KAPITEL 7
Emilio
„ ... und dann hat Molly mich gestern Abend einfach sechs Mal anrufen. Ich bin natürlich nicht rangegangen und dann stand sie einfach eine halbe Stunde später bei uns im Vorgarten und hat Steine gegen mein Fenster geworfen, nur leider keine Kiesel, sondern so richtige Brocken. Einer von denen hat mein Fenster eingeschlagen, sodass ich mir die ganze Nacht ihr Gejammere anhören musste. Dieses Weib ist verrückt, wirklich", berichtete mir Sid wild gestikulierend davon, wie seine Exfreundin ihm gestern mal wieder einen Besuch abgestattet hatte.
Molly hatte definitiv ein Rad ab, da stimmte ich meinem besten Freund absolut zu, aber das hatte ich ihm schon versucht zu erklären, bevor die beiden überhaupt zusammengekommen waren. Wer sich bei der Notenbesprechung mitten im Unterricht vor allen Schülern und dem Lehrer bis auf die Unterwäsche auszog, um noch eine bessere Note zu kriegen, konnte einfach nicht ganz normal sein. Außerdem hatte Molly einmal beinahe das Haus von Sids Familie angezündet, als sie im Garten ein Feuer ihrer Liebe für ihn entfachen wollte. Dieses Mädchen war restlos durchgeknallt, aber zugegebenermaßen ziemlich heiß – auf der Crazy-Hot-Skala das absolute Maximum. Wahrscheinlich war auch das Grund warum Sid sich trotz allem auf sie eingelassen hatte. Mittlerweile bereute er dies aber zutiefst, denn nachdem er mit Molly nach einer beinahe einjährigen Beziehung Schluss gemacht hatte, ließ sie ihn einfach nicht mehr in Ruhe.
Die täglichen Liebesbotschaften oder das Tattoo, das Molly sich für ihn stechen lassen hatte, raubten Sid seitdem den letzten Nerv, doch mein Mitleid hielt sich in Grenzen. So musste ich auch jetzt so sehr lachen, dass ich mich an dem Rauch meiner Zigarette verschluckte und zu husten begann.
„Verreck dran", kam es sofort von dem blonden Jungen, der gegenüber von mir an der Rückseite des Schulgebäudes lehnte und mich böse anfunkelte. „Ich weiß gar nicht, wieso ich dir das überhaupt erzähle, wenn du mich eh nur auslachst."
„Selbst wenn ich dir sagen würde, dass ich es nicht hören will, würdest du es mir und jedem anderem trotzdem erzählen, deshalb. Außerdem habe ich dich immer vor Molly gewarnt, aber du wolltest ja nicht auf mich hören", erwiderte ich spöttisch und warf meinen Zigarettenstummel auf den Boden, um ihn dort auszutreten.
Sid zeigte mir dafür nur den Mittelfinger. „Dafür hatte ich wenigstens ein Jahr lang geilen Sex mit einer Frau, Mister Ups-da-ist-mir-die-Seife-runtergefallen", entgegnete er herausfordernd.
„Willst du damit etwa sagen, dass Gefängnis-Sex nicht geil ist?", fragte ich zurück und zwang mich zu einem Lachen. Ich hoffte, man konnte aus meiner Stimme nicht heraushören, wie unwohl ich mich plötzlich fühlte.
Es war nicht leicht über die Zeit im Knast zu scherzen, aber wenn ich es nicht täte, würden mich alle fragen, was mit mir los war. Auch wenn mir Sid und Blake mit Sicherheit zuhören würden, wenn ich ihnen von der Zeit im Knast erzählte, würden sie es nicht verstehen. Dafür musste man das selbst erlebt haben, weshalb auch ich mich an das Motto Was im Knast passiert, bleibt im Knast hielt. Das war eine Sache, die ich alleine mit mir ausmachen musste.
Ich zündete mir eine weitere Zigarette an, um meinen Puls ein bisschen runterzufahren, der sich bei der Richtung, in die unser Gespräch abgedriftet war, automatisch beschleunigt hatte.
Sid schien von meiner komischen Stimmung jedoch nichts zu bemerken, denn er blickte auf sein Handy und allein sein Gesichtsausdruck sagte mir, wer ihn gerade anrief. Er wirkte so abgrundtief genervt, dass ich nun tatsächlich doch ein kleines bisschen Mitleid verspürte.
„Gib mal her", sagte ich deshalb und streckte meine Hand nach seinem Smartphone aus. Sid gab es mir auch sofort bereitwillig rüber, sodass ich Mollys Anruf annahm.
„Guten Tag. Elefantenjagdverein, tötet was trötet. Wie kann ich Ihnen helfen?", begrüßte ich sie mit verstellter Stimme, während Sid hinter vorgehaltener Hand zu kichern begann.
Für einen kurzen Moment hörte ich nur das Knistern in der Leitung, dann räusperte sich Molly. „Entschuldigung, ich muss mich verwählt haben", antwortete sie hörbar verwirrt.
Das nutzte ich aus. „Nein, ich glaube nicht. Die Nummer ist nämlich seit gestern neu vergeben, da der alte Nutzer sie aufgegeben hat", erklärte ich immer noch mit verstellter Stimme.
„Oh ähh... okay", stammelte Molly. „Danke für die Info." Dann legte sie auf.
Zufrieden grinsend reichte ich Sid das Telefon zurück. „Es hat auch Vorteile, dumme Mädchen zu daten, die hat die Lüge ja sofort geschluckt", meinte ich lachend. „Wenn du dir jetzt noch einen Bodyguard vors Haus stellst, bist du die vielleicht wirklich los."
Sid grinste ebenfalls. „Da hast du wohl recht, danke Bro." Er klopfte mir freundschaftlich auf Rücken.
„Kein Ding", winkte ich ab und zog an meiner Zigarette, von der jetzt nur noch ein kümmerlicher Rest übrig war.
In diesem Moment klingelte es auch schon zum Ende der Mittagspause. Ich verzichtete darauf, den Stummel noch aufzurauchen, sondern ließ ihn einfach auf den Boden fallen. Dann setzte mich in Bewegung, um wieder ins Schulgebäude zurückzulaufen. Sid folgte mir.
„Weißt du, es ist echt ätzend, dass du plötzlich zum Musterschüler geworden bist", beschwerte er sich. „Was ist aus chillen am Fluss oder McDonald's statt im Unterricht zu versauern geworden?"
„Ich muss dieses Jahr meinen Abschluss schaffen und du solltest dich auch endlich mal anstrengen, das ist geworden", antwortete ich schroff. Natürlich hatte ich nichts dagegen, hin und wieder mal zu schwänzen, aber dieses Jahr musste ich die Schule wirklich ernst nehmen, um mir nicht meine komplette Zukunft zu verbauen. Außerdem hatte ich gleich wieder Englisch mit Cassiopeia, worauf ich mich schon den ganzen Tag lang freute. Ich hoffte, dass ihre Freundin noch nicht wieder gesund war, sodass ich mich wieder neben sie setzen konnte. Es hatte mir beim letzten Mal echt Spaß gemacht, mich mit ihr zu unterhalten und ihr näherzukommen, würde meine Motivation, zur Schule zu gehen, erheblich steigern.
Im Forum trennten sich Sids und meine Wege und ich ging ziemlich gut gelaunt zu meinem Raum. Ich war gerade um die letzte Ecke des Flurs gebogen, als ich Cassiopeia vor dem Klassenzimmer entdeckte. Doch sie war nicht alleine, sondern wurde von einem großen, athletischen Jungen mit dunklen Haaren gegen die Wand gedrückt. Die beiden waren dabei, sich intensiv zu küssen und ich musste meinen Blick abwenden, als er ihr seine Zunge in den Hals steckte, weil ich das Gefühl hatte, dass sonst alles in mir hochkommen würde. Kaum hatte ich mal wirkliches Interesse an einem Mädchen, musste natürlich so etwas passieren. Das war mal wieder typisch.
Auch wenn ich wusste, dass die Reaktion meines Körpers völlig übertrieben war, hätte ich den Typen am liebsten von Cassiopeia weggeschubst – mir gefiel die Art, wie er sie küsste nicht. Das war keine Leidenschaft, das war einfach nur noch grob und ich konnte mir kaum vorstellen, dass es Mädchen gab, die darauf standen. Aber Cassiopeia bewies mir gerade das Gegenteil.
Um diesen Anblick nicht noch länger ertragen zu müssen, lief ich mit schnellen Schritten und abgewandtem Blick an den beiden vorbei und verschwand im Klassenraum. Dort setzte ich mich dieses Mal nicht in die letzte Reihe zu Cassiopeia, sondern auf einen Platz weiter vorne, von dem aus ich sie zwar sehen konnte, ihr aber nicht zu nah war. Dabei ärgerte ich mich darüber, dass ich gehofft hatte, Cassiopeias Meinung über mich zu ändern, nachdem sie mich bereits bei unserem ersten Zusammentreffen gekorbt hatte. In diesem Fall hatte mir tatsächlich meine eigene Selbstsicherheit im Weg gestanden, denn ich hatte es nicht glauben können, dass ein Mädchen wirklich meinem Charme widerstehen konnte und hatte deshalb einen zweiten Versuch gewagt. Aber Cassiopeia hatte einen Freund und damit war die Sache gegessen. Ich verstand nur nicht, wieso sie sich überhaupt auf mich eingelassen hatte und mir nicht gesagt hatte, dass sie in einer festen Beziehung war.
Kurz bevor der Lehrer den Raum betrat, kam auch Cassiopeia in das Klassenzimmer hinein. Ohne mich eines Blickes zu würdigen, ging sie durch den Raum und setzte sich auf den Platz in der letzten Reihe – alleine, ihre Freundin war anscheinend wirklich noch krank.
Der Unterricht begann und so sehr ich auch versuchte, mich darauf zu konzentrieren, schweiften mein Blick und meine Aufmerksamkeit immer wieder zu Cassiopeia ab. Sie sah hingegen kein einziges Mal zu mir herüber.
Als die Stunde zu Ende war, hielt ich es nicht mehr aus. Ich packte schnell meine Sachen zusammen und lief dann nach hinten zu dem Tisch von Cassiopeia, wo sie gerade dabei war, Ordnung in ihr Zettelchaos zu bringen.
Ich räusperte mich, um ihre Aufmerksamkeit auf mich zu ziehen.
Cassiopeias Blick richtete sich auch sofort nach oben und als sie mich erblickte, weiteten sich ihre Augen erschrocken. Aber wenn sie gehofft hatte, ohne eine Konfrontation vor mir davonzukommen, dann hatte sie sich geschnitten.
„Du hast also einen Freund", stellte ich trocken fest.
„Ja, habe ich", antwortete Cassiopeia kurz angebunden. Ihr Blick glitt dabei immer wieder hinter mich und ich hatte das Gefühl, dass sie echt nervös war. Das verwirrte mich, denn hatte nicht die leiseste Ahnung, was der Grund dafür sein könnte.
„Aha", antwortete ich knapp, zu mehr war ich nicht in der Lage.
Ich war echt über mich selbst verwundert, weshalb es mich so sehr störte, dass Cassiopeia einen Freund hatte. Vielleicht, weil ich das Gefühl hatte, sie würde sich ebenfalls gerne mit mir unterhalten. Vielleicht, weil ich das Funkeln in ihren Augen schon von der ersten Sekunde an faszinierend fand. Wie auch immer – es ärgerte mich echt ganz schön, dass sie einen Freund hatte und ich es so hatte herausfinden müssen.
Ich wartete noch einen kurzen Moment ab, ob Cassiopeia noch etwas zu sagen hatte, doch sie schwieg. Deshalb drehte ich mich ohne ein weiteres Wort um und ging davon. Hätte ich ihr jetzt viel Glück für ihre Beziehung gewünscht, wäre das einfach nur geheuchelt gewesen und ich konnte ihr schlecht sagen, dass es mir nicht gefiel, dass sie in einer Beziehung war und es mir nicht gesagt hatte, denn schließlich hatten wir uns bisher nur ein paar Mal unterhalten. Ich reagierte über, das wusste ich, aber ich hätte auch nicht gedacht, dass diese Neuigkeit mich so sehr treffen würde. Es war komisch, aber irgendwie mochte ich sie bereits seit dem Moment, wo sie mich zur Schnecke gemacht hatte, nachdem sie mich vor dem Auto gerettet hatte. Aber das musste jetzt aufhören, sonst würde ich mich nur selbst verletzen. Sie war ein zu kompliziertes Mädchen – eines, von denen man sich besser fernhielt, bevor sie einen in ihr Chaos hineinzogen und genau das würde ich ab sofort tun.
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Hey ihr Lieben,
das heutige Kapitel hat etwas Verspätung, aber nicht weil ich euch vergessen habe, sondern weil ich noch mit meiner Familie essen war.😊
Da hat Emilio jetzt ja auf sehr direkt Weise erfahren, dass Cassie einen Freund hat, nur nicht von ihr.😅 Ob es wirklich schon zwischen den beiden aus ist, bevor es überhaupt begonnen hat? Emilio ist ja zumindest schon ziemlich angepisst.
Ich wünsche übrigens allen schöne Ferien und die, die noch keine haben (oder sich selber Urlaub nehmen müssen, so wie ich ☹😂) ganz viel Durchhaltevermögen!🤗
Ciao ciao, brown cow!
Eure Amy
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