dieselbe Antwort bekommen: Wie sollte ich herausfinden, ob ich es richtig anwenden konnte, ohne eine Vision zu haben?

"Entschuldigung, dass ich-" "Es ist okay. Setz dich, Alyson", bat Firenze mich ruhig. Ich nickte und setzte mich dann auf einen Stuhl.

"Du weißt ja mittlerweile, wie es funktionieren sollte, richtig?", erkundigte Firenze sich, nachdem er mich einige Augenblicke lang angesehen hatte. Ich nickte.

"Den Kopf freikriegen und mich auf die Visionsstücke, die ich bisher hatte, konzentrieren."

Meine beiden Tutoren nickten und ich schloss meine Augen.

Den Kopf freizukriegen war mir bisher jedes Mal schwergefallen. Es war einfach zu viel passiert in den letzten Monaten. Der Streit mit Claire, das Drama um Marcos Bruder und Malfoys Drohungen, die Visionen. Von Cedrics Tod und Voldemorts Rückkehr ganz zu schweigen.

Doch jetzt, in diesem Moment, da war die Welt in Ordnung. Wir hatten keinen Streit mehr mit Claire. Wir wussten mit Malfoys Drohungen umzugehen. Meine Visionen hatten mich eine ganze Zeit lang nicht mehr geplagt. Und wir lernten jetzt in der DA, uns zu verteidigen, sollten wir je angegriffen werden.

In diesem Moment hatte ich keine Sorgen. Und deshalb fiel es mir leicht, meinen Kopf zu leeren.

Das Einzige, woran ich denken musste, waren die Visionsstücke, die ich schon gesehen hatte.

Ich konnte mit ihnen nichts anfangen. Ein Name war gefallen - Amalia, wenn ich mich recht erinnerte. Und es war jemand mit dem Cruciatus-Fluch gefoltert worden. Es war von einer Prophezeiung und einer Lüge gesprochen worden. Jemand war gestorben. Und dieser Spruch.

Keiner von beiden kann leben, während der andere überlebt.

Sie waren zusammenhangslos. Und ich wusste nicht, in welche Reihenfolge sie gehörten. Sie waren wie Puzzleteile, doch ich konnte sie nicht zusammenfügen. Ein Teil passte nicht zum anderen.

Ich öffnete meine Augen wieder.

"Was ist los?", erkundigte Professor Trelawney sich besorgt, sah mich mit ihren durch ihre Brille vergrößerten Augen an. "Es funktioniert nicht. Ich weiß nicht, wie meine Visionen zusammenhängen. Wie ich sie in eine logische Reihenfolge bringen kann", erklärte ich ihr und Firenze.

Der Zentaur nickte. "Da liegt also das Problem. Doch das Fehlen einer Reihenfolge ist im Grunde kein Problem. Du musst die Zusammenhänge nicht verstehen. Fürs Erste reicht es, wenn du dich auf einen Teil konzentrierst. Vielleicht sogar ein Teil, an den du dich besonders erinnerst, den du besonders mitgefühlt hast."

Ich dachte nach. Gab es ein Puzzleteil, an welches ich mich erinnerte? Hatte ich einen Teil besonders miterlebt?

Aber natürlich hatte ich das. Es war ziemlich am Anfang des Schuljahres gewesen. Ich hatte auf dem Mädchenklo einen Zusammenbruch gehabt, hatte vorher noch meinen Ministeriumsbrief ruiniert. Nach der Vision hatte ich ein Gespräch zwischen einigen Lehrern belauscht und mir dann Ärger mit Snape eingehandelt.

Ich atmete tief durch. "Ich glaube, dass das schmerzhaft wird."

Die beiden Lehrer sahen mich verwirrt an, doch ich achtete nicht mehr darauf. Erneut schloss ich meine Augen. Ließ meine Gedanken mit meinen Atemzügen wegfliegen. Und konzentrierte mich auf den Mann, der gefoltert wurde.

Ich rief mir die Erinnerung an die unerträglichen Schmerzen ins Gedächtnis. All meine Kraft und Willensstärke flossen in diese Erinnerung.

Mein Körper wollte es nicht. Jede Faser meines Körpers sträubte sich dagegen, sich selbst durch bloße Erinnerung erneut solche Schmerzen zuzufügen, was wohl natürlich war. Niemand fühlte gerne die Schmerzen, die der Cruciatus-Fluch mit sich brachte.

Doch mein Geist musste stärker sein, als mein Körper. All die Kraft, die ich aufbringen konnte, leitete ich in die Erinnerung an diesen fürchterlichen Schmerz. Mein Körper wurde durch das Abhalten dieser Schmerzen schwächer.

Es würde bald soweit sein. Bald würde mein Körper nicht mehr die Kraft haben, dagegen anzukämpfen.

Ich hatte Angst. Angst vor den Schmerzen und dem, was ich vielleicht gleich sehen würde. Ich merkte, wie die Angst sich vor meinen Geist schob und versuchte, ihn zu blockieren.

Doch das durfte nicht passieren. Ich wollte eine Vision haben. Es war vermutlich das erste Mal in meinem Leben, dass ich eine wollte. Nichts war in diesem Moment wichtiger, als eine Vision hervorzurufen. Und dafür musste ich erneut die Schmerzen fühlen, die ich Ende Oktober auf dem Mädchenklo gefühlt hatte.

Und schlussendlich war es soweit. Mein Körper war geschwächt genug, mein Geist stark genug.

***

Ein Mann kniete auf dem Boden. Er hatte zotteliges Haar und trug Klamotten, die mittlerweile kaputt zu sein schienen. Er sah ausgelaugt aus, auch wenn sein Gesicht nicht zu erkennen war.

Vor ihm erstreckten sich Regale voller Glaskugeln. Die Regale waren mit Nummern beschriftet und ragten bis unter die Decke.

Lord Voldemort trat hinter den unerkennbaren Mann. Er hielt seinen Zauberstab in der Hand, bereit, ihn gegen den knienden Mann einzusetzen.

"Hol mir die Prophezeiung", säuselte er.

"Nur über meine Leiche", erwiderte der Mann mit den zotteligen Haaren abfällig. Seine Stimme triefte förmlich vor Abscheu und Hass.

Die schlangenähnliche Gestalt hinter ihm schnaubte. "Nun, das lässt sich einrichten. Aber vorher holst du mir diese Prophezeiung. Crucio!"

Schmerz. Das war das Einzige, was ich in diesem Moment empfand.

Kurz darauf wurde ich in einen Strudel gezogen, hörte wirre Stimmen, die durcheinander redeten. Doch ein Wort stach besonders heraus.

"Lüge."

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