Kapitel 25

Claire

Ich hatte schnell weggeguckt, als Allie mir zugewunken hatte. Obwohl ich sie lieb hatte, spukten Malfoys Worte von eben noch in meinem Kopf herum und ich brauchte einfach ein wenig Abstand. So ganz erklären konnte ich mir das nicht. Es war einfach so.

Meine beste Freundin setzte sich also an den Gryffindor-Tisch und aus dem Augenwinkel erkannte ich, dass sie verwirrt war. Wäre ich vermutlich auch, wenn ich sie wäre.

"Trescott. Sag mal, hast du mein Zaubertränkebuch gesehen?", fragte Daphne Greengrass, die sich jetzt neben mich setzte, gehetzt und sah mich flehend an. "Nein, sorry. Hast du es verloren?", erwiderte ich und die Blondhaarige seufzte frustriert. "Ich hab keine Ahnung, wo das Ding hin ist, ganz ehrlich. Pansy hat es nicht, Millicent auch nicht und du auch nicht. Dabei hab ich es doch in unserem Zimmer liegen lassen. Ich verstehe das nicht", murmelte sie.

Sie tat mir schon ein wenig leid. Aber ich fragte mich, wieso ihr das jetzt auffiel und wieso sie das Buch jetzt brauchte.

"Brauchst du es jetzt? Dann kannst du dir meins nehmen, wenn du willst", sagte ich schließlich und legte meine Gabel hin. Mein Salat hatte für heute genug gelitten und ich hatte jetzt Hunger auf Pudding. Wer brauchte schon dieses gesunde Zeug, wenn er Schokoladenpudding haben konnte?

"Ehrlich? Also so wirklich? Du würdest mir das Leben retten, Trescott", rief Daphne, ehe sie sich wieder fing, denn einige am Slytherin-Tisch sahen sie jetzt verwirrt an. "Ja, ehrlich. Aber wozu brauchst du es jetzt?", antwortete ich und sie sah nervös auf ihre Finger. "Ich gebe jemandem Nachhilfe."

Das klang verdächtig danach, als würde sie die Person, der sie Nachhilfe gab, sehr mögen. Ich beschloss, nicht weiternachzuforschen, da sie in Slytherin eine der wenigen war, die mich nicht mit Fragen zu meiner Beziehung mit George löcherten.

"In Ordnung. Es liegt... unter meinem Bett, glaube ich. Pass aber auf, da liegen bestimmt auch Socken von mir", erklärte ich ihr und sie verzog das Gesicht. Vielleicht hätte ich die Socken nicht erwähnen sollen. Andernfalls, wie hätte sie reagiert, wenn ich es ihr nicht gesagt hätte?

"Ich schulde dir was, Trescott. Ehrlich. Danke", bedankte sie sich schließlich und verließ die Große Halle wieder.

Ich hingegen krallte mir den Schokopudding und begann, ihn zu löffeln.

Die Große Halle leerte sich nach und nach, doch sowohl ich, als auch Allie blieben sitzen. Sie wollte vermutlich nicht, dass ich es merkte, doch sie warf mir immer wieder verwirrte Blicke zu. Und ich sah zwischendurch auch immer wieder zu ihr. Malfoys Worte wollten mir ganz einfach nicht aus dem Kopf gehen, so sehr ich mich auch bemühte. Allie und die anderen würden nichts vor mir verschweigen. Vor allem George nicht, immerhin hatte ich ihm erst vor ein paar Wochen das mit den Hormonen verziehen.

Als sich schließlich neben meiner besten Freundin und mir nur noch rund fünf andere Schüler in der Großen Halle aufhielten, legte Allie ihr Besteck hin, schob ihren Stuhl zurück und steuerte direkt auf mich zu.

Am Slytherin-Tisch saß nur noch eine weitere Person, ein Viertklässler, den ich nicht besonders gut kannte und er saß auch zu weit weg, als dass ich ihn hätte ansprechen können, um mich davor zu retten, mit Allie reden zu müssen. Dafür hatte ich momentan nämlich eigentlich keinen Nerv.

Jedoch konnte ich jetzt sowieso nichts dagegen tun, also ließ ich es zu, dass Allie neben mir Platz nahm.

"Was ist los?"

Es klang in meinem Kopf schon bescheuert. Ich möchte nicht mit dir reden, weil Malfoy meinte, du verheimlichst mir was. Total durchgeknallt. Ich konnte mir ohnehin nicht erklären, wieso ich Malfoys Worten auch nur einen Funken Aufmerksamkeit schenkte.

"Nichts", atwortete ich stattdessen und erntete dafür einen kritischen Blick von Allie. Natürlich bemerkte sie, dass ich log. Wir waren befreundet seit wir denken konnten, sie kannte mich genauso gut wie sie sich selbst kannte.

"Lüg mich nicht an, Claire."

Ich wusste nicht, was ich sagen sollte. Die Wahrheit konnte ich ihr ganz einfach nicht sagen, dafür schämte ich mich zu sehr. Doch was sollte ich sonst sagen?

"Es ist schon gut", versuchte ich also mein Glück, doch meine beste Freundin schüttelte den Kopf. "Hat George irgendwas getan? Oder ich? Hatten wir uns verabredet und ich habs vergessen?"

In gewisser Weise hatte George etwas getan. Und sie auch. Zumindest laut Malfoy.

"Nein. Alles gut, ehrlich", beteuerte ich. Allie wurde langsam ungeduldig, das merkte ich sehr wohl.

"Ich dachte eigentlich, dass wir uns nicht anlügen wollten. Wenn du mir nicht sagen willst, was los ist, ist das kein Problem, aber lüg mich einfach nicht an, okay?", erwiderte sie deshalb jetzt ein wenig angesäuert. Und was ich dann sagte, bereute ich direkt im Moment danach. Ich wusste nicht, was mich geritten hatte, aber es nervte mich, dass sie mir etwas über Wahrheit erzählte und mich hier vielleicht selbst anlog. Anstatt dass sie es einfach gut sein ließ.

"Musst du gerade sagen." Und auf Allies verwirrten Blick antwortete ich dann mit: "Malfoy hat mir von Potters Geheimorganisation erzählt."

Ihre Haltung, ihre Blicke, ihr verdammte Atmung verriet mir, dass Malfoy recht gehabt hatte. Ich kannte Allie lange genug, um sie zu deuten.

Und wenn ich gedacht hatte, dass Georges Hormon-Aktion mir das Herz gebrochen hatte, hatte ich komplett falschgelegen.

Mal davon abgesehen, dass er mir so früh nachdem ich ihm vergeben hatte wahrscheinlich etwas verheimlichte, war Allies Verrat viel schlimmer. Ich kannte sie seit wir denken konnten. Wir hatten uns nie etwas verschwiegen. Nie. Selbst, wenn wir echt Scheiße gebaut hatten, wie damals, als Allie mein Lieblingsshirt kaputt gemacht hatte, wir hatten es uns erzählt. Sie war wie eine Schwester für mich, war es schon immer gewesen.

Und jetzt hatte ich durch Malfoy, den Typen, den wir beide an dieser Schule wohl am meisten hassten, etwas so Großes über sie erfahren.

"Wieso?"

Meine Stimme klang brüchig und es war ein Wunder, dass ich noch nicht angefangen hatte zu weinen.

"Weil-" Allie stockte. Sie schien nach den richtigen Worten zu suchen.

"Weil... sie wollten keine Slytherin dort haben."

Meine Kränkung schwang in Wut um.

Als wir in unsere Häuser eingeteilt worden waren, hatten Allie und ich uns geschworen, dass diese Häuser-Sache uns niemals trennen würde. Dass wir niemals etwas tun würden, nur weil Slytherin und Gryffindor "verfeindet" waren. Dass wir noch immer dieselben waren.

Und jetzt? Jetzt hatte sie mit etwas verschwiegen, weil ich in Slytherin war.

"Wissen Marco und Julie auch davon? Oder George?", fragte ich sie, meine Stimme nun nicht mehr brüchig, sondern hart. Malfoy hatte die drei zwar auch erwähnt, aber da war immer noch die Hoffnung, dass dem nicht so war. Dass wenigstens diese Leute mich nicht verraten hatten.

Doch Allie zerstörte diese Hoffnung. Denn sie nickte.

Mein Vater hatte meine Mum und mich verlassen, als ich acht gewesen war. Weil ich ihm nicht Hexe genug war, denn ich "verbrachte zu viel Zeit mit Muggeln". Es hatte mich verletzt. Doch ich hatte mich davon nicht auffressen lassen. Ich hatte eine harte Mauer um mein Herz gebildet, um es vor Enttäuschung und Verletzung zu schützen.

Und genau das passierte jetzt wieder.

Ich spürte schon fast, wie die dicke Mauer sich um mein Herz bildete, jegliche Tränenbildung verhinderte, wie alles in mir gefror. All die Enttäuschung, die Kränkung, die Wut - es prallte an der Wand, die mein Herz umschloss, ab.

"Claire, es tut mir-" "Spar's dir, Allie."

Meine Stimme klang schärfer als beabsichtigt. Aber vielleicht war das auch gut so.

"Lass mich erklären", bat meine Freundin, deren Augen jetzt anfingen zu glänzen. Ich hasste es, meine Freunde weinen zu sehen. Doch in diesem Moment war es mir egal. Sollte sie doch weinen. Die Gedanken waren nicht gut, aber sie hatte schließlich mich verletzt, nicht andersherum.

"Gute Nacht", sagte ich also nur und ließ meine beste Freundin in der Großen Halle stehen.

Sie versuchte nicht, mir zu folgen, weil sie wusste, dass ich andernfalls ausrasten würde. Sie kannte mich. Und ich kannte mich auch. Und ich konnte nicht garantieren, dass ich meine Wut nicht an ihr ausgelassen hätte, wäre sie mir gefolgt.

***

Ich wartete jetzt schon seit Stunden auf George, so wie wir es abgesprochen hatten. Erst verheimlichte er mir etwas und jetzt ließ er sich noch stundenlang Zeit, ehe er hier aufkreuzte. Wahrscheinlich hatte Allie ihm erzählt, wie ich drauf war. Dass ich mehr als nur wütend war.

Meine Armbanduhr zeigte mir an, dass es inzwischen zwei Uhr morgens war und ich hatte echt Glück, dass mich noch kein Lehrer erwischt hatte. Ich beschloss, dass es es nicht wert war, noch länger auf ihn zu warten, da ich eh nur rumschreien würde. Vermutlich. Vielleicht würde die Mauer um mein Herz auch halten, ich wusste es nicht. Aber ich wusste, dass ich mir Ärger einhandeln würde, sollte mich noch jemand erwischen.

Doch genau in dem Moment, in dem ich gehen wollte, hörte ich Schritte und eine sehr bekannte Stimme.

"Ihre Sachen sind bereits gepackt", erklärte Professor McGonagall jemandem. Ich konnte nicht identifizieren, wie viele Fußpaare neben McGonagall den Gang entlanggingen und drückte mich ein wenig gegen die Wand. Sollten es noch mehr Lehrer sein, wollte ich nicht von allen gleichzeitig erwischt werden.

"Meinen Sie, er wird es schaffen?", schluchzte eine weitere bekannte Stimme und es brach mir fast das Herz. Was war passiert, dass er den Tränen nahe war?

Und in diesem Moment war meine Wut wie weggeblasen und meine Vorsicht, erwischt zu werden, warf ich jetzt auch über Bord. Das Einzige was jetzt zählte, war George.

Ich trat ihm also entgegen und sah, dass auch die restlichen Weasley-Kinder bei McGonagall waren. Was war passiert?

"George, was ist los?", fragte ich also besorgt und lief zu meinem Freund. Dieser antwortete nicht, zog mich nur in seine Arme und drückte mich fest. Fast ein wenig zu fest, aber das war in Ordnung.

"George-" "Ich komme gleich, Fred."

Seine Stimme zitterte und ich merkte, dass er jeden Moment in Tränen ausbrechen würde. McGonagall nickte nur und zog mit den restlichen Weasleys weiter.

"Claire, ich hab solche Angst", schluchzte George und ab diesem Moment war es vorbei. Er beugte sich weit runter, um seinen Kopf in meinem Hals zu vergraben. Und dann weinte er.

Es war schrecklich. Ich war überfordert. So sehr hatte noch nie jemand in meiner Gegenwart geweint, nicht einmal meine Freunde. Nie hatte jemand in meiner Nähe einen solchen Schmerz gefühlt. Nicht mal bei Allies erster Vision war es so schlimm gewesen.

Da ich keine Erfahrung mit so etwas hatte, drückte ich ihn einfach fest und war da. Mehr konnte ich jetzt sowieso nicht machen.

Nach einer Weile löste sich der Rothaarige von mir. Er wischte sich die Tränen weg und sah mich dann an.

"Tut mir leid. Ich..." "George, schon okay. Du musst mir jetzt nicht erzählen, was los ist. Geh jetzt zu deinen Geschwistern. Ich hoffe, dass alles gut wird", unterbrach ich ihn und meinte das auch so. Es schien eine Familiensache zu sein und was immer es war, es war jetzt wichtiger als dass ich wusste, was los war.

Und es war wichtiger, als dass ich George sagte, dass ich verletzt war. Denn meine Gefühle waren jetzt unwichtig. George und seine Familie zählten.

Mein Freund nickte. "Danke."

Dann lief er hinter McGonagall und seinen Geschwistern hinterher.

Ich für meinen Teil schaffte es tatsächlich in mein Zimmer, ohne erwischt zu werden. Außer vielleicht von Pansy, die mich anmeckerte, weil ich mich im Dunkeln nicht zurechtfand und aus Versehen einen Stuhl umwarf.

In meinem Bett angekommen, wollte ich mich besser fühlen. Denn schlafen war doch immer was Gutes. Doch der Streit mit Allie, der Verrat meiner Freunde und der leidende George versauten mir meinen Plan, ins Land der Träume zu verschwinden.

Und so lag ich wohl die ganze Nacht lang wach.

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